Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 03.04.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 M 28.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 WoGG, § 27 Abs 2 WoGG, § 28 Abs 3 S 1 WoGG, § 28 Abs 4 WoGG, § 45 SGB 10, § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 10, § 50 Abs 2 S 1 SGB 10, § 50 Abs 2 S 2 SGB 10 |
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. März 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
I.
Mit der Klage wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid des Bezirksamts Lichtenberg von Berlin vom 19. Juli 2012 in der Gestalt des (Teil-) Abhilfebescheides vom 25. Oktober 2012, mit dem von ihr zuvor mit Bescheid vom 18. August 2011 bewilligtes Wohngeld in Höhe von noch 130 Euro zurückgefordert wurde, auf das sie bereits 26 Euro gezahlt hat. Zur Begründung des Rückforderungsbescheides heißt es, die Klägerin habe im fraglichen Zeitraum Transferleistungen nach dem SGB II erhalten und sei deshalb gemäß § 7 WoGG im fraglichen Zeitraum vom Wohngeldbezug ausgeschlossen gewesen. Das Verwaltungsgericht hat hinreichende Erfolgsaussichten der Klage mit der Begründung verneint, die Rückforderung sei rechtmäßig.
II.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung - ZPO - biete, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
1. Das Verwaltungsgericht ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass der Bewilligungsbescheid vom 18. August 2011 gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG unwirksam geworden ist. Nach dieser Vorschrift wird der Bewilligungsbescheid von dem Zeitpunkt an unwirksam, ab dem ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied nach § 7 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WoGG sind Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II nach dem SGB II ausgeschlossen. Hier waren der Klägerin im noch streitigen Rückforderungszeitraum solche Leistungen gewährt worden.
2. Das überzahlte Wohngeld durfte auch von der Klägerin nach § 50 Abs. 2 SGB X zurückgefordert werden.
a) Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind Leistungen zu erstatten, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Bewilligungsbescheid ist infolge der Regelung in § 28 Abs. 3 Satz 1 WoGG kraft Gesetzes unwirksam. Seine Aufhebung war nicht erforderlich. Vielmehr war die Klägerin als Wohngeldempfängerin gemäß § 28 Abs. 5 WoGG von der Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides lediglich zu unterrichten.
b) § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X, wonach für die Erstattungsforderung die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend gelten, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dabei kann im vorliegenden Fall im Ergebnis dahinstehen, wie diese Verweisung zu interpretieren ist.
aa) Das Verwaltungsgericht deutet sie offenbar dahingehend, dass zwar der von den §§ 45 und 48 SGB X gewährte Vertrauensschutz im Rahmen der Erstattungsforderung zu berücksichtigen ist, nicht aber das nach diesen Vorschriften (grundsätzlich) eröffnete Ermessen. Es bezieht sich insoweit auf Urteile des VG Berlin vom 23. November 2006 - VG 21 A 391.05 - (Rn. 18 bei juris) sowie des VGH Mannheim vom 14. Mai 1990 - 6 S 1132/88 - (Rn. 19 bei juris). Zur Begründung heißt es in diesen Entscheidungen im Kern, es könne nicht angehen, den klaren Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage des § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X dadurch zu unterlaufen, dass durch entsprechende Anwendung der §§ 45 und 48 SGB X doch noch eine Pflicht der Behörde zur Ermessensausübung konstruiert werde. Wenn § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X auf §§ 45 und 48 verweise, dann diene dies allein dazu, den Betroffenen ebenso wie bei der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte und bei der Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung in etwaigem Vertrauen zu schützen und ihn unter bestimmten Voraussetzungen von rückwirkender Belastung zu verschonen. Lägen derartige Vertrauenstatbestände nicht vor, müsse die Behörde den überzahlten Betrag zurückfordern.
Die Schwäche dieser Auffassung wurzelt in dem Umstand, dass die Eindeutigkeit des Wortlauts des § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X angeführt wird, um den nicht weniger eindeutigen Wortlaut des § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X einschränkend auszulegen, ohne hierfür jedoch stichhaltige Argumente zu nennen. Ob ihr zu folgen ist, bedarf vorliegend indessen keiner Entscheidung. Denn auch bei einer uneingeschränkten entsprechenden Anwendung der §§ 45 und 48 SGB X verlangt die Behörde zu Recht die Erstattung des überzahlten Wohngeldes von der Klägerin.
bb) Bei uneingeschränkter entsprechender Anwendung der §§ 45 und 48 SGB X ist für die Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 2 SGB X Ermessen nur dann auszuüben, wenn es auch nach den in §§ 45 und 48 SGB X getroffenen Bestimmungen auszuüben wäre. In diesem Sinne dürfte auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 2001 - 5 C 10.00 - (NJW 2002, S. 1892, Rn. 10 bei juris) zu verstehen sein. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Behörde vorliegend zu Recht kein Ermessen ausgeübt, weil auch nach den §§ 45 und 48 SGB X kein Ermessen auszuüben wäre.
Ein Wohngeldbewilligungsbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Satz 2 soll er mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, letztlich also rückwirkend, aufgehoben werden, soweit einer der in den Nummer 1 bis Nummer 4 genannten Tatbestände erfüllt ist. Durch die Verwendung des Wortes „soll“ macht der Gesetzgeber deutlich, dass er bei Anwendung der Vorschrift durch die Behörde von sog. intendiertem Ermessen ausgeht. Das bedeutet, die Behörde ist im Grundsatz zur Aufhebung verpflichtet, ohne dass ihr Ermessen zusteht; die Aufhebung des Bescheides ist „intendiert“. Erst das Vorliegen atypischer Umstände rechtfertigt es, von dieser Intention abzuweichen mit der Folge, dass ihr Ermessen zusteht, das sie pflichtgemäß auszuüben hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2001, a.a.O). Übertragen auf den vorliegenden Fall einer Erstattungsforderung bedeutet das Ermessen hinsichtlich der Frage, ob Erstattung verlangt werden kann, ist nur dann auszuüben, wenn keiner der Tatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erfüllt ist oder atypische Umstände vorliegen, die ein Abweichen vom Regelfall rechtfertigen. Demnach war im vorliegenden Fall der Behörde kein Ermessen eröffnet, denn einer der Tatbestände des §§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist vorliegend erfüllt. In diesem Sinne atypische Umstände sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
Anders als das Verwaltungsgericht meint, dürfte hier allerdings nicht der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X eingreifen, der Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Betroffenen vom Wegfall des gesetzlichen Anspruchs voraussetzt. Denn die Kenntnis der Klägerin von der Regelung des § 28 Abs. 3 WoGG kann nicht unterstellt werden; entsprechende Unkenntnis dürfte ihr auch nicht als grob fahrlässig vorzuwerfen sein. Hier greift allerdings der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Danach soll die rückwirkende Aufhebung eines Dauerverwaltungsaktes erfolgen, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 WoGG muss die wohngeldberechtigte Person der Wohngeldbehörde u.a. unverzüglich mitteilen, wenn sie eine Leistung nach § 7 Abs. 1 WoGG empfängt. Über diese Verpflichtung ist die Klägerin in dem Bewilligungsbescheid vom 18. August 2011 ausdrücklich belehrt worden. Diese Mitteilungspflicht hat sie verletzt. Dabei handelte sie mindestens grob fahrlässig, da nicht ersichtlich oder geltend gemacht war, dass es ihr unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, die in dem Bescheid enthaltene Belehrung zur Kenntnis zu nehmen oder sich entsprechend zu verhalten.
cc) Keiner Erörterung bedarf vorliegend die Frage, ob § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X hinsichtlich der Verweisung auf § 48 SGB X im Hinblick auf die Regelung in § 27 Abs. 2 WoGG, der jener als speziellere Regelung vorgeht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Juli 2012 - 4 LA 316/10 -, Rn. 3 bei juris), einschränkender Auslegung bedarf. § 27 Abs. 2 WoGG eröffnet der Behörde kein Ermessen, so dass auch insoweit der Erstattungsforderung nichts entgegensteht.
3. Das Vorbringen der Klägerin im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Soweit sie die Erkrankungen ihrer Wirbelsäule und damit in Zusammenhang stehende Umstände schildert, führt dies nicht weiter, weil damit keiner der entscheidungserheblichen Umstände in Frage gestellt wird. Mit ihrem weiteren Vorbringen bringt sie lediglich ihre Unzufriedenheit mit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zum Ausdruck, ohne Aspekte anzuführen, die geeignet wären, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Zweifel zu ziehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).