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Türkei; Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis; Sicherung des Lebensunterhalts; Prognose; ernstliche Zweifel; Gehörsverstoß; Vertagungsantrag durch Rechtsanwalt abgelehnt; Verhandlungsunfähigkeit; Inhalt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung; Darlegungsanforderungen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 23.04.2013
Aktenzeichen OVG 7 N 96.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 124a Abs 5 S 2 VwGO, § 173 VwGO, § 227 Abs 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Juli 2012 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Juli 2012 hat auf der Grundlage der gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO allein maßgeblichen Darlegungen in der Zulassungs-begründung keinen Erfolg.

Wegen der lediglich nach Art einer Berufungsbegründung geltend gemachten Einwendungen gegen das angegriffene Urteil, die entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO jegliche Zuordnung zu den Zulassungsgründen nach § 124 Abs. 2 VwGO missen lassen, und nach dem Inhalt der dabei konkret beanstandeten Mängel kommt vorliegend eine Prüfung nur der Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und der Nr. 5 (Verfahrensmangel der Verwehrung rechtlichen Gehörs) in Betracht. Beide sind jedoch im Ergebnis nicht begründet dargelegt.

Der Kläger macht zunächst geltend, das Urteil habe seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, da der Termin der mündlichen Verhandlung wegen seiner zuvor durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesenen Verhandlungsunfähigkeit nicht habe stattfinden dürfen, sondern aufzuheben gewesen sei. Die dafür gegebene Begründung, dass Art und Umfang der Arbeitsunfähigkeit nicht ersichtlich seien und sich eine Verhandlungsunfähigkeit auch nicht aus der ärztlichen Bescheinigung ergebe, sei „rechtlich nicht haltbar“. Auch genüge bereits eine entsprechende anwaltliche Versicherung, die durch eine ärztliche Bescheinigung nachträglich belegt werden könne.

Mit diesem Vorbringen wird eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht erfolgreich dargelegt:

Hierin, d.h. in der schlichten und unsubstantiierten Behauptung, die Begründung sei „rechtlich nicht haltbar“, liegt bereits nicht die erforderliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den dortigen, die Anforderungen insoweit näher darlegenden und auf höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verweisenden Ausführungen. Danach sei nicht jede Erkrankung ein ausreichender Grund für eine Terminsverlegung, sondern nur, wenn die Erkrankung so schwer sei, dass die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann. Werde ein Verlegungsantrag - wie hier - erst kurz vor dem anberaumten Termin gestellt und mit einer plötzlichen Erkrankung begründet, obliege es dem Betroffenen, die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage der Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen könne. Ein insoweit vorgelegtes privatärztliches Attest müsse deshalb die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar beschreiben. Deshalb genüge, wie der Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 10. Juni 2008 entschieden habe, der Hinweis auf eine Arbeitsunfähigkeit auch dann nicht, wenn diese durch die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belegt werde, sich diese jedoch - wie vorliegend - zur Art und Schwere der Erkrankung nicht verhalte.

Darüber hinaus ist der Vorwurf des Klägers, das Gericht habe mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung trotz der Mitteilung des Prozessbevollmächtigten, dass er „arbeitsunfähig erkrankt“ sei, und Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, aber auch unbegründet. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte die diesbezügliche, Angaben zur Art und Schwere der Erkrankung nicht enthaltende Mitteilung erst unmittelbar vor der für 10.30 Uhr am 17. Juli 2012 anberaumten mündlichen Verhandlung mit einem um 09.50 Uhr bei Gericht eingegangenen Fax übersandt. Auch die beigefügte undatierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthielt keinerlei diesbezügliche Angaben und benannte lediglich als Feststellungs- und Beginndatum der Arbeitsunfähigkeit den 16. Juli 2012 und als voraussichtliches Ende den 23. Juli 2012. Eine derartige kurzfristige, keinerlei Angaben zu Art und Schwere der Erkrankung machende Mitteilung und eine diese Angaben ebenfalls nicht enthaltende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ermöglicht dem Gericht nicht die notwendige Prüfung der Verhandlungsunfähigkeit des Betroffenen, so dass in der Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung keine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt. Dies entspricht nicht nur der vom Verwaltungsgericht zitierten, sich auch auf die Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten beziehenden Auffassung des Bundesfinanzhofs in seinem Beschluss vom 10. Juni 2008 (juris Rz. 15), die dieser weiterhin aufrecht erhält (vgl. BFH, Beschluss vom 23. Februar 2012 - VI B 114.11 -, juris Rz. 3), sondern auch ansonsten ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. November 2012 - 2 LA 177.12 -, juris Rz. 7, und OVG NRW, Beschluss vom 5. Juni 2012 - 17 E 196.12 -, juris Rz. 15 bis 18, jeweils m.w.N. auch zur entsprechenden weiteren Rechtsprechung des BVerwG und des BSG).

Im Übrigen hätte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers aber auch nicht mit der Übersendung einer solchen Mitteilung nebst Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dieses Inhalts unmittelbar vor dem Termin begnügen dürfen, sondern hätte sich, ggf. telefonisch, vergewissern müssen, ob das vom Gericht für ausreichend gehalten wird oder es weitergehende Substantiierung und Glaubhaftmachung, ggf. auch die Darlegung verlangt, dass angesichts der bereits am Vortage festgestellten Erkrankung nicht ein anderer Rechtsanwalt mit der Terminsvertretung beauftragt werden konnte. Diesbezügliches ist jedoch nicht dargelegt worden.

Auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vermag das Vorbringen des Klägers zur Zulassungsbegründung nicht rechtfertigen. Solche bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163 f.) und nicht nur die Begründung der angefochtenen Entscheidung oder nur einzelne Elemente dieser Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 – 7 AV 4.03 –, Buchholz 310 § 124 Nr. 33). Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere, jeweils selbständig tragende Gründe gestützt, müssen die Darlegungsanforderungen hinsichtlich jedes einzelnen tragenden Entscheidungsgrundes erfüllt sein.

Soweit der Kläger beanstandet, das Verwaltungsgericht habe im Rahmen der Feststellung des Vorliegens des Regelversagungsgrundes gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bei der Berechnung des Nettoeinkommens aus unselbständiger Tätigkeit zu Unrecht die dort aufgeführten Freibeträge in Abzug gebracht und die zusätzlichen Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit nicht berücksichtigt, übersieht er, dass das Gericht sein Urteil selbständig tragend damit begründet hat, dass es des Weiteren einer Prognose der Erzielung dauerhafter Einkünfte zur Existenzsicherung ohne jegliche Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bedürfe. Seine Erwerbsbiographie biete eine solche Gewähr jedoch nicht, da er (zuvor) seit mehreren Jahren zumindest ergänzende Leistungen nach dem SGB II bezogen habe und Gründe für die Annahme eines Ausnahmefalles im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht ersichtlich seien.

Zwar macht die Zulassungsbegründung diesbezüglich geltend, sowohl das jetzige Arbeitsverhältnis wie auch die selbständige Tätigkeit bestehe fort, nach Aktenlage beziehe er seit dem 26. Januar 2012 auch keine ergänzenden Leistungen zum Lebensunterhalt mehr, so dass seiner Erwerbsbiographie zu entnehmen sei, dass er in der Lage sei, ohne öffentliche Mittel seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Mit der hiernach nur behaupteten, erst seit relativ kurzer Zeit erfolgenden Sicherung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln wird die die mit dem vorangegangenen mehrjährigen Bezug von Leistungen nach dem SGB II und der bisherigen Erwerbsbiographie begründete Prognose fehlender Dauerhaftigkeit jedoch nicht in Frage gestellt, zumal dem Kläger die Bedeutung vollständiger Lebensunterhaltssicherung ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bereits lange zuvor deutlich gemacht worden ist (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2011 und die Darlegungen in den Beschlüssen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren VG 24 L 66.11 vom 15. März 2011 und OVG 12 S 30.11 vom 19. Juli 2011). Im Übrigen verweist das angegriffene Urteil, ohne dass nunmehr Nachweise vorgelegt werden, zutreffend darauf, dass das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses nicht belegt sei (vgl. auch die entsprechende Einlassung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung).

Die Ausführungen in der Zulassungsbegründung, wonach die strafrechtliche Verurteilung des Klägers vom Verwaltungsgericht nicht habe berücksichtigt werden dürfen, verkennen, dass die Ausführungen im Urteil hierzu den weiteren Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG betreffen und deshalb die zuvor erfolgte selbständig tragende Feststellung, dass die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wegen fehlender Lebensunterhaltssicherung abzulehnen war, nicht in Frage stellt. Gleiches gilt für den Hinweis des Gerichts, dass der Kläger zudem nicht über einen gültigen türkischen Pass verfüge und deshalb nicht der Passpflicht nach § 3 AufenthG genüge.

Soweit das angegriffene Urteil die mit dem Hauptantrag begehrte Erteilung einer Niederlassungserlaubnis abgelehnt hat, lässt die Zulassungsgründung, die ebenso wie der Zulassungsantrag keine Beschränkung des Zulassungsgehrens auf die im erstinstanzlichen Verfahren nur hilfsweise begehrte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis enthält, die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erforderliche Auseinandersetzung mit der diesbezüglichen Begründung des Verwaltungsgerichts vermissen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).