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Rechtsnachfolge - Pflegestufe


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat Entscheidungsdatum 27.05.2010
Aktenzeichen L 27 P 32/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 56 SGB 1, § 15 SGB 11, § 14 SGB 11

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist Erbe seiner bei der Beklagten versichert gewesenen, am 17. Januar 2005 verstorbenen Mutter Sophie P. Er begehrt im Berufungsverfahren noch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Pflegegeld der Pflegestufe I aus der Versicherung seiner Mutter für die Zeit vom 1. Oktober 2002 bis zum 28. Februar 2003.

Im Oktober 2002 beantragte die Mutter des Klägers bei der Beklagten Leistungen aus der Pflegeversicherung. Mit Bescheid vom 24. Oktober 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab. Mit dem hiergegen am 12. November 2002 erhobenen Widerspruch brachte der Kläger in Vollmacht seiner Mutter ergänzend vor, er könne den unabdingbar notwendigen pflegerischen Aufwand, der im Antrag genau benannt worden sei, nicht mehr alleine tragen. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), die am 23. Januar 2003 in Gegenwart des Klägers stattfand. Als deren Ergebnis hielt der MDK fest, die Mutter des Klägers sei nicht pflegebedürftig im Sinne des SGB XI, denn der tägliche Zeitaufwand für die Grundpflege sei mit nur 27 Minuten anzusetzen und entfalle auf das Baden (7 Minuten), die Anleitung zur mundgerechten Nahrungszubereitung (9 Minuten) und das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe (11 Minuten).

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2003 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, der nötige Zeitaufwand für die Grundpflege erreiche im Tagesdurchschnitt nicht mehr als 45 Minuten.

Mit der zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Mutter des Klägers vorgebracht, der angesetzte tägliche Bedarf für Körperpflege sei mit 7 Minuten zu kurz bemessen. Aufgrund ihrer Harninkontinenz müsse sie sich mehrmals täglich waschen und die Kleidung wechseln, wozu sie alleine nicht in der Lage sei. Dies schlage sich auch in erhöhtem Umkleideaufwand nieder. Sowohl ihre arthritischen Beschwerden als auch ihre Demenz machten eine umfangreichere Hilfe bei der Nahrungszubereitung nötig als die angesetzten 9 Minuten.

Aufgrund einer Bewilligung von Leistungen der stationären Pflege nach der Pflegestufe II ab Juli 2003 hat die Mutter des Klägers das Verfahren für den Zeitraum ab Juli 2003 für erledigt erklärt. Das Sozialgericht hat über die Pflegebedürftigkeit der Mutter des Klägers ein Gutachten der Ärztin A eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten Bezug genommen.

Nachdem die Beklagte ein vom Kläger angenommenes Teilanerkenntnis ausgesprochen und dem Kläger ab dem 1. März 2003 Leistungen der Pflegestufe I gewährt hat, hat das Sozialgericht die weitergehende Klage mit Urteil vom 19. Oktober 2006 abgewiesen, die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu ¾ der Beklagten auferlegt und zur Begründung ausgeführt, die Mutter des Klägers sei in der streitgegenständlichen Zeit von Oktober 2002 bis Februar 2003 nicht erheblich pflegebedürftig gewesen. Insofern sei dem zeitnah erstellten Gutachten des MDK gegenüber dem gerichtlich eingeholten Gutachten der Vorrang zu geben.

Mit seiner am 2. Januar 2007 erhobenen Berufung gegen das am 7. Dezember 2006 zugestellte Urteil bringt der Kläger vor, das Sozialgericht sei zu Unrecht von dem von ihm eingeholten Gutachten abgewichen. So habe nicht auf das Gutachten des MDK abgestellt werden können, weil die darin verwerteten Angaben seiner Mutter auf deren Uneinsichtigkeit in die eigene Pflegebedürftigkeit zurückzuführen seien. Im Übrigen ist er der Ansicht, er sei Sonderrechtsnachfolger seiner Mutter und daher von Gerichtskosten befreit. Hierzu trägt er vor, er habe mit seiner Mutter einen gemeinsamen Haushalt geführt. Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach der Stufe I aus der Versicherung der Verstorbenen auch für die Zeit vom 1. Oktober 2002 bis zum 28. Februar 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt hierzu auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg, denn die Verurteilung zur Gewährung des begehrten Pflegegeldes ist nicht begründet, § 131 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf das begehrte Pflegegeld aus § 37 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) als Sonderrechtsnachfolger nach seiner Mutter gem. § 56 Abs. 1 Nr. 2 SGB I oder als deren Erbe gem. § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Der geltend gemachte Anspruch setzt nach § 37 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB XI u. a. voraus, dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und mindestens der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.

Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die Partei materiell beweispflichtig, die daraus eine für sich günstige Rechtsfolge herzuleiten sucht, hier also der Kläger. Notwendig ist insoweit die volle Überzeugung des Gerichts, so dass der Klage auch dann der Erfolg versagt bleiben muss, wenn das Gericht die behauptete Pflegebedürftigkeit für überwiegend wahrscheinlich hielte. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststellen, dass der Grundpflegebedarf seiner Mutter wöchentlich im Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten betrug.

Der Senat folgt insofern der Darstellung des Sozialgerichts, die unter Verwertung der im Verwaltungs- und im Klageverfahren erhobenen ärztlichen und fachpflegerischen Feststellungen einschließlich des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen vom 11. April 2006 erfolgt ist. Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils vom 19. Oktober 2006 wird nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren und die ergänzende gutachterliche Stellungnahme der Gerichtssachverständigen vom 15. Mai 2007 rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Der Senat hat sich dabei maßgeblich davon leiten lassen, dass die Gerichtssachverständige das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nicht anhand eigener Anschauung hat beurteilen können, sondern insofern auf die Angaben des Klägers aus dessen Erinnerung und die Auswertung von Krankenunterlagen beschränkt war. Vor diesem Hintergrund kommt den im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung gemachten Angaben und den Feststellungen des MDK aus dem Januar 2003 eine besondere Bedeutung zu.

Auszugehen ist insofern zunächst von den Angaben der Mutter des Klägers bzw. des Klägers bei Antragstellung. Im Antragsformular vom 14. Oktober 2002, an dessen Ausfüllen der Kläger zumindest beteiligt war, ist Hilfebedarf für die hauswirtschaftliche Versorgung und die regelmäßige Medikamentengabe benannt worden, nicht aber für den Bereich Körperpflege und Ernährung, so dass sich daraus kein Grundpflegebedarf ergab. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2002 hat der Kläger die Angaben dahingehend ergänzt, dass eine Pflegebedürftigkeit bei der Versorgung mit Inkontinenz- Materialien, beim Baden und beim Anziehen und Wechsel der Kompressionsstrümpfe bestehe, sowie bei dem mindestens wöchentlichen Arzt- bzw. Klinikbesuch. Damit ist erstmals ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege geltend gemacht worden. Die Hilfe beim Verlassen bzw. Wiederaufsuchen der Wohnung aus Anlass von Arztbesuchen muss jedoch nach den zutreffenden Erwägungen des Sozialgerichts unberücksichtigt bleiben, denn diese Besuche haben nicht mindestens wöchentlich stattgefunden, sondern ausweislich der Befundberichte im streitgegenständlichen Zeitraum bei Frau Dr. K gar nicht und bei Herrn Dr. K vier mal (2.10.02, 4.2.03, 12.2.03 und 24.2.03). Hinsichtlich der Hilfsbedürftigkeit beim Baden und der Bekleidung mit Kompressionsstrümpfen decken sich die Angaben im Schreiben des Klägers mit den Feststellungen des MDK aus der Begutachtung vom 23. Januar 2003. Während der MDK für diese Verrichtungen einen täglichen Hilfebedarf von 18 Minuten angesetzt hat, hat die Gerichtsgutachterin den hierauf entfallenden Bedarf mit insgesamt nur 15 Minuten (Baden 5 Min., Transfer in die Badewanne 1 Min., An- und Auskleiden 9 Min.) bemessen. In Bezug auf die Versorgung mit Inkontinenz-Materialien weichen die Angaben des Klägers von den Feststellungen des MDK ab. Gegen einen entsprechenden Hilfebedarf spricht die im MDK-Gutachten festgehaltene Auskunft der Mutter des Klägers, sie benutze keine Vorlagen oder Windeln, der der bei der Begutachtung anwesende Kläger offenbar weder seinerzeit noch auf die Übersendung des schriftlichen Gutachtens hin entgegengetreten ist. Hiergegen spricht auch, dass der MDK in seiner Stellungnahme vom 14. August 2007 festgestellt hat, der Mutter des Klägers sei durch deren Krankenkasse vor der stationären Aufnahme keine Versorgung mit Inkontinenz-Material geleistet worden. Aber selbst wenn man zugunsten des Klägers von einer diesbezüglichen Hilfebedürftigkeit ausginge, wäre diese nach den Ausführungen der Gerichtsgutachterin mit einem täglichen Zeitaufwand von 3 Minuten zu bemessen.

Soweit die Sachverständige darüber hinaus zahlreiche weitere Verrichtungen aufgeführt hat und so zu einem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 62 Minuten, bzw. nach Herausrechnen der ursprünglich angesetzten Arztbesuche von 52 Minuten gelangt ist, überzeugt dies nicht. Mit Ausnahme des Badens und des Vorlagenwechsels ist keine der von der Gutachterin benannten Verrichtungen aus dem Bereich Körperpflege im Verwaltungsverfahren angegeben worden. Dies deckt sich mit der Feststellung im MDK-Gutachten vom 23. Januar 2003, wonach die Antragstellerin keine Hilfe beim Waschen, Zähneputzen, Haarekämmen oder Verrichten der Notdurft benötige. Soweit der Kläger insoweit einwendet, es habe seiner dementen Mutter an der Einsichtsfähigkeit in die eigene Hilfebedürftigkeit gefehlt, dringt er nicht durch, denn er war bei der Begutachtung durch den MDK zugegen und kannte aufgrund seiner Bevollmächtigung auch das Gutachten des MDK. Er hätte daher sowohl während der Begutachtung wie auch in Reaktion auf das Gutachten die Gelegenheit gehabt, falsche Angaben seiner Mutter klarzustellen. Das Unterbleiben einer solchen zeitnahen Klarstellung spricht für die Richtigkeit der Angaben im Antrag und der Feststellungen im MDK-Gutachten.

Selbst wenn man zusätzlich zum übereinstimmend durch den MDK und die Sachverständige festgestellten Hilfebedarf beim Baden zugunsten des Klägers unterstellte, dass seine Mutter aus dem Bereich Körperpflege auch Hilfe beim Vorlagenwechsel benötigte und weiterhin den ihm jeweils günstigeren Zeitansatz aus beiden Gutachten wählte, ergäbe sich folgende Hilfebedürftigkeit von insgesamt nur 35 Minuten:

Körperpflege:

Baden

7 Minuten (MDK),

Vorlagenwechsel

3 Minuten (Gerichtsgutachterin)

Ernährung

Mundgerechte Zubereitung

9 Minuten (MDK)

Impulsgebung, Kontrollen

5 Minuten (Gerichtsgutachterin)

Mobilität

An- und Auskleiden

9 Minuten (MDK und Gerichtsgutachterin)

Transfer in Badewanne

2 Minuten (MDK)

Im Übrigen wäre die Klage hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Oktober 2002 bis zum Eingang des Antrags bei der Beklagten am 17. Oktober 2002 auch deshalb unbegründet, weil Leistungen gem. § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB XI erst ab Antragstellung gewährt werden. Dafür, dass eine Pflegebedürftigkeit in dem erst anspruchsbegründenden Umfang bereits mehr als einen Monat vor Antragstellung vorgelegen habe und daher gem. § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB XI die Leistung ab dem 1. Oktober 2002 hätte gewährt werden müssen, ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO, denn der Kläger gehört nicht zu den in § 183 SGG genannten Personen, ist insbesondere nicht gem. § 56 Abs. 1 Nr. 2 SGB I Sonderrechtsnachfolger seiner Mutter. Nach der genannten Vorschrift sind Kinder Sonderrechtsnachfolger, wenn sie mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Da die Mutter des Klägers im Januar 2005 verstorben ist, sich aber bereits seit Juli 2003 in einem Pflegeheim befand, liegt die Voraussetzung eines Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt nicht vor.

Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.