Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 19.06.2019 | |
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Aktenzeichen | OVG 12 N 222.18 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2019:0619.OVG12N222.18.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 850c ZPO, § 124 Abs 2 VwGO, § 68 AufenthG, § 36 Abs 2 AufenthG, § 28 Abs 4 AufenthG, § 850k ZPO, § 124a Abs 4 VwGO |
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. September 2018 wird unter Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten der Klägerin abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die damit geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen auf der Grundlage der Darlegungen der Klägerin (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) nicht vor. Zu den übrigen mit dem Antrag benannten Zulassungsgründen nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 5 VwGO enthält die Begründung des Zulassungsantrags keine Darlegungen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10. September 2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642, juris Rn. 11 und vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163, juris Rn. 15), soweit das Urteil nicht im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542, juris Rn. 9).
a) Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht, soweit es lediglich ausführt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Verfügbarkeit familiärer Beistandsleistungen in Indien angenommen und die Lebensunterhaltssicherung der Klägerin im Bundesgebiet verneint.
aa) Das stellt zunächst den rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts nicht in Frage, der Klägerin könne als sonstiger Familienangehöriger eines Deutschen gemäß § 28 Abs. 4 AufenthG auf der Grundlage von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist und eine solche außergewöhnliche Härte nur dann gegeben ist, wenn der schutzbedürftige Familienangehörige kein eigenständiges Leben mehr führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist, und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 10 C 10.12 – BVerwGE 146,198, juris Rn. 12, 37 ff.). Ebenso wenig wird damit in Zweifel gezogen, dass insoweit die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) anzuwenden ist und nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfordert, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel – mit Ausnahme der in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten öffentlichen Mittel – bestreiten kann, wofür es einer positiven Prognose bedarf, dass der Lebensunterhalt auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist (vgl. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 13). Mit dem Zulassungsvorbringen wird auch nicht in Zweifel gezogen, dass das Verwaltungsgericht einen atypischen Fall, in dem von der Lebensunterhaltssicherung abgesehen werden kann, verneint hat (Urteilsabdruck S. 15 f.).
bb) Was das Fehlen einer außergewöhnlichen Härte angeht, kann dahinstehen, ob die Erläuterungen dazu, weshalb die Tochter der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes gehindert sein soll, bisher erbrachte Beistandsleistungen auch weiterhin zu erbringen, hinreichend und schlüssig sind. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass als Motivation des Verbots der Schwiegereltern der Tochter, sich um ihre Mutter zu kümmern, bisher finanzielle Gründe angeführt wurden, hinsichtlich derer unklar sei, inwieweit der in Deutschland lebende Sohn, zu dem die Klägerin den Zuzug begehrt, seine finanzielle Hilfe angeboten habe. Auf solche Gründe beruft sich die Klägerin nach dem mit der Zulassungsbegründung eingereichten Affidavit vom 26. Oktober 2018 nicht mehr; dafür wird eine Aufnahme der Klägerin im Haus der Schwiegereltern mit der Begründung verweigert, eine Tochter könne nach den indischen Gebräuchen nach der Hochzeit keine Verantwortung für ihre Eltern übernehmen. In Anbetracht dessen, dass die Tochter mit einer Entlastung von jeglicher Verantwortung für ihre Mutter ein beachtliches Motiv dafür hat, das Visumbegehren ihrer Mutter zu unterstützen, erscheinen diese wechselnden und verfahrensangepasst wirkenden Begründungen nicht geeignet, sich eine Überzeugung davon bilden zu können, dass in Indien tatsächlich – sollten sie wirklich benötigt werden – keine familiären Beistandsleistungen für die Klägerin erbracht werden können. Die zuletzt gegebene Begründung überzeugt jedenfalls schon deshalb nicht, weil die Tochter sich in der Vergangenheit – bis zum Tode ihres Ehemannes – bereits um ihre Mutter gekümmert hat und damit den landestypischen Sitten, auf die sich die Klägerin nunmehr beruft, nicht gefolgt war. Insoweit bedürfte es näherer objektiver Feststellungen dazu, inwieweit die Tochter der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes an der Pflege ihrer Mutter – soweit diese solcher nach dem eingangs geschilderten Maßstab bedarf – tatsächlich gehindert ist.
cc) Darauf kommt es letztlich aber nicht an, weil die Entscheidung selbstständig tragend auf das Fehlen der Lebensunterhaltssicherung gestützt ist und der Zulassungsgrund insoweit erfordert, beide tragenden Begründungen in Frage zu stellen. Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Die Feststellungen zur mangelnden Lebensunterhaltssicherung werden mit den Darlegungen nicht schlüssig derart angegriffen, dass die Richtigkeit der Prognose des erstinstanzlichen Gerichts zur Lebensunterhaltssicherung ernstlichen Zweifeln unterliegt.
Der Zulassungsantrag führt für die Unrichtigkeit der Berechnung des Verwaltungsgerichts nur an, bei der Berechnung des pfändbaren Betrages des Einkommens des Sohnes habe das für seine zwei Kinder bezogene Kindergeld als Familieneinkommen berücksichtigt werden müssen, die Verpflichtungserklärungen des Sohnes und (neu) auch dessen Ehefrau seien vom Beigeladenen akzeptiert worden und das Grundvermögen der Klägerin sei hinsichtlich eines Grundstücks fehlerhaft mit 32.000 Rupien statt richtig mit 3.200.000 Rupien angegeben worden. Die freie Veräußerbarkeit der Grundstücke ergebe sich aus den vorliegenden Wertgutachten. Das Vermögen der Klägerin reiche einschließlich des aktuell vorhandenen Bankguthabens hiernach auf der Grundlage der Berechnungen des erstinstanzlichen Gerichts zur Deckung des Lebensunterhalts für siebeneinhalb Jahre. Diese Ausführungen ergeben keine schlüssige Gegenargumentation, was die Subsumtion der Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG durch das erstinstanzliche Gericht angeht.
(1) Hinsichtlich des bezogenen Kindergeldes lässt die Argumentation der Klägerin offen, aufgrund welcher Rechtsvorschrift die Beträge dem Einkommen des Sohnes hinzurechnen sein sollten. Mit der bereits vom Verwaltungsgericht zu Recht angeführten Vorschrift des § 54 Abs. 5 Satz 1 SGB I, nach der der Anspruch des Leistungsberechtigten nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche gepfändet werden kann, setzt sie sich nicht auseinander. Danach ist für eine Hinzurechnung des Kindergeldes zu dem von dem Sohn der Klägerin erzielten pfändbaren Einkommen gemäß § 850e Nr. 2a Satz 3 ZPO kein Raum (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2012 – OVG 2 B 10.11 – juris Rn. 47). Im Übrigen sind zwar bereits bezogene Kindergeldleistungen grundsätzlich nicht unpfändbar; der Schuldner kann dies aber über die Umwandlung seines Girokontos in ein Pfändungsschutzkonto erreichen (vgl. § 850k Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Insofern ist es in jeder Beziehung sachgerecht, wenn das Verwaltungsgericht für die Bonitätsprüfung im Rahmen der Verpflichtungserklärung das Kindergeld nicht berücksichtigt hat.
(2) Der Hinweis auf die vorliegenden Verpflichtungserklärungen des Sohnes der Klägerin und seiner Frau, die von dem Beigeladenen geprüft, nicht angefochten oder für unwirksam erklärt worden seien, steht einer „spitzen“ Bonitätsprüfung, wie sie das Verwaltungsgericht vorgenommen hat, nicht entgegen. Vielmehr entspricht diese Vorgehensweise den rechtlichen Erfordernissen, denn eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG ist im Rahmen der Prüfung der Lebensunterhaltssicherung bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines nationalen Visums zum dauernden Aufenthalt zu berücksichtigen und unter Beachtung der Vollstreckbarkeit und dafür geltender Einschränkungen (§ 319 AO i.V.m. §§ 850 bis 852 ZPO) auf ihre Belastbarkeit zu prüfen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 29, 33). Eine schlüssige Gegenargumentation im Zulassungsverfahren muss deshalb vorschriftengeleitet einen Fehler oder ein Versäumnis bei der Bonitätsprüfung aufzeigen, der das Ergebnis einer negativen Prognose zur Lebensunterhaltssicherung in Frage stellt. Daran fehlt es. Die Erläuterungen der Klägerin bezüglich der Verpflichtungserklärungen zeigen einen konkreten Berechnungsfehler nicht auf, geschweige denn, dass sie eine spitze Berechnung enthalten, mit der ein Mangel der Berechnung des Verwaltungsgerichts nachgewiesen wird. Der Hinweis auf die von der Schwiegertochter nunmehr abgegebene Verpflichtungserklärung reicht insofern nicht aus, weil das Verwaltungsgericht für seine Urteilsbegründung unterstellt hat, dass eine solche Verpflichtungserklärung bereits vorliegt (Urteilsabdruck S. 13). Soweit es von einem unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegenden Einkommen ausgegangen ist, sind mit dem Zulassungsantrag keine Einwände erhoben worden. Die erst nach Ablauf der Begründungsfrist eingereichten betriebswirtschaftlichen Auswertungen für das gesamte Jahr 2018 sind neues Vorbringen, weil sie nicht an innerhalb der Begründungsfrist dargelegte Gründe anknüpfen und diese vertiefen. Sie können daher nicht berücksichtigt werden, zumal die Klägerin auch insoweit keine Berechnung der pfändbaren Beträge den Ermittlungen des Verwaltungsgerichts gegenüberstellt, die das Entscheidungsergebnis zu ihren Gunsten beeinflussen würde. Nach überschlägiger Berechnung des Senats ist das auch nicht der Fall. Bei einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von 4.536,32 Euro, einem fiktiven Abzug von Lohnsteuer in Höhe von 1.086,16 Euro und dem Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von 433,75 Euro würde sich ein bereinigtes monatliches Einkommen von 3.016,41 Euro ergeben, von dem nach der Tabelle zu § 850c ZPO bei drei Unterhaltspflichtigen 292,21 Euro pfändbar wären; auch das würde zur Deckung des im Urteil zugrunde gelegten Fehlbetrages zum Lebensunterhalt der Klägerin von 556,93 Euro nicht ausreichen.
(3) Die Bewertung der einen Immobilie der Klägerin mag dagegen mit nur 32.000 Rupien tatsächlich fehlerhaft in das erstinstanzliche Urteil eingeflossen sein, weil die an die in Indien gebräuchliche Werteinheit „lakh“ (=einhunderttausend) anknüpfende Schreibweise nicht berücksichtigt wurde. Der Senat lässt auch dies dahinstehen. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des Zulassungsvorbringens steht allerdings entgegen, dass es sich um eine landwirtschaftliche Nutzfläche („agricultural land“) handeln soll, die nur ein „acre“ groß ist (40,47 Ar). Eine Bewertung mit 3.200.000 Rupien (rd. 40.000 Euro) würde bedeuten, dass ein Quadratmeter fast 10,00 Euro wert wäre, was für eine landwirtschaftliche Nutzfläche überraschend hoch wäre. Das ist allerdings nicht entscheidend. Zum einen bedeutet die freie Veräußerbarkeit der Grundstücke nicht, dass es der Klägerin ohne weiteres gelingen würde, die Flächen entsprechend den angegebenen Bewertungen zu veräußern. Zum anderen wäre ein Vermögen um die 50.000 Euro unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin chronische Erkrankungen und Pflegebedarf geltend macht, keine Garantie dafür, dass ihr Lebensunterhalt dauerhaft gewährleistet wäre. Müsste die Klägerin im Bundesgebiet in einem Pflegeheim untergebracht werden, weil familiäre Beistandsleistungen in der Familie ihres Sohnes nicht ausreichen oder nicht mehr erbracht werden können, würde ein solches Vermögen bereits in einem bis zwei Jahren aufgebraucht sein. Wäre dagegen gesichert, dass man „nur“ den durchschnittlichen Unterhaltsbedarf zugrunde zu legen braucht, ließe sich eine Argumentation, wonach die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin als Grundlage für die Annahme einer außergewöhnlichen Härte ausreichen, schwerlich aufrechterhalten.
2. Die Berufung kann auch nicht wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassen werden. Das Vorbringen der Klägerin begründet nach den vorstehenden Ausführungen schon nicht den von ihr behaupteten weiteren Aufklärungsbedarf. Fragen, die mit offenem Ausgang in einem Berufungsverfahren zu klären wären, werden damit nicht aufgezeigt.
Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den weiteren Rechtszug scheidet danach mangels Erfolgsaussicht im Zulassungsverfahren aus (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).