Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 14.09.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 1 S 127.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 3 Abs 1 GG, Art 8 GG, § 5 PartG, § 21 VersammlG, § 111 StGB, § 1004 BGB, § 123 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 4. September 2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000.- EUR festgesetzt.
Die Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin bis zum Erlass eines rechtskräftigen Urteils zu verpflichten, es im Internet zu unterlassen, die Potsdamerinnen und Potsdamer zum Protest gegen den geplanten Aufmarsch der NPD am 15. September 2012 in Potsdam aufzufordern, mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO lägen nicht vor, weil Bedenken gegen das Bestehen eines Anordnungsgrundes gegeben seien und die Antragstellerin dessen ungeachtet einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Ein Unterlassungsanspruch gem. § 1004 BGB analog stehe ihr nicht zu. Der Standort des streitigen Aufrufs auf der Internetseite der Antragstellerin (Potsdam Aktuell) wie seine Aufmachung und seine Formulierung ließen ihn für einen objektiven Betrachter zunächst nicht als eine amtliche Äußerung der Antragsgegnerin erkennen. Es handele sich um einen gemeinsamen Aufruf mit dem Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ und zahlreichen namentlich aufgeführten Unterzeichnern im Rahmen der Aktionen des vorgenannten Bündnisses. Dessen ungeachtet erfasse der Aufruf den örtlichen Wirkungskreis der Antragsgegnerin, insbesondere, weil dieser gemeinsame Aufruf die Ideen und Forderungen des von Potsdamerinnen und Potsdamern formulierten und veröffentlichten „Neuen Potsdamer Toleranzedikts 2008“ aufgreife. Ungeachtet der Einstufung des streitigen Aufrufs verstoße dieser auch nicht gegen das Sachlichkeitsgebot. Toleranz und friedlicher Protest gegen Meinungsäußerungen anderer sei vornehmlich unter Berücksichtigung des vorgenannten „Neuen Potsdamer Toleranzedikts“ ein für Jedermann gerechtfertigtes Anliegen und müsse im Übrigen auch ganz im Sinne der Antragstellerin selbst sein. Da der Aufruf nicht zum Zwecke einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Rechts auf Versammlungsfreiheit der Antragstellerin erfolgt sei, verstoße er auch nicht gegen die Grundsätze der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit, zumal die Antragsgegnerin auch nicht für das Versammlungsrecht zuständig sei.
Das für die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO maßgebliche Beschwerdevorbringen enthält nichts, was diese Begründung durchgreifend in Frage stellen würde.
Es kann zunächst offen bleiben, ob es sich – wie die Antragsgegnerin meint - bei der in der Beschwerdeschrift (Seite 3) formulierten Änderung des Antragsbegehrens, wonach dieser sich nunmehr nicht mehr gegen den Aufruf als solchen, sondern gegen seine Veröffentlichung im Internet auf der offiziellen Seite der Antragsgegnerin richten soll, um eine im Beschwerdeverfahren unzulässige Antragsänderung handelt. Denn der für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung notwendige Anordnungsanspruch ist sowohl mit der bisherigen als auch mit der jetzt formulierten Zielrichtung auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Insoweit macht die Beschwerde – in weiten Passagen lediglich unter Wiederholung ihrer Ausführungen in der Antragsschrift und damit schon ohne die nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gebotene Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung - im Kern geltend, die Ausführungen auf der Internetseite der Antragsgegnerin (www.potsdam.de/cms/beitrag/10098215/31478 unter „Potsdam Aktuell“), die diese sich (jedenfalls) zu eigen mache, verletzten sie in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie in ihren Rechten aus § 5 PartG und verstießen gegen den Neutralitätsgrundsatz sowie das Sachlichkeitsgebot. Denn die Antragsgegnerin dürfe sich als Hoheitsträgerin zwar durchaus für Toleranz und friedliche Ausübung von Meinungsäußerungen einsetzen, müsse es aber auch dulden, dass eine kleine politische Partei ihr Versammlungsgrundrecht wahrnehme, und sie sei nicht zuständig für das Aufrufen zu Protesten gegen eine Versammlung; dazu seien andere politische Parteien berufen, mit denen die Antragstellerin im Wettbewerb stehe. Mit ihrem Aufruf bezwecke die Antragsgegnerin indes, die politischen Aktivitäten, hier also die Versammlung der Antragstellerin, zu behindern oder mindestens Stimmung dagegen zu machen.
Dieses Vorbringen greift nicht durch. Die Antragstellerin kann sich für den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache mit Erfolg weder auf eine Verletzung ihrer Rechtspositionen aus § 5 PartG noch aus Art. 3 Abs. 1 GG, hier insbesondere in der Ausprägung des Neutralitätsgrundsatzes, berufen; Gleiches gilt hinsichtlich des Sachlichkeitsgebots sowie hinsichtlich der Rechtsposition der Antragstellerin als Anmelderin der für den 15. September 2012 beabsichtigten Versammlung. Dazu im Einzelnen:
Soweit die Antragstellerin eine Verletzung von § 5 PartG geltend macht, greift diese Bestimmung hier schon tatbestandlich nicht ein. Nach der genannten Norm (hier: Satz 1) sollen alle Parteien gleichbehandelt werden, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt. Um einen solchen Fall der Zurverfügungstellung von Einrichtungen oder der Gewährung öffentlicher Leistungen geht es hier ersichtlich nicht.
Soweit die Antragstellerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in der Form des sog. Neutralitätsgrundsatzes beanstandet, ist auch für den Senat schon nicht hinreichend deutlich, dass es sich aus der Sicht eines objektiven Beobachters um zuvörderst der Antragstellerin zurechenbare Inhalte handelt. Richtig ist zwar, dass auf Seite 2 der Internetveröffentlichung im Text derselben namentlich auch die Landeshauptstadt Potsdam zu dem inmitten stehenden Protest aufruft. Dennoch erschließt sich eine Urheberschaft der Antragsgegnerin nicht ohne Weiteres. Denn auf der zunächst erscheinenden Seite 1 des Aufrufs heißt es im Text erst einmal wie folgt: „Das Bündnis ‚Potsdam bekennt Farbe‘ ruft für den 15. September zu einem Schulterschluss in einem stadtweiten Bündnis ‚Potsdam nazifrei‘ auf…“. Auf Seite 2 heißt es im Zusammenhang mit der Erwähnung der Antragsgegnerin vollständig wie folgt: „Die Landeshauptstadt Potsdam, das Bündnis ‚Potsdam bekennt Farbe‘ und die Unterzeichner dieses Aufrufes fordern alle Potsdamerinnen und Potsdamer zum friedlichen, gewaltfreien und kreativen Protest gegen den geplanten Aufmarsch auf“; im Anschluss an den Text werden – in hervorgehobener Weise abgesetzt - die genannten Unterzeichner im Einzelnen aufgeführt, darunter etwa der Oberbürgermeister der Stadt, und zwar – aufgrund seiner namentlichen Nennung - mutmaßlich als Privatperson, sowie eine Reihe weiterer Repräsentanten und Mitglieder aus dem zivilgesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Raum, darunter mehrere Fraktionen. In der Zusammenschau dürfte sich dies – unbeschadet des Umstandes, dass sich der fragliche Internetauftritt auf einer Seite der Antragsgegnerin findet - aus Sicht eines objektiven Beobachters eher als ein Aufruf des dem gesellschaftlichen Raume zuzuordnenden Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ darstellen als zuvörderst der Antragsgegnerin zuzuordnen sein.
Unabhängig hiervon ist auch alles andere als klar, ob der auf dem Gedanken der Chancengleichheit beruhende Neutralitätsgrundsatz (insofern als spezielle Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG) in der vorliegenden Konstellation – also vor dem Hintergrund einer Meinungskundgabe zu einer Versammlung – als solcher überhaupt geeignet ist, Grenzen von staatlichen Hoheitsträgern bei Äußerungen zu Versammlungen zu ziehen (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2009 – 6 B 4/09 -, Juris, Rdn. 5, zum Urteil des Senats vom 20. November 2008 – OVG 1 B 5.06 -, OVGE 29, S. 170 ff., 182); diese Frage kann im vorliegenden (Eil-)Verfahren auch nicht abschließend geklärt werden. Es gilt hier aber jedenfalls soviel: Der auf dem Gedanken der Chancengleichheit der Parteien beruhende Grundsatz staatlicher Neutralität knüpft an den Gedanken an, dass der Staat – insbesondere durch Leistungsgewährung wie etwa bei der Parteienfinanzierung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004 – 2 BvR 383/03 -, BVerfGE 111, 54, 104 ff.) oder durch öffentliche Äußerungen im Vorfeld von Wahlen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. März 1977 – 2 BvR 424/75 -, BVerfGE 44, 124, 138 ff., 144 ff.) – in den Wettbewerb der politischen Willensbildung nicht eingreifen soll und in diesem Sinne insbesondere die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen darf. Vorliegend geht es freilich nicht um eine Ressourcenverteilung in diesem Sinne oder um etwaige staatliche Äußerungen im Vorfeld von Wahlen, sondern um öffentlichen Meinungskampf und –austausch im Umfeld einer öffentlichen Versammlung, der schon seiner Natur nach auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung und in diesem Sinne auf „Rede“ und „Gegenrede“ abzielt (vgl. dazu - entsprechend bei Bürgerbegehren - OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – 15 B 2455/03 -, Juris, Rdn. 16 ff.). Dass sich die Antragsgegnerin an einem solchen öffentlichen Meinungsaustausch und den diesbezüglich diskutierten Themen überhaupt nicht beteiligen dürfte, behauptet auch die Antragstellerin nicht und findet auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Stütze (s. dazu – im Zusammenhang mit Art. 4 GG - etwa BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 – Juris, Rdn. 54).
Soweit als Grenze solcher – ggf. auch kritischer (vgl. BVerfG, a.a.O.) – Äußerungen das sog. Sachlichkeitsgebot heranzuziehen ist (s. dazu insb. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.), hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt, dass die diesbezüglichen Grenzen vorliegend nicht überschritten seien; mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerde schon entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht auseinander. Dass die Antragsgegnerin hier außerhalb ihrer kommunalverfassungsrechtlichen Kompetenzen und ggf. in unsachlicher Art und Weise tätig geworden wäre, vermag auch der Senat dem Vorbringen der Antragstellerin nicht zu entnehmen.
Soweit die Antragstellerin schließlich eine Verletzung ihrer Rechtsposition als Anmelderin der für den 15. September 2012 beabsichtigten Versammlung und damit der Sache nach eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 8 GG geltend macht, greift auch dies nicht durch. Zwar muss es staatlichen Repräsentanten an der Wahrung des Versammlungsrechts als Form der politischen Beteiligung gerade von Minderheiten als einem Wesenselement des demokratischen Rechtsstaats in besonderer Weise gelegen sein (vgl. bereits Urteil des Senats vom 20. November 2008, a.a.O., OVGE 29, 170, 182). Es ist aber nicht glaubhaft gemacht, dass die dafür maßgebliche Grenze, die einfachrechtlich in § 21 VersammlG (hier in Zusammenschau mit § 111 StGB) nachgezeichnet ist, hier überschritten wäre. Nach den genannten Bestimmungen ist es unter Strafe gestellt, in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder grobe Störungen zu verursachen; nach § 111 StGB darf hierzu auch nicht öffentlich aufgefordert werden. Eine derartige öffentliche Aufforderung lässt sich dem inmitten stehenden Internetaufruf freilich nicht entnehmen. Darin ist zwar von „Protest“ und dem „Ziel“ die Rede, den fraglichen Aufmarsch zu „verhindern“; zugleich findet sich aber die Betonung, dass es sich um einen „friedlichen“ und „gewaltfreien“ Protest handeln solle. Irgendwelche konkreten Handlungsempfehlungen (etwa eine Sperrung der Aufzugsstrecke o.ä.), die eine Würdigung des Aufrufs nach Maßgabe der vorgenannten Strafbestimmungen zuließen, enthält dieser ersichtlich nicht. Abgesehen davon wird aus dem Gesamtzusammenhang der auf dem weiterführenden Link des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ wiedergegebenen „Lokalen Aktionsplan“ veröffentlichten Informationen deutlich, dass dem Aktionsbündnis daran gelegen ist, für die vielfältigen unter dem Toleranz-Motto stehenden Veranstaltungen, insbesondere für eine Teilnahme an dem 5. Fest für Toleranz sowie an weiteren Veranstaltungen zu werben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).