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Die Rücknahme eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz nach Beschlussfassung bedarf nicht der Einwilligung des Antragsgegners (entgegen VG Berlin, Beschluss vom 17. November 2014 - 4 L 210.14 -, JurisRechtsschutzbedürfnis; Rücknahme des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz; Einwilligungserfordernis des Antragsgegners in die Antragrücknahme (verneint); Wirkungslosigkeit des Beschlusses


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 30.01.2015
Aktenzeichen OVG 1 S 1.15 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 92 Abs 1 S 2 VwGO, § 92 Abs 1 S 3 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 80 Abs 7 VwGO, § 269 Abs 3 ZPO, § 269 Abs 4 ZPO

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. November 2014 wird aufgehoben.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. September 2014 ist mit Ausnahme der Entscheidung über den Streitwert unwirksam.

Das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erster Instanz wird eingestellt.

Der Antragsteller hat die Kosten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens erster Instanz zu tragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der der Antragsteller erreichen will, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25. September 2014 für wirkungslos erklärt und der - dieses Begehren ablehnende - Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. November 2014 aufgehoben wird, ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht dem Begehren des Antragstellers nicht entsprochen.

Auf den entsprechend § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 4 Satz 1 ZPO gestellten Antrag des Antragstellers vom 12. November 2014 hätte das Verwaltungsgericht die Unwirksamkeit seines Beschlusses vom 25. September 2014 aussprechen müssen.

Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für diesen Antrag hat der Senat aufgrund der besonderen Umstände in dem konkreten Einzelfall nicht. Zwar wird ein noch nicht rechtskräftiger Beschluss durch die Rücknahme des Antrags entsprechend § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO wirkungslos, auch ohne dass es seiner ausdrücklichen Aufhebung oder einer entsprechenden Feststellung bedarf. Das Verwaltungsgericht hat jedoch durch seine Verfügung vom 26. September 2014 zu erkennen geben, dass die Einwilligung des Antragsgegners in die Antragsrücknahme hierfür maßgeblich sein könnte. Die daraus resultierende Unsicherheit, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Wirkungen der Antragsrücknahme eingetreten sind, rufen ein Bedürfnis zur Klarstellung hervor.

Die Voraussetzungen des § 269 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 ZPO (in entsprechender Anwendung i.V.m. § 173 VwGO) lagen vor, denn der Antragsteller hat seinen einstweiligen Rechtsschutzantrag am 25. September 2014 rechtswirksam zurückgenommen, nachdem dieser mit Beschluss vom selben Tage zurückgewiesen worden war. Die Rücknahme des Antrags erfolgte vor Eintritt der formellen Rechtskraft des anfechtbaren Beschlusses des Verwaltungsgerichts (vgl. entsprechend § 92 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Als Folge der rechtswirksamen Antragsrücknahme entfällt die Rechtshängigkeit des Antrags rückwirkend und der im Verfahren bereits ergangene Beschluss wird wirkungslos (entsprechend § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Das Verfahren ist entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Die Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO dem Antragsteller aufzuerlegen. So war nunmehr auch zu tenorieren.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgericht hängt der Eintritt dieser Rechtsfolgen nicht von der Einwilligung des Antragsgegners in die Antragsrücknahme ab, denn § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO findet im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keine analoge Anwendung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25. Juni 1982 - 20 AS 81 D.110 -, DÖV 1983, 42, 43; Sächsisches OVG, Beschluss vom 14. Januar 2009 - 2 B 426/08 -, juris; Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Auflage, § 92 Rn. 8; Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Band II, Stand März 2014, § 92 Rn. 83; Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 92 Rn. 24; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage, § 92 Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage, § 92 Rn. 2;).

Nach dieser Vorschrift setzt die Zurücknahme der Klage nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung die Einwilligung des Beklagten voraus. Diese Regelung dient allein dem schutzwürdigen Interesse des Beklagten an einer Sachentscheidung, nachdem durch Antragstellung im Klageverfahren, in welchem nach umfassender Aufklärung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eine verbindliche Entscheidung mit endgültiger Wirkung getroffen wird, verhandelt worden ist (vgl. Clausing in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O.; vgl. zur identischen Interessenlage im Revisionsverfahren bei Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung: BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1967 - VI C 8.67 u.a.-, BVerwGE 26, 143, 144). In diesem Fall soll der Beklagte den Rückzug des Klägers aus dem Verfahren verhindern können. Eine Erstreckung des Anwendungsbereiches dieser Regelung auf das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, welches von dem Anwendungsbereich der Vorschrift nicht erfasst ist, ist nicht geboten. Eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes liegt nicht vor. Eine solche ist dann gegeben, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 5 C 18.12 - juris, Rn. 22). Der Sinn und Zweck des § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt indes nicht seine Anwendung auf das vorläufige Rechtsschutzverfahren. Denn das vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, welches in der Regel nur eine summarische Prüfung erfordert und von einer Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist, hat keine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits, sondern eine vorläufige Regelung zum Ziel. Ein vergleichbares Schutzbedürfnis des Antragsgegners, welches Anlass geben könnte, dem Antragsteller die Antragsrücknahme zu erschweren, besteht nicht.

Soweit das Verwaltungsgericht eine entsprechende Anwendung des § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht aus dem Zweck dieser Norm, sondern aus der Regelung des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO herleitet und ausführt, dass diese Regelung unterlaufen werden würde, wenn es ein Antragsteller einseitig in der Hand hätte, die Wirkungslosigkeit eines Beschlusses gemäß § 80 Abs. 5 VwGO herbeizuführen, vermag der Senat diesem Ansatz nicht zu folgen. Es kann ersichtlich nicht von der Einwilligung des Antragsgegners in die Antragsrücknahme abhängen, ob die Einschränkungen des § 80 Abs. 7 VwGO bei einem weiteren vorläufigen Rechtsschutzantrag anzuwenden sind oder nicht. Deren Anwendung kann nicht in der Hand des Antragsgegners liegen. Die in § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geregelten Voraussetzungen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände sollen der Entlastung der Gerichte dienen (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 80 Rn. 185). Aufgrund der unterschiedlichen Zweckrichtungen des § 80 Abs. 7 VwGO und des § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO vermag der Begründungsansatz des Verwaltungsgerichts deswegen nicht zu überzeugen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden wegen unrichtiger Sachbehandlung gem. § 21 Abs. 1 S. 1 GKG für das dadurch veranlasste Beschwerdeverfahren nicht erhoben.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).