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GdB - Merkzeichen G, aG


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 23.11.2011
Aktenzeichen L 13 SB 301/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9, VersMedV

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. März 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzusetzenden Grades der Behinderung (GdB) und die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) bzw. zumindest „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Für den 1947 geborenen Kläger war durch Bescheid des Beklagten vom 14. Dezember 2005 unter Anerkennung von Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule sowie Nervenwurzelreizungen und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule zunächst ein GdB von 20 festgestellt. Auf einen Änderungsantrag des Klägers vom 28. Dezember 2005 stellte der Beklagte durch Bescheid vom 11. April 2006 einen GdB von 30 fest. Dem legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde (in Klammern jeweils die verwaltungsintern zugeordneten Einzel-GdB):

a) Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (20)

b) chronische Entzündung der Prostata, Harninkontinenz (20).

Der Einschätzung des Prostataleidens lag die Auswertung eines Befundberichts des behandelnden Urologen Dr. R vom 18. Januar 2006 zugrunde, in dem dieser eine chronische Prostataitis mit Inkontinenz I°, Tröpfchenverlust und Leidensdruck angegeben hatte.

Mit weiterem Änderungsantrag vom 19. September 2006 machte der Kläger eine Verschlimmerung seines Wirbelsäulenleidens unter Vorlage eines Krankenhausberichts vom 29. Juni 2006 geltend. Nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen älteren Datums sowie insbesondere des Krankenhausentlassungsberichts vom 14. September 2009 über einen Aufenthalt nach einer am 31. August 2006 durchgeführten Wirbelsäulenoperation (Versteifungsoperation L4/5/S1 wegen einer Spinalkanalstenose in beiden Segmenten) holte der Beklagte eine gutachtliche Stellungnahme vom 31. Oktober 2006 ein. Dem Vorschlag des Versorgungsarztes Dr. W folgend, stellte der Beklagte durch Bescheid vom 08. November 2006 den GdB ab dem 19. September 2006 mit 40 fest. Dem legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde (in Klammern jeweils die verwaltungsintern zugeordneten Einzel-GdB):

a) Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule –Verschlimmerung (30)

b) chronische Entzündung der Prostata, Harninkontinenz (20).

Die Feststellung des beantragten Merkzeichens „aG“ lehnte der Beklagte ab, weil der GdB nicht wenigstens 50 betrage.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Nach Einholung einer weiteren gutachtlichern Stellungnahme des Dipl. Med. K vom 28. Dezember 2006 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2007 zurück.

Mit der am 24. Januar 2007 zu dem Sozialgericht Cottbus erhobenen Klage hat der Kläger einen GdB von 80 und die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte Dr. F (Allgemeinmediziner), Dipl. Med. S (Orthopäde), Dr. R (Urologe) und Dr. S(Neurochirurg) das Gutachten des Orthopäden und Sozialmediziners Dr. W vom 15. September 2007 mit Ergänzung vom 12. Oktober 2007 eingeholt, der einen GdB von 40 feststellte und dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde legte (in Klammern jeweils die zugeordneten Einzel-GdB):

a) Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (40)

b) Behinderung durch Fehlform der Kniegelenke und durch teilkontrakten Plattfuß beidseits (10)

c) Behinderung der Herzkreislauffunktion im Sinne einer Blutdruckregulationsstörung hin zum Hypertonus (10)

d) Behinderung der Blasenentleerung (20).

Mit Urteil vom 27. März 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Festsetzung eines höheren GdB als 40 noch einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens „aG“. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. W gestützt. Hinsichtlich der Blasenentleerungsstörung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass diese nach Nr. 26.12 AHP (Seite 12) mit einem GdB von 20 bereits großzügig bewertet worden sei und nicht zu einer Erhöhung des GesamtGdB führe, da sie das Hauptleiden nicht wesentlich richtungsweisend verschlimmere und es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Überschneidungen beider Leiden komme. Auch die mit dem Wirbelsäulenleiden verbundenen Schmerzen würden nicht zu einer Erhöhung des GdB führen.

Gegen diese Entscheidung, die dem Kläger am 09. Juni 2008 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung des Klägers vom 09. Juni 2008, mit der er die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ sowie eines GdB von 80 weiterverfolgt. Der Kläger trägt u.a. vor, dass durch das Gericht einseitig zugunsten des Beklagten ermittelt worden sei. Er sei aufgrund der Einnahme von Schmerzmitteln nicht mehr in der Lage, ein Kfz zu führen und zudem ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Er leide an chronischen Schmerzen und sei daher seit November 2007 in schmerztherapeutischer Behandlung. Seitens des Schmerztherapeuten sei deswegen der Verdacht einer schweren depressiven Störung geäußert worden. Diese Komponente des Schmerzes sowie die Auswirkungen auf die Psyche seien bislang überhaupt nicht berücksichtigt worden. Die Schmerzentwicklungen seien so erheblich, dass der Kläger nur noch kurze Wegstrecken zurücklegen könne, so dass zumindest die Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens „G“ vorliegen würden. Unter Beachtung der depressiven Störung sei zudem der GdB seit September 2006 mindestens mit 50 zu bewerten. In psychotherapeutischer Behandlung befinde er sich nicht; er werde aber in der Schmerztherapie wegen der nervlichen Belastung medikamentös mit Gabapentin 300 mg versorgt. Eine eigene Berücksichtigung der Schmerzen des Klägers sei gerechtfertigt, da diese über das mit seinem Rückenleiden übliche Maß hinausgehen würden.

Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung Befundberichte des behandelnden Anästhesisten und Schmerztherapeuten Dr. W vom 27. Januar 2009, des Neurochirurgen Dr. S vom 12. April 2009, des Orthopäden Dipl. Med. S vom 17. Februar 2009 und des Allgemeinmediziners Dipl. Med. F vom 09. Januar 2009 eingeholt. Hierzu hat der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 05. Mai 2009 und zwei weitere versorgungsärztliche Stellungnahmen hinsichtlich des Vortrages des Klägers zu seiner psychischen Störung vom 22. Juli 2009 und vom 09. Oktober 2009 vorgelegt.

Zur weiteren Sachaufklärung hat der Senat ein Gutachten des Orthopäden Dr. E vom 06. Juni 2011 eingeholt. Dieser hat auf orthopädischem Fachgebiet folgende Funktionsbeeinträchtigungen mitgeteilt (in Klammern jeweils die zugeordneten Einzel-GdB):

a) Lendenwirbelsäulensyndrom mit Lumbalgien und Lumboischialgien, radiculäres Schmerzsyndrom nach dorso-ventraler Spondylodese L4/5/S1, chronisches Schmerzsyndrom (30)

b) geringer Verschleißzustand beider Kniegelenke und beider Kniescheibengleitlager bei Achsenfehlform (10).

Weiterhin hat der Sachverständige mitgeteilt, es bestehe ein mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertendes Prostataleiden. Dieses stehe ohne Beziehung neben den orthopädischen Leiden. Für die übrigen Befunde auf orthopädischem Fachgebiet in Form eines nicht über das altersübliche Maß hinausgehenden Verschleißes beider Hüftgelenke ohne funktionelle Behinderung, einem ebenfalls altersgemäßen rezidivierenden Halswirbelsäulensyndrom mit Nacken-Schulterschmerzen und Verspannungen auf dem Boden erheblicher degenerativer Veränderungen, einer Fußdeformität und einer Verhärtung des Hohlhandsehnenspiegels (der bislang ebenfalls ohne Funktionseinschränkungen geblieben sei) sowie einem leicht überreichlichen Ernährungszustand sei jeweils kein eigener GdB anzuerkennen. Insgesamt hat der Sachverständige eine GdB 40 festgestellt. Weiterhin hat er ausgeführt, dass bei dem Kläger nach dem Ergebnis der Untersuchung sowie der durchgeführten Gehprüfung die Voraussetzungen der Merkzeichen „G“ und „aG“ nicht vorlägen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der genannten medizinischen Unterlagen, Stellungnahmen und Ermittlungen wird auf diese Bezug genommen.

Der Kläger wendet gegen das Gutachten ein, dass der Sachverständige Dr. E die orthopädischen Leiden des Klägers nicht zutreffend bewertet habe. Durch den behandelnden Orthopäden Dr. T sei ein Morbus Ahlbäck sowie eine Varusgonarthrose am rechten Knie festgestellt worden, weswegen der Kläger sich einer stationären Behandlung unterziehen müsse. Hierzu hat der Kläger den Bericht des Dr. T vom 10. August 2011 sowie den Entlassungsbericht des Carl-Thiem-Klinikums C vom 24. Oktober 2011 vorgelegt. Da die daraus resultierende erhebliche Funktionsbehinderung bereits zur Begutachtung vorgelegen habe, sei der GdB nicht ausreichend festgestellt worden. Der GdB auf orthopädischem Fachgebiet sei damit höher als 40. Weiter würde das Prostataleiden den Gesamt-GdB erhöhen. Zudem macht der Kläger geltend, dass insbesondere das Wirbelsäulenleiden, die Funktionsbehinderungen der Kniegelenke und die Fußdeformität seine Gehfähigkeit so erheblich einschränken, dass die die Voraussetzungen zumindest für die Feststellung des Merkzeichens „G“ vorlägen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. März 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 8. November 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2007 zu verpflichten, für den Kläger ab dem 19. September 2006 einen Grad der Behinderung von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „aG“,

hilfsweise,

des Merkzeichens „G“ festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält seine Entscheidung für zutreffend und verweist ergänzend darauf, dass nach den versorgungsärztlichen Stellungnahmen zu den weiteren von dem Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen die begehrte Anhebung des GdB auf mindestens 50 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ oder „aG“ nicht gerechtfertigt sei.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 27. März 2008 abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 08. November 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn eine wesentliche Veränderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen, die über die durch den Beklagten mit Bescheid vom 08. November 2006 berücksichtigte Veränderung hinausgeht und ab Stellung des Änderungsantrages vom 19. September 2006 die Feststellung eines GdB von über 40 und der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „aG“ bzw. zumindest „G“ rechtfertigt, liegt nicht vor (§ 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X).

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 des Bundesversorgungsgesetzes zu bewerten. Hierbei sind als antizipiertes Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen 2005 und 2008. Seit dem 01. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne Eintritt einer grundsätzlichen Änderung hinsichtlich der medizinischen Bewertung - abgelöst haben.

Der Kläger hat danach keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von mehr als 40 ab dem 19. September 2006, da die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB von mindestens 50 nicht nachgewiesen sind. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorhandenen medizinischen Unterlagen. Insbesondere sind insoweit das vom Senat eingeholte Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. E vom 06. Juni 2011 und ergänzend die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten vom 22. Juli 2009 und vom 09. Oktober 2009 von Bedeutung.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Dabei verbietet sich die Anwendung jeglicher Rechenmethoden, insbesondere die bloße Addition der Einzel-GdB (Teil A Nr. 3a der Anlage zu § 2 VersMedV bzw. Teil A Nr. 19.1 AHP 2008, 2005, jeweils Seite 24). Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV (bzw. Teil A Nr. 19.3 AHP 2008, 2005, jeweils Seite 25) ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV sowie Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3, 4 und Teil A Nr. 19 AHP 2005, 2008, jeweils Seite 24 ff.).

Hauptleiden des Klägers sind die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule in Form eines Lendenwirbelsäulensyndroms mit Lumbalgien und Lumboischialgien, die mit einem radiculären Schmerzsyndrom nach dorso-ventraler Spondylodese L4/5/S1 sowie einem chronischen Schmerzsyndrom einhergehen und mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind. Nach Teil A Nr. 26.18 AHP 2005, 2008 (jeweils Seite 116) und Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 der VersMedV sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 10 zu bewerten. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 20 und Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und über Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome)) mit einem Gdb von 30 zu bewerten. Erst das Vorliegen von Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten rechtfertigt die Bewertung mit einem GdB von 30-40. Unter Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. Eist davon auszugehen, dass bei dem Kläger ein Wirbelsäulenschaden der Lendenwirbelsäule vorliegt, der mit einer starken Funktionseinschränkung und starken belastungsabhängigen Schmerzen einhergeht. Nach den Angaben des Sachverständigen sind dabei Nervenwurzelreizzustände mit motorischen Störungen wichtiger Muskel nicht nachweisbar, es treten jedoch deutliche Nervenwurzelreizerscheinungen und Gefühlsstörungen als Restzustand nach der Wirbelsäulenoperation auf. Das Nervenwurzeldehnungszeichen nach Lasègue sei rechts bei 55° positiv gewesen. Sensibilitätsstörungen oder ein motorisches Defizit hätten in der Untersuchung ausgeschlossen werden können. Dem Ausmaß der (insbesondere röntgenologisch) objektivierten Veränderungen an der Wirbelsäule habe das Ergebnis der Bewegungsprüfung entsprochen, die eine sehr stark geminderte Bewegungsfunktion der Lendenwirbelsäule gezeigt habe; die Bewegungen seien nur in der Brustwirbelsäule durchgeführt worden. Die Bewertung der Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule mit einem GdB von 30 ist unter Berücksichtigung der dargestellten Anforderungen der AHP 2005, 2008 bzw. der VersMedV als zutreffend anzusehen, da Funktionsbeeinträchtigungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten von dem Sachverständigen ausdrücklich nicht festgestellt worden, sondern in Kenntnis der anderweitigen Einschätzung des Gutachters Dr. W überzeugend verneint worden sind. Ob eine Erkrankung der Brustwirbelsäule vorliegt, wie Dr. W sie befürwortet, ist dabei nicht maßgeblich. Denn dem Gutachten des Dr. E ist im Hinblick auf die Brustwirbelsäule zu entnehmen, dass Funktionsbeeinträchtigungen der Brustwirbelsäule nach dem Ergebnis der Untersuchungen nicht bestanden haben; vielmehr hat der Sachverständige insofern ausdrücklich festgestellt, dass keine Einschränkungen im Bereich der Brustwirbelsäule vorliegen. Dieser Einschätzung folgt der Senat unter Berücksichtigung der Beobachtung des Sachverständigen, dass die Bewegungen nur mit der Brustwirbelsäule durchgeführt worden und hier keine Bewegungseinschränkungen feststellbar gewesen seien. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch die Ergebnisse der röntgenologischen Untersuchungen, wonach auch im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule schon nur minimale degenerative Veränderungen bestanden. Weiterhin hat Dr. E ausgeführt, dass trotz der röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule nach dem Ergebnis der durchgeführten Untersuchungen sowie den Angaben des Klägers auch in diesem Wirbelsäulenabschnitt eine altersgemäße Funktion ohne nennenswerte Beschwerden vorliege.

Danach ist die Bewertung des Wirbelsäulenleidens durch den Sachverständigen unter Berücksichtigung des mit dem Lendenwirbelsäulenleiden des Klägers einhergehenden radiculären Schmerzsyndroms nach dorso-ventraler Spondylodese L4/5/S1 sowie dem chronischen Schmerzsyndrom, die als starke Funktionsbeeinträchtigung der Lendenwirbelsäule sowie starke belastungsabhängige Beschwerden zu werten sind, mit einem GdB von 30 gerechtfertigt. Denn das Leiden ist als schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt im Sinne der VersMedV bzw. AHP 2005, 2008 zu werten. Es liegen indes keine Indizien vor, die eine weitere Anhebung des GdB von über 30 nach den genannten Vorgaben der VersMedV bzw. AHP 2005 und 2008 begründen könnten. Insbesondere ist – wie bereits ausgeführt- eine Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule in zwei Abschnitten nicht festzustellen.

Auch ist entgegen der Behauptung des Klägers die mit dem Wirbelsäulenleiden einhergehende Schmerzerkrankung nicht mit einem eigenen GdB zu berücksichtigen und führt auch nicht zu einem höheren GdB als 30 für die Wirbelsäulenerkrankung. Nach Teil A Nr. 18.8 AHP 2005, 2008 (jeweils Seite 24) und Teil A Nr. 2 j der Anlage zu § 2 der VersMedV schließen die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Weiter regelt für die beim Kläger vorliegenden Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich Teil A Nr. 26.18 AHP 2005, 2008 (jeweils Seite 116) und Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 der VersMedV speziell für die mit Wirbelsäulensyndromen einhergehenden Schmerzen, dass diese in den dort genannten GdB bereits mitberücksichtigt sind. Eine eigenständige Berücksichtigung im Sinne einer Erhöhung des GdB kommt nach diesen Vorgaben ausdrücklich nur dann in Betracht, wenn außergewöhnliche Schmerzsyndrome vorliegen; dann ist auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen ein GdB von über 30 denkbar. Das chronische Schmerzsyndrom des Klägers ist bei der Bewertung der Wirbelsäulenerkrankung bereits derart berücksichtigt worden, dass es zu der Bejahung von schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt geführt hat. Das Vorliegen eines außergewöhnlichen Schmerzsyndroms ist indes nicht gegeben. Insbesondere hat das Sachverständigengutachten von Dr. E nicht ergeben, dass der Kläger nach seiner Wirbelsäulenoperation an einem Postdiskotomiesyndrom, welches in Teil A Nr. 26.18 AHP 2005, 2008 (jeweils Seite 116) und Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 der VersMedV beispielhaft als außergewöhnliches Schmerzsyndrom angegeben ist, leidet. Diese Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen wird gestützt durch die Ausführungen des behandelnden Neurochirurgen Dr. S vom 17. Juli 2008, 22. Oktober 2008 und 22. Januar 2009, welcher eine weitgehende Schmerzfreiheit bei Schonungsbedingungen attestiert, nachdem laut Bericht vom 31. Januar 2008 die Beschwerden unter schmerztherapeutischer Behandlung bereits signifikant gebessert waren. Insofern sind die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. E, dass das Wirbelsäulenleiden mit einem GdB von 30 zu berücksichtigen sei, überzeugend.

Auch eine psychische Erkrankung des Klägers, die einen eigenen GdB rechtfertigen würde, ist durch den gerichtlichen Sachverständigen nicht festgestellt worden. Der Kläger selbst hat hierzu angegeben, dass er sich nicht in psychotherapeutischer Behandlung befinde, sondern wegen der nervlichen Belastung durch seinen Schmerztherapeuten medikamentös versorgt werde. In dieser Hinsicht hat zunächst der Beklagte zwei überzeugende versorgungsärztliche Stellungnahmen vom 22. Juli 2009 und vom 09. Oktober 2009 vorgelegt, mit denen er ausgeführt hat, dass eine dauerhafte psychische Störung mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die gesondert zu bewerten wäre und den Gesamt-GdB erhöhen könnte, nicht vorliege. Auch hat sich die Verdachtsdiagnose einer schweren depressiven Störung des behandelnden Schmerztherapeuten durch das eingeholte Sachverständigengutachten nicht bestätigt. Der Kläger befindet sich zudem nicht in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung und nimmt keine Antidepressiva ein. Bei dem Medikament Gabapentin, das nach Angaben des Klägers durch den Schmerztherapeuten verordnet worden ist, handelt es sich um ein Schmerzmittel. Auch das Antidepressiva Amatriptylin ist ausweislich der Angaben des behandelnden Schmerztherapeuten in dessen Befundbericht vom 27. Januar 2008 nur bis Januar 2008 verordnet worden.

Weiter führt der Sachverständige Dr. E überzeugend aus, dass ein geringer Verschleißzustand beider Kniegelenke und beider Kniescheibengleitlager bei Achsenfehlform vorliege, der mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sei. Hierzu hat der Sachverständige unter Auswertung der für die Begutachtung angefertigten Röntgenaufnahmen mitgeteilt, dass im Stehen sowie bei der Untersuchung eine Achsfehlstellung beider Beine im O-Beinsinne aufgefallen und die Bewegefunktion für die Beugung mit 130° gering eingeschränkt gewesen sei. Die Streckung sei uneingeschränkt gewesen, der Bandapparat intakt. Bewegungsschmerzen seien nicht angegeben worden, jedoch Druckschmerzen im Bereich der medialen Patellafacette beidseits, des medialen Kniegelenks und der medialen Gelenkspalten rechts stärker als links sowie ein Verschiebeschmerz rechts. In Übereinstimmung mit der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 18.14 sowie Nr. 26.18 AHP 2005 und 2008 (jeweils Seite 126) bewertet der Sachverständige diese Kniegelenksarthrose mit einem Einzel-GdB von 10. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass die Röntgenuntersuchungen den klinischen Befund bestätigt hätten und es sich um einen gering ausgeprägten Verschleißzustand beider Kniegelenke im Sinne einer Gonarthrose und Patellafemoralarthrose handle. Ein höherer GdB für die Kniegelenksbeschwerden als 10 lässt sich auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers zu der nach seinen Angaben durch den behandelnden Orthopäden diagnostizierten Varusgonarthrose und dem Morbus Ahlbäck nicht feststellen. Den Ausführungen des Sachverständigen ist zu entnehmen, dass er die Varusgonarthrose bereits berücksichtigt hat; diese war auch den Anfang Juni 2011 anlässlich der Begutachtung angefertigten Röntgenaufnahmen zu entnehmen. Zusätzliche Funktionsbeeinträchtigungen der Kniegelenke ergeben sich aus den weiteren Angaben des Klägers, die sich in der Nennung von Diagnosen erschöpfen, nicht. Auch aus dem vorgelegten Entlassungsbericht vom 24. Oktober 2011 ergibt sich nichts anderes. Diesem ist zu entnehmen, dass bei dem Kläger aufgrund seit Anfang des Jahres bestehender Ruhe- und Belastungsschmerzen am 14. Oktober 2011 eine offene Synovektomie (operative Abtragung der erkrankten Gelenkinnenhaut), Cheilotomie (operatives Abtragen arthrotischer Randwülste an den Gelenkkörpern), Lavage (Spülung des entzündeten Gelenks) und Chondropick (Perforierung der subchondralen Knochenschicht im Knorpeldefekt zur Knochenmarkstimulation mit dem Ziel der Bildung eines Ersatzknorpels) des rechten Kniegelenks durchgeführt worden ist. Dem Entlassungsbericht sind indes keine weiteren Funktionsminderungen, die vom Sachverständigen nicht bereits berücksichtigt worden wären, zu entnehmen. Vielmehr wird ausgeführt, dass der Kläger am 25. Oktober 2011 bei reizloser Wundheilung mit einer Beweglichkeit des Knies von bereits 0/0/90°, ohne Erguss, bei stabilen Bandverhältnissen sowie intakten Meniski und Kreuzbändern entlassen werden konnte.

Weitere Funktionsstörungen des rechten Kniegelenks ergeben sich aus diesen Angaben nicht; der operative Eingriff war zudem aufgrund eines Zustandes erfolgt, den der Sachverständige bereits mit begutachtet hat, da dieser laut Angaben im Entlassungsbericht schon seit Anfang des Jahres bestanden hatte. Eine durch die Operation eingetretene, länger als sechs Monate anhaltende Verschlechterung anstelle der mit der Operation beabsichtigten Heilung/Verbesserung des von Dr. E im Juni 2011 ausführlich gewürdigten Zustandes liegt danach nicht vor.

Letztlich teilt der Sachverständige mit, es bestehe ein mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertendes Prostataleiden. Nach Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 12.2.2 und 12.2.4 sowie Nr. 26.12 AHP 2005 und 2008 (jeweils Seite 90-91) werden Entleerungsstörungen der Blase leichten Grades (z.B. geringgradige Restharnbildung, längeres Nachträufeln) und leichter Harnabgang bei Belastung (z.B. Streßinkontinenz I. Grad) mit einem GdB von 10 bewertet, während erst Entleerungsstörungen stärkeren Grades (z.B. mit der Notwendigkeit der manuellen Entleerung, Anwendung eines Blasenschrittmachers, erheblicher Restharnbildung, schmerzhaftes Harnlassen) und ein Harnabgang tags und nachts (z.B. Streßinkontinenz II. Grad) einen GdB von 20 und mehr rechtfertigen. Der Einschätzung des Prostataleidens lag ursprünglich die Auswertung eines Befundberichts des behandelnden Urologen Dr. R vom 18. Januar 2006 zugrunde, in dem dieser eine chronische Prostataitis mit Inkontinenz I. Grad, Tröpfchenverlust und Leidensdruck angegeben hatte. In seinem weiteren im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens vorgelegten Befundbericht vom 11. Mai 2007 hat Dr. R angegeben, dass das Prostataleiden seit der Operation der Lendenwirbelsäule verbessert und die Miktion zuletzt normal sowie eine Restharnbildung nicht mehr vorhanden gewesen sei. Danach ist das Prostataleiden mit einem GdB von 20 jedenfalls nicht zu gering bewertet.

Aus den genannten Funktionsbeeinträchtigungen ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Kriterien kein GdB von mehr als 40 zu bilden. Der Einzel-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden ist unter Berücksichtigung der weiteren Einzel-GdB nicht auf (mindestens) 50 zu erhöhen. Dies gilt entgegen der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. E zunächst für das Kniegelenksleiden. Eine Erhöhung des GdB durch dieses mit einem Einzel-GdB von 10 zutreffend bewertete Leiden ist nach Teil A Nr. 3 d) ee) der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3, 4 und AHP 2005, 2008 (jeweils Seite 26) in aller Regel und so auch im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt.

Darüber hinaus ist auch die Erhöhung des GdB von 30 auf 50 aufgrund des mit 20 bewerteten Prostataleidens nicht gerechtfertigt. Dieses Prostataleiden stellt jedenfalls nur eine leichte Funktionsstörung dar, da es laut Befundbericht des Dr. R vom 11. Mai 2007 seit der Operation der Lendenwirbelsäule verbessert und auch die Miktion zuletzt normal gewesen sein soll. Auch der gerichtliche Sachverständige Dr. E hat in dieser Hinsicht keine besonderen Funktionseinschränkungen festgestellt und mitgeteilt, dass das Prostataleiden ohne Beziehung neben dem orthopädischen GdB stehe. Erhebliche Einschränkungen im Alltag, insbesondere im Zusammenhang mit einer erheblichen Harninkontinenz, ergeben sich aus diesem Leiden nicht. Es ergeben sich auch keine sonstigen Einschränkungen, die eine Erhöhung des GdB für das Hauptleiden durch das Prostataleiden bedingen würden. Die Erhöhung des GdB von 30 auf 40 durch das Prostataleiden ist danach bereits als großzügig zu werten und eine weitere Erhöhung nicht gerechtfertigt.

Weiterhin liegen die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens „aG“ nicht vor.

Zu den nach § 69 Abs. 4 SGB IX durch die Versorgungsämter neben einer Behinderung ebenfalls festzustellenden gesundheitlichen Merkmale gehört auch die außergewöhnliche Gehbehinderung, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Der Kläger ist bei einem GdB von 40 schon nicht schwerbehindert gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX.

Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen der mit dem Hilfsantrag verfolgten Gewährung des Merkzeichens "G" sind bei dem Kläger nicht erfüllt.

Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Auch für diese von dem Kläger begehrte Feststellung liegt bei einem festgestellten GdB von 40 bereits die Voraussetzung einer Schwerbehinderung des Klägers gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt, § 160 Abs. 2 SGG.