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Arbeitsunfall - äußeres Ereignis - Einriss der körperfernen Bizepssehne - geeigneter Unfallhergang


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 22.06.2012
Aktenzeichen L 3 U 259/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 8 SGB 7

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 19. Juni 2006 als Arbeitsunfall.

Der 1962 geborene Kläger war Filialleiter bei der P S Autoservice GmbH. Am 19. Juni 2006 gegen 17 Uhr verspürte er beim Anheben eines seitlich von ihm liegenden Reifens eines Kleintransporters mit einem Gewicht von 25 kg mit dem rechten Arm einen heftigen Schmerz sowie ein Knallen in der rechten Ellenbeuge, so dass er den Reifen wieder ablassen musste und mit der Montage nicht fortfahren konnte. Das Anheben derartiger Lasten gehörte zu seinen täglichen Arbeitsaufgaben. Am nächsten Tag stellte er sich wegen zunehmender Beschwerden erst beim Hausarzt und dann im Städtischen Klinikum B vor, wo eine partielle Ruptur der distalen (i. e. körperfernen) Bizepssehne diagnostiziert und eine Gipsschiene verordnet wurde. Eine Operation erfolgte nicht. Die Röntgenuntersuchung ergab keine knöcherne Schädigung des Ellenbogens. Bei Beugung des rechten Ellenbogengelenks bestanden ein Schmerz in der Ellenbeuge sowie eine Kraftminderung. Die körperferne Bizepssehne war palpatorisch nachweisbar, jedoch druckschmerzhaft. Neurologische Ausfälle bestanden nicht (Durchgangsarztberichte <DAB> des Dr. R sowie des Dr. B, jeweils vom 20. Juni 2006).

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses mit Bescheid vom 11. September 2007 ab, da es sich bei dem Ereignis nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Eine willkürliche Muskelanspannung sei nicht geeignet, einen traumatischen Bizepssehnenriss zu verursachen. Dem trat der Kläger mit seinem Widerspruch vom 18. September 2007 entgegen und vertrat die Auffassung, für ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis i. S. d. § 8 Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) sei eine Unfreiwilligkeit nicht erforderlich. Des Weiteren übermittelte er eine Gesamtleistungsauskunft seiner Krankenkasse vom 30. Mai 2007 und verwies auf einen am 27. Juni 2006 erlittenen Hirninfarkt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08. Juli 2008 zurück. Ergänzend führte sie darin zur Begründung aus, selbst wenn es sich um ein äußeres Ereignis gehandelt habe, fehle es jedenfalls an einem hinreichend wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis und dem Gesundheitsschaden (Teilriss der körperfernen Bizepssehne).

Die hiergegen vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhobene Klage hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 21. Juli 2009 u. a. unter Bezugnahme auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 26. Januar 2009 – L 1 U 361/08 - abgewiesen. Es fehle hier an einem äußeren Ereignis und im Übrigen an einer Kausalität i. S. d. Theorie der wesentlichen Bedingung des Geschehens für den Eintritt des Gesundheitsschadens.

Mit seiner am 31. August 2009 bei dem LSG Berlin-Brandenburg eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein vorinstanzliches Begehren fort. Er weist u. a. darauf hin, dass eine schematische Betrachtungsweise nicht möglich sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Juli 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 2008 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 19. Juni 2006 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zunächst einen Befundbericht des behandelnden Chirurgen/Unfallchirurgen/Orthopäden Dr. J vom 14. Dezember 2009 eingeholt. Anschließend hat der Senat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Dr. P vom 19. Dezember 2010 eingeholt. In dem nach einer Untersuchung des Klägers am 23. September 2010 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu dem Schluss gelangt, Folge des Unfalls sei eine Partialruptur der distalen Bizepssehne gewesen. Der Kläger, der Rechtshänder sei, habe damals nach hinten gegriffen, um das dort liegende Rod zu greifen. Dabei sei es zu einer schmerzhaften Verletzung in der rechten Ellenbeuge begleitet von einem Knallen gekommen. Diese Bewegung sei mit einer Beugung im Ellenbogengelenk und einer gleichzeitigen Supination (Auswärtsdrehung) des Unterarmes verbunden. Beide Bewegungen vollführe der M. bizeps brachii. Bei ausschließlicher Beugung wirke am Sehnenansatz der Bizepssehne am Radius eine Zugkraft von mehr als 150 kg. Die Supination bringe eine zusätzliche Zugbelastung am Sehnenansatz mit sich. Es sei auch nicht richtig, bei einem Riss der distalen Bizepssehne überwiegend von einem degenerativ bedingten Geschehen auszugehen sei. Der Hirninfarkt vom 27. Juni 2006 stehe in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall vom 19. Juni 2006. Auch auf schriftsätzlich unter dem 27. Januar 2011 geäußerte Kritik der Beklagten hin ist der Sachverständige bei seiner Auffassung verblieben (ergänzende Stellungnahme vom 15. Mai 2011). Klarstellend führt er aus, der Hirninfarkt sei nicht als Unfallfolge anzusehen.

Die Beklagte hält ihre Kritik unter Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. S vom 28. Juni 2011 aufrecht.

Der Senat hat daraufhin den Orthopäden Dr. W-R mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In dem am 15. Dezember 2011 nach einer Untersuchung des Klägers am 14. Dezember 2011 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu dem Ergebnis gelangt, zeitnah zu dem Ereignis vom 19. Juni 2006 habe sich eine Teilruptur der kurzen Bizepssehne nachweisen lassen, die jedoch weder ursächlich noch teilursächlich auf den Vorgang des Greifens und Anhebens des Reifens zurückzuführen gewesen sei. Es habe eine stumme Schadensanlage in Form einer Degeneration der Sehne aufgrund innerer Ursache (Lebensalter, Geschlecht, Belastung durch jahrelangen Kraftsport) vorgelegen. Die Biomechanik des Hergangs (physiologische Bewegung ohne zusätzliche, von außen wirkende Kraft) müsse darüber hinaus als nicht geeignet für eine richtunggebende Verschlimmerung angesehen werden. Darüber hinaus sei die Teilruptur folgenlos verheilt.

Durch Beschluss des Senats vom 30. Dezember 2011 ist der Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 11. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 2008, mit dem die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt hat, ist rechtmäßig.

Für einen Arbeitsunfall ist nach den Maßgaben des § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewährung einer Verletztenrente (Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 04. September 2007 - B 2 U 28/06 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 m. w. N.).

Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nrn. 70 und 84). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg; die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwischenglieder. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (Urteil des BSG vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R –, in Juris m. w. N.). Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Versicherungsschutztatbestandes nach §§ 2 ff SGB VII, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfallmerkmale. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, Randnr. 3b zu § 128 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Unstreitig übte der Kläger im Zeitpunkt der Verrichtung „Reifenwechsel bei einem Kleintransporter“ eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigter aus. Während dieser Verrichtung hat sich aber kein Unfall ereignet.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Es fehlt hier bereits am Nachweis eines äußeren Ereignisses.

Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen (vgl. zuletzt Urteil des BSG vom 29. November 2011 – B 2 U 10/11 R -, in Juris). Das BSG (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1987 - 2 RU 35/87 -, in SozR 2200 § 589 Nr. 10) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (vgl. BSG in SozR 2200 § 1252 Nr. 6). Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (vgl. Urteil des BSG von 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R -, a. a. O.). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind. Nicht geschützt sollen Unfälle sein, die auf aus dem Menschen selbst kommenden Ereignissen beruhen (vgl. zuletzt Urteil des BSG vom 29. November 2011 – B 2 U 10/11 R -, a. a. O.). Das ist hier der Fall. Denn das Anheben des Reifens war eine vom Willen des Versicherten getragene und gesteuerte Eigenbewegung. Ein Unfall ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass ein normaler Geschehensablauf plötzlich durch einen ungewollten Vorfall unterbrochen wird (vgl. Urteil des BSG vom 29. November 2011 – B 2 U 10/11 R -, a. a. O.). Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zum Urteil des BSG vom 12. April 2005 (- B 2 U 25/04 R – in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). In dem bezeichneten Verfahren hat das BSG die äußere Einwirkung der von dem schweren und festgefrorenen Stein ausgehenden unsichtbaren Kraft sowie der mit dem beabsichtigten Anheben des Steines einhergehenden Kraftanstrengung aufgrund der mit ihr verbundenen Gegenkräfte erblickt. Eine entsprechende Kraftentfaltung ist hier jedoch ersichtlich, denn der Reifen hatte ein dem Kläger bekanntes Gewicht und der Hebevorgang ist nicht durch ein unvorhergesehenes Moment (wie z. B. das Festgefrorensein und der damit einhergehende erhöhte Kraftwiderstand) beeinflusst worden.

Ausgehend von den Schilderungen des Geschehensablaufs in den DAB vom 20. Juni 2006 sowie den Schilderungen des Klägers gegenüber seiner Krankenkasse (Fragebogen vom 08. Juli 2006) und gegenüber den Sachverständigen (Dr. P am 23. September 2010 sowie Dr. W-R am 14. Dezember 2011) war der Kläger am 19. Juni 2006 gegen 17 Uhr damit befasst, die Reifen an einem Kleintransporter zu wechseln. Die Reifen lagen seitlich von ihm auf dem Boden. Er beugte sich mit dem Oberkörper und der rechten Hand herab, griff den 25 kg schweren Reifen innerhalb der Radfelge und wollte ihn nach oben heben. Die Hubstrecke betrug nach seiner Erinnerung bei dem Sachverständigen Dr. W-R maximal 10 bis 15 cm, wonach ein plötzlicher Schmerz im Ellenbogen einsetzte und er den Reifen wieder fallen lassen musste. Es kam nach den Feststellungen in den DAB zu einem Kraftverlust gegenüber links mit Bewegungseinschränkung bei erhaltener Sensomotorik und Durchblutung, jedoch keinem völligen Funktionsverlust.

Grundsätzlich zu beachten ist, dass nach dem funktionellen Bauplansystem die Zug- oder Hebefestigkeit einer Sehne über der Kraftbildungsfähigkeit des Muskels liegt. Ist daher die Last für den Muskel zu schwer, so versagt dieser. Die Last wirkt also gar nicht auf die Sehne ein, so dass eine Überbelastung der Sehne in diesem Bauplansystem nicht zustande kommen kann. Eine Sehne, die weniger zugfest ist, als ihr Muskel an Kraft aufzubringen vermag, ist krankhaft verändert (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Anm. 8.2.1.1 S. 391).

Die Bizepssehnen – zwei körpernahe und eine körperferne – stellen die Verbindung des Bizepsmuskels mit Schultergürtel und Unterarm her. Neben der Stabilisierung des Oberarmkopfes in der Schulterpfanne ist vorrangige Aufgabe des Bizepsmuskels die Beugung des Unterarms im Ellenbogengelenk und die Auswärtsdrehung des Unterarms. Die häufigste Form der Bizepssehnenzerreißung ist mit 96% an der langen körpernahen (proximalen) Bizepssehne lokalisiert. 3% betreffen die körperferne (distale) Sehne, die beim Kläger betroffen war. Die Ruptur der kurzen körpernahem Sehne ist sehr selten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 8.2.4 S. 402). Die 5 bis 6 cm lange körperferne Bizepssehne setzt als gemeinsame Endsehne des Bizepsmuskels an der Speichenrauhigkeit an und geht in Höhe des Ellenbogengelenks in den Muskelbauch über. Funktionell bewirkt der Bizepsmuskel mit über 50% die Auswärtsdrehung des Unterarms, die Beugung des Ellenbogens wird mit etwa 30-40% beeinflusst. Nahezu ausschließlich betroffen von Rissen dieser Sehne sind körperlich aktive, muskelkräftige männliche Patienten im mittleren Lebensalter (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W-R in seinem Gutachten vom 15. Dezember 2011 in Übereinstimmung mit Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. S. 407) wie der Kläger, der zum Zeitpunkt des Ereignisses 43 Jahre alt war und lange Jahre intensiv Kraftsport betrieben hat. Die Bizepssehne reißt überwiegend im Bereich des Ansatzes der Sehne an der Speichenrauhigkeit und seltener im Sehnenverlauf oder am Übergang zum Muskelbauch (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W-R in seinem Gutachten vom 15. Dezember 2011 in Übereinstimmung mit Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. S. 407).

Neuen Erkenntnissen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. S. 407 f.) gemäß sind etwa 50% der Läsionen auf einen degenerativen Vorschaden zurückzuführen. Als Begründung wir angeführt, dass

- histologischer Aufbau und Blutversorgung dem anderer Gleitsehnen, die der Degeneration unterliegen, entsprechen

- ein Riss – wie hier - auch nach alltäglicher Belastung eintritt

- Biopsien Zeichen der Degeneration und Reparation zeigen

- der Riss jeweils ansatznah und selten vor dem 40. Lebensjahr eintritt

- nahe liegt, den überwiegenden Abriss der Sehne an der Speichenrauhigkeit mit der biochemischen Änderung der Sehnengrundsubstanz zu erklären

- eine mechanische Belastung vorliegt: Der körperferne Sehnenanteil wickelt sich bei der Einwärtsdrehung des Unterarms um den körpernahen Teil der Speiche; zwischen der kurzen Sehne als Hebelarm und dem wesentlich längeren Unterarm besteht ein dynamisches Ungleichgewicht.

Für Verschleißerscheinungen sind ursächlich bestimmte Überlastungen wie z. B. beim Sport oder konstitutionelle Anlagen. Bei langdauernder Überbeanspruchung dieses Sehnenanteils schreiten narbige Umformungen, die durch Einrisse einzelner Sehnenfasern und deren mehr oder weniger gute – narbige – Verheilungen entstanden sind, fort, so dass die Sehne sich degenerativ verändert und entsprechend geschwächt wird (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. S. 408).

Unfallmechanismen, die geeignet sind, eine degenerativ nicht vorgeschädigte und somit zugfeste kurze körperferne Bizepssehne zu zerreißen, sind nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. S. 408

- Plötzliche, auf die vorgespannte Muskulatur einwirkende Kraft , z. B. Auffangen einer schweren Last mit gebeugtem und auswärts gedrehtem Arm

- Direkter Schlag eines Gegenstandes in die Ellenbeuge

- Fehlschlag mit schwerem Hammer

- Plötzliche passive Bewegung von muskelfixierten Gelenken

- Direkte Krafteinwirkung durch Quetschung, Schläge oder Stiche.

Als ungeeignete Abläufe stellen sich demnach dar

- Plötzlicher Schmerz beim Anheben eines Gegenstandes

- Schmerz beim Schippen mit der Schaufel

- Willentliche Kraftanstrengung ohne zusätzlich Einwirkung.

Im vorliegenden Fall liegt kein geeigneter Unfallhergang in diesem Sinne vor, denn der Kläger hat den Reifen, der über ein für ihn gewöhnliches Gewicht verfügte, lediglich angehoben. Beim Anheben ist es zum Schmerzereignis und der Funktionsminderung gekommen. Eine plötzliche, unkontrollierte, weitere Zugbelastung des Bizepsmuskels bzw. der Sehne ist gerade nicht eingetreten. Der Kläger war im Zeitpunkt des Unfalls 43 Jahre alt. Die Zusammenhangstrennung betraf seinen Gebrauchsarm, denn der Kläger ist Rechtshänder. Darüber hinaus hat der Kläger Kraftsport betrieben. Der Einriss erfolgte am körperfernen Ende, also dort, wo die Sehne aufgrund der physiologischen Gegebenheiten stark beansprucht ist, und nicht im weiteren Verlauf. Ein Muskelriss ist nicht nachgewiesen.

Soweit der vom Kläger benannte Orthopäde Dr. P in seinem Gutachten vom 19. Dezember 2010 und seiner Stellungnahme vom 15. Mai 2011 zu einer anderen Beurteilung gelangt ist, kann dies nicht überzeugen, da er sich nicht auf die neuesten Erkenntnisse der Unfallmedizin stützt. Seine biomechanischen Überlegungen sind nicht plausibel.

Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.