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Entscheidung 10 WF 43/15


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 26.05.2015
Aktenzeichen 10 WF 43/15 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 239 FamFG

Leitsatz

Eine Jugendamtsurkunde nach §§ 59, 60 SGB VIII stellt einen Unterhaltstitel dar, der durch Errichtung einer neuen Urkunde nicht abgeändert werden kann. Allein möglich ist eine Abänderung im gerichtlichen Verfahren, wie es bezüglich Jugendamtsurkunden bis zum 31.8.2009 in § 323 Abs. 4 ZPO und seit dem 1.9.2009 in § 239 FamFG vorgesehen ist.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Verfahren wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Antragsgegnerin kann Verfahrenskostenhilfe aus den vom Amtsgericht angeführten Gründen nicht vollständig versagt werden.

Der Antragsteller begehrt mit seinem Vollstreckungsabwehrantrag, die Zwangsvollstreckung aus der am 22.12.1998 vor dem Jugendamt … zur Urkunden-Nr. UR 866/1998 errichteten Urkunde ab dem Jahr 2007 für unzulässig zu erklären. Diesem Antrag ist die Antragsgegnerin insbesondere unter Hinweis darauf entgegen getreten, dass entgegen dem Vorbringen des Antragstellers der Unterhaltsanspruch weder verjährt noch verwirkt sei. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Rechtsverteidigung als nicht erfolgversprechend angesehen und dabei darauf hingewiesen, dass die Urkunde vom 22.12.1998 durch die Urkunde des Jugendamtes vom 23.1.2001 (Urkunden-Register-Nr. 99/2001) abgeändert worden sei, so dass eine Vollstreckung aus der Urkunde aus dem Jahr 1998 nicht mehr möglich sei. Diese Auffassung ist unzutreffend. Eine Jugendamtsurkunde nach §§ 59, 60 SGB VIII stellt einen Unterhaltstitel dar, der durch Errichtung einer neuen Urkunde nicht abgeändert werden kann (Prütting/Helms/Bömelburg, FamFG, 3. Aufl., § 239 Rn. 20). Allein möglich ist eine Abänderung im gerichtlichen Verfahren, wie es bezüglich Jugendamtsurkunden bis zum 31.8.2009 in § 323 Abs. 4 ZPO und seit dem 1.9.2009 in § 239 FamFG vorgesehen ist (vgl. zu dem bis zum 31.8.2009 geltenden Recht OLG Brandenburg, 1. Familiensenat, Beschluss vom 12.10.2005 – 9 UF 108/05, BeckRS 2006, 04778). Mithin ist eine Stattgabe des Vollstreckungsabwehrantrages bezüglich der Jugendamtsurkunde aus dem Jahr 1998 nicht allein mit dem formalen Argument, diese Urkunde sei durch weitere Urkunde aus dem Jahr 2001 abgeändert worden, möglich.

Erfolgsversprechend ist die Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin aber nur, soweit sie sich gegen die Vollstreckungsabwehrklage für Unterhaltsrückstände aus der Zeit von Oktober 2012 bis März 2013 wendet.

Gegenstand des Vollstreckungsauftrags der Antragsgegnerin ist unstreitig der Zeitraum von März 2007 bis März 2013. Soweit es den Unterhalt bis einschließlich September 2012 betrifft, ist auch bei der im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe gebotenen summarischen Betrachtung davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin ihren Unterhaltsanspruch wegen nicht zeitnaher Geltendmachung gemäß § 242 BGB verwirkt hat.

Beim Unterhalt sind an das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment keine großen Anforderungen zu stellen. Das Zeitmoment kann bereits für Zeitabschnitte, die mehr als ein Jahr vor Rechtshängigkeit der Klage oder einem erneuten Tätigwerden liegen, bejaht werden (BGH, FamRZ 1988, 370, 372 f.; FamRZ 2007, 453 Rn. 22). Da ein Unterhaltsanspruch nicht verwirkt sein kann, bevor er überhaupt fällig geworden ist, müssen gegebenenfalls die in Frage kommenden Zeitabschnitte gesondert betrachtet werden (BGH, FamRZ 1988, 370).

Vorliegend ist nach dem Vorbringen im Schriftsatz vom 11.3.2015 davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Zahlung von Unterhaltsrückständen für den genannten Zeitraum erstmals mit Schreiben vom 12.9.2013 aufgefordert hat. Das Zeitmoment von mehr als einem Jahr ist somit für alle Unterhaltsansprüche bis einschließlich September 2012 erfüllt. Der Unterhalt für Oktober 2012 hingegen ist erst in einem Monat fällig geworden, für den das Zeitmoment erst nach der Aufforderung vom 12.9.2013 erfüllt wäre.

Beim Umstandsmoment kommt es darauf an, inwieweit sich der Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH, FamRZ 1988, 370, 373). Da von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen zu erwarten ist, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht (vgl. BGH, a.a.O.), darf der Unterhaltsschuldner, wenn das Verhalten des Unterhaltsgläubigers den Eindruck erweckte, in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig zu sein, davon ausgehen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Soweit es im Umstandsmoment auch darauf ankommt, inwieweit sich der Unterhaltsverpflichtete tatsächlich darauf eingerichtet hat, Unterhalt für die zurückliegende Zeit nicht mehr zahlen zu müssen, reicht die Feststellung aus, dass ein Unterhaltsverpflichteter erfahrungsgemäß seine Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte anpasst, so dass er bei unerwarteten Unterhaltsnachforderungen nicht auf Ersparnisse zurückgreifen kann und dadurch regelmäßig in Bedrängnis gerät (BGH, a.a.O.; Senat, NJW-RR 2002, 870). Sind Anhaltspunkte dafür, dass es im zu entscheidenden Fall anders lag, nicht ersichtlich, so bedarf es keiner besonderen Feststellungen dazu, dass der Unterhaltsschuldner sich tatsächlich auf den Fortfall der Unterhaltsforderung eingerichtet hat (BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.).

Auch Ansprüche auf Kindesunterhalt können verwirkt sein, obwohl die Verjährung solcher Ansprüche eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit des Kindes gehemmt ist (BGH, FamRZ 1999, 1422). Soweit vertreten wird, dass in den Fällen, in denen der gesetzliche Mindestunterhalt bzw. der Regelunterhalt geltend gemacht werde, besondere Gründe das Vorliegen des Zeit- und Umstandsmoments rechtfertigen müssten, weil der Pflichtige vor Zeitablauf nicht damit rechnen könne, dass das minderjährige Kind nicht auf den Unterhalt in dieser Höhe angewiesen sei (vgl. OLG Brandenburg, 4. Familiensenat, Beschluss vom 25.11.2011 – 13 WF 129/11, BeckRS 2012, 04777), entspricht dies nicht den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen. Danach kommt es allein darauf an, dass von einem Unterhaltsgläubiger, der auf lebensnotwendige Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen zu erwarten ist, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Dies gilt auch für Unterhaltsgläubiger, die über einen Titel in Höhe des Mindestunterhalts bzw. des Regelunterhalts verfügen. Die Grundsätze zur Verwirkung erfahren ohnehin für titulierte Ansprüche, deren Durchsetzung mit Hilfe des Titels eher näher liegen dürfte als bei nicht titulierten Forderungen, keine Einschränkung (BGH, FamRZ 1999, 1422; FamRZ 2004, 531, 532; a.A. OLG Brandenburg, 4. Familiensenat, FamRZ 2014, 48).

Nach alledem bietet die Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin, soweit es den Unterhalt für die Zeit von März 2007 bis September 2012 betrifft, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 572 Abs. 3 ZPO. Denn das Amtsgericht hat noch keine Feststellung zu der Frage getroffen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Antragsgegnerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Verfahrensführung aufzubringen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist unanfechtbar.