Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 14.09.2010 | |
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Aktenzeichen | L 11 VH 32/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 4 Abs 1 HHG, § 1 Abs 1 Nr 1 BVG, § 30 Abs 1 BVG |
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. September 2006 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der Kosten für das erstinstanzliche Verfahren zu erstatten. Für das Berufungsverfahren haben die Beteiligten einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. einem Grad der Schädigung (GdS) von 80 bei einem anerkannten Grad der MdE bzw. GdS von 70.
Der 1931 in Berlin geborene Kläger siedelte im Jahr 1961 mit seiner Familie in die DDR über. Das Kreisgericht Leipzig-Süd verurteilte den Kläger mit Urteil vom 2. Juni 1966 wegen verbrecherischer Trunkenheit zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten. Aufgrund dieses Strafverfahrens war der Kläger in der Zeit vom 15. Dezember 1965 bis zum 15. September 1966 inhaftiert. Mit Beschluss vom 29. Januar 2008 – 1 Reha Ws 45/07 – erklärte das Oberlandesgericht Dresden das vorgenannte Urteil für rechtsstaatswidrig und stellte fest, dass der Kläger im vorgenannten Zeitraum zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat. Mit Urteil vom 1. Juni 1967 verurteilte das Kreisgericht L-Mitte den Kläger wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Aufgrund dieses Verfahrens war der Kläger in dem Zeitraum vom 15. Dezember 1966 bis zum 16. Februar 1968 inhaftiert. Mit Beschluss vom 29. Dezember 2008 – BSRH 15.609/08 – hob das Landgericht L das vorgenannte Urteil, soweit es den Kläger betrifft, auf, stellte fest, dass das damalige Verfahren rechtsstaatswidrig war und der Kläger in dem vorgenannten Zeitraum zu Unrecht in Haft gehalten wurde, und rehabilitierte den Kläger.
Am 16. Februar 1968 wurde der Kläger nach Berlin (West) abgeschoben.
Am 15. Juli 1968 stellte das Bezirksamt RB dem Kläger eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden – Häftlingshilfegesetz – (HHG) über folgende Zeiten des politischen Gewahrsams aus:
a) 15. Dezember 1965 bis 16. Oktober 1966
b) 15. Dezember 1966 bis 16. Februar 1968.
Am 17. Juli 1968 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und dem HHG. Aufgrund des versorgungsärztlichen Gutachtens des Arztes Dr. S vom 21. November 1968 und des Gutachtens des Facharztes für Innere Krankheiten Dr. H vom 13. Dezember 1968 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Januar 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1969 den Verlust des 4. linken Fingers und eine vegetative Labilität als Schädigungsfolgen an, die er für die Zeit vom 1. Juli 1968 bis zum 31. Dezember 1968 unter gleichzeitiger Feststellung eines Versorgungsanspruchs mit einem Grad der MdE von 30 und für die Zeit danach mit einem Grad der MdE von unter 25 bewertete.
Mit Schreiben vom 4. August 1998 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das zwischenzeitlich in Kraft getretene Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet – Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – (StrRehaG) die Überprüfung des Bescheides vom 6. Januar 1969 und eine Neufeststellung seiner Versorgungsansprüche. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, seine im Jahr 1954 diagnostizierte Diabetes-Erkrankung habe sich durch eine unzureichende Versorgung im Haftkrankenhaus verschlimmert, dadurch sei es auch zu Folgeschäden gekommen; ferner leide er infolge der in der DDR erlittenen Haft an einem ausgeprägten depressiven Syndrom und einer schweren Neurotisierung. Der Beklagte holte eine versorgungsärztlich-chirurgische Stellungnahme des Arztes für Chirurgie Dr. O vom 23. November 1998, ein versorgungsärztlich-internistisches Gutachten des Arztes für Innere Medizin Dr. D vom 17. Dezember 1998 und ein nervenärztliches Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 21. April 1999 ein. Diese kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger infolge der in der DDR erlittenen Haftzeiten an einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung leide und sich durch die Haftzeiten ein bei dem Kläger schon zuvor bestehendes depressives Syndrom verschlimmert habe. Die posttraumatische Belastungsstörung sei mit einem Grad der MdE von 30 und das verschlimmerte depressive Syndrom mit einem Grad der MdE von 20 zu bewerten; der Gesamtgrad der MdE betrage 40. Schädigungsunabhängig bestehe bei dem Kläger eine insulinpflichtige Zuckerkrankheit bei diabetischer Polyneuropathie, ein hirnorganisches Psychosyndrom bei cerebralen Durchblutungsstörungen, eine vertebrobasiläre Insuffizienz mit Gangunsicherheit, eine Herzleistungsminderung bei coronarer Herzkrankheit, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörung sowie eine Hörminderung. Bereits in dem Zeitraum vor seiner Inhaftierung in der DDR fänden sich im Leben des Klägers mehrfache Brüche in der Entwicklung, so das Erleben von Grausamkeiten während seiner Zeit bei der Hitlerjugend, das Erleben einer dreimonatigen Haftstrafe im Gefängnis P und seine Zeit in der Fremdenlegion. 1954 habe der Kläger nach ehelichen Konflikten mit Alkoholmissbrauch eine Alkoholentziehungskur durchgeführt. Vor dem Hintergrund des Aufwachsens in schwierigen familiären Verhältnissen sei eine zugrunde liegende narzisstische Persönlichkeitsstörung mit starker Kränkbarkeit wahrscheinlich zu machen. Auf der Grundlage dieser Persönlichkeitsstörung sei anzunehmen, dass die nunmehr – als Folgen des jahrelangen Nikotin- und Alkoholmissbrauchs sowie des unzureichend geführten Diabetes – eingetretenen gesundheitlichen Einschränkungen mit erneuten Todesbefürchtungen zu einer Aktualisierung von Hafterlebnissen mit existenzieller Angst geführt hätten. Die Neigung zu depressiven Verstimmungen sei nicht ursächlich auf die Haft zurückzuführen, diese gehe weiter zurück und sei auch in ihrer jetzigen Ausprägung nicht allein auf die Verschlimmerung durch die Haft zurückzuführen, sondern überlagert durch hirnorganische Veränderungen mit einem depressiv getönten Psychosyndrom.
Hierauf lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 1999 eine Rücknahme des Bescheides vom 6. Januar 1969 nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab und stellte bei dem Kläger mit Bescheid vom 23. Juli 1999 einen Versorgungsanspruch des Klägers nach einem Grad der MdE von 40 für den Zeitraum ab 1. August 1998 bei folgenden Schädigungsfolgen fest:
1. Chronische posttraumatische Belastungsstörung,
2. Depressives Syndrom,
3. Verlust des 4. Fingers links.
Die gegen vorgenannte Bescheide erhobenen Widersprüche des Klägers wies der Beklagte nach Einholung einer versorgungsärztlich-internistischen Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin Dr. T vom 27. Oktober 1999 mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 1999 zurück.
Mit Bescheid vom 3. Januar 2000 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 4. August 1998 auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach dem HHG in Verbindung mit dem BVG ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2003 zurück.
Auf der Grundlage eines von dem Beklagten veranlassten nervenärztlichen Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Dvom 19. November 2002 nahm der Beklagte mit Bescheid vom 13. Januar 2003 den Bescheid vom 23. Juli 1999 im Wege einer Zugunstenentscheidung teilweise zurück und stellte einen Versorgungsanspruch des Klägers für den Zeitraum ab 1. August 1998 nach einem Grad der MdE von 60 mit folgenden Schädigungsfolgen fest:
1. Chronische posttraumatische Belastungsstörung, Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung,
2. Depressives Syndrom,
3. Verlust des 4. Fingers links.
Mit Urteil vom 28. Mai 2002 – S 41 VH 156/99 – wies das Sozialgericht Berlin die Klage gegen die vorgenannten Bescheide vom 22. und 23. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1999 ab. Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Landessozialgericht Berlin durch Urteil vom 16. September 2003 – L 13 VH 29/02 – zurück. Mit dem Urteil wies das Landessozialgericht zugleich die im Berufungsverfahren erhobene Klage gegen die vorgenannten Bescheide vom 3. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2003 und vom 13. Januar 2003 ab. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 27. Januar 2004 – B 9 VH 2/03 B – als unzulässig verworfen.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 9. März 2004 stellte der Kläger bei dem Beklagten u. a. einen „Verschlimmerungsantrag“, mit dem er geltend machte, der Grad der MdE für die anerkannten psychischen Versorgungsschäden sei angemessen zu erhöhen. Zur Begründung führte der Kläger unter Bezugnahme u. a. auf die von ihm beigebrachten Stellungnahmen der behandelnden Fachärztin für Nervenheilkunde Y vom 25. August 2003 und vom 5. Mai 2004 aus, er leide seit Jahren an nächtlichen Stoffwechselentgleisungen (Hyperglykämien), die direkte Folge der anerkannten psychischen Haftschäden seien und den Verlauf des Diabetes negativ beeinflusst hätten. Der Beklagte holte ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 18. Mai 2004 ein, der ausführte, dass von einer zwischenzeitlichen Verschlechterung der anerkannten psychischen Schädigungsfolgen nicht ausgegangen werden könne; das Landessozialgericht Berlin habe mit seinem Urteil vom 16. September 2003 bestätigt, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen erlittener Haft und dem Verlauf der Diabeteserkrankung nicht bestehe. Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin Dr. D vom 28. Mai 2004 lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 21. Juni 2004 den Antrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, eine wesentliche Verschlimmerung der mit Bescheid vom 13. Januar 2003 anerkannten Schädigungsfolgen sei nicht eingetreten. Auch nach erneuter Prüfung unter Würdigung des ärztlichen Attestes des Arztes für Innere Medizin – Hämatologie Dr. S vom 15. März 2004 lägen keine neuen Gesichtspunkte vor, die ein Abweichen von der bisherigen Sicht rechtfertigten. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2004 zurück und führte zur Begründung u. a. aus, die Versorgungsbehörde habe zutreffend festgestellt, dass hinsichtlich des Diabetes mellitus keine Tatsachen vorlägen, die einen Rücknahmebescheid nach § 44 SGB X rechtfertigen könnten.
Am 24. September 2004 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er sei jahrelang Opfer schwerster politischer Verfolgung und staatlichen Gewaltmissbrauchs gewesen und deshalb traumatisiert. Die nächtlichen Stoffwechselentgleisungen seien zweifelsfrei psychisch bedingt. Am 8. August 2004 habe er einen Selbstmordversuch unternommen.
Nach Auswertung der von dem Kläger eingereichten ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Entlassungsberichtes der E-Klinik BD vom 16. Dezember 2004 über den stationären Aufenthalt des Klägers in der Zeit vom 10. November bis 08. Dezember 2004 und der Stellungnahme der behandelnden Fachärztin für Nervenheilkunde I vom 26. Oktober 2004 durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. D in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18. März 2005 und den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23. März 2005 hat der Beklagte mit Bescheid vom 12. Mai 2005 einen Grad der MdE von 70 v. H. für den Zeitraum ab 1. März 2004 bei folgenden Schädigungsfolgen festgestellt:
1. Chronische posttraumatische Belastungsstörung, Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung mit negativen Auswirkungen auf den Zuckerstoffwechsel,
2. Depressives Syndrom,
3. Verlust des 4. Fingers links.
Das Gericht hat die Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Innere Medizin und Psychotherapie Dr. T veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 31. Januar 2006 ausgeführt, bei dem Kläger bestehe
- ein Diabetes mellitus, Erstdiagnose 1954, schwer einstellbar bei Neigung zu Hypoglykämien und nächtlichen hyperglykämischen Entgleisungen sowie Folgeerkrankungen (Gefäßkrankheit der hirnversorgenden Arterien, coronare Herzkrankheit, Polyneuropathie),
- eine distal-symmetrische sensomotorische Polyneuropathie mit Gangstörung und geringer Ataxie primär diabetogener Genese,
- ein Hypertonus, eine coronare Herzkrankheit, derzeit unter antianginöser und blutdrucksenkender Therapie stabil,
- eine Gefäßkrankheit der hirnversorgenden Arterien mit stattgehabter Re-Insertion der Arteria vertebralis im Februar 1999 und einem Hirninfarkt im Mai 2005 ohne fassbares CT-morphologisches Korrelat mit verbleibender geringer residualer Hemisymptomatik rechts, eine cerebrale Mikroangiopathie und ein hirnorganisches Psychosyndrom,
- ein Verlust des 4. Fingers links 1965 (posttraumatisch),
- eine beidseitige Schwerhörigkeit,
- ein Prostatakarzinom, Erstdiagnose 2003, Rezidivfreiheit nach stattgehabter Radatio,
- eine depressive Entwicklung,
- eine posttraumatische Belastungsstörung,
- eine Coxarthrose links ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigung.
Die posttraumatische Belastungsstörung und der Verlust des 4. Fingers links seien mit Wahrscheinlichkeit auf die die zu Unrecht erlittenen Haftzeiten zurückzuführen. Die posttraumatische Belastungsstörung habe der Beklagte unter Mitberücksichtung der Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung mit einem Einzelgrad der MdE von 50 angemessen bewertet. Auch die Erhöhung des Grades der MdE auf 60 unter Berücksichtigung eines depressiven Syndroms und des Verlustes des 4. Fingers links sei angemessen. Den Einfluss der posttraumatischen Belastungsstörung auf den Diabetes habe der Beklagte mit einem Grad der MdE von 10 nicht ausreichend gewürdigt. Die posttraumatische Belastungsstörung wie auch die depressive Erkrankung, insbesondere aber die posttraumatische Belastungsstörung, seien für die schlechte Einstellung des Diabetes wie auch für die nächtlichen Hyperglykämien und die Progredienz der diabetogenen Komplikationen (Gefäßkrankheit, Polyneuropathie) mitverantwortlich. Es müsse hier in diesem besonderen Fall angenommen werden, dass die Folgeerkrankungen durch die gleichzeitig bestehende gravierende psychische Erkrankung in erheblicher Weise akzentuiert worden seien. Ein Grad der MdE von 20 sei hierfür „angemessener“. Bei Zuordnung eines Grades der MdE für die ungünstigen Auswirkungen der psychischen Erkrankung auf den Diabetes ergebe sich ein Gesamtgrad der MdE, der zwischen 70 und 80 liege. Es sei gutachterliche Praxis, bei Bestehen eines Ermessensspielraumes diesen zugunsten des Antragstellers auszunutzen. In diesem Sinne erscheine es hier angemessen, für die Zeit ab März 2004 einen Gesamtgrad der MdE von 80 zu bilden.
Mit Urteil vom 13. September 2006 hat das Sozialgericht Berlin den Beklagten verpflichtet, bei dem Kläger eine schädigungsbedingte MdE von 80 für den Zeitraum ab März 2004 festzustellen und die darüber hinausgehende Klage, mit der der Kläger die Feststellung einer schädigungsbedingte MdE von 80 auch für den Zeitraum von August 1998 bis Februar 2004 begehrt hat, abgewiesen. Ferner hat das Sozialgericht entschieden, dass der Beklagte dem Kläger 2/3 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat. Zur Begründung stützt sich das Gericht maßgeblich auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. T in seinem Gutachten vom 31. Januar 2006. Soweit der Kläger die Feststellung einer schädigungsbedingten MdE von 80 auch für den Zeitraum von August 1998 bis Februar 2004 begehre, sei die Klage mangels eines hierauf gerichteten Verwaltungsverfahrens unzulässig.
Gegen das dem Beklagten am 9. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat dieser am 01. November 2006 Berufung eingelegt. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger in den Jahren 1950 bis 1973 außerhalb des Gebiets der DDR mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und weitere Haftzeiten verbüßt habe. Wie sich einem Schreiben des B vom 30. Oktober 1961 (Versorgungsakten Band III, Bl. 254a ff.) ergebe, sei der Kläger in B am 16. Mai 1950 wegen „Notzucht“ zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden, wovon er ein Jahr im verbüßt habe. Die Reststrafe sei zur Bewährung ausgesetzt worden, der Kläger sei in der Folgezeit jedoch erneut straffällig geworden. Im Jahr 1956 sei er wegen Körperverletzung unter Anrechnung von Untersuchungshaft zu einer Haftstrafe von 3 Jahren mit anschließender Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt verurteilt worden. Die Haftstrafe habe er in der Zeit vom 25. August 1956 bis zum 12. November 1959 verbüßt; der Beschluss über die anschließende Unterbringung sei aufgehoben worden.
Das Landessozialgericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. A vom 9. August 2007 eingeholt. In Unkenntnis der von dem Beklagten nachgetragenen Sachverhaltsergänzungen zu weiteren Verurteilungen und Haftzeiten hat dieser ausgeführt, bei dem Kläger bestehe
- eine chronische posttraumatische Belastungsstörung,
- eine vorwiegend subkortikale Demenz bei diabetisch bedingter Mikroangiopathie und alkoholtoxischer Genese,
- ein Diabetes Typ I,
- eine diabetische Polyneuropathie,
- eine Hemiparese rechts nach Hirninfarkt links-hemisphäriell im April 2005,
- ein Verlust des 4. Fingers 1965.
Der Diabetes mellitus mit den Folgekomplikationen einer diabetischen Polyneuropathie und cerebralen Mikroangiopathie als Teilursache der bestehenden Demenz werde als schädigungsunabhängiges Leiden zumindest in den vergangenen Jahren durch Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung (etwa einmal in der Woche auftretende nächtliche Albträume und nachfolgendes intrusives Wiedererinnern, Unruhe, Angst), die wahrscheinlich nächtliche Blutzuckerentgleisungen mitverursachten, verschlimmert. Für die Verschlimmerung der Diabeteserkrankung und ihrer Komplikationen seien die Ereignisse der DDR-Haftzeit annähernd gleichwertige Ursachen. Der Einfluss der posttraumatischen Belastungsstörung auf den Diabetes werde allerdings als nachrangig und weniger gravierend eingeschätzt als andere schädigungsunabhängige Faktoren; hierzu gehöre insbesondere ein langjähriger Alkoholkonsum des Klägers, der für die teilweise diabetogene Polyneuropathie ebenso mitursächlich sei wie für die erhebliche demenzielle Entwicklung mit den daraus resultierenden Persönlichkeitsveränderungen und affektiven Veränderungen, die bei der Entstehung von nächtlichen Unruhe- und Angstzuständen eine wichtige pathogenetische Rolle spielten und damit als wesentliche Teilursache der nächtlichen Blutzuckerentgleisungen zu betrachten seien. Da sich somit auch schädigungsunabhängige Faktoren wesentlich negativ auf den Zuckerstoffwechsel auswirkten, lasse sich eine MdE-Erhöhung von 20 v. H. für die negativen Auswirkungen der posttraumatischen Belastungsstörung auf den Diabetes mellitus nicht rechtfertigen. Einen Anhalt für ein depressives Syndrom werde nicht gesehen. Die MdE werde wie folgt eingeschätzt:
-
Posttraumatische Belastungsstörung
50 v. H.,
-
Verlust des 4. Fingers links
10 v. H.,
-
Verschlimmerung des Diabetes mellitus und seiner Komplikationen durch die posttraumatische Belastungsstörung
10 v. H.
Mit Bescheid vom 2. April 2008 hat der Beklagte dem Kläger erteilte Bescheide vom 16. Juli 1968 und 19. Juli 1972 über die Gewährung von Eingliederungshilfen (teilweise) und die am 15. Juli 1968 ausgestellte Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG eingezogen, für ungültig erklärt und durch eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ersetzt, die nur den Gewahrsamszeitraum vom 15. Dezember 1965 bis 15. September 1966 umfasst. Dem hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers hat der Beklagte mit Bescheid vom 27. März 2009 (teilweise) abgeholfen und dem Kläger eine weitere Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG erteilt, wonach die Zeit vom 15. Dezember 1966 bis 16. Februar 1968 (wieder) Gewahrsamszeit ist.
Auf den Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat ein weiteres Gutachten des Arztes für Innere Medizin Dr. E vom 20. April 2009 eingeholt und hierbei insbesondere auf die von dem Beklagten nachgetragenen Sachverhaltsergänzungen zu weiteren Verurteilungen und Haftzeiten des Klägers hingewiesen. Der Sachverständige hat bei dem Kläger folgende nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen festgestellt:
- 1954 labiler Diabetes mellitus Typ I mit sensomotorischer Polyneuropathie, erektiler Dysfunktion und rezidivierenden schweren Stoffwechselentgleisungen, sowohl mit sehr hohen als auch sehr niedrigen Blutzuckerwerten,
- 1965 Verlust des 4. Fingers der linken Hand,
- Beginnende Dupuytren Kontraktur,
- Koronare Herzkrankheit,
- Gefäßkrankheit der hirnversorgenden Arterien mit Re Insertion der arteria vertebralis rechts,
- 1991 beginnende diabetische Retinopathie mit zarten Mikroaneurysmen,
- 1999 Verdacht auf koronare Herzkrankheit,
- 2003 Prostatakarzinom mit Radatiobehandlung,
- 2005 Apoplex mit Hemiparese rechts,
- Posttraumatische Belastungsstörung,
- Depression.
Während der zweiten DDR-Haftzeit sei die Stoffwechselführung beim Kläger nicht in dem erforderlichen Maß gelungen, um akute Komplikationen wie Koma oder Hypoglykämien zu vermeiden. So sei der schlecht eingestellte Diabetes mellitus mit den dokumentierten mehrfachen Komata und Hypoglykämien und den dadurch mitverursachten Folgeerkrankungen wie Polyneuropathie, erektile Dysfunktion und beginnende Retinopathie sowie für die koronare Herzkrankheit und die krankhaften Veränderungen an den Hirngefäßen durch die Haftzeit verursacht. Folgende Gesundheitsstörungen seien wahrscheinlich ursächlich auf die als rechtsstaatswidrig anerkannten Haftzeiten zurückzuführen und mit folgenden Einzelgraden der MdE zu bemessen:
-
Chronische posttraumatische Belastungsstörung, Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung mit negativen Auswirkungen auf den Zuckerstoffwechsel (Schwer einstellbarer Diabetes mellitus mit stark schwankenden Blutzuckerwerten)
MdE 60,
-
Verlust des 4. Fingers der linken Hand
MdE 10,
-
Depressives Syndrom mit schweren Schlafstörungen und ganz wesentlicher Beeinträchtigung des Alltagslebens (Arztbrief der Eggeland-Klinik vom 16. Dezember 2004)
MdE 20.
Insgesamt sei der Grad der MdE mit 80 zu bemessen.
Zu dem Gutachten hat der Senat ergänzende Stellungnahmen des Sachverständigen selbst vom 20. Oktober 2009 und vom 7. Januar 2010 sowie eine Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. A vom 14. Dezember 2009 eingeholt. Letzterer hat für den Fall, dass die von dem Beklagten im Laufe des Berufungsverfahrens nachgetragenen Sachverhaltsergänzungen zutreffend sein sollten, seine früheren Ausführungen dahingehend relativiert, dass die Haftereignisse in der DDR für die beim Kläger vorliegende Störungssymptomatik nicht wesentliche Bedingung sein dürften.
Der Beklagte hat zur Begründung der Berufung unter Bezugnahme insbesondere auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 10. März 2006 und 18. Januar 2007, der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie W vom 16. Januar 2009, des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie B vom 8. September 2009, der Ärztin für Chirurgie Dr. T vom 10. Juli 2009 und der Ärztin für Innere Medizin MR R vom 24. Juli 2009 im Wesentlichen ausgeführt, eine fiktive MdE-Erhöhung von 20 v. H. für die negativen Auswirkungen der posttraumatischen Belastungsstörungen auf den Diabetes Mellitus komme entgegen der Einschätzung des Sachverständigen Dr. T nicht in Betracht. Denn neben der posttraumatischen Belastungsstörung beständen auch schädigungsunabhängige Faktoren, die sich negativ auf die Stoffwechsellage auswirkten, so insbesondere eine schädigungsunabhängige depressive Symptomatik und der Alkoholkonsum des Klägers. Als Vorschaden sei zudem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung zu berücksichtigen. Es sei auch in Betracht zu ziehen, dass der Kläger bereits wegen der vor der Übersiedlung in die DDR erlittenen Haftzeiten traumatisiert gewesen sei. Angesichts der bestehenden Vorschäden sei das psychische Leiden höchstens mit einem GdS von 40 zu bewerten. Schließlich sei anzuzweifeln, ob der Verlust des 4. Fingers der linken Hand Schädigungsfolge sei, weil der Kläger im Verlaufe des Verfahrens widersprüchliche Angaben zum ursächlichen Geschehensablauf gemacht habe.
In der mündlichen Verhandlung des Senats hat der Beklagte erklärt, dass in seinem Schriftsatz vom 17. Mai 2005, mit dem er auf den Bescheid vom 12. März 2005 hingewiesen hatte, ein prozessuales Teilanerkenntnis zu sehen sei, mit dem er den Grad der MdE/den GdS ab dem 1. März 2004 auf 70 erhöht habe. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. September 2006 abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als damit die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung einer schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 70 für die Zeit ab 1. März 2004 beantragt worden ist.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verweist auf die nach seiner Ansicht überzeugenden Ausführungen der Gutachter Dr. T und Dr. E sowie auf die von ihm bereits im Klageverfahren beigebrachten Atteste seiner behandelnden Ärzte. Der Kläger hat ferner u. a. Stellungnahmen des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin/Innere Medizin (Diabetologie) F vom 07. März 2007, 20. August 2007 und vom 21. November 2007, des Arztes für Innere Medizin - Hämatologie Dr. S vom 14. November 2007, einen Entlassungsbericht des S-Krankenhauses über eine Behandlung in der Zeit vom 8. bis 15. August 2007, einen Bericht der Erste Hilfe-Stelle dieses Krankenhauses vom 5. Juli 2007 und ein Gutachten der Versorgungsärztin Dr. M vom 3. Juli 2008 beigebracht. Dem Sachverständigen Dr. A könne nicht gefolgt werden; es sei nicht nachvollziehbar, woher dieser die Diagnose einer Demenz nehme. Das Gutachten sei unvollständig, an der Eignung des Sachverständigen beständen Zweifel. Im Übrigen sei es vor der Untersuchung zu einem Kollaps aufgrund eines Drehschwindelanfalles gekommen, aufgrund dessen er als Notfall in der Ersten Hilfe-Stelle der Klinik habe behandelt werden müssen, in der der Sachverständige tätig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten (3 Bände), der Gerichtsakte des Sozialgerichts B - S 41 VH 156/99 –, der Verwaltungsakten des Beklagten (3 Bände) und der Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht – RHE.AR. 52/53.68 –.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.
Gegenstand der Berufung ist das Klagebegehren, soweit dieses noch auf die Feststellung eines Grades der MdE bzw. eines GdS von 80 für den Zeitraum ab 1. März 2004 gerichtet ist. Soweit die Klage ursprünglich auch auf die Feststellung eines Grades der MdE von 80 für den Zeitraum vor dem 1. März 2004 gerichtet war, hat das Sozialgericht die Klage rechtkräftig abgewiesen. Einen Anspruch auf Feststellung weiterer Schädigungsfolgen hat der Kläger mit der Klage nicht geltend gemacht.
Die Klage ist, soweit noch streitgegenständlich, zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid vom 21. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2004 in der Fassung des Bescheides vom 12. Mai 2005 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat für den Zeitraum ab 1. März 2004 weder nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X noch nach § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X einen Anspruch auf Feststellung eines höheren Grades der MdE bzw. eines höheren GdS als 70.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, u. a. mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gemäß § 48 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt.
Hiervon ausgehend ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte für den Zeitraum ab 1. März 2004 – unter Änderung des Bescheides vom 13. Januar 2003 – einen Grad der MdE von 70 festgestellt hat. Weder hat der Beklagte das Recht unrichtig angewandt, noch ist zum 1. März 2004 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Klägers eingetreten.
Rechtsgrundlage des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Versorgungsleistungen ist § 4 Abs. 1 HHG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 BVG. Die Anwendung von § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG ist nach Satz 2 der Vorschrift ausgeschlossen, weil der Kläger wegen des streitgegenständlichen Sachverhalts bereits Versorgung nach dem HHG erhält. Nach § 4 Abs. 1 HHG erhält ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Gemäß § 30 Abs. 1 BVG in der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I S. 21) war die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der Grad der MdE bzw. der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen.
Bei der Beurteilung des Grades der MdE bzw. des GdS sind vorliegend für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. März 2004 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 – AHP 1996 – und nachfolgend – seit Juli 2004 – die „Anhaltpunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 – AHP 2008) zu beachten, die für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 - auf der Grundlage des § 30 Abs. 17 BVG hinsichtlich der ärztlichen Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht - durch die Anlage zu § 2 VersMedV in ihrer jeweils geltenden Fassung abgelöst worden sind. Die auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft fußenden AHP haben normähnlichen Charakter und sind nach ständiger Rechtsprechung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen, um eine möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten ( BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 – B 9 VG 1/02 R – BSGE 91, 107), weshalb sich der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab 1. Januar 2009 ist für die Verwaltung und die Gerichte die Anlage zu § 2 VersMedV maßgeblich.
Wie sich aus § 30 Abs. 1 BVG alter und neuer Fassung ergibt, sind bei der Beurteilung des Grades der MdE bzw. des GdS die von dem Versorgungsträger als Schädigungsfolgen bestandskräftig anerkannten Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen; an diese rechtlich selbständigen Feststellungen (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 VS 2/98 R – zitiert nach juris) ist der Beklagte ebenso gebunden wie der Senat; auf deren Rechtmäßigkeit kommt es insoweit nicht an (vgl. dazu u. a. BSG, Urteil vom 29. August 1990 – 9a/9 RV 32/88 – und Urteil vom 15. Dezember 1999 – B V 26/98 R –, jeweils zitiert nach juris). Somit ist der Grad der MdE bzw. der GdS des Klägers für den Zeitraum ab 1. März 2004 anhand folgender von dem Beklagten zuletzt mit Bescheid vom 12. Mai 2005 bestandskräftig festgestellten Schädigungsfolgen zu beurteilen:
- Chronische posttraumatische Belastungsstörung, Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung mit negativen Auswirkungen auf den Zuckerstoffwechsel,
- Depressives Syndrom,
- Verlust des 4. Fingers links.
Die vorgenannten von dem Beklagten anerkannten Schädigungsfolgen sind unter Beachtung der maßgeblichen AHP bzw. der Anlage zu § 2 VersMedV mit keinem höheren Grad der MdE bzw. GdS als 70 v. H. zu bewerten. Dies ergibt sich aus der Gesamtheit der vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere auch unter Würdigung der Gutachten des Arztes für Innere Medizin Dr. T vom 31. Januar 2006 und des Arztes für Innere Medizin Dr. E vom 20. April 2009.
Zunächst ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte – isoliert betrachtet – die Gesundheitsstörungen „chronische posttraumatische Belastungsstörung, Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung“ als Hauptversorgungsleiden mit keinem höheren Grad der MdE bzw. GdS als 50 bewertet hat. Diese Beurteilung entspricht nach den AHP 1996, 2004, 2005 und 2008, Nr. 26.3 (S.60 bzw. 48) bzw. der Anlage zu § 2 VersMedV, Teil B Nr. 3.7 (S. 27) dem schädigungsbedingten Vorliegen einer schweren psychovegetativen oder psychischen Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die mit einem Grad der MdE bzw. einem GdS von 50 bis 70 zu bemessen ist. Insoweit kann offen bleiben, ob bei dem Kläger tatsächlich die oben genannten von dem Beklagten anerkannten Versorgungsleiden bestehen, wie der Sachverständige Dr. Anunmehr in seiner psychiatrischen Stellungnahme vom 14. Dezember 2009 in Zweifel gezogen hat, oder ob diese unter Berücksichtigung eines höher zu gewichtenden Vorschadens niedriger zu bewerten sind. Denn jedenfalls sind diese Leiden auch unter Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. T in seinem Gutachten vom 31. Januar 2006 und des Sachverständigen Dr. E in seinem Gutachten vom 20. April 2009 mit keinem höheren Grad der MdE bzw. GdS als 50 zu bewerten. Dabei hat der Beklagte insbesondere zu Recht berücksichtigt, dass die psychischen Leiden des Klägers zu einem erheblichen Teil schädigungsunabhängig bestehen, wie dies bereits die Ärztin Dr. D in ihrem Gutachten vom 21. April 1999 schlüssig und nachvollziehbar dargelegt und der Sachverständige Dr. Ain seinem Gutachten vom 9. August 2007 bekräftigt hat. Soweit die genannten Sachverständigen in ihren Gutachten nicht gewürdigt haben, dass der Kläger nach dem Inhalt des Schreibens des B vom 30. Oktober 1961 und der weiteren von dem Beklagten mit Schreiben vom 19. Februar 2007 in Bezug genommen Unterlagen vor seiner Übersiedlung in die DDR durch eine Vielzahl von Delikten auffällig geworden war und deshalb auch zweimal längere Haftstrafen verbüßt hat, steht dies der Verwertbarkeit der Gutachten nicht entgegen. Denn hieraus könnte allenfalls zu folgern sein, dass die psychischen Leiden des Klägers, die der Beklagte als Schädigungsfolgen anerkannt hat, nicht oder in erheblich geringerem Ausmaß auf die in der DDR verbüßten Haftzeiten zurückzuführen sind. Hingegen ergeben sich insoweit keine Gesichtpunkte, die vorliegend zu einer Höherbewertung des von dem Beklagten anerkannten Versorgungsleidens führen könnten.
Soweit der Beklagte die von ihm anerkannten Schädigungsfolgen der posttraumatischen Belastungsstörung und der Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung unter weiterer Anerkennung ihrer negativen Auswirkungen auf den Zuckerstoffwechsel des Klägers insgesamt mit einem Grad der MdE auf 60 bewertet, ist dies rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Die dieser Bewertung zugrunde liegende Einschätzung des Arztes Dr. D vom 18. März 2005, die von den anerkannten Versorgungsleiden mitumfassten psychischen Erregungszustände seien zumindest anteilig an der erschwerten Führbarkeit des Diabetes mellitus „im Sinne einer abgrenzbaren Verschlimmerung einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung“ beteiligt, stimmt im Wesentlichen mit der Beurteilung des Sachverständigen Dr. T überein. Soweit dieser Sachverständige den Einfluss der posttraumatischen Belastungsstörung und des depressiven Syndroms auf den Diabetes als eigenständige Schädigungsfolge mit einem Einzelgrad der MdE von 20 bewertet, ergibt sich in der Gesamtwürdigung dieses Leidenskomplexes keine andere Beurteilung, da dieser Wert nach Maßgabe der AHP 1996, 2004, 2005 und 2008, Nr. 19 Abs. 1 (S. 33 bzw. 24) und der Anlage zu § 2 VersMedV, Teil A Nr. 3. a) (S. 10) nicht hinzuaddiert werden darf.
Die von dem Beklagten vorgenommene Bewertung der anerkannten Schädigungsfolge „Depressives Syndrom“ mit einem Grad der MdE von 20 beruht maßgeblich auf der Einschätzung der Ärztin Dr. D in ihrem Gutachten vom 21. April 1999 und ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch insoweit kann offen bleiben, ob der Beklagte diese Schädigungsfolge zu Recht anerkannt hat; jedenfalls kann nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T in seinem Gutachten vom 31. Januar 2006 und des SachverständigenDr. E in seinem Gutachten vom 20. April 2009 weiterhin von keiner schwerwiegenderen haftbedingten Verschlimmerung des bereits zuvor bestehenden depressiven Syndroms ausgegangen werden.
Die von dem Beklagten vorgenommene Bewertung der anerkannten Schädigungsfolge „Verlust des 4. Fingers links“ mit einem Einzel-MdE von 10 entspricht den AHP 1996, 2004, 2005 und 2008, Nr. 26.18 (S. 146 bzw. 121) bzw. der Anlage zu § 2 VersMedV, Teil B Nr. 18.13 (S. 95) und ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Soweit daneben die Anerkennung weiterer Versorgungsleiden im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung in Betracht kommen könnte, ist darüber vorliegend nicht zu befinden, weil sich das Begehren des Klägers hierauf nicht erstreckt.
Danach ist der von dem Beklagten festgestellte Gesamtgrad der MdE bzw. GdS von 70 für den Zeitraum ab 1. März 2004 rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der MdE bzw. des Gesamt-GdS sind nach Maßgabe der AHP 1996, 2004, 2005 und 2008, Nr. 19 Abs. 1 (S. 33 ff. bzw. 24 ff.) und der Anlage zu § 2 VersMedV, Teil A Nr. 3. a) (S. 10) bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu beurteilen, wobei sich die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Es ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der MdE bzw. Einzel-GdS bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Grad der MdE bzw. einen GdS von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem Grad der MdE bzw. GdS von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Hiervon ausgehend begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass der Beklagte die Auswirkungen des mit einem Einzelgrad der MdE bzw. Einzel-GdS von 60 bewerteten Versorgungsleidens „Chronische posttraumatische Belastungsstörung, Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung mit negativen Auswirkungen auf den Zuckerstoffwechsel“ und des mit einem Einzelgrad der MdE bzw. Einzel-GdS von 20 bewerteten Versorgungsleidens „Depressives Syndrom“ sowie des mit einem Einzelgrad der MdE bzw. Einzel-GdS von 10 bewerteten Versorgungsleidens „Verlust des 4. Fingers links“ insgesamt mit einem Gesamtgrad der MdE bzw. einen Gesamt-GdS von 70 beurteilt hat. Die Anhebung des Grades der MdE bzw. GdS um 10 Punkte trägt den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander angemessen Rechnung. Dabei wirkt sich das zuletzt genannte anerkannte Versorgungsleiden aufgrund seiner geringen Auswirkungen nicht erhöhend aus, zumal es in keiner Beziehung zu den anderen Versorgungsleiden steht und ganz andere Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betrifft.
Soweit die Sachverständigen Dr. T in seinem Gutachten vom 31. Januar 2006 und Dr. E in seinem Gutachten vom 20. April 2009 den Grad der MdE bzw. den GdS mit 80 beurteilen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn wie bereits ausgeführt, stimmen die Sachverständigen hinsichtlich der Einzelbewertung der anerkannten Versorgungsleiden im Wesentlichen mit dem Beklagten überein. So hat der Sachverständige Dr. Te die Schädigungsfolgen „chronische posttraumatische Belastungsstörung, Teilsymptomatik einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung“, „Depressives Syndrom“ und „Verlust des 4. Fingers links“ in Übereinstimmung mit dem Beklagten mit einem Grad der MdE bzw. GdS von insgesamt 60 bewertet. Soweit er unter Mitberücksichtigung des Einflusses der posttraumatischen Belastungsstörung und des depressiven Syndroms auf den Diabetes, den er als eigenständige Schädigungsfolge mit einem Grad der MdE bzw. GdS von 20 beurteilt hat, einen Grad der MdE bzw. GdS 80 bildet, nimmt er für sich einen Beurteilungsspielraum in Anspruch, den die AHP bzw. die Anlage zu § 2 VersMedV so nicht vorsehen und im Ergebnis zu einer unzulässigen Addition von einzelnen Werten führt. Entsprechendes gilt für den Sachverständigen Dr. E, der hinsichtlich der Einzelbewertung der Versorgungsleiden vollständig mit dem Beklagten übereinstimmt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren berücksichtigt, dass der Kläger aufgrund der durch Bescheid vom 12. Mai 2005 erfolgten rückwirkenden Anerkennung für die Zeit ab März 2004 mit seiner Klage teilweise Erfolg gehabt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.