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Übergangsgeld; ambulante Rehabilitation


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 12.04.2011
Aktenzeichen L 1 KR 375/09 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 49 Abs 1 Ziff 3 SGB 5, § 49 Abs 4 SGB 5, § 20 SGB 1, § 21 SGB 6, § 13 Abs 2 Ziff 7 SGB 9, § 45 Abs 1 Ziff 3 SGB 9, § 45 Abs 7 SGB 9, § 105 SGB 10

Leitsatz

1. Ein Übergangsgeldanspruch besteht bei einer ambulanten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auch dann, wenn die Leistung nur wenige Stunden in der Woche erfolgt und daneben eine vollschichtige Beschäftigung ausgeübt werden kann bzw. könnte. Wegen des Bestehens des Übergangsgeldanspruchs ruht im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten der Krankengeldanspruch in diesem Falle nach § 49 Abs. 1 Ziff. 3 SGB V.

2. Solange gemeinsame Vereinbarungen der Rehabilitationsträger über die Abgrenzung der Leistungen zum Lebensunterhalt und anderer Entgeltersatzleistungen gemäß § 13 Abs. 2 Ziff. 7 SGB IX nicht bestehen, steht dem Rentenversicherungsträger, der anlässlich ambulanter Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Übergangsgeld gezahlt hat, kein Erstattungsanspruch gegen die Krankenkasse zu, da deren Verpflichtung zur Krankengeldzahlung wegen der Zahlung des Übergangsgeldes ruht. Dies gilt auch dann, wenn neben der ambulanten Leistung zur medizinischen Rehabilitation die Ausübung einer vollschichtigen Beschäftigung theoretisch möglich gewesen wäre.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 12.287,60 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung von 12.287,60 €, welche sie dem bei ihr rentenversicherten C V (Versicherter) als Übergangsgeld gezahlt hat.

Der Versicherte, der bei der Beklagten krankenversichert ist, war seit 21. April 2006 durchgehend arbeitsunfähig.

Die Klägerin bewilligte ihm mit Bescheid vom 21. August 2006 ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Form von ambulanten Gruppengesprächen. Der Versicherte nahm vom 29. Juni 2006 bis zum 20. Juni 2007 an einer Gruppengesprächstherapie teil, die dienstags und donnerstags in der Zeit von 19 Uhr bis 21 Uhr stattfand.

Die Klägerin bewilligte ihm ferner mit Bescheid vom 16. Oktober 2006 für die Dauer der Leistung zur medizinischen Rehabilitation Übergangsgeld von kalendertäglich 46,32 €.

Sie machte mit Schreiben vom 19. Juni 2007 der Beklagten gegenüber einen Erstattungsanspruch nach § 102 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) geltend, zunächst für die Zeit vom 26. September 2006 bis 15. März 2007. Sie bezifferte mit Schreiben vom 14. August 2007 den gesamten - der Höhe nach unstreitigen - Erstattungsanspruch auf die streitgegenständliche Summe. Die Beklagte lehnte eine Erstattung ab. Dem Versicherten habe ein Anspruch auf Übergangsgeld zugestanden. Der Krankengeldanspruch habe deshalb geruht.

Am 17. Februar 2009 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Sie hat vorgebracht, ihr stehe ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X zu. Die ambulante Nachsorge sei nur in kurzen, zweistündigen Therapie-Einheiten durchgeführt worden. Deshalb habe kein Anspruch auf das Übergangsgeld nach § 45 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bestanden, was von ihr versehentlich nicht beachtet worden sei. Da der Versicherte durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei und ihm Krankengeld zugestanden habe, könne sie einen Erstattungsanspruch geltend machen. Das Übergangsgeld bezwecke nur, die wirtschaftliche Versorgung während der Rehabilitationsmaßnahme sicherzustellen und den Verlust der Einkünfte und während und in Folge der Teilnahme an der Rehabilitation auszugleichen. Der Versicherte habe deshalb keinen Anspruch auf Übergangsgeld, wenn er nicht gehindert sei, einer vollschichtigen Beschäftigung nachzugehen.

Die Beklagte hat dem widersprochen. Ein Erstattungsanspruch hätte sich zwar ihrer Ansicht nach aus der speziellen Vorschrift nach § 49 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bzw. nach § 45 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 10. August 2010 geltenden Fassung (SGB IX a. F.) ergeben können, welche den allgemeinen Regelungen im SGB X vorgingen. Es gebe jedoch keine gemeinsame Empfehlung nach § 13 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX, wie dies diese Vorschriften für eine Erstattung vorsehen

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. November 2009 abgewiesen. Sie sei zwar als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Der Klägerin stehe der geltend gemacht Erstattungsanspruch nicht zu. Ein Anspruch auf Erstattung ergebe sich nicht aus § 49 Abs. 4 SGB V bzw. § 45 Abs. 7 SGB IX alt. Bei ambulanter Ausführung von Leistungen unter anderem zur medizinischen Rehabilitation könne zwar der Rehabilitationsträger im Rahmen der nach § 13 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX vereinbarten Empfehlung einer Erstattung seiner Aufwendungen für diese Leistungen verlangen. Eine solche Empfehlung sei jedoch bislang nicht vereinbart.

Auch lägen die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 105 SGB X nicht vor. Diese Vorschrift sei zwar nicht bereits aufgrund der vorrangigen Regeln in §§ 49 Abs. 4 SGB V, 45 Abs. 7 SGB IX alt ausgeschlossen. Letztgenannte Regelungen beträfen aber nur den Fall, dass tatsächlich ein Anspruch auf eine der dort genannten Leistungen bestanden habe, d. h. der leistende Träger auch selbst zuständig gewesen sei. Die Klägerin mache hingegen geltend, dass dem Versicherten kein Anspruch auf Übergangsgeld zugestanden habe, sie also unzuständiger Leistungsträger gewesen sei. Die Klägerin sei allerdings gemäß §§ 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, 20 und 21 SGB VI zur Zahlung von Übergangsgeld an den Versicherten verpflichtet gewesen. Einen Anspruch auf Übergangsgeld nach § 20 SGB VI hätten unter anderem Versicherte, die von einem Träger der Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhielten und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit u. a. Krankengeld bezogen hätten. Hier habe der Versicherte unmittelbar zuvor Krankengeld bezogen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin bestehe ferner ein Anspruch auf Übergangsgeld unabhängig davon, ob die Leistung zur medizinischen Rehabilitation ambulant oder stationär erbracht werde. Dies ergebe sich aus § 45 Abs. 7 SGB IX. Es komme auch nicht darauf an, ob die Leistung ganztägig erbracht worden sei oder ob daneben eine vollschichtige Beschäftigung hätte ausgeübt werden können. Die Auffassung der Klägerin finde sich weder im Wortlaut des Gesetzes und stehe zudem im Widerspruch zum gesetzgeberischen Wille (Bezugnahme auf BR-Drucksache 49/01 Seite 325). Auch aus § 52 SGB IX (Einkommensanrechnung) und § 49 Abs. 1 Satz 3 SGB V, wonach der Krankengeldanspruch ruhe, soweit und solange Versicherte Übergangsgeld bezögen, ergebe sich, dass der Versicherte in jedem Fall einen Anspruch auf Übergangsgeld dem Grunde nach unabhängig davon habe, ob er neben der Leistung einer ganztägigen Beschäftigung nachgehen könne oder nicht. Erhalte er Arbeitsentgelt, werde dies nach § 52 SGB IX auf das Übergangsgeld angerechnet. Ein Anspruch auf Krankengeldanspruch bestehe zwar auch bei bestehender Arbeitsunfähigkeit, weil er aufgrund des vorrangigen Übergangsgeldbezuges nach § 49 Abs. 1 Satz 3 SGB V ruhe. Ein Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers bedürfe jedoch nach §§ 45 Abs. 7 SGB IX a. F., 49 Abs. 4 SGB V einer gemeinsamen Empfehlung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Es müsse zwischen den ambulanten Leistungen im Sinne einer teilstationären Rehabilitation und der ambulanten Rehabilitation der Abhängigkeitskranken unterschieden werden. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 15 SGB VI und sonstige Leistungen zur Teilhabe nach §§ 31 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VI lösten grundsätzlich unabhängig von deren zeitlichem Umfang einen Übergangsgeldanspruch aus, wenn sie in stationärer oder ambulanter Form erbracht würden. Die auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation bestehenden Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation enthielten die Kriterien für die Voraussetzungen für eine ambulante Rehabilitation. Die ambulante Rehabilitation im Suchtbereich umfasse hingegen Leistungen von geringzeitlicher Intensität, die geeignet seien, berufsbegleitend durchgeführt zu werden. Bei arbeitsunfähigen Teilnehmern an solchen ambulanten Entwöhnungsbehandlungen stehe weiterhin die Arbeitsunfähigkeit im Vordergrund, daher sei ihnen in diesen Fällen vorrangig das Krankengeld fortzuzahlen. In der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Rentenversicherungsträger in Rehabilitationsangelegenheiten sei am 25. Juni 2004 diese Thematik angesprochen worden. Im Ergebnis sei kein Bedarf für Regelungen in einer gemeinsamen Empfehlung gesehen worden. Die Besprechungsteilnehmer seien übereinstimmend der Auffassung gewesen, dass die ambulante Rehabilitation über die Rahmenempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation eindeutig definiert sei.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.287,60 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, hingewiesen worden.

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat verweist zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die umfassende Begründung im angefochtenen Urteil, § 153 Abs. 2 SGG.

Das Berufungsvorbringen gibt zu einer anderen Einschätzung der Rechtslage keinen Anlass.

Das SG hat bereits zutreffend darauf verwiesen, dass sich aus der gesetzlichen Regelung ergibt, dass die Gewährung von Übergangsgeld bei ambulanten Rehabilitationsmaßnahmen, die berufsbegleitend durchgeführt werden können, nicht ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich aus Sicht des Senats besonders deutlich aus § 52 SGB IX, wonach während der Zeit der Rehabilitation erzieltes Einkommen auf das Übergangsgeld angerechnet wird.

Soweit sich die Klägerin auf Besprechungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger in Rehabilitationsangelegenheiten beruft, vermag dies an der Rechtslage nichts zu ändern. Maßgeblich ist das Gesetz und nicht eine davon abweichende Rechtsauffassung der Verbände.

Keinen Einfluss auf die Rechtslage hat auch, dass der Gesetzgeber die mittlerweile erfolgte Aufhebung des § 45 Abs. 7 SGB IX damit begründet hat, dass sich in der Praxis keine Fallgestaltungen ergeben hätten, die die Vereinbarung einer entsprechend gemeinsamen Empfehlung notwendig machen würden (vgl. BR-Drucksache 152/10 Seite 21). Wie der vorliegende Fall zeigt, scheint diese Einschätzung unzutreffend zu sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen. Die Konstellation betrifft nach Angaben der Klägerin viele Fälle.

Der Beschluss über den Streitwert - der unanfechtbar ist - folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.