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Entscheidung 10 UF 79/14


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 29.09.2014
Aktenzeichen 10 UF 79/14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde des Vaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 21. März 2014 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Eltern streiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind T… A… F…, geboren am ….4.2007.

Die Eltern waren nicht miteinander verheiratet. Durch Urkunde des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 14.8.2007 erklärten sie nach der Anerkennung der Vaterschaft, die elterliche Sorge für A… gemeinsam zu übernehmen. Die Eltern trennten sich bereits im Jahr 2008. A… lebt seither im Haushalt der Mutter in B…. Die Mutter lebt mit ihrem Lebensgefährten, dem Zeugen T…, zusammen. Aus dieser Verbindung ist der gemeinsame Sohn M…, geboren im Jahr 2012, hervorgegangen. Der Vater lebt mit seiner Tochter L…, geboren 1990, und seinem Sohn La…, geboren 1991, in einer Eigentumswohnung in Be…. Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Im Hinblick auf die vorangegangenen gerichtlichen Auseinandersetzungen der beteiligten Eltern hat der Senat die Akten 159 F 5969/08 des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg sowie 60 F 232/09, 60 F 308/10 des Amtsgerichts Bad Freienwalde sowie 6 F 634/12 und 6 F 327/14 des Amtsgerichts Bernau bei Berlin beigezogen.

Das Amtsgericht hat im vorliegenden Verfahren zunächst Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. In seinem Beweisbeschluss vom 8.4.2013 hat das Amtsgericht die Sachverständige H… M… auch damit beauftragt, zunächst zu versuchen, mit den Eltern und dem Kind eine einvernehmliche Regelung zu finden. Die Sachverständige hat in einem „lösungsorientierten Gutachten“ vom 15.1.2013 Stellung genommen und ihre Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht vom 27.1.2014 ergänzt.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 21.3.2014 hat das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A… auf die Mutter allein übertragen und die weitergehenden Anträge, nämlich denjenigen der Mutter, ihr die gesamte elterliche Sorge allein zu übertragen, und die Anträge des Vaters (Hauptantrag, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen; Hilfsantrag, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf einen vom Gericht zu bestimmenden Amtsvormund zu übertragen), zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Vater mit der Beschwerde.

Er trägt vor:

Die Mutter habe in der Vergangenheit deutliche Defizite hinsichtlich der Bindungstoleranz gezeigt. Sie sei nicht willens, die elterliche Sorge für A… gemeinsam mit ihm, dem Vater, auszuüben. Sie informiere ihn nicht konsequent, wolle ihn auf einen „Wochenendvater“ reduzieren und nehme an Vermittlungsgesprächen mit ihm nicht teil.

Gemeinsame Gespräche mit Lehrern habe sie konsequent abgelehnt. Nachdem A… zwischenzeitlich unter erheblichen Konzentrationsstörungen gelitten habe und deshalb wohl die erste Klasse nicht schaffen werde, habe die Schulleiterin der evangelischen Grundschule in B… die Eltern zu einem Gespräch am 12.5.2014 gebeten. Die Mutter sei zu einem gemeinsamen Gespräch nicht bereit gewesen, weshalb er das Gespräch mit drei Lehrerinnen allein geführt habe. Die Mutter habe wohl danach auch mit den Lehrerinnen gesprochen.

Er habe vorgeschlagen, dass A… für zwei Jahre eine psychologische Betreuung bekomme und ein Weg gefunden werden solle, wie die Eltern gemeinsam für A… Wohl sorgen. Mit Hilfe eines Vermittlers sollten die grundsätzlichen Angelegenheiten, die A… betreffen, gemeinsam besprochen werden. Wenn die Mutter behaupte, sie sei ebenfalls an vermittelnden Gesprächen interessiert, seien das bisher reine Lippenbekenntnisse gewesen.

A… Situation sei nur äußerlich betrachtet akzeptabel. Er lebe zwar mit wohlsituierten Eltern, aber ständig unter extremen emotionalen Spannungen. Permanent müsse er sich mit Eifersucht und Herrschsucht seiner Mutter auseinandersetzen. Die mehrfachen Ermahnungen des Gerichts, an den Schwierigkeiten zu arbeiten, seien bislang ohne Konsequenz geblieben.

Er habe nicht vor, A… vorzuschreiben, dass er bei ihm leben müsse, habe aber eindeutig den Eindruck, dass dies bereits heute A… Wunsch sei. Seiner Überzeugung nach sollten grundsätzlich beide Eltern für das Kind verantwortlich sein und deshalb die elterliche Sorge gemeinsam ausüben. Die Eltern sollten sich darauf einigen, dass A…, wenn er es wolle, ab dem nächsten Schuljahr bei ihm, dem Vater, leben dürfe. Ein intensiver Kontakt des Kindes zur Mutter werde dann in jedem Fall aufrechterhalten.

Da die Mutter A… gegenüber die Befürchtung äußere, sie und der kleine Bruder könnten ihn nicht wiedersehen, wenn er beim Vater lebe, entziehe sich A… jeder verantwortlichen Positionierung gegenüber dem Gericht und der Sachverständigen. Wenn A… es wolle, könne er zu ihm, dem Vater, nach Be… ziehen. Von seiner liebevoller Zuwendung und derjenigen der großen Geschwister würde A… profitieren.

Anders als die Mutter es in der Vergangenheit getan habe, wolle er diese zukünftig über alle wichtigen Ereignisse, die A… beträfen, informieren und mit ihr die wichtigen Entscheidungen gemeinsam treffen. Nach seiner Vorstellung sollten zukünftig beispielsweise Gespräche mit A… Lehrerinnen gemeinsam geführt werden.

Der Vater beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Mutter, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A… zu übertragen, zurückzuweisen.

Die Mutter beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Sie grenze den Vater nicht aus. Soweit ein Informationsbedürfnis des Vaters bestehe, erfolge die Weitergabe von Informationen per E-Mail. An welchen Vermittlungsgesprächen mit dem Vater sie nicht teilgenommen haben soll, sei nicht ersichtlich.

Der Vater versuche, bestehende Regelungen in Bezug auf den Umgang mit seinem Sohn zu unterlaufen und aus vorgeschobenen Gründen mehr Kontakt zu seinem Sohn „zu erschleichen“. Neben den festgelegten Umgangszeiten erscheine der Vater unangekündigt in der Schule oder bei Sportveranstaltungen und führe so weitere Zusammentreffen „rein zufällig“ mit seinem Sohn herbei. Dabei sei es dem Vater unbenommen, sich neben den Informationen, die sie ihm gebe, in der Schule und bei Lehrern nach dem Leistungsstand des Kindes und dergleichen zu erkundigen.

Sie mische sich nicht in die Umgangszeiten beim Vater ein, damit A… die Zeit beim Vater ungestört genießen könne. Für das Kindeswohl sei allerdings ein relativ starr geregelter Tagesablauf notwendig.

Der Vater gehe sogar so weit, dass er A… erzähle, dieser könne, wenn alles gut laufe, in zwei Monaten zu ihm nach Be… ziehen, ansonsten erst in zwei Jahren. Offensichtlich werde der Aufenthalt von A… im Gespräch zwischen Vater und Kind thematisiert. Der Vater versuche auf subtile Art und Weise, das Kind für eigene Interessen zu instrumentalisieren.

Der Vater lege es bewusst darauf an, mit ihr, der Mutter zusammenzutreffen, um dies dann als „unglückliche Umstände“ darzustellen. Sie hingegen versuche, A… aus sämtlichen Konflikten mit dem Vater herauszuhalten. Für die Entscheidung des Amtsgerichts spreche schon, dass so die bisherige Kontinuität des Lebensumfeldes des Kindes nicht geändert werden müsse.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat im Beschwerdeverfahren aktuelle Stellungnahmen des Jugendamtes, der Schule und des Verfahrensbeistandes herbeigeführt. Auf den Inhalt dieser Stellungnahmen wird verwiesen.

Schließlich hat der Senat die Eltern, das Kind und den Verfahrensbeistand angehört sowie den Zeugen T… vernommen. Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk zum Senatstermin vom 2.9.2014 Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Vaters ist unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A… der Mutter allein übertragen.

1.

Die gemeinsame elterliche Sorge ist hinsichtlich des Teilbereiches Aufenthaltsbestimmungsrecht aufzuheben und dieses Recht auf die Mutter allein zu übertragen.

Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 1 BGB jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist, wenn nicht der andere Elternteil zustimmt, § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB, stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht, § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB.

a)

Die gemeinsame elterliche Sorge ist hinsichtlich des Teilbereichs des Aufenthaltsbestimmungsrechts aufzuheben. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass sich im Beschwerdeverfahren nun nicht mehr widerstreitende Anträge der Eltern auf Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts gegenüberstehen.

aa)

Ursprünglich hatte jeder Elternteil beantragt, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu übertragen, die Mutter darüber hinaus, ihr die gesamte elterliche Sorge allein zu übertragen. Nachdem das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter allein übertragen und die weitergehenden Anträge der Eltern zurückgewiesen hat, hat nur der Vater Beschwerde mit dem Ziel, das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu erlangen, eingelegt. Mangels Anschlussrechtsmittels seitens der Mutter geht es im Beschwerdeverfahren somit nur noch um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A….

Im Termin vor dem Senat hat der Vater dann nur noch beantragt, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht beiden Eltern belassen werde. Der Sache nach handelt es sich um das Begehren, dass der Antrag der Mutter, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein zu übertragen, zurückgewiesen werde.

Die Änderung des Beschwerdeziels im Verlauf des Beschwerdeverfahrens ist zu beachten. Eine Bindung an ursprünglich gestellte Anträge besteht insoweit nicht.

Mit Einlegung der Beschwerde gemäß § 64 Abs. 1, 2 FamFG muss - abgesehen von den Ehesachen und Familienstreitsachen (vgl. § 117 Abs. 1 Satz 1, 2 FamFG) - ein Antrag nicht unbedingt gestellt werden (Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 3. Aufl., § 64 Rn. 18; Hahne/ Munzig/Gutjahr, BeckOK FamFG, Edition 13, § 64 Rn. 21). Entsprechend kann der Rechtsmittelführer sein Beschwerdebegehren im Laufe des Beschwerdeverfahrens noch verändern. Allerdings kann Gegenstand des Beschwerdeverfahrens grundsätzlich nur der Verfahrensgegenstand sein, über den im ersten Rechtszug entschieden worden ist (BGH, NJW 2011, 2577 Rn. 11; NJW-RR 2011, 1081 Rn. 12; FGPrax 2011, 78 Rn. 7). Das Beschwerdegericht kann den Verfahrensgegenstand nicht erweitern (Hahne/Munzig/Gutjahr, a.a.O., § 69 Rn. 40). Deshalb sind in der Beschwerdeinstanz neue Anträge, die den Verfahrensgegenstand verändern, grundsätzlich ausgeschlossen (BayObLG, NJW-RR 1994, 1032). So liegt es hier aber nicht. Auch nach der Änderung des Antrags des Vaters ist Verfahrensgegenstand weiterhin das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind der beteiligten Eltern.

bb)

Die vom Vater nun begehrte Aufrechterhaltung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts entspricht dem Kindeswohl nicht am besten. Denn auch wenn der Vater seinen Antrag nun geändert hat, geht es ihm, wie seine Äußerungen im Anhörungstermin vor dem Senat erkennen lassen, weiterhin darum, dass A… bei ihm seinen Lebensmittelpunkt haben soll. Die Mutter hingegen hält an der alleinigen Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts fest, weil sie möchte, dass A… weiterhin bei ihr leben soll. Da die Eltern nicht in der Lage sind, diesen Interessenkonflikt ohne gerichtliche Hilfe zu lösen, bedarf es einer Entscheidung des Senats über das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

Das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht ist ungeachtet der vom Vater im Anhörungstermin vor dem Senat abschließend geäußerten Auffassung, die Eltern sollten bei einer Mediation nicht über unterschiedliche rechtliche Position verfügen, aufzuheben. Soweit die Eltern im Senatstermin übereinstimmend erklärt haben, die schon einmal begonnenen Beratungsgespräche bei der A… fortzusetzen, steht dem eine gerichtliche Regelung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht entgegen. Die Beratungsgespräche sollen dazu dienen, zwischen den Eltern bestehende Konflikte abzubauen. Ein Bedürfnis hierfür besteht unabhängig von der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht.

b)

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist der Mutter allein zu übertragen. Denn dies entspricht dem Wohl des Kindes am besten.

Bei der Frage, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge in dem Teilbereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung der Wahrnehmung dieses Bereichs auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht, sind folgende Gesichtspunkte zu beachten, wobei deren Reihenfolge im Hinblick auf ihren Stellenwert keine Bedeutung zukommt (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 5. Aufl., § 1671 BGB Rn. 83 f.):

- der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Stetigkeit und die Wahrung der Entwicklung des Kindes abstellt sowie

- die Bindungen des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister.

- der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist,

- der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung

(vgl. zum Ganzen Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl., § 1671 Rn. 27 ff., 38 ff., 40, 41; Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671 BGB Rn. 52 ff., 64 ff., 68 ff., 78 ff.)

Der Senat ist bei der unter diesem Gesichtspunkt vorgenommenen Überprüfung zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Wohl des Kindes A… am besten entspricht, wenn die Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübt.

aa)

Der Kontinuitätsgrundsatz spricht eindeutig dafür, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Mutter zu übertragen. A… lebt seit der Trennung der Eltern vor etwa sechs Jahren im Haushalt der Mutter. Von ihr ist er überwiegend betreut und erzogen worden. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten das alterstypisch vorrangige Bedürfnis nach Betreuungskontinuität hervorgehoben. Hinzu kommt, dass A… inzwischen eine Schule am Wohnort der Mutter besucht. Im Falle eines Aufenthaltswechsels zum Vater müsste er umgeschult werden und sich entsprechend an neue Lehrer und Mitschüler gewöhnen. Auch könnte er seinen sportlichen Aktivitäten im Rahmen der Schul-AGs, nämlich Handball und Judo, nicht mehr nachgehen. Am Wohnort des Vaters müsste dann für anderweitige sportliche Betätigung gesorgt werden, was wiederum mit einer Umstellung für das Kind verbunden wäre.

bb)

Unter dem Gesichtspunkt der Bindungen des Kindes an seine Eltern lässt sich ein Vorrang eines Elternteils nicht feststellen. Die Sachverständige geht von einer sicheren Bindung des Kindes an die Mutter aus, beschreibt aber ebenso eine ausgeprägte Beziehung A… zu seinem Vater. In der ersten Instanz hat der Verfahrensbeistand darauf hingewiesen, die seinerzeit von A… besuchte Kita habe Interaktionen des Kindes mit den Eltern erlebt und sei zu der Einschätzung gelangt, dass das Kind gute Beziehungen zu beiden Elternteilen habe.

cc)

Die Geschwisterbindungen A… haben ebenfalls keine Auswirkungen auf die Frage, wie das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu regeln ist.

A… lebt im Haushalt seiner Mutter gemeinsam mit dem im Jahr 2012 geborenen Halbbruder M…. Dem Verfahrensbeistand hat A… erklärt, er würde, wenn er in den Haushalt des Vaters wechseln würde, M… sehr vermissen. Nach den Angaben der Mutter in der unter dem 8.8.2014 vorgelegten Stellungnahme hat A… ein sehr inniges Verhältnis zu M…. Dies wird vom Vater auch nicht in Abrede gestellt.

Andererseits leben im Haushalt des Vaters ebenfalls zwei Halbgeschwister A…. Diese sind zwar schon volljährig, doch besteht auch hier offensichtlich eine gute Beziehung. Gegenüber dem Verfahrensbeistand hat A… in erster Instanz davon berichtet, mit dem Halbbruder La… Raumschiffe zu bauen. Bei einem aktuellen Gespräch mit dem Verfahrensbeistand am 28.7.2014 hat A… erklärt, von seinen vier Geschwistern L… am meisten zu mögen. Dies steht im Einklang mit der Feststellung des Vaters in seiner Stellungnahme vom 21.8.2014, wonach das Verhältnis zwischen A… und L… besonders innig sei.

Nach alledem kann festgestellt werden, dass A… jedenfalls zu den drei Halbgeschwistern, die in den Haushalten der Eltern leben, sehr gute geschwisterliche Beziehungen hat. Der Verfahrensbeistand hat im Senatstermin entsprechend hervorgehoben, dass A… von allen Geschwistern profitieren könne.

dd)

Ein etwa geäußerter Kindeswille kann für die Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht ausschlaggebend sein.

Einerseits kommt nach Art. 1 und 2 GG schon dem Kind ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu, weshalb auch bei Sorgerechtsentscheidungen der Wille des Kindes zu berücksichtigen ist, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist (Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671 BGB Rn. 79). Andererseits bietet der Kindeswille regelmäßig erst bei einem Alter der Kinder ab etwa 12 Jahren eine einigermaßen zuverlässige Entscheidungsgrundlage (vgl. Senat, FamRZ 2003, 1951, 1954; Beschluss vom 25.11.2010 - 10 UF 135/10, BeckRS 2010, 30458; OLG Brandenburg, 1. Familiensenat, FamRZ 2008, 1472, 1474; OLG Brandenburg, 5. Familiensenat, Beschluss vom 29.7.2013 - 3 UF 47/13, BeckRS 2013, 19107).

A… Äußerungen deuten zwar zum Teil darauf hin, dass er seinen Lebensmittelpunkt eher beim Vater als bei der Mutter haben möchte. Ein autonomer Kindeswille lässt sich hieraus aber nicht ableiten. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten bereits darauf hingewiesen, dass es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Eltern mit A… auch über seinen Lebensmittelpunkt sprechen, so dass Einflussnahmen der Eltern eher nahe liegen. Belegt wird dies durch die Wiedergabe der Äußerungen des Kindes durch den Verfahrensbeistand in seinem Bericht vom 17.10.2013, wo A… ausdrücklich erklärt hat, dass er der Richterin sagen solle, mehr beim Vater sein zu wollen. Im Übrigen hat er seinerzeit den Wunsch, beim Vater wohnen zu wollen, auch damit erklärt, dass er den Vater sehr wenig sehe. In dem Wunsch klingt daher das Bedürfnis nach einem etwa häufigeren Kontakt zum Vater an. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass A… sich einen Wechsel des Lebensmittelpunktes wünscht.

Im Übrigen ist zu beachten, dass sich das Kind in einem deutlichen Loyalitätskonflikt befindet. Das lässt sich etwa an seinen Äußerungen bei der Anhörung vor dem Amtsgericht am 18.10.2013 erkennen. A… hat seinerzeit erklärt, es sei bei beiden Elternteilen gleich schön, weshalb er eigentlichen eine hälftige Aufteilung („zwei Wochen bei Mama und zwei Wochen bei Papa“) befürwortet hat. Jüngst hat das Kind gegenüber dem Verfahrensbeistand, wie dessen Bericht vom 8.8.2014 zu entnehmen ist, auf das Thema des bevorzugten Aufenthalts gar nicht mehr angesprochen werden wollen. Im Anhörungstermin vor dem Senat hat A… auf die Frage des Verfahrensbeistands, was sein allergrößter Wunsch sei, erklärt, dass „Mama und Papa sich wieder vertragen“.

Dies alles macht deutlich, dass das Kind hin- und hergerissen ist und einen autonomen Kindeswillen, d. h. eine begründete Entscheidung darüber, bei welchem Elternteil es leben wolle, nicht gebildet hat.

ee)

Unter dem Gesichtspunkt des Förderungsgrundsatzes besteht allenfalls ein leichter Vorrang des Vaters.

(1)

Die tatsächlichen Betreuungsmöglichkeiten sind bei beiden Elternteilen gleichermaßen gegeben. In jedem Haushalt hat A… ein eigenes Zimmer. Soweit die Mutter dies in Bezug auf die Wohnverhältnisse beim Vater jüngst in Zweifel gezogen hat, hat eine Klärung im Senatstermin ergeben, dass A… auch beim Vater weiterhin ein eigenes Bett in einem eigenen Zimmer hat.

(2)

Die Erziehungsmöglichkeiten sind weder beim Vater noch bei der Mutter im Hinblick auf deren Erwerbstätigkeiten über das normale Maß hinaus eingeschränkt. Der Vater hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 21.8.2014 seine Erwerbstätigkeit näher erläutert und im Senatstermin noch einmal darauf hingewiesen, dass Dienstreisen ins Ausland nur selten vorkämen und die Betreuung A… auch in solchen Zeiten gesicherten werden könne. Die Mutter hat in ihrer unter dem 29.8.2014 vorgelegten schriftlichen Stellungnahme wie auch im Senatstermin auf ihre Teilzeitbeschäftigung und die damit einhergehende Flexibilität bei der Kindesbetreuung ebenso hingewiesen wie auf die Unterstützung durch ihren Lebensgefährten.

(3)

Im Hinblick auf ihre Erziehungsfähigkeit sind beide Elternteile gleichermaßen gut geeignet. Eine entsprechende Feststellung hat die Sachverständige getroffen. Der Verfahrensbeistand hat im Senatstermin noch einmal hervorgehoben, dass beide Elternteile dem Kind liebevoll zugewandt seien, so dass grundsätzlich ein Lebensmittelpunkt in beiden Haushalten akzeptabel sei.

(4)

Die Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht wird von der partnerschaftlichen Situation der Eltern nicht beeinflusst. Zum Lebensgefährten der Mutter, dem Zeugen T…, hat A… offenbar ein gutes Verhältnis. Hinsichtlich der Partnerin des Vaters lassen sich abschließende Feststellungen nicht treffen. A… hat sie nur einmal vor zwei Jahren kennengelernt. Im Übrigen kennt er nur den Austausch des Vaters mit der Partnerin per Skype.

(5)

Mit der Sachverständigen ist zwar davon auszugehen, dass die Bindungstoleranz der Mutter etwas eingeschränkt ist. Jedoch lässt sich unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht feststellen, dass sich insoweit aufseiten des Vaters ein deutlicher Vorrang ergibt.

(a)

Allerdings musste der Vater in der Vergangenheit häufiger gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung seines Umgangsrechts in Anspruch nehmen. Die aktuelle Umgangsregelung des Amtsgerichts vom 23.10.2013 funktioniert jedoch. Der Vater hat bei seiner Anhörung vor dem Senat bestätigt, dass der Umgang mit A… so laufe, wie ihn das Amtsgericht angeordnet habe. Das betrifft offensichtlich nicht nur den regelmäßigen Umgang am Wochenende, wie er durch den Beschluss vom 23.10.2013 - abgesehen von einer speziellen Regelung für die Weihnachtsferien 2013/2014 - allein geregelt worden ist. Vielmehr haben sich die Eltern in einem Beratungsgespräch bei der A… auch auf einen Ferienumgang des Vaters mit dem Kind verständigt. Entsprechend war A… in den Sommerferien drei zusammenhängende Wochen beim Vater, wovon zwei Wochen auf eine gemeinsame Reise zur Tochter des Vaters nach Frankreich fielen. Dass die Mutter dem regelmäßigen Umgang des Kindes mit dem Vater gegenwärtig skeptisch oder gar ablehnend gegenübersteht, lässt sich somit nicht feststellen. Vielmehr hat sie jüngst in ihrer unter dem 29.8.2014 vorgelegten Stellungnahme angeboten, den Umgang auszuweiten, indem etwa der Vater das Kind an einem bestimmten Wochentag abholt und zu einer Freizeitaktivität bringe. Der Verfahrensbeistand hat im Senatstermin erklärt, eine solche Umgangserweiterung auf einen Nachmittag, etwa im Zusammenhang mit dem Handballtraining, sei zu begrüßen.

(b)

Auch lässt sich nicht feststellen, dass die Mutter etwa den Telefonkontakt A… mit seinem Vater unterbindet. Auf den Vorschlag der Sachverständigen hin ist dem Kind ein Handy zur Verfügung gestellt worden. Dieses benutzt das Kind auch. Soweit der Vater im Senatstermin vom 2.9.2014 erklärt hat, er habe am Freitag vor dem Termin erstmals nach Ablauf von vier Monaten wieder mit A… telefonieren können und davor immer wieder vergeblich versucht, A… auf dem Handy zu erreichen, lässt sich ein Fehlverhalten der Mutter jedenfalls nicht feststellen. Da der Vater regelmäßig an jedem zweiten Wochenende und darüber hinaus in den Ferien mit dem Kind Umgang hat, wäre es ihm möglich gewesen, A… auf die Versuche, ihn mit dem Handy zu erreichen, anzusprechen, um insoweit eine Klärung herbeizuführen.

(c)

Eine etwa ablehnende Haltung der Mutter dem Vater gegenüber ist auch in ihrem persönlichen Austausch miteinander nicht erkennbar. Die in erster Instanz vorgelegten E-Mails zwischen den Eltern lassen erkennen, dass diese sich beim Vornamen nennen, duzen und sachlich miteinander austauschen.

(d)

Warum es nach dem letzten Beratungsgespräch bei der A… nicht zu einer baldigen Fortsetzung gekommen ist, hat sich auch im Senatstermin nicht abschließend klären lassen. Jedenfalls habe beide Elternteile vor dem Senat ihre Bereitschaft erklärt, diese Gespräche fortsetzen zu wollen. Daran sollte angeknüpft werden und alsbald ein entsprechender Termin vereinbart werden.

(e)

Eine völlig ablehnende Haltung der Mutter dem Vater gegenüber lässt sich auch aufgrund des Vorfalls vom 3.4.2014 nicht annehmen. Beide Elternteile haben im Senatstermin ihre Sicht hinsichtlich des Ablaufs der Geschehnisse geschildert. Unabhängig davon, dass die Schilderungen nicht völlig miteinander in Einklang zu bringen waren, lässt sich jedenfalls feststellen, dass sich die Mutter, da sie A… über einen längere Zeit nicht telefonisch hat erreichen können, berechtigt Sorgen um das Kind gemacht hat. Wenn sie dann beim Zusammentreffen mit dem Vater emotional reagiert hat, lässt sich dies mit der angespannten Situation aufgrund der Sorge um das Kind erklären. Wenn der Vater dann gegen den Willen der Mutter noch Filmaufnahmen gemacht hat, muss davon ausgegangen werden, dass jedenfalls keine einseitige Eskalation vorliegt.

ff)

Nach alledem hat das Amtsgericht bei seiner Entscheidung zu Recht maßgeblich auf den Kontinuitätsgrundsatz abgestellt. Insoweit ergibt sich ein eindeutiger Vorrang der Mutter. Die Bindungen des Kindes an die Eltern und Geschwister sind gleichermaßen ausgeprägt und geben bei der Entscheidung des Aufenthaltsbestimmungsrechts somit ebenso wenig den Ausschlag wie der Kindeswille. Die etwas geringe ausgeprägte Bindungstoleranz der Mutter rechtfertigt gerade mit Rücksicht auf die positive Entwicklung der letzten Zeit einen Obhutswechsel und die damit verbundenen Umstellungsprobleme für das Kind nicht.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 FamGKG.