Gericht | VG Potsdam 12. Kammer | Entscheidungsdatum | 17.01.2014 | |
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Aktenzeichen | VG 12 K 1139/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124 BauGB, § 128 Abs 1 BauGB, § 129 Abs 1 S 1 BauGB, § 133 Abs 3 BauGB, § 158 BGB, § 62 VwVfG |
Eine nachträgliche Modifizierung eines Erschließungsvertrags durch eine Kostenabrede zulasten von Fremdanliegern ist unwirksam, wenn die Anlage zu diesem Zeitpunkt entsprechend dem ursprünglichen Erschließungsvertrag technisch fertiggestellt war und die Kosten vom Erschließungsträger beglichen waren. Insoweit gibt es eine zeitliche Grenze für die Modifizierung, im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 30.01.2013 9 C 11.11 , juris
Der Vorausleistungsbescheid des Beklagten vom 26. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2011 wird aufgehoben.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zu Hälfte; insoweit ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin erwarb am 4. Oktober 1993 mit notariellem Vertrag die im Grundbuch von ..., ..., unter den laufenden Nummern 1 bis 8 eingetragenen Grundstücke, als deren Eigentümerin sie am 22. Juni 1995 im Grundbuch eingetragen wurde.
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einer Vorausleistung auf Erschließungsbeiträge für die Herstellung der Erschließungsstraße zum Gewerbegebiet „... “ einschließlich der Anbindung an die Bundesstraße B 273 für diese Grundstücke.
Die Rechtsvorgängerin des Beklagten schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen am 12. Juni 1995 einen Erschließungsvertrag, wonach diese als Erschließungsträgerin die Herstellung der in § 3 des Vertrages näher genannten Erschließungsanlagen übernahm. In § 8 des Vertrages war geregelt, dass die Gemeinde diese Erschließungsanlagen im Anschluss an die Abnahme in ihre Baulast übernimmt. Sofern der Gemeinde ein Aufwand für die Verschaffung des Eigentums an den öffentlichen Flächen entstehen sollte, sah § 10 Abs. 2 des Vertrages vor, dass dieser vom Erschließungsträger erstattet werden sollte. Darüber hinaus enthielt der Vertrag keine weitere Kostenregelung. Er sollte nach § 13 Abs. 1 u. a. mit der Übertragung der öffentlichen Erschließungsflächen auf die Gemeinde durch notariellen Vertrag wirksam werden. Der Eigentumserwerb wurde erst im Jahre 2012 vollendet.
Nachdem es den drei Rechtsvorgängern der Beteiligten trotz intensiven Schriftwechsels seit Oktober 1994 nicht gelungen war, eine einvernehmliche Kostenbeteiligung der Rechtsvorgängerin der Klägerin an der Erschließung zu vereinbaren, schrieb die Rechtsvorgängerin der Klägerin am 17. September 1996 an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen Folgendes:
„Mit Blick darauf, dass die vorgenommene Erschließung und Kostenaufteilung für uns nach wie vor nicht nachvollziehbar ist, auch eine ordnungsgemäße Abrechnung nicht vorliegt, erachten wir es als am sinnvollsten, dass Sie die aufgrund verschiedener vertraglicher Vereinbarungen mit den Kommunen von Ihnen vorgenommene Erschließung zunächst mit der öffentlichen Hand abrechnen, damit die öffentliche Hand anschließend im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen eine Abrechnung uns gegenüber vornimmt, in welchem Umfang wir zu nachvollziehbaren Erschließungskosten herangezogen werden können“.
Die Abnahme der Erschließungsanlage erfolgte am 16. Oktober 1996. Aus der geänderten Schlussrechnung der mit der Erschließung beauftragten Generalunternehmerin vom 8. November 1996 ergibt sich, dass bis zum 2. Mai 1997 knapp 10 Millionen DM als Zahlbetrag anerkannt worden sind. Die restlichen knapp 250.000 DM wurden nach Prüfung der Gesamtkosten der Baumaßnahme am 25. Juli 1997 zur Zahlung empfohlen.
Am 6. August 1998 schlossen die beiden ursprünglichen Vertragsparteien den I. Nachtrag für den o. g. Erschließungsvertrag, den sie als Ergänzungsvertrag gemäß § 124 des Baugesetzbuches (BauGB) bezeichneten. In § 1 Abs. 3 dieses Nachtrages war geregelt, dass die Gemeinde ... die Kosten der öffentlichen Erschließungseinrichtungen aufgrund der Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde auf die Beteiligten umlegen und dem Erschließungsträger die ihm entstandenen Kosten unter Gegenrechnung der Erschließungsbeiträge und der in § 10 vereinbarten Ersätze erstatten sollte. § 10 des Vertrages sah vor, dass der Erschließungsträger gemäß § 124 BauGB den sonst üblicherweise durch die Gemeinde zu tragenden Anteil von 10% des Erschließungsaufwandes sowohl für die eigene als auch die Abrechnung Dritter übernimmt, so dass der Gemeinde keine Kosten verbleiben. Dieser Ergänzungsvertrag sollte ebenfalls erst mit der Übertragung der öffentlichen Erschließungsflächen auf die Gemeinde durch notariellen Vertrag wirksam werden.
Aus dem Verteilungsplan vom 6. August 2009 (Bl. 525 des Verwaltungsvorgangs) ergibt sich, dass neben der Rechtsvorgängerin der Klägerin noch die ... sowie die Eigentümerin des Flurstücks 75 der Flur 3 (... GmbH) der Vorausleistungspflicht unterliegen.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2010 zog der Beklagte die Rechtsvorgängerin der Klägerin für ihre Grundstücke zu einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von insgesamt 1.662.772,17 € heran. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte unter Erhöhung der Vorausleistung auf 2.093,824,85 € mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2011 zurück.
Mit der am 1. Juni 2011 durch ihre Rechtsvorgängerin erhobenen Klage wendet sich die nunmehrige Klägerin gegen diesen Vorausleistungsbescheid.
Sie ist der Ansicht, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Der ursprünglich „echte“ Erschließungsvertrag, wonach kein beitragsfähiger Aufwand habe entstehen können, sei für die Vertragsparteien bindend gewesen. Nachdem die Erschließungsanlage bereits hergestellt gewesen sei, könne durch eine spätere Abänderung des Vertrages in einen Vorfinanzierungsvertrag keine Beitragspflicht (mehr) entstehen.
Die Klägerin beantragt,
den Vorausleistungsbescheid des Beklagten vom 26. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2011 aufzuheben
sowie die Hinzuziehung ihres Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte und die Beigeladene sind der Ansicht, dass der Bescheid rechtmäßig sei. Durch den I. Nachtrag zum Erschließungsvertrag sei der ursprüngliche „echte“ Erschließungsvertrag in zulässiger Weise in einen Vorfinanzierungsvertrag abgeändert worden. Der Rechtsvorgängerin bzw. dem Beklagten sei dadurch ein beitragsfähiger Aufwand entstanden, der im Wege einer Vorausleistung auf die Fremdanlieger umgelegt werden könne. Der Klägerin fehle es an einem schutzwürdigen Vertrauen. Ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin sei von Anfang an bewusst gewesen, dass sie sich an den Kosten für die Erschließung ihres Logistikstandortes zu beteiligen habe. Insofern sei ggfls. eine weitere Sachaufklärung notwendig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge (3 Ordner) und auf die Verfahren OVG 9 S 57/11, veröffentlicht in juris,12 L 880/02 und VG 12 L 320/1, n. v., verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Vorausleistungsbescheid vom 26. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
Dem Beklagten steht gegenüber der Klägerin kein Anspruch auf eine Vorausleistung für zukünftig entstehende Erschließungsbeiträge nach § 133 Abs. 3 BauGB zu. Denn für die Herstellung der Erschließungsanlage durch die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ist bei dem Beklagten kein umlagefähiger Aufwand i. S. d. §§ 127, 128, 129 BauGB entstanden, der nach Maßgabe der angewandten Erschließungsbeitragssatzung auf die erschlossenen Grundstücke umgelegt werden und so die Beitragspflicht der Klägerin als Grundstückeigentümerin auslösen könnte.
Die Rechtsvorgängerin des Beklagten hatte aufgrund des Erschließungsvertrages vom 12. Juni 1995 einen Anspruch gegen die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, die Erschließungsanlage vollständig auf deren eigenen Kosten herzustellen. Bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten sollten durch die Herstellung der Erschließungsanlage keinerlei Kosten anfallen. Bei einem „echten“ Erschließungsvertrag, wie hier, entstehen die Erschließungskosten vielmehr ausschließlich bei dem Erschließungsunternehmer (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 1991 - 8 C 61/90 -, zitiert nach juris).
Daran waren die Vertragsparteien trotz der aufschiebenden Bedingung in § 13 des Vertrages nach § 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) i. V. m. § 62 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) gebunden. Denn schon während des Schwebezustandes, in dem die Bedingung noch nicht eingetreten ist oder der Bedingungsausfall noch nicht endgültig feststeht, d. h. die Rechtswirkung entweder endgültig gilt oder entfällt, sind die Parteien des bedingten Rechtsgeschäfts durch den Abschluss bereits gebunden und können, wenn nicht ein Widerrufsvorbehalt vereinbart ist (an dem es hier fehlt) die Rechtsbeziehung nicht einseitig wieder lösen. Die Parteien haben also durch den Abschluss des Rechtsgeschäfts für das Eintreten der Rechtswirkungen kraft ihrer privatautonomen Regelung bereits so viel getan, dass eine Sonderverbindung zwischen ihnen besteht (vgl. H. P. Westermann in: Münchner Kommentar, BGB, 5. Aufl. § 158 Rn. 39). Diese Bindung umfasst im vorliegenden Fall insbesondere die Verpflichtung der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, die Erschließungsanlage auf eigene Kosten herzustellen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. April 2012 - 9 S 57/11 -, a. a. O.; die Kammer hält insoweit an ihrer im Beschluss vom 7. September 2011 - 12 L 320/11 - vertretenen Rechtsauffassung nicht mehr fest).
Diesen - aufschiebend bedingten - vollständigen Kostenübernahmeanspruch gegen die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen konnte die Rechtsvorgängerin des Beklagten nicht im Nachhinein durch den I. Nachtrag zum ursprünglichen Erschließungsvertrag vom 6. August 1998 mit erstmalig belastender Wirkung für die Fremdanlieger wieder aufgeben.
Allerdings ist die in § 1 Abs. 3 des Nachtrages zu sehende Modifizierung des Erschließungsvertrages dahingehend, dass für die Fremdanlieger Beiträge entstehen sollen, als Vertragsgestaltung zwischen der Gemeinde und dem Erschließungsträger gemäß § 124 BauGB im Grundsatz rechtlich zulässig. Es ist nämlich nicht zu beanstanden, wenn sich eine Gemeinde im Interesse einer vorteilsangemessenen Kostenbeteiligung eines Fremdanliegers in einem Erschließungsvertrag verpflichtet, dem Erschließungsunternehmer die beitragsfähigen Aufwendungen zu erstatten, indem sie einerseits den von dem Fremdanlieger zu erhebenden Erschließungsbeitrag an den Erschließungsunternehmer auszahlt und andererseits die für die Grundstücke des Erschließungsunternehmers entstehenden Erschließungsbeitragsforderungen mit dem Erstattungsanspruch des Erschließungsunternehmers verrechnet.. Durch eine solche Vertragsgestaltung entsteht der Gemeinde ein - grundsätzlich beitragsfähiger - eigener Aufwand mit Vertragsschluss (BVerwG, Urteil vom 22. März 1996 - 8 C 17/94 -, zitiert nach juris).
Die Rechtsvorgängerin des Beklagten war auch nicht grundsätzlich gehindert, die mit dem Abschluss des ursprünglichen Erschließungsvertrages getroffene „Regimeentscheidung“ (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 2010 - 9 C 8/09 -, zitiert nach juris) nachträglich mit Wirkung für Dritte zu ändern (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 9 C 11/11 -, zitiert nach juris). Unter Berücksichtigung der auch im öffentlichen Recht geltenden Vertragsautonomie ist eine Kommune nicht ausnahmslos an ihre ursprünglich getroffene Entscheidung, in welchem Regime die Erschließung erfolgen soll, gebunden.
Dabei kann dahinstehen, ob ein ohne entsprechende Kostenabrede geschlossener „echter“ Erschließungsvertrag - wie hier - nachträglich nur dann zulasten von Fremdanliegern modifiziert werden kann, wenn in dem ursprünglichen Erschließungsvertrag zumindest der Wille der Vertragsparteien zum Ausdruck gekommen ist, eine Basis für die Heranziehung der Fremdanlieger zu Erschließungsbeiträgen zu schaffen und damit ergänzungsfähig ist (so OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Januar 2011 - 9 LC 132/09 - und Beschluss vom 25. Juni 2008 - 9 ME 453/07 -; offen gelassen: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 9 C 11/11 -, alles zitiert nach juris). Festzustellen ist jedenfalls, dass der Vertrag vom 12. Juni 1995 einen dahingehenden Vorbehalt nicht enthält. Ob die Vertragsparteien mündlich entsprechende Ergänzungen des Vertrages - wirksam - getroffen haben, soll hier dahingestellt bleiben. Deswegen bedarf es insoweit auch keiner Beweiserhebung, weil eine Modifizierung des Erschließungsvertrages mit belastender Wirkung für Dritte rechtlichen Grenzen unterliegt.
Ausgehend von den Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 30. Januar 2013 - 9 C 11/11 - a. a. O., Rn. 19 erweist sich die nachträgliche Modifizierung des ursprünglich ohne Kostenabrede abgeschlossenen Vertrages hier als unwirksam, weil mit der Herstellung der Erschließungsanlage im Zeitpunkt der Vertragsmodifikation nicht nur bereits begonnen worden, sondern diese bereits vollständig hergestellt gewesen war, ohne dass für die Gemeinde Erschließungsaufwand i. S. v. §§ 127, 128 BauGB begründet gewesen wäre. Die der Gemeinde nach § 123 Abs. 1 BauGB obliegende Erschließungslast war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses über den I. Nachtrag bereits erfüllt. Denn das sich aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 des ursprünglichen Erschließungsvertrages ergebende Schuldverhältnis zwischen der Gemeinde und dem Erschließungsträger war mit der Herstellung der für die Gemeinde kostenfreien Erschließungsanlage durch Erfüllung der Leistung (§ 362 Abs. 1 BGB) erloschen. Die Erschließungsanlage war - unstreitig - nach § 123 Abs. 2 BauGB entsprechend den Erfordernissen der Bebauung und des Verkehrs hergestellt und benutzbar. Die Bauabnahme datierte vom 16. Oktober 1996. Die Kosten für die Herstellung der Erschließungsanlage waren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für den I. Nachtrag offenbar vollständig durch den Erschließungsträger ent-sprechend seiner vertraglichen Verpflichtung getragen.
Durch die Kostenabrede in einem modifizierten Erschließungsvertrag wird die Her-stellung einer Straße, die ein Erschließungsträger in Erfüllung der Erschließungslast der Kommune durchführt, von diesem vorfinanziert. Dieses rechtliche Konstrukt bewirkt gleichzeitig, dass bei der Kommune bereits mit Vertragsschluss dem Grunde nach beitragsfähige Kosten entstehen (BVerwG, Urteil vom 20. März 1996 - 8 C 17/94 - zitiert. nach juris, Rn. 35). Für eine solche Vorfinanzierung ist aber kein Raum, wenn die Erschließungsanlage hergestellt ist und die Kosten vom Er-schließungsträger aus seiner vertraglichen Verpflichtung heraus beglichen worden sind.
Eine nachträgliche Änderung dieses erfüllten Vertrages zu Lasten von Fremdanliegern kommt damit nicht mehr in Betracht. Insofern besteht bei dieser Sachlage eine zeitliche Zäsur für die Änderung eines erfüllten „echten“ Erschließungsvertrages in einen - rückwirkenden - Vorfinanzierungsvertrag. Die Begründung von Aufwand bei dem Beklagten durch Abschluss des I. Nachtrags vom 6. August 1998 beruhte daher weder auf einer gesetzlichen noch auf einer insoweit wirksamen vertraglichen Verpflichtung, sondern stellt eine freiwillige Leistung dar, die keinen Erschließungsaufwand im Sinne des § 128 Abs. 1 BauGB darstellt (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Januar 2011 - 9 LC 132/09 -, a. a. O.).
Aus den dargestellten Überlegungen heraus erscheint es im Übrigen schon fraglich, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, ob durch diesen modifizierten Vertragsinhalt begrifflich überhaupt ein Erschließungsaufwand für die Herstellung der Straße i. S. d. § 128 Abs. 1 BauGB entstehen konnte, weil die Erschließungsanlage zu diesem Zeitpunkt bereits hergestellt war und die Kosten durch die im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handelnden Rechtsvorgängerin der Beigeladenen voraussichtlich vollständig an die Generalunternehmerin beglichen waren. Denn in diesem Sinne beruhte der streitgegenständliche Aufwand, den der Beklagte als Vorausleistung von der Rechtsvorgängerin der Klägerin erhoben hat, nicht unmittelbar auf der erstmaligen Herstellung der Straße, sondern allein auf der im Nachhinein geschlossenen, vom Ursprungsvertrag abweichenden Kostenvereinbarung zwischen der Gemeinde und dem Er-schließungsträger (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Januar 2011 - 9 LC 132/09 -, zitiert nach juris).
Da der I. Nachtrag zum Erschließungsvertrag keine Wirkung zulasten der Fremdanlieger entfaltet, besteht kein Anlass für allgemeine Billigkeitsüberlegungen. Zwar ist hier möglicherweise ein Bedürfnis des Erschließungsträgers dafür zu erkennen, diese modifizierte Vertragsgestaltung im Nachhinein anzustreben, weil er nicht Eigentümer aller Grundstücke im Erschließungsgebiet ist und er als Unternehmer versuchen muss, alle anfallenden Kosten möglichst an die Fremdanlieger weiterzugeben. Dies kann aber nicht dazu führen, den ursprünglich gewählten „echten“ Erschließungsvertrag, nachdem dieser im Verhältnis Gemeinde/Erschließungsträger vollständig erfüllt war, zum Zwecke der öffentlich-rechtlichen Durchsetzbarkeit von Ansprüchen, die sich privatrechtlich nicht durchsetzen ließen, wieder zu beseitigen und durch den I. Nachtrag erstmalig vorher nicht betroffene Fremdanlieger nunmehr zu Vorausleistungspflichtigen zu machen. Dieser Ausschluss der öffentlich-rechtlichen Beitragserstattung und der damit einhergehende Ausschluss der Refinanzierung der Herstellungskosten des Erschließungsträgers gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Erschließungsträger den anteiligen Ersatz des Erschließungsaufwands weder aus dem Rechtsgedanken der Geschäftsführung ohne Auftrag noch aus ungerechtfertigter Bereicherung von Fremdanliegern und damit privatrechtlich von den Fremdanliegern erstatten lassen kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2001 - III ZR 294/00 -; Urteil vom 8. November 1973 - VII ZR 246/72 -; beides zitiert nach juris).
Unabhängig von der Frage nach der Wirksamkeit des I. Nachtrags dürfte der Be-klagte zudem gehindert sein, die Kosten für die Herstellung der Straße gegenüber der Klägerin geltend zu machen, weil diese bereits anderweitig im Sinne des §§ 129 Abs. 1 S. 1 BauGB gedeckt sind. Eine anderweitige Deckung kann nämlich auch in einem Anspruch der Gemeinde gegen einen Dritten auf Übernahme von Erschließungskosten bestehen (BVerwG, Urteil vom 9. November 1984 - 8 C 77/83 -, zitiert nach juris). Sofern eine Gemeinde einen den Erschließungsaufwand ganz oder teilweise deckenden Anspruch aufgibt oder sonst wie zu realisieren unterlässt, muss sie grundsätzlich die sich daraus ergebende Belastung selbst tragen (BVerwG, a. a. O.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. April 2012 - 9 S.57/11 -, a. a. O.). Die Rechtsvorgängerin des Beklagten besaß hier einen Anspruch auf Übernahme der Erschließungskosten durch die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen aus dem Vertrag vom 12. Juli 1995.
In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass die Gemeinde den Anspruch gegen einen Dritten dann folgenlos aufgeben kann, wenn der Durchsetzbarkeit des Anspruchs bzw. dem Festhalten an ihm durchgreifende tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen (BVerwG, a. a. O.). Solche vergleichbaren Gründe lassen sich im Gegensatz zur Ansicht des Beklagten und der Beigeladenen aber nicht daraus herleiten, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin ihr Einverständnis mit einer Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen erklärt haben könnte. Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob die Rechtsvorgängerin der Klägerin sich tatsächlich damit einverstanden erklären wollte (siehe dazu den Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 19. April 2012 - 9 S 57/11 -, a. a. O.). Hinzu kommt, dass weitere Fremdanlieger, insbesondere die Eigentümerin des Flurstücks 75 der Flur 3, davon betroffen wären, deren Einverständnis, erstmalig durch den I. Nachtrag mit Kosten belastet zu werden, offensichtlich nicht vorliegt.
Der Klage ist damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 709 der Zivilprozessordnung.
Die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin für das Vorverfahren wird gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt, weil es der Klägerin aus der Sicht einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei nicht zuzumuten war, den Rechtsstreit ohne anwaltliche Hilfe zu führen. Dies gilt insbesondere für das Kommunalabgabenrecht, da hier der Betroffene in aller Regel nicht in der Lage ist, seine Rechte gegenüber der Verwaltung ohne rechtskundigen Rat ausreichend zu wahren (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land OVG Brandenburg, Beschlüsse vom 6. Dezember 1999 - 2 E 34/99, 2 E 36/99 und 2 E 38/99 -, n. v.).
Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die Rechtsfrage, ob es eine zeitliche Grenze für die Modifikation eines Erschließungsvertrages durch eine Kostenabrede gibt, grundsätzliche Bedeutung hat; §§ 124 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3, 124 a VwGO.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 2.093.824,85 € festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.