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Entscheidung VG 12 K 1200/11


Metadaten

Gericht VG Potsdam 12. Kammer Entscheidungsdatum 27.06.2014
Aktenzeichen VG 12 K 1200/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Nacherhebung von Erschließungsbeiträgen für die Erschließungsanlage Nordring/Lönsstraße.

Der Kläger ist gemeinsam mit Frau S. Eigentümer des Grundstücks Flur …, Flurstück …(688 m²), das durch die Lönsstraße erschlossen ist und im Gebiet des Bebauungsplans Nr. 9.1. „Eichendorffsiedlung“ liegt.

Die Lönsstraße weist eine rechtwinklig abknickende U-Form auf. Sie ist innerhalb des „U“ asphaltiert und verläuft - parallel zum Nordring - sowohl in östlicher (Alt- Ruppiner- Allee) als auch in westlicher Richtung (Wittstocker Straße) weiter als begehbarer Weg, der nicht asphaltiert ist. Die asphaltierte Lönsstraße beginnt am Nordring (jetzt: Babimost-Ring) und mündet ohne weitere Anbindung an das Straßennetz, wieder in ihn ein. Die Lönsstraße ist neu hergestellt worden und zwar zunächst der östliche Schenkel (ehemals Planstraße G) mit Einmündung in den Nordring und anschließend die restliche Strecke des U mit dem westlichen Anschluss an den Nordring. Die Planstraße G wurde in Bauklasse IV mit beidseitigen Hochborden und Straßeneinläufen in 5,60 m Breite ausgebaut. Der restliche Teil der Lönsstraße ist in Bauklasse VI ausgebaut worden und weist in seinem westlichen Teil 4,80 m Breite und in seinem südlichen Teil 4 m Breite auf, wovon 1,80 m im westlichen Teil und 1 m im südlichen Teil mit Verbund- bzw. Betonsteinpflaster versehen ist. Der südliche Teil der Lönsstraße wird über eine sich an die Fahrbahn anschließende Betonrinne im Grünstreifen entwässert und der westliche Teil über einen sich an die Fahrbahn anschließenden Grünstreifen bzw. einen Schotterbelag.

Die Bauabnahme erfolgte am 30. Juni 1997. Mit Schlussrechnung vom 3. Dezember 1997 standen die Kosten für den Straßenbau fest. Ein Teil der Grundstücke, die Straßenland werden sollten, befanden sich bis zum Abschluss eines Umlegungsverfahrens am 30. April 2008 noch nicht im Eigentum der Stadt.

Nachdem die Lönsstraße ausgebaut worden war, erhob der Beklagte aufgrund der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Fontanestadt Neuruppin vom 29. Januar 1996 mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. November 1999 gegenüber dem Kläger einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 14.936,90 DM (entspricht 7.637,12 €). Dieser Beitrag wurde von dem Kläger bezahlt.

Am 13. Mai 2002 beschloss die Stadtverordnetenversammlung mit Rückwirkung zum 21. Februar 1996 die Satzung der Fontanestadt Neuruppin über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen (EBS), die in § 9 Abs. 1 Buchstabe a) u. a. vorsah, dass Straßen dann endgültig hergestellt sind, wenn die Stadt Eigentümerin der Flächen ist.

Mit Bescheid vom 28. Dezember 2009 erfolgte die hier streitige Nacherhebung eines Erschließungsbeitrags für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „Nordring/Lönsstraße“ in Höhe von 8.164,35 €. Dabei ging der Beklagte nunmehr davon aus, dass der Nordring und die Lönsstraße einschließlich der ursprünglichen Planstraße G - also das gesamte U - als zwei getrennte Anlagen eine Erschließungseinheit bilden. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 13. Januar 2010 Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2010 wurde der Bescheid vom 28. Dezember 2009 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben und gleichzeitig mit geänderter Begründung erneut ein Erschließungsbeitrag in gleicher Höhe nacherhoben. Darin begründete der Beklagte die Entscheidung zur Bildung einer Erschließungseinheit. Gegen den neuen Bescheid des Beklagten legte der Kläger mit Schreiben vom 4. Januar 2011 Widerspruch ein.

Er hat am 16. Juni 2011 die vorliegende Klage zunächst als Untätigkeitsklage erhoben. Nachdem der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2013 den Widerspruch des Klägers zurückwies, hat der Kläger mit Schreiben vom 24. Juni 2013 diesen in das ursprüngliche Klageverfahren einbezogen und sein Anfechtungsbegehren weiter verfolgt.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Lönsstraße bereits als Erschließungsstraße vorhanden gewesen sei; sie habe sowohl eine Anbindung an die Wittstocker Allee als auch an die Alt-Ruppiner-Allee besessen, sodass es sich bei der Baumaßnahme lediglich um einen Straßenausbau gehandelt habe. Die Lönsstraße und der Nordring würden keine einheitliche Erschließungsanlage bilden und könnten deshalb nicht gemeinsam, mit der Folge einer Nacherhebung für die Anlieger der Lönsstraße, abgerechnet werden. Er bezieht sich zur Begründung auf die Entscheidungsgründe der Kammer in dem nicht rechtskräftigen Urteil vom 18. März 2011 (12 K 2422/06), wonach die frühere Planstraße G, der restliche Teil der Lönsstraße und der Nordring keine einheitliche Erschließungseinheit bilden, sondern jeweils eine eigene Erschließungsanlage, mithin drei selbständige Anlagen darstellen, die beitragsrechtlich getrennt abgerechnet werden müssen. Maßgeblich sei, dass sich die Bildung einer Erschließungseinheit tatsächlich nachteilig für alle Anlieger der Hauptstraße auswirke, obwohl die Entstehung von Nachteilen durch die Bildung einer Erschließungseinheit gerade vermieden werden sollte. Für das Grundstück Babimost-Ring … führe die Erschließungseinheit zu einem Beitrag von 82.924,93 €, eine getrennte Abrechnung nur zu einem Beitrag von insgesamt 64.153,97 €. Es könne rechtlich nicht darauf ankommen, wie die Benachteiligung zustande komme.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 29. Dezember 2010 in der Gestalt des W iderspruchsbescheides vom 10. Juni 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass die Lönsstraße erstmalig hergestellt worden sei. Bei dem vorher vorhandenen „Lönsweg“ habe es sich um einen nur teilweise befestigten Gartenweg gehandelt. Erst die Herstellung gemäß dem Bebauungsplan Nr. 9.1. habe den anliegenden Grundstücken die Bebaubarkeit vermittelt. Selbst wenn es geringe bauliche Unterschiede bei den Teilstrecken der Lönsstraße gebe, könne nicht von einer höchst unterschiedlichen Funktion gesprochen werden. Denn es handele sich bei der gesamten Lönsstraße in ihrer U-Form um eine Anliegerstraße. Diese sei insgesamt auf den Nordring angewiesen. Die Bildung einer Erschließungseinheit Nordring/Lönsstraße im Ermessenswege sei notwendig gewesen, weil bei getrennter Abrechnung für den Nordring ein Beitragssatz von 15,85 € und für die Lönsstraße von 8,88 € entstanden wäre. Damit wäre der Beitragssatz für den Nordring um mehr als 1/3 höher gewesen als derjenige in der Lönsstraße. Bei dem von dem Kläger angeführten Grundstück Babimost-Ring … handele es sich um einen Sonderfall. Nicht für alle Anlieger sei die Bildung einer Erschließungseinheit nachteilig gewesen. Mit fünf Anliegern des Nordrings seien z. B. Vergleiche geschlossen worden, die zu einer deutlichen Beitragsminderung geführt hätten. Die Mehrbelastung des Grundstücks Babimost-Ring … sei nicht zu verallgemeinern.

Auf die Bitte des Gerichts hat der Beklagte die Beitragssätze getrennt für jede der drei Erschließungsstraßen (Nordring, frühere Planstraße G sowie den restlichen Teil der Lönsstraße) mitgeteilt und auch den Beitragssatz, der sich bei einer einheitlichen Abrechnung dieser drei Anlagen ergeben würde.

Nordring:

vorher

        

15,85417033 €

        

jetzt 

        

19,14781257 €

Planstraße G:

                

 10,3145449 €

Lönsstraße:

                

 7,62884386 €

Lönsstraße mit
Planstraße G

                

 8,8803623 €

Beitragssatz einheitlich:

                

 18,37380012 €

Der jetzige Beitragssatz für den Nordring beruhe auf einer erforderlichen Korrektur der ursprünglichen Abrechnung. Eine nochmalige Überprüfung habe ergeben, dass drei weiteren Grundstücken eine Eckermäßigung zu gewähren sei. Für eines dieser drei Grundstücke müsse der Artzuschlag entfallen. Bei zwei Grundstücken handele es sich um Grünflächen, die nicht bebaubar und demnach nicht erschlossen seien.

Bei zwei weiteren Grundstücken habe die amtliche Fläche nach Abschluss des Umlegungsverfahrens noch verringert werden müssen.

Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde mit Fax vom 25. Juni 2014 ein anonymisiertes Schreiben aus dem Verfahren VG 12 K 847/12 (Bl. 128, 128 R) übersandt. Dort war der Beklagte um Mitteilung gebeten worden, ob zum 13. Mai 2002, dem Datum an dem die Erschließungsbeitragssatzung beschlossen wurde, Erschließungsmaßnahmen nach Maßgabe der Satzung anstanden bzw. aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu erwarten waren, bei denen eine Bebauung mit fünf oder mehr Vollgeschossen zu berücksichtigen gewesen wäre. Der Beklagte teilte auf die Anfrage des Gerichts unter Angabe sämtlicher Bebauungspläne und sonstigen Erkenntnismittel mit, dass keine fünfgeschossigen Gebäude zu berücksichtigen gewesen seien oder sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge (3 Hefter) sowie die Verfahren 12 K 2422/06 und 12 L 355/06 verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 29. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2013 ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).

Zunächst einmal handelt es sich vorliegend nicht um den Ausbau einer bereits vorhandenen Straße mit der Bezeichnung Lönsweg bzw. Lönsstraße. Die Merkmale einer Straße (befestigte Fahrbahn, Entwässerung und Beleuchtung) waren vor der hier durchgeführten Baumaßnahme nicht vorhanden. Wie dem Protokoll zum Ortstermin der 12. Kammer vom 10. November 2009 (12 L 355/06) - Beiakte Heft 3 - zu entnehmen ist, verläuft die Lönsstraße innerhalb des „U“ asphaltiert und - parallel zum Nordring - sowohl in östlicher (Alt-Ruppiner-Allee) als auch in westlicher Richtung (Wittstocker Straße) lediglich als Fußweg, der nicht asphaltiert ist, weiter. Das „U" wurde erstmalig mit der hier abgerechneten Baumaßnahme asphaltiert.

Der Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in der Satzung der Fontanestadt Neuruppin über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen (EBS) vom 13. Mai 2002. Allerdings unterliegen die Regelungen in § 6 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d) und e) EBS, wonach es keine Differenzierung des Nutzungsfaktors zwischen dem vierten und fünften sowie ab dem sechsten Vollgeschoss gibt, rechtlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung der Kammer ist ein Verteilungsmaßstab, der keine Differenzierung des Nutzungsfaktors zwischen vier und fünf sowie ab sechs Vollgeschossen vorsieht, nicht vorteilsgerecht. Er genügt nicht dem Differenzierungsgebot des § 131 Abs. 3 des Baugesetzbuches - BauGB - (Urteile der Kammer vom 16. November 2007 – 12 K 2079/04 - und vom 2. November 2012 - VG 12 K 755/11 - zum Straßenbaubeitragsrecht sowie Urteil vom 2. März 2009 - 12 K 2751/05 - zum Erschließungsbeitragsrecht; vgl. auch OVG Bautzen, Urteil vom 22. August 2001 - ZMR 2003, 148 ff. und Urteil des VG Cottbus vom 4. April 2012 - VG 4 K 167/09 -).

Dieser Fehler der Verteilungsregelung führt aber nicht zwangsläufig dazu, dass die Erschließungsbeitragssatzung vom 13. Mai 2002 als taugliche Rechtsgrundlage für die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen für die erstmalige Herstellung der Lönsstraße ausscheidet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u. a. Urteile vom 19. August 1994 - 8 C 23.92 - und vom 10. Juli 1981 - 8 C 20.81 - juris; s. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., München 2012, § 18 Rn 8 ff.) verlangen die bundesrechtlichen Rechtsgrundsätze der Abgabengleichheit und der Vorhersehbarkeit von Abgabenpflichten eine „konkrete Vollständigkeit“ der satzungsmäßigen Verteilungsregelung. Das heißt, dass diese eine annähernd vorteilsgerechte Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands in allen Verteilungskonstellationen ermöglicht, die in der Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Satzung vorhanden waren oder deren Entstehen aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu erwarten war. Die Erschließungsbeitragssatzung vom 13. Mai 2002 wird diesen Vorgaben gerecht.

In dem Verfahren VG 12 K 847/12 - dessen Inhalt den Beteiligten insoweit bekannt ist - hat der Beklagte zur Überzeugung des Gerichts detailreich und nachvollziehbar dargelegt, dass es in der Fontanestadt Neuruppin keinen Anwendungsfall gab und gibt, in dem die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für mehr als viergeschossige Gebäude anstand oder zu erwarten war.

Der Beklagte war zur Nacherhebung eines Erschließungsbeitrags für die Lönsstraße verpflichtet, weil die Lönsstraße als Nebenstraße gemeinsam mit dem Nordring, der Hauptstraße, und der weiteren Nebenstraße Planstraße G eine Erschließungseinheit im Sinne des § 130 Abs. 2 S. 3 des Baugesetzbuches (BauGB) bildet.

Eine Erschließungseinheit liegt auch dann vor, wenn von derselben Hauptstraße nicht nur eine, sondern mehrere funktional von ihr abhängigen Nebenstraßen, wie hier, abzweigen (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 9 C 1/12 -, juris, unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1994 - 8 C 14.92 -, BVerwGE 95, 176, 182 f.). Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner neueren Entscheidung aus, dass „als tragender Grund für eine Erschließungseinheit das gemeinsame Angewiesensein aller Anlieger auf die Benutzung der Hauptstraße angesehen wird, das bewirkt, dass die durch die Hauptstraße erschlossenen Grundstücke keinen höheren Sondervorteil genießen als die durch die Nebenstraße erschlossenen Grundstücke. Diese durch die Hauptstraße vermittelte Vorteilsgemeinschaft rechtfertigt eine gemeinsame Ermittlung und Verteilung des Erschließungsaufwands mit dem Ziel, die Beitragsbelastung zugunsten der Anlieger der regelmäßig aufwändigeren Hauptstraße zu nivellieren, ohne dass es darauf ankommt, ob auf diese Weise gerade die durch den gemeinsamen Sondervorteil verursachten ausstattungsbedingten Mehrkosten der Hauptstraße ausgeglichen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 2009 - BVerwG 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 Rn. 24 und 34 ff.).

Eine vergleichbare Vorteilsgemeinschaft besteht auch dann, wenn nicht nur eine, sondern mehrere Nebenstraßen von derselben Hauptstraße abzweigen. Auch hier bewirkt das gemeinsame Angewiesensein aller Anlieger auf die Benutzung der Hauptstraße, dass der Sondervorteil der durch die Hauptstraße erschlossenen Grundstücke dem Sondervorteil der durch die Nebenstraßen erschlossenen Grundstücke entspricht. Der durch die Hauptstraße vermittelte Sondervorteil ist zudem für die Anlieger der verschiedenen von ihr abzweigenden Nebenstraßen gleich groß. Denn alle sind gleichermaßen auf die Nutzung der Hauptstraße angewiesen; Unterschiede beim Herstellungsaufwand für die jeweilige Nebenstraße oder bei deren Ausstattung spielen insoweit keine Rolle. Dass die Nebenstraßen selbst den Anliegern der anderen Straßen keinen über den Gemeinvorteil hinausreichenden Sondervorteil bieten können, ist auch hier nur insoweit von Bedeutung, als eine gemeinsame Abrechnung keine Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße zur Folge haben darf. Damit kann auch bei mehreren Nebenstraßen der Zwang zur Benutzung der Hauptstraße und die daraus folgende Vorteilsgleichheit als tragender Grund für das Vorliegen einer Erschließungseinheit gelten. Dem schließt sich die Kammer nunmehr an.

Grundsätzlich hat die Gemeinde im Rahmen des ihr nach § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB eröffneten Ermessens zu entscheiden, ob eine Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße trotz gleicher Vorteilslage hingenommen werden soll. Dabei wird die Ermessensausübung umso mehr auf eine gemeinsame Abrechnung zulaufen müssen, je größer die Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 2009 - BVerwG 9 C 2.08 -, a. a. O. Rn. 31).

Eine Pflicht zur gemeinsamen Abrechnung der eine Erschließungseinheit bildenden Straßen entsteht unabhängig von einem entsprechenden Willen der Gemeinde (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 2009 a.a.O. Rn. 42), wenn im Zeitpunkt unmittelbar vor der endgültigen Herstellung der ersten Straße absehbar ist, dass bei getrennter Abrechnung der sich für die Hauptstraße ergebende Beitragssatz voraussichtlich um mehr als ein Drittel höher sein wird als die Beitragssätze für die Nebenstraßen; eine einmal entstandene Rechtspflicht wird durch nachträgliche Änderungen der für die Prognose der künftigen Beitragsbelastung bei Einzelveranlagung maßgeblichen Verhältnisse nicht berührt. Ergibt die Prognose, dass die Voraussetzungen für eine Pflicht zur gemeinsamen Abrechnung der Erschließungseinheit vorliegen, ist die Gemeinde im Interesse der Rechtsklarheit gehalten, dieser Pflicht durch eine ausdrückliche Zusammenfassungsentscheidung Rechnung zu tragen. Hat die Gemeinde, eine solche Klärung unterlassen, hat im Streitfall die Prognose der Beitragsbelastung der Anlieger der Hauptstraße im Vergleich zu den Anliegern einer oder mehrerer Nebenstraßen nachträglich, bezogen auf die Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt unmittelbar vor endgültiger Herstellung der ersten Straße der Erschließungseinheit zu erfolgen. Die eigentlich erforderliche Zusammenfassungsentscheidung wird damit fingiert (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 9 C 1/12 -, a. a. O. Rn 20).

Ausgehend davon ist hier eine Rechtspflicht zur gemeinsamen Ermittlung und Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands für die Lönsstraße, die Planstraße G und den Nordring entstanden. Die unterschiedlichen Beitragsbelastungen, die aufgrund der bekannten Daten damals hätten von dem Beklagten ermittelt werden können, zeigen, dass der sich für die Hauptstraße ergebende Beitragssatz bei getrennter Abrechnung voraussichtlich um mehr als ein Drittel höher sein würde als die Beitragssätze für die Nebenstraßen. Der um 33 % höhere Beitragssatz für die Lönsstraße würde 10,146362 € (statt 7,62884386 €) und für die Planstraße G 13,718343 € (statt 10,3145449 €) betragen. Damit würden die Anlieger der Hauptstraße (Nordring) sowohl nach dem vorherigen (15,85417033 €) als auch nach dem jetzigen Beitragssatz (19,14781257 €) um mehr als 1/3 höher belastet werden, als die Anlieger der jeweilige Nebenstraße. Dieser Drittelsprung bliebe selbst dann bestehen, wenn man die Lönsstraße gemeinsam mit der Planstraße G abrechnen würde, wie es der Beklagte ursprünglich getan hat. Denn der um 33 % höhere Beitragssatz für diese gemeinsame Abrechnung der Lönsstraße mit der Planstraße G würde dann bei 11,810881 € (statt 8,8803623 €) liegen und bliebe damit immer noch deutlich hinter dem zuvor für den Nordring ermittelten Beitragssatz von 15,85417033 € zurück.

Somit steht fest, dass mit der Herstellung der Lönsstraße (Schlussrechnung vom 3. Dezember 1997) - unabhängig davon, ob diese getrennt oder mit der Planstraße G gemeinsam abgerechnet würde - absehbar war, dass für die Anlieger der Hauptstraße bei getrennter Abrechnung um mehr als ein Drittel höhere Beitragssätze gelten würden als für die Anlieger der beiden Nebenstraßen.

Die danach entstandene Pflicht zur gemeinsamen Abrechnung ist auch nicht deshalb erloschen, weil mit der endgültigen Herstellung der hier in Rede stehenden Straßen die Beitragspflicht entsprechend dem Aufwand für die einzelne Anlage entstanden wäre.

Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen die (sachliche) Beitragspflicht unabhängig von einem darauf gerichteten Willen der Gemeinde und unabhängig von der Geltendmachung durch Beitragsbescheide. Diese einmal entstandene Beitragspflicht kann nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Höhe noch einmal entstehen. Der beitragsfähige Aufwand darf dann ausschließlich für die einzelne Erschließungsanlage ermittelt und auf die von ihr erschlossenen Grundstücke verteilt werden. Eine Gemeinde kann den Eintritt dieser Rechtsfolgen dadurch verhindern, dass sie die zu einer Erschließungseinheit verbundenen Anlagen vor dem Entstehen der Beitragspflicht für die Einzelanlagen zur gemeinsamen Abrechnung zusammenfasst. Eine solche Zusammenfassungsentscheidung "sperrt" das Entstehen einer Beitragspflicht für die Einzelanlagen; sie lässt eine Beitragspflicht frühestens entstehen, wenn alle zur gemeinsamen Abrechnung zusammengefassten Anlagen den Herstellungsmerkmalen der Satzung entsprechend ausgebaut worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 1983 - BVerwG 8 C 47.82 u.a. - BVerwGE 68, 48, 53 f.).

Vorliegend fehlt eine Entscheidung zur gemeinsamen Abrechnung, welche das Entstehen der eigenständigen Beitragspflicht hätte "sperren" können. Zwar hat die Fontanestadt Neuruppin nach dem 1. Mai 2008 eine Erschließungseinheit gebildet, doch kann dies keine rechtliche Grundlage für die gemeinsame Abrechnung des Nordrings mit der Lönsstraße und der Planstraße G bilden. Der rückwirkenden nachträglichen Bildung einer Erschließungseinheit steht hier die Regelung in § 133 Abs. 2 BauGB entgegen. Die Wahlfreiheit der Gemeinde, von der ihr durch den Gesetzgeber eingeräumten Möglichkeit zur Aufwandsermittlung (z. B. Abschnittsbildung – Erschließungseinheit) grundsätzlich nach ihrem Ermessen Gebrauch zu machen, endet mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage, d. h. mit dem Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht (vgl. Driehaus, a. a. O. § 14 Rn. 2 m. w. N.); hier also am 2. Mai 2008; (vgl. Beschluss der Kammer vom 19. April 2010 - 12 L 355/06 -, S. 3 f.).

Obwohl die Straßen schon hergestellt worden waren, ist die Beitragspflicht nicht für die einzelne Anlage in Höhe des jeweiligen beitragsfähigen Aufwands entstanden mit der Folge, dass eine pflichtgemäße gemeinsame Abrechnung ausgeschlossen ist. Besteht eine Rechtspflicht zur gemeinsamen Abrechnung, sind "Erschließungsanlagen" i. S. d. § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht die einzelnen Anlagen, sondern die nach § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB zur Erschließungseinheit verbundenen Anlagen; die sachliche Beitragspflicht entsteht somit erst, wenn die Erschließungseinheit als ganze endgültig hergestellt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. September 1978 - BVerwG 4 C 50.76 - BVerwGE 56, 238, 242). Anders als bei einer gemeinsamen Abrechnung nach Ermessen bedarf es insoweit keiner rechtzeitigen ausdrücklichen Zusammenfassungsentscheidung der Gemeinde, um das Entstehen einer auf die Einzelanlagen bezogenen Beitragspflicht zu "sperren". Hat die Gemeinde eine ausdrückliche Zusammenfassungsentscheidung, zu der sie im Interesse der Rechtsklarheit gehalten war, unterlassen, tritt die oben genannte fiktive Zusammenfassungsentscheidung bei nachträglicher Feststellung der Pflicht zur gemeinsamen Abrechnung an deren Stelle (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 9 C 1/12 -, a. a. O. Rn. 24; a. A.: Driehaus, a. a. O, § 14 Rn. 49). So liegen die Dinge hier, wie oben ausgeführt.

Der hier zu fingierenden Zusammenfassungsentscheidung steht keine Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße als negatives Tatbestandsmerkmal einer Erschließungseinheit i. S. d. § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 2009 a.a.O. Rn. 26 m. w. N.), wie vom Kläger angenommen.

Eine Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße durch die Bildung einer Erschließungseinheit ist ausgeschlossen, weil der für die Erschließungseinheit ermittelte Beitragssatz von 18,37380012 € noch deutlich unter dem jetzigen Beitragssatz bei einer Einzelabrechnung für den Nordring liegt, der 19,14781257 € beträgt.

Die Gründe, die zu einer Erhöhung des vorherigen Beitragssatzes für den Nordring von 15,85417033 € auf jetzt 19,14781257 € geführt haben sind rechtlich zutreffend vom Beklagten erkannt und dementsprechend berücksichtigt worden.

Eine Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger vorgetragenem Gesichtspunkt, dass für das Grundstück Nordring … (Eckgrundstück/Artzuschlag bei getrennter Abrechnung nur für die Lönsstraße) die Abrechnung in der Erschließungseinheit zu einem um 18.770,96 € höheren Beitrag führen würde. Denn dieser Einzelfall muss für die Frage, ob eine Hauptstraße und mehrerer Nebenstraßen einer Erschließungseinheit bildenden, außer Betracht bleiben. Abzustellen ist nur auf einen Vergleich der unterschiedlichen Beitragssätze für jede einzelne Straße bei einer getrennten Abrechnung im Verhältnis zu dem einheitlichen Beitragssatz bei einer Abrechnung für alle Straßen als Einheit.

Nach allem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO).

B e s c h l u s s:

Der Streitwert wird auf 8.164,53 € festgesetzt.

G r ü n d e:

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.