Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 3 O 170/11


Metadaten

Gericht LG Potsdam 3. Zivilkammer Entscheidungsdatum 25.06.2013
Aktenzeichen 3 O 170/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

1. Sehen die Versicherungsbedingungen im Fall der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls das Recht des Versicherers vor, Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen, trifft den Versicherer die Darlegungs- und Beweislast sowohl für die objektive wie auch die subjektiv grobe Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers.

2. Eine nach § 14 Abs. 2 StVO vorgesehene Sicherungsmaßnahme zur Vermeidung des Wegrollens eines Fahrzeugs ist objektiv bei einem entsprechenden Gefälle erforderlich (hier: 1,4 - 1,7 % Gefälle).

3. Ist das festgestellte Gefälle jedoch nicht augenfällig, drängt sich für einen Fahrzeugführer die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen nicht in einem Maße auf, das das Verdikt der groben Fahrlässigkeit verdienen würde.

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 6.484,51 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.484,51 seit dem 14.3.2011 sowie aus 5.799,26 € vom 8.9.11 bis 14.3.12 und aus 385,25 € vom 8.9.11 bis 16.3.12 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 603,93 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.9.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 22 % und die Beklagte zu 78 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagte ohne Sicherheitsleistung, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin macht Ansprüche aus einer Vollkaskoversicherung geltend.

Sie versicherte ihr Fahrzeug, BMW Cabrio 118 i, amtl. Kennzeichen (…), mit Versicherungsantrag vom 25.11.2009 bei der Beklagten im Rahmen einer Vollkaskoversicherung, Selbstbeteiligung 300 EUR, Tarif Produktlinie Basis inkl. VK-Clever.

In den AKB heißt es u.a.:

„A.2.16.1.:
Für die PKW-Produktlinie „Basis“ gilt abweichend: Wir sind im Fall der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Wir verzichten hier nicht auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls.“

Die Klägerin zog am 30.10.2010 von München nach Berlin um. Sie fuhr dabei in ihrem Fahrzeug, das sie bei der B. geleast hatte. Begleitet wurde sie von Herrn P., der den bei der Firma S. gemieteten Umzugswagen fuhr.

Aufgrund von Problemen mit der Elektronik und dem Motor am Umzugswagen bogen die Klägerin und kurz darauf der Umzugswagen auf der Autobahn A9 auf den Parkplatz „Eichfeld“ in Fahrtrichtung Berlin ein und parkten dort. Nachdem die Klägerin ihr Fahrzeug verlassen und verriegelt hatte, rollte der Wagen der Klägerin aus streitigen Gründen - von der Klägerin unbemerkt - rückwärts und unbeleuchtet auf die Autobahn, wo es von auf der Autobahn fahrenden Fahrzeugen gerammt wurde. Der genaue Hergang insgesamt ist in den Einzelheiten streitig.

Die Klägerin ging zunächst davon aus, dass ihr Fahrzeug gestohlen sei und meldete dies der Polizei.

Die Klägerin ließ das Fahrzeug zur nächstgelegenen Werkstatt abschleppen und zahlte dafür 706,36 EUR sowie 64,14 EUR Standkosten. Für das Abschleppen von Nörting nach Berlin zahlte sie 684,01 EUR.

Die Reparaturkosten für den BMW beliefen sich auf 12.198,52 EUR.

Im Fragebogen vom 25.11.10 schilderte die Klägerin den Schadenshergang.

Mit Schreiben vom 2.12.2010 an die Klägerin erklärte die B., bei der die Klägerin das Unfallfahrzeug geleast hatte, ihr Einverständnis damit, dass die unfallbedingten Kosten an die Klägerin ausbezahlt werden.

Mit Schreiben vom 7.2.2011 erklärte die Beklagte, dass die Leistung aufgrund grober Fahrlässigkeit um 50 % zu kürzen sei. Es werde, ausgehend von einer Schadensberechnung auf Gutachterbasis, ein Betrag von 4.955 € ausgezahlt werden. Voraussetzung sei eine Freigabeerklärung der Leasinggesellschaft.

Mit Anwaltsschreiben vom 11.3.11 verneinte die Klägerin eine grobe Fahrlässigkeit und begehrte Regulierung ihres Schadens bis zum 18.3.11. Die Klägerin habe bereits wegen der Ablehnung der Beklagten ein Depot auflösen müssen. Die Regulierungsfreigabe vom 2.12.2010 müsste der Beklagten bereits vorliegen, falls nicht, könne diese gerne angefordert werden.

Mit Schreiben vom 14.3.11 hielt die Beklagte an ihrer Rechtsauffassung fest und verwies die Klägerin auf den Klageweg.

Die Klägerin trägt vor:

In der Klageschrift trägt sie vor, da auf der Autobahn der Motor des LKW bereits einmal versagt habe, hätten sich die Klägerin und Herr P. auf einen Stopp beim nächsten Parkplatz verständigt, um von dort die Mietwagenfirma anzurufen.

Im Schriftsatz vom 31.10.11 ergänzt sie, dass sie mit Herrn P. während der Fahrt über Freisprecheinrichtung telefoniert und sich verständigt habe, den nächsten Parkplatz aufzusuchen.

Die Klägerin habe ihr Fahrzeug ordnungsgemäß ca. 50 Meter nach dem Parkplatzbeginn am rechten Fahrbahnrand geparkt und habe es routinemäßig gegen Wegrollen gesichert, indem sie den Gang eingelegt und die Handbremse gezogen habe. Die Fahrbahn sei in dem Bereich nur leicht, nicht jedoch merklich abschüssig.

Die Klägerin sei „noch kurz“ im Fahrzeug geblieben, um über Handy die Fa. S. anzurufen und auf den Umzugswagen zu warten. Während dieser Zeit habe sich das Fahrzeug nicht bewegt.

Aufgefallen seien der Klägerin nach dem Aussteigen zwei Personen in einem Wagen mit russischem Kennzeichen.

Die Klägerin sei zu Herrn P. gegangen, man habe die Angelegenheit besprochen und erneut bei S. angerufen. Dann hätten sie einen lauten Knall vernommen und in der Folge festgestellt, dass der BMW der Klägerin weg war.

Denkbar sei, dass Personen an dem BMW gerüttelt hätten und dies dadurch in Bewegung geraten sei. Denkbar sei auch, dass der BMW selbst von einem anderen Fahrzeug noch auf dem Parkplatz getroffen und erst dadurch auf die Autobahn gerollt sei.

Selbst bei den Feststellungen der Polizei könne nicht zwangsläufig darauf geschlossen werden, dass die Klägerin ihr Fahrzeug nicht gegen Wegrollen gesichert habe. Es kämen eben noch andere Möglichkeiten in Betracht. Denkbar sei auch, dass ein leicht eingelegter Gang bei einem Unfall herausrutscht.

Auch der Polizeiversuch habe ergeben, dass sich das Fahrzeug erst nach einiger Zeit in Bewegung gesetzt habe.

Das Gefälle sei jedenfalls geringer als 10 %. Die Klägerin habe nicht mit einem Wegrollen rechnen müssen.

Die Ziff. A.2.16.1. halte einer AGB-Prüfung nicht stand. Die Klausel sei überraschend und zu unbestimmt.

Nach dem eingeholten gerichtlichen Gutachten trägt die Klägerin ergänzend vor:

Die Klägerin treffe keine grobe Fahrlässigkeit, da nach den Feststellungen des Sachverständigen kein merkliches Gefälle gegeben sei. Die Klägerin habe deshalb keine besonderen Sicherungsmaßnahmen ergreifen müssen. Die Klägerin habe zwar gemeint, unterbewusst nach dem Anhalten Sicherungsmaßnahmen (entweder Einlegen des ersten Ganges oder Anziehen der Handbremse) vorgenommen zu haben, dies sei ihr aber nicht mehr erinnerlich. Die Klägerin habe stets darauf hingewiesen, dass eine konkrete Erinnerung bei ihr nicht mehr gegeben sei. Denkbar sei nach den Ausführungen des Sachverständigen, dass die Handbremse nur in die erste Raste gezogen wurde. Denkbar sei nach wie vor auch eine äußere Einwirkung auf das Fahrzeug.

Die Beklagte verkenne im Übrigen weiterhin die Darlegungs- und Beweislast. Die Beklagte habe die grobe Fahrlässigkeit zu beweisen.

Da die Autobahn stark befahren gewesen sei, habe die Klägerin öfters bremsen müssen, ein Erhitzen der Bremsen sei deshalb denkbar. Auch das kurze Verweilen im Fahrzeug und das Wegrollen erst nach Verlassen des Fahrzeugs sprächen für die vom Sachverständigen angeführte Möglichkeit. Ein Sachverständigengutachten zur Frage der Bremsenerhitzung sei untauglich.

Die Klägerin hat zunächst beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 15.234,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.3.2011 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die ihr entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 899,40 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte auch zukünftige Schadensersatzpositionen der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 30.10.2010 und der unberechtigten Ablehnung der Regulierung zu erstatten hat, dies gilt insbesondere für den Ausgabeaufschlag von 3 % bei einer Neuanlage des Sauren Global Defensive.

Die Beklagte hat auf die Hauptforderung am 14.3.2012 5.799,26 € und am 16.3.2012 385,25 € bezahlt. Insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt nunmehr noch,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 9.049,76 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.799,26 € vom 14.3.2011 bis 14.3.2012, aus 385,25 € vom 14.3.2011 bis 16.3.2012 und aus 9.049,76 € seit dem 14.3.2011 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die ihr entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 899,40 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte auch zukünftige Schadensersatzpositionen der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 30.10.2010 und der unberechtigten Ablehnung der Regulierung zu erstatten hat, dies gilt insbesondere für den Ausgabeaufschlag von 3 % bei einer Neuanlage des Sauren Global Defensive.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor:

Die Klägerin habe ihr Fahrzeug nur 20 Meter, am Ende des Verzögerungsstreifens, abgestellt, obwohl 30 m weiter ausreichend Parkbuchten vorhanden gewesen seien.

Die Behauptung der Klägerin, sie habe ihr Fahrzeug gegen Wegrollen gesichert, sei durch die anschließenden Feststellungen der Polizei widerlegt. Hätte die Klägerin längere Zeit, wie behauptet, im stehenden Fahrzeug gesessen, wäre dies rückwärts gerollt. Beim Selbstversuch der Polizei sei der Wagen sofort rückwärts gerollt.

Die Klägerin habe grob fahrlässig den Versicherungsfall herbeigeführt, so dass die Beklagte leistungsfrei sei.

Nutzungsausfallentschädigung stehe der Klägerin bei Kasko nicht zu, ebensowenig Abschleppkosten nach Berlin. Auch für die Finanzierungskosten hafte die Beklagte nicht.

Nach dem eingeholten Gerichtsgutachten trägt die Beklagte ergänzend vor:

Hätte die Klägerin ihr Fahrzeug ordnungsgemäß in den Parkbuchten abgestellt, hätte es nicht wegrollen können. Auch insoweit treffe sie ein Fehlverhalten.

Die Behauptung der Klägerin, Sicherungsmaßnahmen vorgenommen zu haben, sei durch das Gutachten widerlegt. Die Überlegungen des Sachverständigen zu einem Zeitverzug bei in erster Raste angezogener Handbremse würden nicht weiterhelfen, da der POM S. eindeutig festgestellt habe, dass die Handbremse des Fahrzeugs überhaupt nicht angezogen gewesen sei. Wäre die Handbremse in der ersten Raste gewesen, wäre dies erkennbar gewesen. Dass sich der POM geirrt habe, sei völlig unwahrscheinlich. Es handele sich um einen erfahrenen Polizisten, dem eine angezogene Handbremse sicher aufgefallen wäre. Fahrzeuge seien generell gegen Wegrollen zu sichern. Eine weitere Haftung der Beklagten als 50 % sei nicht gegeben.

Es möge ja sein, dass die Klägerin noch einige Zeit im Fahrzeug telefoniert habe. Dann aber müsse sie zwingend auf der Fußbremse gestanden haben, denn andernfalls wäre der Wagen weggerollt.

Die Klägerin trage widersprüchlich vor und passe ihren Vortrag ersichtlich an. Auch trage die Klägerin nichts zu den vom Sachverständigen angeführten Bedingungen vor. Es werde bestritten, dass die Bremse durch das Anhalten des Fahrzeugs in der Einfahrt zum Parkplatz heiß geworden sei.

Die Klägerin müsse gemerkt haben, dass sie auf einem merklichen Gefälle gestanden habe, da sie nach ihrem eigenen Vortrag Sicherungsmaßnahmen ergriffen habe. Selbstverständlich sei ein Fahrzeug beim Abstellen immer gegen Wegrollen zu sichern.

Das Gericht hat am 21.2.2012 einen Hinweis- und Beweisbeschluss erlassen. Der Sachverständige B. hat am 17.11.2012 ein Gutachten erstellt. Auf dieses wird Bezug genommen.

Die Akte der StA Landshut (…) war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache überwiegend Erfolg.

I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz ihres entstandenen Schadens grundsätzlich zu. Das Bestehen der Vollkaskoversicherung ist unstreitig, ebenso ist der Versicherungsfall eingetreten.

Dieser Anspruch ist nicht wegen Vorliegens von grober Fahrlässigkeit zu kürzen. Denn zwar sieht der Vertrag wirksam eine Kürzungsmöglichkeit in diesen Fällen vor. Das Gericht konnte sich jedoch nach der durchgeführten Beweisaufnahme im Rahmen von § 286 ZPO nicht von einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch die Klägerin überzeugen. Im Einzelnen gilt folgendes:

1.

Die Ziff. A.2.16.1. erlaubt eine Kürzung der Versicherungsleistung im Verhältnis zur Schwere des Verschuldens. Ein Verstoß gegen die AGB-Regelungen ist nicht ersichtlich, insbesondere ist die Klausel weder überraschend noch zu unbestimmt. Die Klausel ist hinreichend klar und deutlich formuliert und lässt die Reichweite und Bedeutung auch für den Versicherungsnehmer ausreichend erkennen (vgl. auch BGH v. 11.1.2012 Az. IV ZR 251/10 zur vergleichbaren Klausel zur grob fahrl. Obliegenheitsverletzung).

2.

Vorliegend lässt sich grobe Fahrlässigkeit jedoch nicht feststellen.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. nur BGH v. 29.1.2003, IV ZR 173/01, Rn. 10). Darlegungs- und beweisbelastet sowohl für die objektive wie auch die subjektiv grobe Pflichtverletzung ist die Beklagte (BGH aaO Rn. 14). Dieser Beweis ist nicht erbracht. Es lässt sich jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass der Klägerin sich die Notwendigkeit zu treffender Sicherungsmaßnahmen in einem Maße aufdrängte, die das Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen an der konkreten Stelle als grob fahrlässig einordnen lassen.

Nach § 14 Abs. 2 StVO muss der Fahrzeugführer beim Verlassen seines Fahrzeugs die „nötigen Maßnahmen treffen, um Unfälle oder Verkehrsstörungen zu vermeiden“. Dies umfasst die Pflicht dafür zu sorgen, dass das abgestellte Fahrzeug sich nicht von selbst in Bewegung setzt und wegrollt (vgl. BGH v. 23.3.1962, 4 StR 475/61). Eine solche Sicherung war vorliegend objektiv erforderlich, da das Fahrzeug ohne eine solche Sicherung bei dem vorhandenen Gefälle ansonsten wegrollen würde – und ja auch tatsächlich weggerollt ist. Davon hat sich der gerichtliche Sachverständige durch Vermessung des Gefälles und eines Rollversuchs überzeugt. Nach diesen plausiblen Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten ist am Ort, wo die Klägerin geparkt haben will, von einem Gefälle von 1,4 % bis 1,7 % auszugehen. Bei einem solchen Gefälle rolle das klägerische Fahrzeug ohne Sicherungsmaßnahmen sofort nach dem Lösen des Bremspedals rückwärts los.

Allerdings hat der Sachverständige eben auch festgestellt, dass dieses von ihm festgestellte Gefälle von max. 1,7 % nicht merklich/deutlich sei. Eine solche Prozentangabe bedeutet faktisch, dass die Höhe der Straße auf einer Strecke von 100 Meter um 1,7 Meter zunimmt. Die Einordnung als nicht merklich ist insoweit nachvollziehbar. In einem solchen Fall aber drängt sich für einen Fahrzeugführer die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen nicht in einem Maße auf, das das Verdikt der groben Fahrlässigkeit verdienen würde (so auch LG Hanau v. 2.4.1992, 7 O 227/92 in NJW-RR 1992, 1251: kein besonders augenfälliges Gefälle und damit keine grobe Fahrlässigkeit zu begründen; aA OLG Köln v. 12.4.1994, 9 U 24/94 Rn.6 beim Parken „in unmittelbarer Nähe eines nicht unerheblichen Gefälles“; ebenso aA OLG Düsseldorf v. 18.12.2001, 4 U 119/01 bei sich aufdrängender Gefahr des Wegrollens).

Dies wäre nur anders zu bewerten, wenn der Fahrzeugführer (hier also die Klägerin) tatsächlich bemerkt hätte, dass das Fahrzeug ohne Sicherungsmaßnahmen nach Lösen der Fußbremse wegrollt. Dass sich ein „ungesichertes“ Fahrzeug so verhalten würde, hat der Sachverständige in einem Rollversuch festgestellt. Dass aber das Fahrzeug der Klägerin tatsächlich noch in dem Moment, in dem die Klägerin darin saß, und damit für diese wahrnehmbar nach hinten wegrollte, lässt sich nicht feststellen. Dies wird, soweit ersichtlich, auch gar nicht von der Beklagten behauptet. Sollte die Klägerin, wie von ihr behauptet, noch eine Weile in dem Fahrzeug sitzen geblieben sein, wäre dies dann nur denkbar, wenn sie entweder auf der Fußbremse stand oder wenn sie – wie vom Sachverständigen als Möglichkeit angeführt – die Handbremse in die erste Raste gezogen hat. Letzteres hat die Beklagte unter Verweis auf die polizeilichen Feststellungen bestritten und unter Zeugenbeweis gestellt. Die Beklagte hat aber im Schriftsatz vom 14.1.13 vorgetragen, dass die Klägerin möglicherweise noch im Fahrzeug verblieben, dann aber die Fußbremse dabei betätigt haben müsse. Dann aber hätte die Klägerin ein Wegrollen schon deshalb nicht merken können.

Im Übrigen spricht gegen ein von der Klägerin wahrgenommenes Wegrollen noch im Fahrzeug der Umstand, dass es dann nicht erklärlich wäre, warum die Klägerin dann nicht reagiert und Sicherungsmaßnahmen getroffen hätte. Das Gericht hält es für wenig wahrscheinlich, dass ein Fahrzeugführer, der im Fahrzeug ein Wegrollen des Fahrzeugs nach hinten bemerkt, nicht aktiv darauf reagiert, sondern stattdessen „unbekümmert“ aussteigt und das Fahrzeug seinem Schicksal überlässt.

In Betracht käme dann nur noch, dass das Fahrzeug in einer Senke neben der Fahrbahn stand und erst durch einen äußeren Anstoß losrollte. Dies erscheint gleichfalls wenig wahrscheinlich, kann aber letztlich auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Möglicherweise reichte ja auch die Erschütterung des Fahrzeugs durch das Türenzuschlagen aus, um es in Bewegung zu setzen. Dies alles wird sich nicht mehr hundertprozentig feststellen lassen, da der genaue Fahrzeugstandort und damit die genauen Straßen- und Parkbedingungen sich nicht aufklären lassen.

Auf die Frage, ob die Klägerin die Handbremse vielleicht nur bis in die erste Raste angezogen hatte, kam es danach nicht an. Um diese Variante anzunehmen, hätte ansonsten – um nicht eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung vorzunehmen – der von der Beklagten als Zeuge benannte Polizist S vernommen werden müssen (vgl. zum Schluss vom sachverständig festgestellten sofortigen Wegrollen auf eine demnach erfolgte Sicherung, da der Wagen unwiderlegt nicht sofort losgerollt ist OLG Düsseldorf v. 11.7.2000, 4 U 80/99, Rn. 35).

Noch einmal zusammengefasst: selbst wenn die Klägerin tatsächlich keinerlei Sicherungsmaßnahmen (keinen Gang eingelegt, keine Handbremse angezogen) gegen Wegrollen getroffen haben sollte, handelt es sich nicht um ein das gewöhnliche Maß erheblich übersteigendes, unentschuldbares Fehlverhalten, da das Gefälle am Abstellort "optisch" zu gering war und nicht festzustellen ist, dass die Klägerin noch vor dem Verlassen des Fahrzeugs ein (beginnendes) Wegrollen des Fahrzeugs bemerkt hat (an grober Fahrlässigkeit bei nur „leicht abschüssigem“ Gelände zweifelnd auch VG Hamburg v. 22.9.1999, 22 VG 292/92). Aufgrund der konkreten Gegebenheiten kann deshalb nicht angenommen werden, dass sich der Klägerin die Gefahr des Wegrollens aufdrängen musste bzw. tatsächlich aufgedrängt hat.

Nur vorsorglich (im Hinblick auf ein mögliches Berufungsverfahren) wird jedoch angemerkt, dass die Klägerin für ein – prinzipiell denkbares – Augenblicksversagen als Entschuldigungsgrund nichts Konkretes vorgetragen hat (vgl. zu den Anforderungen OLG Karlsruhe v. 8.3.2007, 19 U 127/06, Rn. 14; BGH v. 8.2.1989, IVa ZR 57/88).

Ebenfalls nur vorsorglich im Hinblick auf ein mögliches Berufungsverfahren wird darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass hier grobe Fahrlässigkeit zu bejahen wäre, dies vorliegend nach Auffassung des Gerichts nur zu einer Kürzung um ¼ führen dürfte, da der Schuldvorwurf an die Klägerin sich allenfalls im Grenzbereich zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit bewegt und es hier lediglich um eine eventuell unterbliebene Alltagshandlung geht (vgl. auch OLG Saarbrücken v. 1.12.10, 5 U 395/09, Rn. 67-69). Die Regulierung von 50 % durch die Beklagte dürfte demnach in jedem Fall zu gering ausgefallen sein.

II.

Der Höhe nach stehen der Klägerin noch die aus dem Tenor ersichtlichen Beträge zu.

1.

Die Reparaturkosten und damit der eigentliche Sachschaden betrugen unstreitig 12.198,52 € brutto, es wurde repariert. Abzüglich des vertraglich vereinbarten Selbstbehalts von 300 € sowie der auf diesen Sachschaden geleisteten 5.799,26 € hat die Beklagte demnach noch 6.099,26 € zu zahlen.

2.

Ein Anspruch auf eine Nebenkostenpauschale in Höhe von 65 € steht der Klägerin hingegen nicht zu. Vorliegend geht es nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um einen vertraglichen Anspruch aus einer Vollkaskoversicherung. Eine Nebenkostenpauschale könnte die Klägerin deshalb nur erhalten, wenn diese vertraglich vorgesehen wäre. Dies ist nicht der Fall.

3.

Auch ein Anspruch auf Nutzungsausfall in Höhe von 1.540 € für den Zeitraum von November 2010 bis März 2011 steht der Klägerin nicht zu.

Die Klägerin verlangt hier die vergeblich aufgewendeten Leasingkosten für den Zeitraum vom Unfall bis zur Reparatur. Offenbar stützt sie sich hier auf die unberechtigte Zahlungsverweigerung durch die Beklagte, weil die Klägerin durch die Regulierungsablehnung die Reparatur erst im März 2011 habe durchgeführt werden können.

Dieser Vortrag ist unsubstantiiert. Vorstellbar wäre ein Anspruch aus § 286 BGB, also ein Verzugsschaden. Dies würde jedoch - neben einem Verzug der Beklagten - voraussetzen, dass die nicht durchgeführte Reparatur kausal auf die Nichtzahlung zurückzuführen ist. Insoweit behauptet die Klägerin nur pauschal, die Reparaturkosten selbst "aufgrund ihrer finanziellen Situation" „zunächst“ nicht habe aufbringen zu können. Warum das von ihr schlussendlich verwendete Depot nicht früher aufgelöst wurde, sagt sie nicht. Auch ihre finanzielle Situation legt sie nicht weiter dar.

Zudem ist dieser Nutzungsausfall nicht vom Zweck des Regulierungsbeitrags aus der Versicherung gedeckt und ist damit kein ersatzfähiger Schaden (OLG Hamm v. 15.12.10, 20 U 108/10).

4.

Der Klägerin steht ferner ein Anspruch auf Erstattung der Abschleppkosten in Höhe von 706,36 € und der Standgebühren in Höhe von 64,14 € aufgrund des Versicherungsvertrags (dort Punkt A.27.3 der AKB) zu. Nachdem die Beklagte hierauf 385,25 € (= 50 %) gezahlt hat, sind der Klägerin noch die weiteren 385,25 € zuzusprechen.

Die Abschleppkosten nach Berlin (684,01 €) sind der Klägerin hingegen nicht zu erstatten, da eine solche Erstattungspflicht vertraglich nicht vorgesehen ist. Dass die nächstgelegene markengebundene Fachwerkstatt erst in Berlin gewesen sein soll, hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen.

III.

Vorgerichtliche Anwaltskosten stehen der Klägerin nur aus einem Streitwert in Höhe der zugesprochenen Zahlung zu, denn im Zeitpunkt des die Gebühr auslösenden Anwaltsschreibens hatte die Beklagte eine Regulierung von 50 % des Schadens (zu diesem Zeitpunkt noch auf Grundlage fiktiver Abrechnung) bereits angekündigt, befand sich mit der Auszahlung aber nicht in Verzug, da ihr nach ihrem Vortrag die Freigabeerklärung des Leasinggebers erst mit der Klageschrift vorgelegt worden ist.

Hinsichtlich der weiteren 50 %, die mit diesem Urteil zugesprochen werden, ergibt sich der Verzug der Beklagten bereits aus ihrer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung, die sie auch mit dem entsprechenden vorgerichtlichen Ablehnungsschreiben klar zum Ausdruck brachte und auch im Prozess aufrecht erhielt.

Demnach ergeben sich rechnerisch folgende Anwaltskosten:

1,3-Gebühr aus Streitwert 6.484,51 €

        

= 487,50 €

Pauschale

        

= 20,00 €

Zwischensumme netto

        

= 507,50 €

Summe brutto

        

= 603,93 €

IV.

Der Feststellungsantrag hinsichtlich des Finanzierungsschadens ist unbegründet. Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Beklagte sich im Zeitpunkt der Depotauflösung mit der Gesamtsumme in Verzug befand, da sie im Februar 2011 unter der Bedingung der Vorlage der Regulierungsfreigabe eine hälftige Schadensregulierung angekündigt hatte. Ob das Depot auch dann aufzulösen war, um die weitere Hälfte zu finanzieren, ist nicht bekannt. Ohnehin ist der Vortrag zur Notwendigkeit der Depotauflösung insgesamt nicht ausreichend, da die Klägerin ihre Finanzlage nicht weiter dargestellt hat, worauf bereits oben hingewiesen wurde.

V.

Verzugszinsen stehen der Klägerin wie folgt zu:

Aus dem noch zugesprochenen Hauptforderungsbetrag ab dem 14.3.11, da die Beklagte wegen ernsthafter Erfüllungsverweigerung im Verzug war;

aus den während des Prozesses gezahlten Beträgen nur ab Rechtshängigkeit, weil die Regulierungsfreigabeerklärung erst mit der Klageschrift übersandt wurde und demnach erst ab Erhalt der Klageschrift Zinsen geschuldet sind.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91a, 92 ZPO. Soweit die Beklagte während des Prozesses Zahlungen geleistet hat, waren ihr auch insoweit die Kosten aufzuerlegen. Insoweit kann sie sich nicht darauf berufen, doch bereits im Februar 2011 eine Regulierung zu 50 % angekündigt zu haben, denn tatsächlich hat sie - obwohl ihr jedenfalls mit der Klageschrift die Regulierungsfreigabe zugegangen ist - erst nach der mündlichen Verhandlung vom 21.2.2012 und des dortigen Hinweises, dass zumindest 50 % zu zahlen seien, die Zahlungen geleistet, so dass sie auch insoweit Klageanlass gegeben hat.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 16.234,18 € festgesetzt, wobei der Feststellungsantrag nach § 3 ZPO auf 1.000 € geschätzt wird.