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Vollzugslockerungen; Erledigung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung durch neuen Vollzugsplan; Notwendigkeit der Begründung der Ablehnung des Feststellungsinteresses


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 16.05.2011
Aktenzeichen 1 Ws (Vollz) 30/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 11 Abs 2 StVollzG, § 115 Abs 3 StVollzG, § 116 StVollzG, § 119 Abs 4 StVollzG

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des …. vom 29. Dezember 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des ….. zurückverwiesen.

Der Geschäftswert für die Rechtsbeschwerde wird auf 800,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25. Juni 2009 wandte sich der Beschwerdeführer gegen den Vollzugsplan vom 3. Juni 2009, mit dem früher gewährte Lockerungen in Gestalt von begleiteten Ausgängen versagt wurden. Nachdem die Antragsgegnerin am 23. September 2010 einen neuen Vollzugsplan erlassen hatte, hat der Beschwerdeführer mit Anwaltschriftsatz vom 4. November 2010 beantragt, die Rechtswidrigkeit des Vollzugsplans vom 3. Juni 2009 festzustellen. Mit Beschluss vom 29. Dezember 2010 hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass sich „die Maßnahme“ erledigt habe und den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es – ohne dass dies erläutert wird – knapp, ein Feststellungsinteresse liege nicht vor.

Gegen diesen Beschluss der Strafvollstreckungskammer wendet sich der Strafgefangene mit der Rechtsbeschwerde. Er ist der Auffassung, dass die Rechtsbeschwerde schon mangels hinreichender Begründung der landgerichtlichen Entscheidung zulässig und begründet sei. Er beantragt sinngemäß, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

II.

1. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat Erfolg.

Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist schon deswegen aufzuheben, weil seine Begründung eine Beurteilung, ob die in § 116 Abs. 1 StVollzG genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, nicht ermöglicht und sich damit einer Nachprüfbarkeit entzieht (vgl. OLG Koblenz ZfStrVo 1989, 120; Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. Aufl., § 116 Rn. 6 ff. m.w.N.).

Gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

Im vorliegenden Fall kann sich – da sich die Strafvollstreckungskammer zur Frage der Begründetheit nicht geäußert hat – die Prüfung des Senats lediglich auf die Frage der Zulässigkeit, mithin auf die des Feststellungsinteresses bzw. der Wiederholungsgefahr beziehen. Dies ist jedoch dem Senat verwehrt, da die Strafvollstreckungskammer hierzu im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht keine eigenen Feststellungen getroffen und in dem angefochtenen Beschluss lapidar ausführt hat, dass ein Feststellungsinteresse nicht gegeben sei. Eine Begründung für diese Beurteilung gibt die Kammer nicht.

Im Fall der Erledigung der Hauptsache spricht die Strafvollstreckungskammer gem. § 115 Abs. 3 StVollzG auf Antrag aus, dass eine Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein Feststellungsinteresse als logische Voraussetzung für die Überprüfung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme kann sich nach allgemeiner Ansicht aus Gründen der Wiederholungsgefahr, des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs bzw. der Rehabilitierung oder zur Geltendmachung von Amtshaftungs- und Schadensersatzprozessen ergeben (vgl. BVerwG NJW 1980, 2426; OLG Saarbrücken ZfStrVo 83, 60; OLG Hamm ZfStrVo 82, 186; KG StV 1987, 541; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. § 115 Rdnr. 13, jeweils m.w.N.).

Auch in einem Beschluss nach § 115 Abs. 3 StVollzG muss die Strafvollstreckungskammer die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig wiedergeben, dass eine hinreichende Überprüfung der Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist.

Diesem Erfordernis ist die Strafvollstreckungskammer nicht im Ansatz nachgekommen.

a) Der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 20. September 2010 ist zu entnehmen, das die Frage der Vollzugslockerung und deren Erledigung durch Fortschreibung des Vollzugsplans bereits Gegenstand der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 17. Juli 2009 gewesen sei (…). Damals habe die Strafvollstreckungskammer der Staatskasse die Kosten des erledigten Verfahrens auferlegt, da der Antragsteller in einer gerichtlichen Auseinandersetzung in Bezug auf die erstrebte Vollzugslockerung erfolgreich gewesen wäre. Zu dieser vorausgegangenen Entscheidung verhält sich der angegriffene Beschluss jedoch nicht. Wenn jedoch der Antragsteller damals erfolgreich gewesen wäre und es in der Stellungnahme der Strafvollzugsanstalt vom 20. September 2010 heißt, dass die früheren Stellungnahmen weiterhin Bestand haben, Änderungen in der Einschätzung des Antragstellers offenbar nicht eingetreten sind, drängt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage der Wiederholungsgefahr bzw. mit dem Feststellungsinteresse geradezu auf.

b) Es kommt hinzu, dass angesichts der fortdauernden Strafverbüßung mit Blick auf die weitere Fortschreibung des Vollzugsplans und künftig anstehende Lockerungsentscheidungen im Regelfall von einer konkreten Wiederholungsgefahr und damit von einem für den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 115 Abs. 3 StVollzG erforderliche Feststellungsinteresse des Antragstellers auszugehen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2004, 3 Ws 3/04, zit. n. juris). Dies gilt vor allem dann, wenn sich inhaltliche Veränderungen im Vollzugsplan nicht ergeben haben. Ob aus vorgenannten Gründen im vorliegenden Fall die Rechtsbeschwerde zur „Fortbildung des Rechts“ zuzulassen ist, kann der Senat nicht beurteilen, da Feststellungen zum angegriffenen Vollzugsplan und zur Entwicklung des Antragstellers im Strafvollzug seitens der Strafvollstreckungskammer nicht getroffen worden sind.

Mangels Begründung ist eine Beurteilung, ob die Strafvollstreckungskammer das Feststellungsinteresse zutreffend verneint hat bzw. ob die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, nicht möglich. Daher ist gem. § 119 Abs. 4 S. 3 StVollzG die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin: Falls die Strafvollstreckungskammer das Feststellungsinteresse bejaht, wird sie sich – auch im Hinblick auf die Kostenentscheidung – besonders sorgfältig mit der Frage auseinander setzen müssen, ob die Antragsgegnerin dem Antragsteller zutreffend Lockerungen verwehrt hat.

Die im Rahmen der Vollzugsplanung zu treffende Entscheidung über Vollzugslockerungen (§ 7 Abs. 2 Nr. 7 StVollzG) beurteilt sich nach § 11 Abs. 2 StVollzG. Nach dieser Vorschrift dürfen Lockerungen mit Zustimmung des Gefangenen (nur) angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen wird. Der Versagungsgrund der Flucht- und Missbrauchsgefahr als Prognoseentscheidung eröffnet der Vollzugsbehörde einen – verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden – Beurteilungsspielraum (BVerwGE 39, 197 ff.), in dessen Rahmen sie bei Achtung der Grundrechte des Gefangenen mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (BVerfG NStZ 1998, 430, 431; BGHSt 30, 320; OLG Nürnberg NStZ 1998, 215; OLG Celle StV 2000, 572). Die gerichtliche Nachprüfung durch die Strafvollstreckungskammern beschränkt sich darauf, ob die Vollzugsbehörde bei Ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (BGH a.a.O.; OLG Nürnberg a.a.O.; OLG Celle a.a.O.; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1983, 181, 183; OLG Karlsruhe, Justiz 1984, 313; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2004, 3 Ws 3/04, zit. n. juris).

Um die gerichtliche Kontrolle in diesem Umfang zu ermöglichen, bedarf die Annahme von Flucht- oder Missbrauchsgefahr in einer ablehnenden Lockerungsentscheidung einer hinreichend substantiierten Begründung. Die Justizvollzugsanstalt darf es in diesen Fällen nicht bei bloßen pauschalen Wertungen oder bei dem abstrakten Hinweis auf eine Flucht- und Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG bewenden lassen. Sie hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren (BVerfG NStZ 1998, 430; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ 2002, 528; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1983, 181, 183; OLG Karlsruhe, Justiz 1984, 313; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2004, 3 Ws 3/04, zit. n. juris). Dabei sind auf die vom Gefangenen vorgebrachte tatsächliche Einwände einzugehen, falls Anlass zur Nachprüfung und zur Erörterung besteht. Die Reichweite der Begründungserfordernisse lässt sich nicht im Allgemeinen, sondern nur nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls bestimmen (OLG Karlsruhe a.a.O.).

Knüpfen dabei die Ausführungen inhaltlich ersichtlich an frühere im Rahmen der Vollzugsplanung ergangene Lockerungsentscheidungen an, kann eine solche Anknüpfung als Begründung für eine anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans zu treffende Lockerungsentscheidung dann ausreichend sein, wenn die frühere Entscheidung ihrerseits eine hinreichend konkretisierte und begründete Prognoseeinschätzung enthält und offensichtlich ist, dass in der Zwischenzeit keine neuen tatsächlichen Gesichtspunkte hervorgetreten sind (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).

Zur Beantwortung der Frage, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind und zur Überprüfung der getroffenen Entscheidung im Rahmen des § 116 StVollzG wird die Strafvollstreckungskammer sorgfältig den Verlauf der bisherigen Vollzugsplanung und früher getroffene Lockerungsentscheidungen darlegen müssen.