Gericht | FG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 06.06.2013 | |
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Aktenzeichen | 10 K 10059/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Der Kläger erwarb mit notariellem Vertrag vom 14. Dezember 1998 eine Eigentumswohnung in der B…-straße in C… zum Preis von DM 509.000, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch vom Veräußerer saniert wurde. Seit der Fertigstellung der Wohnung erzielt der Kläger daraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Der Beklagte veranlagte den Kläger zunächst für die Streitjahre unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
Das für das Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 2 AO i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO zuständige Finanzamt D… (FA) führte für das Objekt B…-straße eine Außenprüfung durch und erließ am 4. März 2005 einen Feststellungsbescheid. Dagegen erhob der Kläger zunächst erfolglos Einspruch und sodann Klage. Die Klage nahm er am 26. September 2007 zurück; damit wurde der Bescheid vom 4. März 2005 bestandskräftig.
Nachdem der Beklagte von der Außenprüfung des FA erfahren hatte, fügte er den Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre mit Verwaltungsakten vom 25. März 2004 Vorläufigkeitsvermerke gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO bei und hob den Vorbehalt der Nachprüfung jeweils auf. Als Grund für die Vorläufigkeit gab der Beklagte an, dass er die Aufteilung der Anschaffungskosten für die Wohnung nicht abschließend beurteilen könne.
Am 19. Juli 2005 teilte das FA die Besteuerungsgrundlagen für die Anwendung des § 3 Satz 2 Nr. 2 des Fördergebietsgesetzes (FördG) mit und erklärte, die Außenprüfung sei mit dem Feststellungsbescheid vom 4. März 2005 abgeschlossen worden. Im September 2005 erfuhr der Beklagte von dem Einspruch des Klägers dagegen. Auf weitere Nachfrage des Beklagten unterrichtete das FA ihn mit Schreiben vom 15. Oktober 2008 von der Klageerhebung und -rücknahme.
Mit Schreiben vom 31. Oktober 2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er beabsichtige, die Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre unter Berücksichtigung der Feststellungen des FA in dem Bescheid vom 4. März 2005 zu ändern. Mit den hier angefochtenen Bescheiden vom 23. Dezember 2008 änderte der Beklagte die ursprünglichen Steuerfestsetzungen unter Berufung auf §§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 165 Abs. 2 Satz 2 AO. Dagegen erhob der Kläger Einspruch, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 4. März 2010 als unbegründet zurückwies.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte wegen Ablaufes der Festsetzungsfrist gehindert gewesen sei, die angefochtenen Änderungsbescheide zu erlassen. Hier berufe sich der Beklagte zu Unrecht auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO, den er wegen der noch bestehenden Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 8 AO am 23. Dezember 2008 seiner Ansicht nach noch habe anwenden dürfen. § 171 Abs. 8 AO hemme die Festsetzungsverjährung bis zum Ablauf eines Jahres, nachdem die Ungewissheit beseitigt sei und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erlangt habe. Hier habe der Beklagte bereits durch den Schriftsatz des FA vom 19. Juli 2004 Kenntnis von den Besteuerungsgrundlagen erhalten. Diese Besteuerungsgrundlagen hätten sich auch im Nachhinein nicht geändert. Daran ändere nichts der Umstand, dass er, der Kläger, dagegen zunächst Einspruch eingelegt und Klage erhoben habe. Die Ungewissheit, auf die § 165 Abs. 1 Satz 1 AO abstelle, müsse sich auf Tatsachen beziehen. Die steuerrechtliche Würdigung selbst sei keine Tatsache und daher keine Voraussetzung, von der die Steuerfestsetzung abhängig gemacht werden könne.
Eine Änderung der Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sei nicht mehr möglich gewesen, weil die Frist des § 171 Abs. 10 AO zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide abgelaufen gewesen sei
Der Kläger beantragt,
die Einkommensteuerbescheide für 2000, 2001 und 2002, sämtlich vom 23. Dezember 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. März 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dass er nach der Mitteilung des FA vom 19. Juli 2005 innerhalb der Jahresfrist davon Kenntnis erhalten habe, dass der Kläger den Feststellungsbescheid vom 4. März 2005 angefochten habe. Aus diesem Grund habe die Ungewissheit hinsichtlich der Aufteilung der Anschaffungskosten weiterbestanden. Er, der Beklagte, habe erst durch das Schreiben des FA vom 15. Oktober 2010 Kenntnis vom endgültigen Wegfall der Ungewissheit erhalten. Anschließend habe er innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 8 AO die Einkommensteuerbescheide geändert.
1. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung [FGO]). Der Beklagte war insbesondere nicht wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist gehindert, die Bescheide zu erlassen.
a) Die ursprünglichen Bescheide sind gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO für vorläufig erklärt worden. Ob der Beklagte berechtigt war, den Bescheiden Vorläufigkeitsvermerke beizufügen, kann hier dahinstehen, da der Kläger diese Bescheide nicht angegriffen hat. In diesem Verfahren, das die Rechtmäßigkeit der nach § 165 Abs. 2 AO geänderten Bescheide zum Gegenstand hat, kann er nicht mehr geltend machen, der Beklagte habe die ursprünglichen Bescheide nicht für vorläufig erklären dürfen (Cöster in Pahlke/Koenig, AO, Kommentar, 2. Auflage 2009, § 165 Rn. 70 m. w. N.).
b) Gemäß § 171 Abs. 8 AO endet die Festsetzungsfrist für eine nach § 165 AO vorläufig festgesetzte Steuer nicht vor Ablauf eines Jahres, nach dem die Ungewissheit beseitigt ist und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erhalten hat. Hier war die Ungewissheit erst beendet, als der Beklagte von der Rücknahme der Klage gegen den Feststellungsbescheid vom 4. März 2005 erfuhr.
aa) Die Ungewissheit lag – wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen – in der Frage, wie die Anschaffungskosten der von dem Kläger erworbenen Wohnung in der B…-straße aufzuteilen sind.
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers war die Ungewissheit nicht mit dem Schreiben des FA vom 19. Juli 2005 beseitigt. Auch wenn das FA in diesem Schreiben mitgeteilt haben mag, die Angelegenheit – also der Streit über die zutreffende Aufteilung der Anschaffungskosten der Wohnung B…-straße – sei mit dem Feststellungsbescheid vom 4. März 2005 abgeschlossen, so war dies tatsächlich doch nicht der Fall. Vielmehr wurde zwischen dem FA und dem Kläger weiterhin darüber gestritten, bis der Kläger im Jahre 2008 schließlich seine Klage zurücknahm. Erst zu diesem Zeitpunkt endete die Ungewissheit hinsichtlich der zutreffenden Aufteilung der Anschaffungskosten.
Ohne Erfolg macht der Kläger demgegenüber geltend, dass sich die Besteuerungsgrundlagen trotz Einspruch und Klage im Nachhinein nicht geändert hätten und dass der Beklagte in unzulässiger Weise die Klärung der steuerrechtlichen Würdigung eines nicht mehr ungewissen Sachverhaltes abgewartet habe. Die steuerrechtliche Würdigung des Sachverhaltes war zwischen den verschiedenen Beteiligten, also dem Kläger, dem Beklagten und dem FA, soweit ersichtlich, nie umstritten. Umstritten und damit zunächst ungewiss war lediglich, wie diese Anschaffungskosten zum Zwecke der Anwendung der einschlägigen steuerlichen Vorschriften, insbesondere des FördG, aufzuteilen waren. Diese Ungewissheit war nicht mit der Entscheidung des FA im Feststellungsbescheid beseitigt; vielmehr war es durchaus möglich, dass im Einspruchs- oder Klageverfahren ein anderer als der zunächst vom FA für richtig gehaltene Aufteilungsmaßstab für zutreffend erachtet worden wäre. Dass es dazu wegen der Rücknahme der Klage letztlich nicht gekommen ist, ist unerheblich.
Anders wäre es allenfalls dann, wenn alle Beteiligten ab Ergehen des Feststellungsbescheides übereinstimmend von einem bestimmten Aufteilungsmaßstab ausgegangen wären, und Einspruch und Klage das Ziel gehabt hätten, eine abweichende steuerliche Beurteilung herbeizuführen, etwa in der Weise, dass über den Anwendungsbereich einer Vorschrift des FördG gestritten worden wäre. So liegt der Fall aber nicht.
c) Auf die Frage, ob der Beklagte auch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO berechtigt gewesen wäre, die angegriffenen Bescheide zu ändern, kommt es danach nicht an. Es reicht aus, wenn die Finanzbehörde sich auf eine mögliche Änderungsvorschrift mit Erfolg berufen kann.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.