Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 29.10.2010 | |
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Aktenzeichen | OVG 9 S 20.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 20 GG, § 80 Abs 4 S 3 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 8 Abs 1 KAG BB, § 8 Abs 6 KAG BB, § 8 Abs 7 KAG BB |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde hat der Antragsgegner zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 291,49 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Beschwerdeführers entscheidet, ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss hält einer auf das Vorbringen des Antragsgegners bezogenen Überprüfung stand.
Der Einwand des Antragsgegners, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, die Einzelsatzung der Stadt Storkow (Mark) über die Erhebung von Straßenbaubeiträgen für die Maßnahme Fritz-Reuter-Straße vom 3. Dezember 2008 (SBS-Fritz-Reuter-Straße) sei aller Voraussicht nach nichtig, trägt nicht.
Die Regelungen in § 5 Abs. 2 und Abs. 4 SBS-Fritz-Reuter-Straße verstoßen bei summarischer Prüfung gegen das im Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG enthaltene Rückwirkungsverbot. Dieses enthält für verschiedene Fallgruppen unterschiedliche Anforderungen. Eine unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Sie liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Eine echte Rückwirkung ist dagegen verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Sie setzt voraus, dass ein Gesetz nachträglich ändernd in einen abgeschlossenen Sachverhalt eingreift oder Rechtsfolgen für einen vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eintreten sollen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Dezember 2007 - OVG 9 B 44.06 -, Juris Rn. 55 m. w. Nachw.), bei Abgabengesetzen, wenn im Zeitpunkt der Verkündung die Abgabenschuld bereits entstanden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 -, BVerfGE 97, 67, 80; Beschluss vom 23. März 1971 - 2 BvL 17/69 -, BVerfGE 30, 392, 401). Auch in diesem Fall gibt es Ausnahmen. Das Rückwirkungsverbot, das im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze findet, tritt zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, so wenn die geänderte Satzung eine unwirksame ersetzt oder eine unklare oder verworrene Regelung mit Rückwirkung ändert, denn ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand einer unwirksamen oder unklaren Regelung besteht nicht (BVerfG, Urteil vom 19.12.1961 - 2 BvL 6/59 -, BVerfGE 13, 261, 271; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 17.05.1990 - 2 A 500/88 -, NVwZ-RR 1991, 664, 665).
Die oben zitierten Normen der SBS-Fritz-Reuter-Straße führen zu einer echten Rückwirkung, weil sie nachträglich ändernd in einen in der Vergangenheit liegenden, abgewickelten Tatbestand zum Nachteil der Betroffenen eingreifen. Im Zeitpunkt der Verkündung der SBS-Fritz-Reuter-Straße war die Abgabenschuld bereits entstanden. Gem. § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Einrichtung der Anlage. Die Arbeiten an der Fritz-Reuter-Straße wurden am 15. Dezember 2005 abgenommen. Zu diesem Zeitpunkt galt die am 29. April 2008 beschlossene und am 6. Mai 2008 öffentlich bekannt gemachte Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 BbgKAG für straßenbauliche Maßnahmen in der Stadt Storkow (Mark) vom 29. April 2008 (SBS-2008), die aufgrund der in § 17 Abs. 1 SBS-2008 angeordneten Rückwirkung zum 25. September 2004 für die Bemessung der Beitragsschuld maßgebend war. Die durch die SBS-2008 geschaffene Rechtslage für die hier in Rede stehende Ausbaumaßnahme hat die später erlassene SBS-Fritz-Reuter-Straße nachträglich verändert. Die SBS-Fritz-Reuter-Straße verschiebt den in der SBS-2008 geregelten Verteilungsmaßstab zwischen den im Abrechnungsgebiet liegenden Grundstücken deutlich zu Lasten der gewerblich und einfach baulich genutzten Flächen. Der vormals geltende allgemeine Nutzungsfaktor von 1,00 in § 4 Abs. 3 Buchst. a SBS-2008 wurde in § 5 Abs. 2 SBS-Fritz-Reuter-Straße um 25 % auf 1,25 für die mit einem Vollgeschoss bebauten Grundstücke erhöht. Für die zuvor mit einem Nutzungsfaktor von 0,5 belegten gewerblich genutzten Grundstücke (vgl. § 4 Abs. 6 Buchst. c) SBS-2008 sieht § 5 Abs. 4 SBS-Fritz-Reuter-Straße eine Vervielfältigung des Nutzungsfaktors um 2.00 bei überwiegender gewerblicher Nutzung vor. Gleichzeitig regelt § 5 Abs. 5 SBS-Fritz-Reuter-Straße eine Halbierung des Nutzungsfaktors für überwiegend als Schule genutzte Grundstücke, während § 4 Abs. 6 Buchst. c) SBS-2008 einen Artzuschlag für Grundstücke mit Schulgebäuden vorsah.
Diese belastende Rückwirkung lässt sich voraussichtlich nicht rechtfertigen. Mit der SBS-Fritz-Reuter-Straße wird bei summarischer Prüfung nicht eine nichtige oder entgegen höherrangigem Recht lückenhafte Regelung durch eine rechtmäßige Bestimmung ersetzt. Der Ortsgesetzgeber kann zwar im Fall einer (regionalen) Teilungültigkeit der in der allgemeinen Beitragssatzung getroffenen Verteilungsregelung für die hiervon betroffenen Abrechnungsgebiete Ergänzungssatzungen erlassen (vgl. Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes NRW, Rn. 342). Von der Teilungültigkeit der SBS-2008 bezogen auf das Abrechnungsgebiet ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren jedoch nicht auszugehen. Die in der Beschwerde allgemein vorgetragene Überlegung, dass die Nutzungsfaktoren der SBS-2008 mit Blick auf die geringe Zahl der der Beitragspflicht unterliegenden Grundstücke und die unterschiedliche Nutzung einzelner Grundstücke eine vorteilsgerechte Verteilung des umlagefähigen Aufwands nicht zu gelassen haben, trägt - bei summarischer Prüfung - nicht.
In allgemeinen Straßenbaubeitragssatzungen muss der Satzungsgeber notwendigerweise einen typisierenden Verteilungsmaßstab regeln. Dafür steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu, der es verbietet, selbst bei Härten im Einzelfall vorschnell von einer Nichtigkeit der Satzung in Bezug auf bestimmte Abrechnungsgebiete auszugehen. So liegt es voraussichtlich auch hier. Der Satzungsgeber hat bei der Ausgestaltung des Abgabemaßstabs in der SBS-2008 bereits nach der unterschiedlichen Nutzung von Grundstücken differenziert und die vorliegend thematisierten Nutzungsarten Schule und Strandbad/Kiosk gesondert berücksichtigt: Neben dem in § 4 Abs. 3 Buchst. a) SBS-2008 festgelegten allgemeinen Nutzungsfaktor von 1,0 für die mit einem Vollgeschoss bebauten Grundstücke gilt gem. § 4 Abs. 3 Buchst. b) SBS-2008 für Freibäder ein Nutzungsfaktor von 0,5 und gem. § 4 Abs. 6 Buchst. c) SBS-2008 ist ein Artzuschlag von 0,5 bei Nutzung zu gewerblichen (Kiosk) oder ähnlichen Zwecken (u. a. Schulgebäuden) zu berücksichtigen, sofern diese Nutzung nach Maßgabe der Geschossflächen überwiegt. Auch der vom Antragsgegner in Bezug auf das Schulgrundstück geltend gemachten Mehrfacherschließung ist in § 9 SBS-2008 Rechnung getragen. Dass für das Abrechnungsgebiet eine weitere Differenzierung der Nutzungsarten oder eine andere Bemessung der Nutzungsfaktoren zwingend für eine vorteilsgerechte Verteilung ist, obwohl der Satzungsgeber eine sehr weitgehende Freiheit bei der Ausgestaltung des Abgabenmaßstabs genießt (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2010, § 2 Rn. 73), ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht feststellbar. Dies wird im Übrigen insoweit durch den Antragsgegner bestätigt, als er - bezogen auf die Beitragsverteilungsmaßstäbe der SBS-Fritz-Reuter-Straße - betont, dass deren Untersuchung nur anhand der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse im Hauptsacheverfahren durchgeführt werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).