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Pflegestufe


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat Entscheidungsdatum 08.03.2012
Aktenzeichen L 27 P 7/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 14 SGB 11, § 15 SGB 11

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung.

Die 1983 geborene und bis zum 31. Mai 2010 bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin erlitt im August 2008 einen Hirninfarkt rechts und leidet seitdem unter einer armbetonten schlaffen Parese.

Am 28. Oktober 2008 beantragte die Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung bei der Beklagten. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Die Gutachterin B verneinte in ihrem Gutachten vom 09. März 2009 das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit: Der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege umfasse 31 Minuten; der Zeitbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung betrage täglich 60 Minuten. Dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege legte die Sachverständige dabei folgende Werte zugrunde: Körperpflege 21 Minuten täglich (für die Teilübernahme der Ganzkörperwäsche einmal täglich mit einem Zeitaufwand von 10 Minuten pro Tag sowie die Teilübernahme des Duschens einmal täglich mit einem Zeitaufwand von 11 Minuten pro Tag), Ernährung 2 Minuten täglich (für die Teilübernahme der mundgerechten Zubereitung einmal täglich mit einem Zeitaufwand von 2 Minuten) und Mobilität 8 Minuten täglich (für die Teilübernahme des Ankleidens einmal täglich mit einem Zeitaufwand von 5 Minuten, die Teilübernahme Entkleiden gesamt einmal täglich mit einem Zeitaufwand von 2 Minuten und die Teilübernahme von Stehen/Transfer zweimal täglich mit einem Zeitaufwand von 1 Minute). Mit Bescheid vom 18. März 2009 lehnte die Beklagte, gestützt auf die Feststellungen des MDK, den Antrag auf Gewährung von Pflegegeld ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 30. März 2009 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2009 zurück.

Mit der am 08. Juli 2009 zu dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat das Gutachten der Ärztin W vom 03. März 2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 04. Mai 2010 eingeholt. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass Pflegebedürftigkeit nicht vorliege. Im Bereich der Grundpflege setzte sie einen täglichen Hilfebedarf von 38 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen Hilfebedarf von täglich 85 Minuten an. Dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege legte die Sachverständige W dabei folgende Werte zugrunde: Körperpflege 11 Minuten täglich (für die Vor- und Nachbereitung der Pflegeutensilien, die Teilhilfen beim Duschen für den rechtsseitigen Oberkörper, rechten Arm und Rücken, die Übernahme der Haarwäsche beim täglichen Duschen und den Wannentransfer), Ernährung 4 Minuten täglich (für die mundgerechte Zubereitung einer Hauptmahlzeit als Teilübernahme und einer Zwischenmahlzeit Vollübernahme) und Mobilität 23 Minuten täglich (für das Ankleiden einmal täglich mit 4 Minuten, das Auskleiden einmal täglich mit 1 Minute sowie das Verlassen/Aufsuchen der Wohnung zweimal wöchentlich mit 63 Minuten, also einmal täglich 18 Minuten). Im Bereich der Körperpflege sei lediglich noch ein Teilhilfebedarf beim Duschen gegeben, kleinere Waschungen würden am Waschbecken selbständig erfolgen. Auch beim Ankleiden bestehe aufgrund der zugenommenen Selbstpflegeressourcen nur noch ein Teilhilfebedarf von 4 Minuten täglich; ebenso habe sich der Hilfebedarf beim Entkleiden reduziert. Es falle nunmehr ein Hilfebedarf beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung zur Durchführung der zweimal wöchentlich stattfindenden Therapien an, die 2009 noch im Rahmen von Hausbesuchen erfolgt seien. Eine erschwerte Pflege sei trotz des leichten Übergewichts bei der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Alters sowie ihres Allgemein- und Kräftezustandes nicht gegeben, so dass auch ein hierfür erhöhter Pflegeaufwand nicht gerechtfertigt sei.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Dezember 2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Zuordnung in die Pflegestufe I nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen, die Feststellungen der MDK-Gutachterin B im Ergebnis bestätigt habe, nicht erfülle. Soweit die Klägerin gegen das Gutachten noch einwende, dass dieses unzutreffend Hilfen Dritter berücksichtige und den Hilfebedarf so zu Unrecht verkürze, sei dies insbesondere nach der ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen nicht ersichtlich. Die Sachverständige habe vielmehr den vorhandenen Hilfebedarf ausgeführt; völlig unerheblich sei, wer diesen Hilfebedarf konkret leiste.

Gegen den am 04. Januar 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 03. Februar 2011 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Im Bereich der Körperpflege sei im ersten Gutachten vom 09. März 2009 richtigerweise ein Hilfebedarf in Form einer Teilübernahme bei der Ganzkörperpflege und beim Duschen mit insgesamt 21 Minuten festgestellt worden. Im Bereich der Ernährung sei durch die Gutachten nicht berücksichtigt worden, dass die Klägerin drei Mahlzeiten zu sich nehme, weswegen ein Hilfebedarf von 8 Minuten täglich zutreffend sei. Schließlich bestehe im Bereich der Mobilität der Hilfebedarf beim An- und Entkleiden zweimal täglich, da die Klägerin einen Mittagsschlaf halte, so dass ein Hilfebedarf von täglich 9 Minuten anfalle. Hinzu komme der Hilfebedarf von 18 Minuten täglich beim Verlassen und Aufsuchen der Wohnung. Letztlich sei unzutreffend nicht berücksichtigt worden, dass der Hilfebedarf aufgrund des Übergewichts der Klägerin erschwert und entsprechend zu erhöhen sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung des Gutachtens der Sachverständigen Dr. B vom 14. Oktober 2011, die im Bereich der Grundpflege einen täglichen Hilfebedarf von aktuell noch 10 Minuten (im Bereich der Körperpflege 4 Minuten täglich wegen der zweimal wöchentlich erforderlichen Teilhilfen beim Duschen sowie 6 Minuten täglich im Bereich der Ernährung durch Teilhilfen bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung) ermittelte und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen Hilfebedarf von täglich 60 Minuten. Die Klägerin habe durch intensive therapeutische Bemühungen seit dem 2008 erlittenen Schlaganfall zunehmende Selbständigkeit im Bereich der Grundpflege erreichen können. Darüber hinaus aus sei auch für die Vergangenheit kein pflegerelevanter Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege erkennbar; vielmehr seien die insoweit vorliegenden Gutachten vom 20. Februar 2009 und 03. März 2010 nachvollziehbar.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 21. Februar 2012 vorgetragen, dass die Klägerin seit dem 01. Juni 2010 nicht mehr bei ihr versichert sei. Die Klägerin hat darauf hin im Termin zur mündlichen Verhandlung ihr Begehren auf den Zeitraum vom 28. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2010 beschränkt und geltend gemacht, dass für diesen Zeitraum die Sachverständigen in den eingeholten Gutachten den Hilfebedarf nicht zutreffend eingeschätzt hätten und diese auch der späteren Betrachtung nicht zugrunde gelegt werden dürften.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Dezember 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 18. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 28. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2010 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist, soweit sie nicht durch die teilweise Berufungsbeschränkung der Klägerin erledigt ist, gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der die Leistungen der Pflegeversicherung ablehnende Bescheid der Beklagten vom 18. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf das begehrte Pflegegeld nach der Pflegestufe I für den Zeitraum vom 28. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2010, der nach der entsprechenden Beschränkung der Berufung im Termin am 8. März 2012 durch die Klägerin allein noch streitgegenständlich ist.

Nach § 37 SGB XI setzt der Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfe nach der Pflegestufe I u. a. voraus, dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichen oder höheren Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als außergewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung, das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und das Zubettgehen, das An- und Auskleiden, das Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassung und wieder Aufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, das Einkaufen, Kochen, das Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, hat hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten zu betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Grundpflegebedarf der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum vom 28. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2010 wöchentlich im Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten betrug. Dies ergibt sich zunächst aus den vorliegenden Gutachten der Ärztin und der Gutachterin B Das Sozialgericht ist insoweit mit Recht und zutreffender Begründung den überzeugenden Feststellungen der sachverständigen Ärztin gefolgt, welche zudem im Ergebnis die Feststellungen der Gutachterin B im Verwaltungsverfahren bestätigt hat. Auf die insoweit zutreffende Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides vom 10. Dezember 2010 wird nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren. Insbesondere vermag der Senat den Ausführungen der Klägerin nicht zu folgen, soweit diese bemüht ist, aus den jeweiligen Sachverständigengutachten den jeweils höchsten Pflegezeitbedarf in den einzelnen Pflegebereichen zu entnehmen und als den bei ihr dauerhaft im gesamten streitigen Zeitraum bestehenden Hilfebedarf zu unterstellen. Vielmehr ergibt sich aus den drei vorliegenden Sachverständigengutachten jeweils ein aufgrund des veränderten Gesundheitszustandes der Klägerin und der veränderten Pflege- bzw. Therapiebedingungen abweichender Hilfebedarf in einzelnen Bereichen, den die Sachverständigen jeweils zutreffend dargestellt haben. So bestand im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens durch die Sachverständige B aufgrund der damals noch stattfindenden Hausbesuche der Therapeuten kein erhöhter Zeitaufwand im Bereich der Mobilität. Demgegenüber haben sich bis zum Gutachten der Sachverständigen W zwar die Therapiebedingungen verändert. Die Sachverständige W hat darüber hinaus aber auch eine teilweise Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin mit daraus resultierenden geringeren Pflegezeiten im Bereich der Körperpflege und Ernährung festgestellt. Diese Verbesserung hat auch die Sachverständige Dr. B bestätigt. Insofern sind die jeweiligen Einschätzungen der drei Sachverständigen nicht zu beanstanden, sondern nachvollziehbar und ausführlich begründet. Der Senat folgt deswegen der Einschätzung der Sachverständigen Dr. B, dass auch für die Vergangenheit kein pflegerelevanter Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege erkennbar sei und die insoweit vorliegenden Gutachten vom 20. Februar 2009 und 03. März 2010 nachvollziehbar seien. Die Ausführungen der Sachverständigen Dr. B sind auch im Hinblick auf den in der Vergangenheit bestehenden Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege ebenso wie die Ausführungen der Vorgutachter schlüssig und nachvollziehbar. Zur Überzeugung des Senats (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) lässt sich danach ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von mehr als 45 Minuten für den noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 28. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2010 nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.