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Schwerbehindertenrecht - Herabsetzung des Grades der Behinderung - innere Wirksamkeit des Herabsetzungsbescheides - Anfechtungsklage - kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage - Trennung der Verfahren - maßgeblicher Prüfungszeitpunkt - Schilddrüsenkarzinom - Heilungsbewährung - Neufeststellung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 20.12.2012
Aktenzeichen L 11 SB 192/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 48 Abs 1 SGB 10, § 69 Abs 1 SGB 10, § 69 Abs 3 SGB 10

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Aufrechterhaltung des zu ihren Gunsten festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Die im Jahre 1950 geborene Klägerin ist seit August 1992 als Sachbearbeiterin für Kostenrechnung und Kalkulation bzw. Mitarbeiterin im Lagermanagement abhängig beschäftigt. Im Februar 1996 musste sie sich wegen eines papillären Schilddrüsenkarzinoms (pT2 N0 MX Typ I a nach Hedinger) einer Thyreoidektomie mit modifizierter neck dissection (Halsausräumung) rechts unterziehen, an die sich im April und Oktober 1996 Radioiodtherapien sowie eine bis heute andauernde Hormonbehandlung anschlossen.

Auf ihren bereits Ende Februar 1996 gestellten Antrag, mit dem sie ergänzend darauf hinwies, dass sie sich wegen mehrerer Myome in der Gebärmutter demnächst einer weiteren Operation unterziehen müsse, kam der Beklagte nach Auswertung von Befundberichten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. W und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. E zu dem Ergebnis, dass die Klägerin (allein) wegen eines operierten Schilddrüsenleidens im Stadium der Heilungsbewährung behindert sei, und stellte mit seinem Bescheid vom 9. August 1996 für diese Behinderung einen GdB von 50 fest. Zugleich wies er die Klägerin darauf hin, dass der GdB nach Ablauf der Heilungsbewährung im Februar 2001 entsprechend der dann tatsächlich vorliegenden Funktionsbeeinträchtigung festgesetzt werden könne.

Im Januar 1999 wandte sich die Klägerin erneut an den Beklagten und machte geltend, dass ihr bereits im August 1996 auch die Gebärmutter habe entfernt werden müssen; wegen der bei ihr vorliegenden Behinderungen leide sie unter Schlafstörungen sowie häufigen Ohrspeichel- und Mundspeicheldrüsenblockaden. Der Beklagte holte einen Befundbericht der Frauenärztin Dipl.-Med. B ein und lehnte nach Auswertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen eine schwerbehindertenrechtliche Neufeststellung mit seinem Bescheid vom 31. August 1999 ab. Zu der bereits berücksichtigten Behinderung seien nunmehr zwar (intern mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete) „Verwachsungsbeschwerden nach Gebärmutterentfernung“ hinzugetreten, eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen folge hieraus jedoch nicht.

Im Zuge des von ihm im Februar 2001 von Amts wegen eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens, in dem die Klägerin nochmals auf das Bestehen von ständigen, medikamentös bedingten und mit einer allgemeinen Leistungsinsuffizienz verbundenen Schlafstörungen, die Entfernung der Gebärmutter sowie erstmals auf eine chronische Augenerkrankung hinwies, holte der Beklagte zunächst Befundberichte der Fachärztin für Innere Medizin Dr. E und des Augenarztes Dr. H ein. Sodann legte er die übersandten Unterlagen der Ärztin M zur Beurteilung vor. Diese Ärztin kam in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 1. April 2001 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein operiertes Schilddrüsenleiden bei erreichter Heilungsbewährung, Verwachsungsbeschwerden nach Gebärmutterentfernung sowie ein Bluthochdruck bestünden; diese Behinderungen seien jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, so dass der Gesamt-GdB nur noch 10 betrage. Unter Bezugnahme auf diese Stellungnahme teilte der Beklagte der Klägerin mit seinem Schreiben vom 26. April 2001 mit, er beabsichtige, die getroffenen Feststellungen aufzuheben; denn Behinderungen, die einen GdB von wenigstens 20 bedingten, lägen nicht mehr vor. Dieser Ankündigung trat die Klägerin mit einem Schreiben des Klinikums B vom 11. Mai 2001 entgegen, wonach bei ihr nach Entfernung eines malignen Schilddrüsentumors eine Athyreose bei Zustand nach Thyreoidektomie und ablativer Radioiodtherapie mit lebenslanger Substitutionsbedürftigkeit sowie eine Xerostomie (abnorme Trockenheit der Mundhöhle) bestünden; obwohl ein Tumorrezidiv und Metastasen nicht aufgetreten seien, sei die Aufrechterhaltung des Schwerbehindertenschutzes für die Stabilisierung des Immunsystems sehr bedeutsam.

Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. N vom 20. Juni 2001 stellte der Beklagte mit seinem Bescheid vom 12. November 2001 fest, dass Funktionsbeeinträchtigungen, die einen GdB von wenigstens 20 bedingten, nicht mehr vorlägen; das Schilddrüsenleiden habe sich nach erreichter Heilungsbewährung stabilisiert und könne - ebenso wie die weiteren Leiden - nur noch mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden, so dass für eine Anerkennung nach dem Schwerbehindertengesetz kein Raum mehr sei. Gegen diesen Bescheid, der ihr nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten am 10. Dezember 2001 zugegangen war, legte die Klägerin mit ihrem Schreiben vom selben Tag Widerspruch ein und führte in der Folgezeit unter Vorlage zahlreicher ärztlicher Unterlagen zur Begründung aus: Die Herabsetzung des GdB auf unter 20 sei rechtswidrig. Denn abgesehen davon, dass sie unter bleibenden Folgeschäden des malignen Schilddrüsentumors leide (so liege eine nicht funktionierende Speicheldrüsenfunktion mit in unregelmäßigen Abständen auftretenden Blockaden und einer ständigen Mundtrockenheit vor), sei nunmehr sonografisch ein neuer Knoten in der rechten Supraclaviculargrube festgestellt worden. Des Weiteren bestünden eine Innenohrschwerhörigkeit (links verstärkt durch eine Trommelfellverletzung), ein Bluthochdruck mit Augenhintergrunderkrankung, Herzrhythmusstörungen, Hämorrhoiden, eine Makuladegeneration, ein Kreuzbandriss im linken Kniegelenk mit häufig auftretenden Gelenkblockaden, ein Tennisarm links, ein Beckenschiefstand sowie ein Halswirbeldefekt. Der Beklagte holte einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K vom 1. April 2002 sowie eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Versorgungsarztes B vom 21. März 2002 und eine gutachtliche Stellungnahme des Praktischen Arztes und Diplom-Psychologen B vom 7. Mai 2002 ein. Der zuletzt genannte Arzt empfahl zwar eine Ergänzung der Behinderungen um eine mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertende Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei Verschleiß, schätzte den Gesamt-GdB jedoch weiterhin nur mit 10 ein. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit seinem - laut unterzeichnetem Ab-Vermerk am 28. Mai 2002 zur Post aufgegebenen -Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2002 als unbegründet zurück.

Mit ihrer Klage vom 27. Juni 2002 hat die Klägerin unter Bezugnahme auf eine handschriftliche Notiz auf dem Widerspruchsbescheid sowie ein Schreiben an ihren Prozessbevollmächtigten vom 25. Juni 2002 vorgetragen, dass der Widerspruchsbescheid am 5. Juni 2002 von der Post abgestempelt worden sei. In der Sache selbst hat sie zunächst geltend gemacht, dass der Bescheid vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 aufzuheben sei, und zur Begründung im Wesentlichen dargelegt: Entgegen der Auffassung des Beklagten sei eine Heilungsbewährung des operierten Schilddrüsenleidens nicht eingetreten. Dies ergebe sich nicht zuletzt daraus, dass im Februar 2002 im H Klinikum B in der Schilddrüsentumordispensaire ein 5 mm großer echoarmer Herd in der rechten Supraclaviculargrube festgestellt worden sei. Daneben bestünden - wie von ihr bereits im Widerspruchsverfahren dargelegt - noch zahlreiche weitere Behinderungen, die unterschiedlichen Funktionssystemen zuzuordnen seien und insgesamt die Aufrechterhaltung des bisher festgestellten GdB von 50 rechtfertigten.

Das Sozialgericht hat Befundberichte des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K vom 27. Februar 2003, der Ärztinnen für Augenheilkunde Dr. S u. a. vom 8. März 2003, des Augenarztes Dr. H vom 23. September 2003, des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. D vom 24. September 2003 mit Ergänzung von August 2004, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 29. September 2003, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. W vom 7./8. Oktober 2003, der Frauenärztin Dipl.-Med. B vom 31. Oktober 2003, des Facharztes für HNO-Heilkunde K vom 5. November 2003 und vom 7. Juni 2004 mit Ergänzung von August 2004, des Facharztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. M vom 13. November 2003, der Fachärzte für Augenheilkunde Dr. P u. a. (Praxisnachfolger des Augenarztes Dr. H) vom 8. Dezember 2003, der Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. B vom 16. Dezember 2003, der Fachärztin für Innere Medizin Dr. S vom 6. Januar 2004 und der Fachärzte für Orthopädie Dr. B u. a. vom 3. Mai 2004 eingeholt. Zu diesen Befundberichten hat der Beklagte versorgungsärztliche Stellungnahmen des Arztes für Chirurgie Dr. O vom 3. April 2003, 16. Februar 2004 und 22. Juli 2004, der Augenärztin W vom 7. April 2003 und 2. März 2004, der Ärztin für HNO-Krankheiten Dr. F vom 11. Februar 2004, 1. Juli 2004 und 15. September 2004 und der Fachärztin für Innere Medizin R vom 19. Februar 2004 überreicht und auf der Grundlage dieser Stellungnahmen, insbesondere der letzten Stellungnahme der Ärztin für HNO-Krankheiten Dr. F vom 15. September 2004, mit seinem Bescheid vom 7. Oktober 2004 zugunsten der Klägerin den GdB ab September 2003 mit 20 festgestellt. Dieser Feststellung hat er als Behinderungen eine Hörminderung beiderseits (Einzel-GdB 20), ein operiertes Schilddrüsenleiden bei erreichter Heilungsbewährung (Einzel-GdB 10), Verwachsungsbeschwerden nach Gebärmutterentfernung (Einzel-GdB 10) sowie einen Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) zugrunde gelegt und der Klägerin am Ende des Bescheides mitgeteilt, dass dieser Bescheid gemäß § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens sei. Mit ihrem Schriftsatz vom 21. Oktober 2004 hat die Klägerin ausgeführt, dass dieser Bescheid ihrem Gesundheitszustand ebenfalls nicht ausreichend gerecht werde.

Nach Übermittlung weiterer versorgungsärztlicher Stellungnahmen der Ärztin für HNO-Krankheiten Dr. F vom 26. November 2004 und 10. März 2005 hat das Sozialgericht schließlich auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG den Facharzt für Orthopädie Dr. R mit der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 27. Februar 2006, dem weitere medizinische Unterlagen beigefügt gewesen sind, nach körperlichen Untersuchungen der Klägerin am 9. August 2005 und 17. Januar 2006 (die Klägerin hatte zwischenzeitlich am 17. August 2005 einen operativ versorgten Außenknöchelbruch links erlitten) im Wesentlichen ausgeführt: Bei der Klägerin bestünden

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seit der Kindheit eine Lockerung des Kniebandapparates des linken Kniegelenks

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit Januar 2001 ein ausgeprägter Knorpelschaden des linken Kniegelenks im Bereich des knöchernen Ausrisses mit anhaltenden Reizerscheinungen einseitig ohne andauernde Bewegungseinschränkung

        

  (Einzel-GdB 20)

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seit März 1992 ein Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen im Sinne von Verformung und selten kurzdauernd auftretenden leichten Wirbelsäulensyndromen

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit Januar 2001 eine entzündliche Erkrankung des (linken) Ellenbogens ohne wesentliche Funktionseinschränkung mit leichten Beschwerden

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit November 2003 eine entzündliche Erkrankung der linken Hüfte ohne wesentliche Funktionseinschränkung mit leichten Beschwerden

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit Juni 2001 eine rezidivierende schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit August 2005 eine Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk geringen Ausmaßes und eine vorübergehende Muskelschwäche mit geringen Auswirkungen

        

 (Einzel-GdB 30)

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seit August 2005 ein Teilausfall des Nervus medianus beidseits

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit September 2003 eine Hörminderung beidseits

        

 (Einzel-GdB 20)

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seit August 2005 Ohrgeräusche rechts ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit Februar 1996 ein operiertes Schilddrüsenleiden bei erreichter Heilungsbewährung

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit Februar 1996 eine Störung der Speichelresektion

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit August 1996 Verwachsungsbeschwerden nach Gebärmutterentfernung

        

 (Einzel-GdB 10)

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seit August 1996 eine geringe Belastungsinkontinenz

        

 (Einzel-GdB 10) und

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seit Januar 2001 ein Bluthochdruck

        

 (Einzel-GdB 10).

Der Gesamt-GdB sei ab Januar 2001 mit 20 und ab August 2005 mit 30 zu bemessen.

Nachdem die vom Beklagten zu diesem Gutachten gehörte Fachärztin für Chirurgie H in ihrer fachchirurgischen Stellungnahme vom 4. Juli 2006 ausgeführt hatte, dass im Fall der Klägerin „ab Antragstellung“ ergänzend nur eine sich auf den Gesamt-GdB allerdings nicht auswirkende „Instabilität des Kniegelenkes“ mit einem Einzel-GdB von 10 zur Anerkennung empfohlen werden könne, ist der Sachverständige Dr. R durch das Sozialgericht nochmals um Stellungnahme gebeten worden. Mit Schreiben vom 27. September 2006 hat er ausgeführt, dass er an seiner bisherigen Einschätzung festhalte.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 15. Januar 2007 hat die Klägerin das im Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2004 zum Ausdruck kommende Teilanerkenntnis angenommen und im Übrigen beantragt, den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 und des Bescheides vom 7. Oktober 2004 zu verurteilen, bei ihr einen GdB von 50 über den 31. Oktober 2001 hinaus anzuerkennen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit seinem Urteil vom 15. Januar 2007 als unbegründet abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Entgegen der Auffassung der Klägerin müsse es bei dem mit dem Bescheid vom 7. Oktober 2004 zuletzt festgestellten Gesamt-GdB von 20 verbleiben. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. R, dem allerdings nur hinsichtlich der „Anamnese“, nicht jedoch hinsichtlich der Bewertung gefolgt werden könne. Unter Zugrundelegung der im Schwerbehindertenrecht geltenden Bewertungsmaßstäbe ließen sich insbesondere die für das linke Kniegelenk und das linke obere Sprunggelenk empfohlenen Einzel-GdB von 20 bzw. 30 nicht begründen.

Gegen dieses ihr am 16. April 2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 15. Mai 2007, mit der die Klägerin im Wesentlichen geltend macht: Sie habe Anspruch auf Aufrechterhaltung eines GdB von 50 auch für die über den Eintritt der inneren Wirksamkeit des Bescheides vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 hinausgehende Zeit bzw. (hilfsweise) jedenfalls auf Neufeststellung eines GdB von 50 für die Zeit, die unmittelbar auf den Zeitpunkt des Eintritts der inneren Wirksamkeit des vorgenannten Bescheides folge. Zur Durchsetzung dieses Begehrens habe sie zulässigerweise (vorrangig) eine isolierte Anfechtungsklage erhoben, die allein den vorgenannten Bescheid betreffe. Im Laufe des Klageverfahrens habe sie ergänzend (hilfsweise) eine (kombinierte Anfechtungs- und) Verpflichtungsklage anhängig gemacht, auf die sich der Beklagte rügelos eingelassen habe. Diese Klage erfasse den Bescheid vom 7. Oktober 2004 (sowie jeden späteren, im Laufe des Verfahrens erlassenen und den Anspruch auf Neufeststellung eines GdB von 50 betreffenden Bescheid) und sei auch ohne Vorverfahren zulässig. Denn die Durchführung eines Vorverfahrens würde sich bei der hier gegebenen Fallkonstellation, in der auch das Sozialgericht von einer zulässigen Verpflichtungsklage ausgegangen sei und die Höhe des GdB wie bei einer Erstfeststellung überprüft habe, als bloßer Formalismus erweisen. Wie die insbesondere auch von ihr im Laufe des Berufungsverfahrens neu übersandten ärztlichen Unterlagen belegten, sei jedenfalls die Verpflichtungsklage auch begründet.

Der Senat hat Befundberichte des Orthopäden Dr. B vom 8. Juli 2008 und 6. November 2008, der Augenärzte Dr. H u. a. vom 7. Oktober 2008, des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. D vom 4. Oktober 2008, des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. P vom 6. Oktober 2008, der Fachärztinnen für Chirurgie Dr. Z u. a. vom 14. Oktober 2008 und 11. Mai 2009, der Fachärztinnen für Allgemeinmedizin Dr. L u. a. vom 24. Oktober 2008 und der Frauenärztin Dipl.-Med. B vom 10. Dezember 2008 eingeholt. Der Beklagte hat zu diesen Befundberichten sowie den von der Klägerin ergänzend überreichten ärztlichen Unterlagen Stellungnahmen der Fachärztin für Innere Medizin R vom 11. August 2008, des Facharztes für Chirurgie Dr. B vom 22. August 2008, der Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. M vom 8. September 2008, der Fachärztin für Allgemeinmedizin A vom 30. Januar 2009, der Fachärztin für Chirurgie H vom 23. Juli 2009 und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 30. Oktober 2009 und 25. November 2009 vorgelegt. Auf der Grundlage der Stellungnahme der Ärztin A hat der Beklagte mit seinem Bescheid vom 4. Mai 2009 für die Zeit ab Juli 2007 den Gesamt-GdB mit 30 festgestellt und anerkannt, dass die Körperbehinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe. Diesen Feststellungen hat er als Behinderungen eine Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen beidseits (Einzel-GdB 20), ein Schlafapnoe-Syndrom (Einzel-GdB 20), ein operiertes Schilddrüsenleiden bei erreichter Heilungsbewährung (Einzel-GdB 10), Verwachsungsbeschwerden nach Gebärmutterentfernung (Einzel-GdB 10), einen Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) sowie eine Instabilität des Kniegelenks links (Einzel-GdB 10) zugrunde gelegt. Am Ende des Bescheides heißt es, dass dieser Bescheid gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens sei. Diesen Bescheid hat die Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 26. Juni 2009 ebenfalls als ihrem Begehren nicht gerecht werdend beanstandet.

Nachdem die Berichterstatterin des Verfahrens am 29. April 2010 in einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten insbesondere die prozessualen Streitfragen erörtert und die Beteiligten zu einer Trennung des Verfahrens in ein Anfechtungs- und ein Verpflichtungsbegehren angehört hatte, hat der Senat das Verfahren mit seinem Beschluss vom 8. November 2012 wie folgt getrennt: Soweit sich die Klägerin richtigerweise mit einer isolierten Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 wende, der sich in der Herabsetzung des vormals festgestellten GdB von 50 auf unter 20 erschöpfe und nicht auf Dauer wirke, werde das Verfahren unter dem bisherigen Aktenzeichen L 11 SB 192/08 fortgeführt. Im Übrigen, das heiße soweit die Klägerin - unter Anfechtung der nicht nach § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheide des Beklagten vom 7. Oktober 2004 und vom 4. Mai 2009 - richtigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage geltend mache, sie habe jedenfalls Anspruch auf Neufeststellung eines GdB von 50 für die Zeit, die nach dem Zeitpunkt der inneren Wirksamkeit des eingangs genannten Bescheides vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 liege, werde das Verfahren unter einem noch zu vergebenden neuen Aktenzeichen fortgeführt.

Das für den abgetrennten Teil des Verfahrens vergebene Aktenzeichen lautet L 11 SB 239/12.

In dem unter dem alten Aktenzeichen fortgeführten Teil des Verfahrens beantragt die Klägerin,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2007 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seinen Bescheid vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (3 Bände), die Gerichtsakte des abgetrennten Teils des Verfahrens - L 11 SB 239/12 - (1 Band) sowie den die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgang des Beklagten (1 Band) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Nach der Trennung des Verfahrens durch den nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) anfechtbaren Beschluss des Senats vom 8. November 2012 betrifft die Berufung nur noch das von der Klägerin auch schon im Klageverfahren vorrangig verfolgte Begehren, den mit dem Bescheid vom 9. August 1996 festgestellten – und mit dem Bescheid vom 31. August 1999 unangetastet gelassenen – GdB von 50 auf Dauer aufrechtzuerhalten. Über dieses Begehren hat das Sozialgericht bei vernünftiger Auslegung seines Urteils (auch) entschieden und die diesbezüglich erhobene Klage zutreffend abgewiesen.

Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist in Gestalt der isolierten Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGG zulässig. Gegenstand dieser Klage ist allein der Bescheid des Beklagten vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002, der sich bei der insoweit gebotenen Auslegung aus der Sicht eines mit den Umständen des Einzelfalls vertrauten objektiven Bescheidempfängers in der Herabsetzung des bisher festgestellten GdB von 50 auf unter 20 bzw. letztlich in der vollständigen Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung (hier des Bescheides vom 9. August 1996) erschöpft und selbst nicht auf Dauer wirkt sowie mangels entgegenstehender anderweitiger Regelung bei sachgerechter Auslegung innere Wirksamkeit für die Zeit ab Zugang des Bescheides am 10. Dezember 2001 entfaltet. Würde dieser Bescheid durch den Senat aufgehoben, lebte der ursprüngliche Feststellungsbescheid vom 9. August 1996 wieder auf, mit dem der Beklagte den GdB zugunsten der Klägerin mit 50 festgestellt hatte. Da dieser Bescheid nach den vorstehenden Ausführungen jedenfalls für die Zeit bis zum Eintritt der inneren Wirksamkeit des Bescheides vom 12. November 2001 mit dessen Zugang am 10. Dezember 2001 Bestand hat, bedarf die Klägerin für die davor liegende Zeit des gerichtlichen Rechtsschutzes nicht. Zu Recht hat sie vor diesem Hintergrund in ihrem Berufungsantrag darauf verzichtet, eine Aufrechterhaltung des GdB von 50 auch für die Zeit vor dem Eintritt der inneren Wirksamkeit des Bescheides vom 12. November 2001 zu beanspruchen.

Nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens sind die Bescheide des Beklagten vom 7. Oktober 2004 und vom 4. Mai 2009, mit denen der Beklagte zugunsten der Klägerin den GdB (neu) für die Zeit ab dem (1.) September 2003 wieder mit 20 und für die Zeit ab dem (1.) Juli 2007 wieder mit 30 festgestellt hat. Denn unabhängig davon, ob diese Bescheide überhaupt ablehnende Regelungen zur Höhe des GdB und zu seiner Erstreckung auf die Zeit unmittelbar nach dem Eintritt der inneren Wirksamkeit des Bescheides vom 12. November 2001 enthalten oder sie sich in den vorgenannten Begünstigungen erschöpfen, ändern sie den angefochtenen Bescheid vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 im Sinne des § 96 Abs. 1 SGG weder ab noch ersetzen sie ihn. Hieran vermögen weder prozessökonomische Überlegungen noch die in den Bescheiden vom 7. Oktober 2004 und 4. Mai 2009 enthaltenen Hinweise darauf etwas zu ändern, dass die Bescheide nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens seien. Denn prozessökonomische Überlegungen sind nur dort angebracht, wo es keine klaren prozessrechtlichen Vorgaben gibt, und die vom Beklagten gegebenen Hinweise sind falsch. Sie haben hier lediglich dazu geführt, dass die Klägerin die fraglichen Bescheide in das Verfahren eingeführt hat, ohne zuvor ein Widerspruchsverfahren durchgeführt zu haben. Bei dieser Einführung handelt es sich jedoch nicht um eine kraft Gesetzes zulässige Klageänderung, sondern um eine gewillkürte Klageerweiterung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG, über deren Zulässigkeit der Senat indes nach der Trennung des Verfahrens durch den Beschluss vom 8. November 2012 nicht mehr in dem jetzt noch unter dem Aktenzeichen L 11 SB 192/08 anhängigen Teil des Verfahrens, sondern in dem nunmehr unter dem Aktenzeichen L 11 SB 239/12 anhängigen Teil des Verfahrens zu entscheiden haben wird. Allein in diesem Teil wird es um den von der Klägerin hilfsweise verfolgten Anspruch auf Neufeststellung eines GdB von 50 für die Zeit gehen, die unmittelbar auf den Zeitpunkt der inneren Wirksamkeit des Bescheides vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 folgt.

Die hier in Rede stehende Anfechtungsklage ist jedoch unbegründet. Denn der von ihr allein erfasste Bescheid des Beklagten vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt für die Begründetheit der Klage ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, hier also der Zeitpunkt, zu dem der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2002 erlassen hat. Ebenso wie bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheides vom 12. November 2001 am 10. Dezember 2001, der hier mit dem Zeitpunkt seiner inneren Wirksamkeit zusammenfällt, muss die Herabsetzungs-/Aufhebungsentscheidung des Beklagten auch noch zu diesem Zeitpunkt rechtmäßig gewesen sein. Dieser Zeitpunkt liegt hier jedenfalls im Juni 2002, weil der Beklagte den Widerspruchsbescheid ausweislich des in dem Verwaltungsvorgang befindlichen, von einem Mitarbeiter des Beklagten unterzeichneten Ab-Vermerks am 28. Mai 2002 zur Post gegeben hat, er jedoch nach den nicht zweifelhaft erscheinenden Notizen der Klägerin den Poststempel vom 5. Juni 2002 trägt und sich die Klägerin unter dem 25. Juni 2002 an ihren Prozessbevollmächtigten mit der Bitte gewandt hat, nunmehr nach Erlass des Widerspruchsbescheides Klage zu erheben. Dass der Beklagte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs, der Klage und der Berufung sowie die Regelung des § 116 Abs. 1 2. Halbsatz des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) beachtet hat, wonach die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen noch bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des die Herabsetzung des GdB feststellenden Bescheides anzuwenden sind, ändert an dem maßgeblichen Prüfungszeitpunkt nichts (vgl. hierzu z. B. BSG, Urteil vom 11. November 1996 – 9 RVs 5/95 -, zitiert nach juris).

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den formelle Bedenken nicht bestehen, ist § 48 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein – wie hier von Anfang an rechtmäßiger – Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Letzteres ist hier der Fall. Denn entgegen der Auffassung der Klägerin hat sich ihr Gesundheitszustand soweit verbessert, dass ein GdB im Zeitraum vom 10. Dezember 2011 bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides im Juni 2002 nicht mehr festzustellen war.

Maßgebliche Bestimmung für die Feststellung des GdB ist § 69 SGB IX, der hier noch in der Fassung des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046) anwendbar ist. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest, wobei nach Abs. 1 Satz 5 dieser Vorschrift eine Feststellung nur zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind die sowohl im Dezember 2001 als auch noch im Juni 2002 einschlägigen, seinerzeit noch vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz von 1996 (AHP 1996) heranzuziehen. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat im vorliegenden Fall auf die genannten AHP stützt.

Einzel-GdB sind entsprechend diesen Grundsätzen als Grad der Behinderung in Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 19 der hier einschlägigen AHP 1996 die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4 AHP 1996, Seite 33 ff.).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der GdB im Fall der Klägerin bereits im Dezember 2001 sowie auch noch im Juni 2002 nicht mehr wenigstens 20 betragen, was sich für den Senat aus einer Gesamtschau der vorhandenen ärztlichen Unterlagen, insbesondere auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. R vom 27. Februar 2006 ergibt, das der Senat - ebenso wie sinngemäß auch schon das Sozialgericht - zwar nicht hinsichtlich jeder einzelnen Schlussfolgerung, jedoch jedenfalls hinsichtlich der mitgeteilten Befunde für überzeugend hält.

Danach ist das Schilddrüsenleiden der Klägerin bereits im Dezember 2001 sowie auch noch im Juni 2002 nur noch mit einem Einzel-GdB von 10 zu bemessen gewesen, wobei davon auszugehen ist, dass die nach Teil A Nr. 26.15 AHP 1996, Seite 121, nach der Entfernung eines malignen Schilddrüsentumors abzuwartende Heilungsbewährung von 5 Jahren spätestens bei Zugang des streitbefangenen Bescheides am 10. Dezember 2001 eingetreten war und eine noch im Juni 2002 weiter andauernde wesentliche Änderung der Verhältnisse bewirkt hat. Dies hat zur Folge, dass anders als für die Zeit der Heilungsbewährung für die Bewertung des Schilddrüsenleidens allein die verbliebenen funktionellen Auswirkungen von Bedeutung gewesen sind.

Dass während der Zeit des Abwartens einer Heilungsbewährung bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigen, (in aller Regel) ein höherer GdB gerechtfertigt ist, als er sich aus dem festgestellten Schaden selbst ergibt (vgl. Teil A Nr. 18 Abs. 7 AHP 1996, Seite 32), ist darauf zurückzuführen, dass der Begriff der Heilungsbewährung nicht nur beschreibt, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Vielmehr erfasst die Heilungsbewährung daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der in den AHP zusammengefassten sozial-medizinischen Erfahrung, bei Krebskrankheiten nicht nur den Organverlust zu bewerten, sondern unter Berücksichtigung der Krebserkrankung als solcher einen GdB von mindestens 50 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung nötigt andererseits dazu, den GdB herabzusetzen, wenn die Krebskrankheit nach rückfallfreiem Ablauf von (in der Regel) 5 Jahren aufgrund medizinischer Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (vgl. BSG, Urteil vom 09. August 1995 - 9 RVs 14/94 -, zitiert nach juris).

Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass die erforderliche Heilungsbewährung von 5 Jahren im Fall der Klägerin spätestens bei Zugang des streitbefangenen Bescheides am 10. Dezember 2001 eingetreten war und auch im Juni 2002 noch angedauert hat. Denn wie sich aus den zum Teil vom Beklagten und vom Sozialgericht angeforderten bzw. von der Klägerin, den sie behandelnden Ärzten und dem Sachverständigen Dr. R überreichten Arztbriefen des mit der Tumornachsorge betrauten (H) Klinikums Bvom 13. Dezember 2000, 11. Mai 2001, 14. Januar 2002, 9. Dezember 2003, 5. Juli 2004, 22. Dezember 2005, 16. Dezember 2006, 30. Juni 2007, 23. Januar 2008 und 3. Juli 2008 ergibt, ist es zu keiner Zeit zu Rezidiven oder Metastasen gekommen. Dies steht im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. R, der in seinem Gutachten ebenfalls keine bösartigen Neubildungen von Tumoren beschrieben hat. Hieran ändert nichts, dass sich bei sonografischen Untersuchungen der Halsweichteile insbesondere in der rechten Supraclaviculargrube immer wieder kontrollbedürftige Befunde ergeben haben. Denn im Ergebnis haben sich diese Befunde stets als unverdächtig herausgestellt. Vor diesem Hintergrund richtet sich die Bewertung des Schilddrüsenleidens der Klägerin nur noch nach den verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen, die sich hier als Funktionsstörungen der Speicheldrüse mit Bewegungseinschränkungen des Kiefers (Blockaden) und Mundtrockenheit sowie medikamentös bedingte Leistungsinsuffizienz beschreiben lassen. Für sie sind unter besonderer Berücksichtigung der nur geringfügige Beeinträchtigungen beschreibenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. R, der im Übrigen insoweit auch zu keiner höheren Bewertung gekommen ist, nach Teil A Nr. 26.7 AHP 1996, Seite 76, und Teil A Nr. 26.15 AHP 1996, Seite 120 f., lediglich Einzel-GdB von 10 zu berücksichtigen.

Auch für die daneben zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen ergeben sich keine höheren Einzel-GdB, was nach Teil A Nr. 26.10 AHP 1996, Seite 99, zunächst für die durch die Entfernung der Gebärmutter bedingten Verwachsungsbeschwerden gilt. Für den Verlust der Gebärmutter selbst ist nach Teil A Nr. 26.14 AHP 1996, Seite 114, kein Einzel-GdB mehr anzusetzen, weil die im Jahre 1950 geborene Klägerin bereits im Dezember 2001 über 50 Jahre alt gewesen ist.

Des Weiteren ist nach Teil A Nr. 26.9 AHP 1996, Seite 92, auch für den Bluthochdruck nur ein Einzel-GdB von 10 zu berücksichtigen, weil er sich seinerzeit hat medikamentös beherrschen lassen und nur mit leichten Augenhintergrundveränderungen und auch sonst nur mit leichten Beeinträchtigungen verbunden gewesen ist. Für die von der Klägerin geklagten Herzrhythmusstörungen ist demgegenüber kein Einzel-GdB anzusetzen, weil sie nur vorübergehend aufgetreten sind und damit nach Teil A Nr. 17 Satz 4 AHP 1996, Seite 28, nicht als Behinderung angesehen werden können.

Von den auf orthopädischem Gebiet bestehenden Leiden sind seinerzeit im Wesentlichen nur die auf einen Rodelunfall im Kindesalter zurückzuführenden Beeinträchtigungen des linken Kniegelenks bei Zustand nach knöchernem Ausriss des vorderen Kreuzbandes und Dislokation an dem Niveau der Gelenklamelle von Bedeutung gewesen. Für sie erscheint indes nach Teil A Nr. 26.18, Seite 151 f., ebenfalls kein höherer Einzel-GdB als 10 gerechtfertigt, weil die seinerzeit bzw. noch relativ zeitnah erhobenen Befunde des Chirurgen Dr. M(vgl. Bericht vom 13. November 2003 über Befunde von Januar und Februar 2002) und der Orthopäden Dr. B u. a. (vgl. Bericht vom 3. Mai 2004 über Befunde zwischen November 2003 und März 2004) lediglich leichte Funktionseinschränkungen erkennen lassen. So hat der Chirurg Dr. M auf eine zwar deutliche Streckhemmung, eine Schwellung und einen Druckschmerz hingewiesen, das mediale und laterale Seitenband jedoch als stabil beschrieben und vor allem für die Streckung und Beugung normale Messwerte von 0-0-135 angegeben. Dies steht weitgehend im Einklang mit den Angaben der Orthopäden Dr. B u. a., die nur eine leichte Streckhemmung bei einer nunmehr allerdings geringen Instabilität des vorderen Kreuzbandes beschrieben haben. Dass für die seinerzeit vom linken Kniegelenk ausgehenden Beeinträchtigungen kein höherer Einzel-GdB als 10 anzusetzen ist, wird auch durch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. R bestätigt, der für die Streckung und Beugung ebenfalls normale Bewegungsmaße von sogar 0-0-150 mitgeteilt und auch im Übrigen nur leichte Beeinträchtigungen wie ein Bewegungsreiben, ein vermehrtes Spiel beim Lachmann-Test, eine leichte diffuse Schwellung bei minimal „tanzender Kniescheibe“ und einen leichten Bewegungsschmerz angegeben hat, die entgegen seiner Einschätzung wegen ihrer Geringfügigkeit allerdings nicht mit einem Einzel-GdB von 20, sondern allenfalls 10 bemessen werden können.

Für die von der Klägerin überdies geklagten Beeinträchtigungen der Wirbelsäule, des Beckens bzw. der linken Hüfte, des linken Ellenbogens und des rechten Schultergelenks sind, soweit sie seinerzeit überhaupt schon vorgelegen haben, angesichts der von ihnen ausgehenden lediglich leichten Beschwerden nach Teil A Nr. 26.18 AHP 1996, Seite 139 f. (Wirbelsäule), Seite 141 (Becken), Seite 150 (Hüfte), Seite 144 f. (Ellenbogen) und Seite 143 (Schulter), ebenfalls nur Einzel-GdB von allenfalls 10 zu berücksichtigen. Für das linke obere Sprunggelenk ist seinerzeit noch kein Einzel-GdB anzusetzen, weil sich die Klägerin erst im August 2005 den linken Außenknöchel gebrochen hat.

Nichts anderes gilt für die beidseits bestehende Schwerhörigkeit bei Trommelfellverletzung links und die Ohrgeräusche, weil belastbare Befunde insoweit frühestens für die Zeit ab September 2003 vorliegen und sie Rückschlüsse auf die Zeit davor nicht zulassen. Auch das Schlafapnoe-Syndrom ist erstmals im Jahr 2005 diagnostiziert worden und deshalb für den hier in Rede stehenden Bescheid ebenfalls ohne jede Relevanz.

Weitere Beeinträchtigungen sind nicht zu berücksichtigen. Insbesondere ist unter Berücksichtigung sämtlicher augenärztlicher Befunde, die lediglich der Altersnorm entsprechende Einschränkungen belegen, nach Teil A Nr. 26.4 AHP 1996, Seite 63 ff., für die Anerkennung von Störungen des Sehvermögens kein Raum. Auch alle sonstigen Beschwerden sind entweder als altersgerechte Einschränkungen zu bewerten oder nur von vorübergehender Natur oder so geringfügig, dass sich eine Teilhabebeeinträchtigung hieraus von vornherein nicht ableiten lässt.

Für die Bildung des Gesamt-GdB sind nach den vorstehenden Ausführungen nur Einzel-GdB von allenfalls 10 zu berücksichtigen. Sie sind nach Teil A Nr. 19 AHP 1996, Seite 33 ff., zu einem Gesamt-GdB von ebenfalls 10 zusammenzufassen, weil insoweit keine Besonderheiten vorliegen, die - wie z. B. eine hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit (vgl. hierzu Teil A Nr. 19 Abs. 4 AHP 1996, Seite 35) - ausnahmsweise zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führen müssten, um dem Ausmaß der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

Der Beklagte ist damit verpflichtet gewesen, den bislang festgestellten GdB von 50 auf unter 20 herabzusetzen bzw. den bisherigen Feststellungsbescheid zur Gänze aufzuheben. Hierbei bestehen gemäß § 48 Abs. 1 SGB X gegen die Herabsetzung/Aufhebung für die Zeit ab dem 10. Dezember 2001 keine Bedenken, weil der Bescheid vom 12. November 2001 der Klägerin nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten am 10. Dezember 2001 zugegangen ist, der hier mit der inneren Wirksamkeit des Bescheides zusammenfällt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.