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Visum; Kindernachzug zu allein sorgeberechtigtem Elternteil; Türkei; Anerkennung der ausländischen Sorgerechtsentscheidung; ordre public; Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts; Grundrechte; verfahrensrechtliche Grundprinzipien; Orientierung des Verfahrens am Kindeswohl; Anhörung des Kindes; inhaltliche Mängel der Anhörung; unabhängige Stellungnahme einer sachverständigen Stelle; Verzicht auf weitere Sachverhaltsaufklärung bei übereinstimmendem Willen des Kindes und beider Elternteile; Gesichtspunkt der bestmöglichen Förderung des Kindes; Einschätzungsprärogative der Eltern; (keine) Unvereinbarkeit mit materiellrechtlichen Grundwerten; keine Prüfung der richtigen Anwendung des ausländischen Rechts; (keine) Unvereinbarkeit des Ergebnisses der Sorgerechtsübertragung mit dem Kindeswohl; ausreichender Wohnraum; Lebensunterhaltssicherung; mehrjährige unterhaltssichernde Erwerbstätigkeit; Bedarf im Durchschnitt erheblich übersteigendes Einkommen; Arbeitslosigkeit im Ent-scheidungszeitraum; Arbeitsplatzzusage; positive Prognose


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 25.10.2011
Aktenzeichen OVG 11 B 23.10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 6 GG, § 2 AufenthG, § 5 AufenthG, § 29 AufenthG, § 32 AufenthG, Art 4 EGRL 86/2003, Art 7 MSA, Art 16 MSA, Art 7 EuSorgeRÜbk, Art 10 EuSorgeRÜbk

Tenor

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt als türkischer Staatsangehöriger ein Visum zum Zweck des Familiennachzugs zu seinem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Vater.

Die Eltern des am 20. Dezember 1994 geborenen Klägers waren nicht miteinander verheiratet; das Sorgerecht für den Kläger lag bei dessen Mutter. Der Vater reiste 1995 als Asylbewerber nach Deutschland ein. Nachdem er im Mai 1997 eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hatte, wurden ihm zunächst befristete und im September 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Die Ehe des Vaters wurde im November 2005 geschieden. Im selben Jahr heiratete die Mutter des Klägers einen anderen Mann.

Auf einen entsprechenden Antrag des Vaters hin übertrug das 10. Familiengericht Izmir mit Urteil vom 8. April 2008 das Sorgerecht für den Kläger unter Berufung auf Art. 183 des türkischen Zivilgesetzbuches von der Mutter auf den Vater. Ausweislich der vorgelegten deutschen Übersetzung des Urteils erklärte die Mutter als Antragsgegnerin bei der Verhandlung, dass sie damit einverstanden sei, das Sorgerecht auf den Vater zu übertragen, "dass es für das Kind besser sein wird, wenn er in Deutschland seine schulische Ausbildung macht und dass er in Deutschland erzogen wird." Weiter ist im Urteil ausgeführt:

"Das gemeinsame Kind H… wurde bei der Verhandlung am 08/04/2008 verhört, er erklärte, dass er in die 8. Klasse geht, dass er auch einverstanden ist, sein Sorgerecht von der Mutter auf den Vater zu übertragen, dass auch er nach Deutschland einreisen möchte, dass er in Deutschland eine bessere schulische Ausbildung bekommen kann.

Nach der Beurteilung hat man festgestellt, dass die Mutter mit der Klage einverstanden ist, dass auch das gemeinsame Kind mit der Klage einverstanden ist, dass die Übertragung des Sorgerechts für die Erziehung und Ausbildung des Kindes besser sein wird. Demgemäß kam das Gericht zu der Überzeugung, das Sorgerecht des Kindes dem antragstellerischen Vater zu übertragen."

Die mit diesem Urteil dahingehend getroffene Umgangsregelung, dass der Kläger u.a. das erste Wochenende jedes Monats bei seiner Mutter verbringen werde, wurde mit Urteil des 9. Familiengerichts Izmir vom 22. Oktober 2009 auf Antrag der Mutter dahingehend abgeändert, dass die Antragstellerin jedes Jahr vom 1. bis 30. August persönlichen Kontakt zu ihrem Sohn haben könne. In dem abändernden Urteil wird ausdrücklich festgestellt, dass das Urteil vom 8. April 2008 seit dem 11. April 2008 rechtskräftig sei.

Den am 2. Juli 2009 gestellten Antrag des Klägers auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu seinem Vater lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Oktober 2009 und dem nach nochmaliger Überprüfung ergangenen Remonstrationsbescheid vom 4. Dezember 2009 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass dem Sorgerechtsurteil des 10. Familiengerichts Izmir die Anerkennung für den deutschen Rechtsbereich zu versagen sei. Denn es lägen eindeutige Hinweise für einen Verstoß gegen den ordre public vor. Die Entscheidung entbehre jeder gesetzlichen Grundlage nach türkischem Recht und gereiche mangels hinreichender Prüfung des Kindeswohls letztendlich zum Schaden des Klägers.

Auf die dagegen erhobenen, insbesondere die Verbindlichkeit der türkischen Sorgerechtsentscheidung geltend machende Klage des Klägers verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 20. Juli 2010, dem Kläger das begehrte Visum zum Zweck des Familiennachzugs zu seinem Vater zu gewähren. Der Kläger habe einen Anspruch auf Familiennachzug nach § 32 Abs. 3 AufenthG. Er habe das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, sein Vater verfüge über eine Niederlassungserlaubnis und sei Inhaber des alleinigen Personensorgerechts. Die Beklagte meine zu Unrecht, dass die Sorgerechtsentscheidung des 10. Familiengerichts in Izmir unbeachtlich sei. Zwar könne der in Rede stehenden ausländischen Sorgerechtsentscheidung nach Art. 10 Abs. 1 lit. a des Europäischen Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts (vom 20. Mai 1980 – Europäisches Sorgerechtsübereinkommen, i.F. ESÜ) die Anerkennung versagt werden, wenn die Wirkungen der Entscheidung mit den Grundwerten des Familien- und Kindschaftsrechts im ersuchten Staat offensichtlich unvereinbar seien. Die Auffassung, dass dies im vorliegenden Fall zu einer Versagung der Anerkennung führe, sei jedoch unzutreffend, weil sie den danach anzulegenden Prüfungsmaßstab überspanne. Dies gelte zunächst für die Frage, ob die Entscheidung mit dem türkischen Zivilrecht in Einklang stehe, denn maßgeblich sei allein das an deutschem Recht zu messende Ergebnis. Verfahrensverstöße, die das Ergebnis infrage stellen könnten, habe das türkische Gericht ersichtlich nicht begangen. Es habe ausweislich der Entscheidungsgründe den Kläger angehört und auch Rechte der Mutter, die der Übertragung zugestimmt habe, seien nicht in einer bedenklichen Weise übergangen worden, was nicht zuletzt die von ihr wahrgenommene Möglichkeit einer Änderung der Umgangsregelung zeige. Die Wertung, dass die Sorgerechtsentscheidung in einer zugleich dem ordre public widersprechenden Weise dem Kindeswohl zuwiderlaufe, sei mit dem gebotenen Prüfungsmaßstab nicht vereinbar. Dabei könne unterstellt werden, dass die Entscheidung allein oder jedenfalls entscheidend ausländerrechtlich motiviert bzw. von ökonomischen Gesichtspunkten getragen sei, nämlich dem Zweck diene, dem Kläger den Zuzug nach Deutschland zu ermöglichen, weil die Ausbildungssituation und die daran anknüpfenden Berufsaussichten hier besser erschienen. Denn es sei allein eine Frage der inhaltlichen Richtigkeit der Sorgerechtsentscheidung, ob dies tatsächlich zutreffe und ob der Kläger trotz relativ vorgerückten Alters davon werde profitieren könne. Eine diesbezügliche Fehlgewichtung begründe allein keinen Verstoß gegen den ordre public. Es sei auch nicht einsehbar, weshalb die genannten ausländerrechtlichen und ökonomischen Belange grundsätzlich mit Kindeswohlbelangen inkongruent sein sollten. Eine Sorgerechtsentscheidung, die der autonomen Entscheidung der Eltern über die Erziehung ihres Kindes Rechnung trage, sei hinzunehmen, solange nicht erkennbar sei, dass das Kind dadurch in eine nicht tragbare Situation gebracht werde. Die in § 20 Abs. 3 AuslG noch vorgesehene Möglichkeit, dem im Wege der Ermessensentscheidung einwanderungspolitische Gesichtspunkte entgegenzuhalten, habe der Gesetzgeber abgeschafft und es erscheine nicht geboten, ersatzweise im Wege der Ferndiagnose zu mutmaßen, ob der zur Entscheidung berufene türkische Richter bei seiner zugegebenermaßen wenig aufschlussreich begründeten Entscheidung Kindeswohlbelange nicht nur anders gewichtet, sondern sie völlig außer Acht gelassen haben könnte. Die weiteren Voraussetzungen für den Familiennachzug, insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts und die Verfügbarkeit ausreichenden Wohnraums, seien gegeben.

Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen, fristgemäß eingelegten und begründeten Berufung macht die Beklagte weiter geltend, dass dem Vater des Klägers das alleinige Sorgerecht mit der Entscheidung des Familiengerichts in Izmir nicht wirksam übertragen worden sei.

Das Ergebnis der türkischen Sorgerechtsentscheidung sei unter ordre public-Gesichtspunkten greifbar unangemessen, weil sie das Wohl des Klägers in einer Art und Weise übergehe, die mit einem tragenden Verfahrensgrundsatz des deutschen Kindschaftsrechts unvereinbar sei. Die persönliche Anhörung des Kindes sei ein Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang, das minderjährige Kind sei Subjekt des Umgangsregelungsverfahrens und die persönliche Anhörung diene dem Schutz dieses Verfahrensgrundsatzes. Im vorliegenden Fall erschöpfe sich die gerichtliche Prüfung des Kindeswohls in der bloßen Entgegennahme der Erklärung des Klägers. Dies könne die nach den Entscheidungen des 12. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. September 2010 (OVG 12 B 21.09) und vom 7. Dezember 2010 (OVG 12 B 11.08) erforderliche, dem Schutz des Kindes dienende Anhörung nicht ersetzen. Durch die Anhörung werde das Gericht in die Lage versetzt, sich einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind, dessen Wohl das Verfahren sichern solle, zu verschaffen. Das türkische Gericht habe jedoch, abgesehen von der ungeprüften Wiedergabe des Kindeswillens, nicht einen einzigen der insoweit vom Bundesgerichtshof für maßgeblich angesehenen Gesichtspunkte (wie Bindungen des Kindes, Prinzipien der Förderung – Erziehungseignung – und der Kontinuität) auch nur ansatzweise geprüft bzw. das Kind hierzu gehört. Dass keine dem Kindeswohl dienende Anhörung stattgefunden habe, werde schließlich auch durch die angesichts des vorgesehenen Wegzuges nach Deutschland vollkommen sinnlose Umgangsregelung für die Mutter des Klägers verdeutlicht. Dieses gerichtliche Verfahren sei in seiner Ausgestaltung weder geeignet noch angemessen, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen eines Kindes wirkungsvoll zu dienen. Im Übrigen sei auch in der letzten in der Frage des Sorgerechts ergangenen Entscheidung des Zivilsenats des türkischen Kassationsgerichtshofes (Urteil vom 12. März 2008, Geschäftszeichen - E. 2008/2-229-) bestätigt worden, dass die Kinder während des Sorgerechtsverfahrens gehört werden müssten und dass eine sachverständige Stelle eine unabhängige Stellungnahme zu erstellen habe. Auch diese Maßgabe sei im vorliegenden Fall missachtet worden.

Das Ergebnis bzw. die Wirkung der türkischen Sorgerechtsänderungsentscheidung sei mit dem Kindeswohl nicht vereinbar, weil sich aus einer Vielzahl von Indizien ergebe, dass die Entscheidung des türkischen Familiengerichts allein von dem Ziel getragen gewesen sei, dem Kindesvater in jedem Fall das Sorgerecht zu übertragen, ohne dass es auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles überhaupt angekommen sei. So habe sich das Familiengericht mit zentralen Elementen des Kindeswohls nicht befasst und alle gegen die Übertragung des Sorgerechts sprechenden Aspekte ausgeblendet. Die für die Entziehung des Sorgerechts der Mutter nach türkischem Recht maßgeblichen Voraussetzungen hätten offenkundig nicht vorgelegen und seien auch nicht geprüft worden; die herangezogene Vorschrift Art. 183 des türkischen Zivilgesetzbuches sei im Fall der nicht miteinander verheirateten Eltern des Klägers nicht anwendbar gewesen.

Anhaltspunkte für die Annahme einer besonderen Härte im Sinne von § 32 Abs. 4 AufenthG seien weder ersichtlich noch klägerseitig dargelegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Juli 2010 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt aus, dass das türkische Urteil nicht gegen den ordre public verstoße und insbesondere nicht das Kindeswohl des Klägers missachte. Ein formeller Verstoß komme bei der hier zu beurteilenden Entscheidung nicht in Betracht, da der Kläger in Izmir angehört worden sei. Soweit die Beklagte die Anhörung des Klägers als nicht genügend ansehe, verkenne sie den Sinn und Zweck einer Anhörung. In welcher Form diese durchgeführt werde, sei auch nach deutschem Recht allein Sache des Gerichts und bestimme sich letztlich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Die Art der Durchführung sei der verfassungsrechtlichen Nachprüfung entzogen, und für die Anhörung durch ein türkisches Familiengericht gelte nichts anderes. Das Verfahren vor dem 10. Familiengericht in Izmir sei nicht streitig gewesen und nach deutschem Recht werde im Fall des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB bei nicht streitigen Verfahren, in denen der andere Elternteil dem Sorgerechtsantrag zustimme, im Regelfall sogar auf die Anhörung des Kindes verzichtet. In einem derartigen Fall sei dem Sorgerechtsantrag stattzugeben; dem deutschen Familiengericht stehe gerade keine Prüfungskompetenz zu, ob die von den Eltern gewollte Sorgerechtsregelung dem Kindeswohl am besten gerecht werde. Davon ausgehend könne aber auch von einem türkischen Gericht nicht verlangt werden, eine solche Prüfung in jedem Fall durchzuführen.

Die Entscheidung des türkischen Urteils widerspreche auch (sonst) nicht den Grundsätzen des deutschen Familienrechts. Dieses sehe eine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater auch bei nicht miteinander verheirateten Eltern vor und nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht widerspräche gerade die Unmöglichkeit einer solchen Sorgerechtsübertragung den Grundrechten.

Durch den Umzug des Klägers nach Deutschland trete auch keine Kindeswohlgefährdung ein. Dieser lebe gegen seinen Willen bei den Großeltern väterlicherseits, obwohl er klar den Wunsch geäußert habe, bei seinem Vater zu leben. Auch im Hinblick auf sein Alter sei das nicht hinnehmbar und unbillig. Darüber hinaus seien die Großeltern altersbedingt nicht mehr in der Lage, die Betreuung und Versorgung des Klägers zu gewährleisten, und seien als Erziehungspersonen zumindest weniger geeignet als der Kindesvater. Eine Bindung zur Mutter sei kaum gegeben. Der Kläger könne nicht bei ihr wohnen, weil er durch deren Ehemann abgelehnt werde. Die Kindesmutter betreue und versorge den Kläger seit nunmehr fast sechs Jahren, seit ihrem Auszug aus dem Haushalt der Großeltern, nicht mehr und sehe ihn nur gelegentlich; der Kontakt sei fast völlig abgebrochen. Soweit der Beklagte den „Fördergedanken“ in den Vordergrund stelle, könne die nicht auf Schulbildung zu reduzierende Förderung des Klägers durch den Vater des Klägers besser geleistet werden als durch die altersbedingt nicht geeigneten und nicht personensorgeberechtigten Großeltern; allein die fehlenden Sprachkenntnisse könnten eine Kindeswohlgefährdung nicht begründen. Die vom Beklagten eingewandten ausländerrechtlichen und ökonomischen Aspekte seien nicht inkongruent zum Kindeswohl, sondern selbstverständlich auch im Hinblick auf das Wohlergehen des Kindes berücksichtigt worden. Die von der Beklagten vorgebrachten Argumente seien nur Teile des Kindeswohls. Im konkreten Fall, in dem die Mutter nicht selbst für den Kläger sorgen könne und wolle, entspreche die das Zusammenleben des Klägers mit seinem Vater ermöglichende Übertragung des Sorgerechts dem Kindeswohl am besten. Soweit die Beklagte der Ansicht sei, dass eine Integration des Klägers nicht mehr oder nur schwer möglich sei, lasse sie sich von Erwägungen leiten, die im Gesetz keinen Niederschlag fänden. Es habe nichts mit Kindeswohlerwägungen zu tun, dem Kläger die Integrationswilligkeit und -fähigkeit im Vorhinein abzuerkennen. Diese Beurteilung des Klägers verbiete sich schon deshalb, weil die Beklagte den Kläger überhaupt nicht kenne.

Die Beigeladene, die selbst keinen Antrag gestellt hat, schließt sich inhaltlich den Ausführungen der Beklagten an.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Streitakte (1 Band) und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten ( 2 Hefter) und der Beigeladenen (2 Hefter) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn dieser hat gem. § 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 AufenthG Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug (1.). Auch die weiteren Erteilungsvoraussetzungen sind erfüllt (2.).

1. Gem. § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen.

Die danach maßgeblichen Anspruchsvoraussetzungen sind unstreitig insoweit erfüllt, als der bei Visumsantragstellung im Juli 2009 erst 14 Jahre alte Kläger die gesetzliche Altersgrenze von unter 16 Jahren gewahrt hat und sein Vater über eine gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltserlaubnis verfügt. Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen ist der Vater des Klägers aber auch für diesen allein sorgeberechtigt, denn der deutsche ordre public steht einer Anerkennung der mit Urteil des 10. Familiengerichts Izmir vom 8. April 2008 erfolgten Übertragung des Sorgerechts auf den in Deutschland lebenden Vater nicht entgegen.

a) Zu den Grundlagen und Grenzen einer Überprüfung einer ausländischen - im konkreten Fall ebenfalls türkischen - Sorgerechtsentscheidung auf seine Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Urteil vom 29. September 2010 (OVG 12 B 21.09, zit. nach juris Rn 18 ff.) ausgeführt:

„Die Voraussetzungen, unter denen eine in der Türkei ergangene Sorgerechtsentscheidung in der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen ist, richten sich nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 – MSA - (BGBl. II S: 217), das für die Bundesrepublik Deutschland am 17. September 1971 (BGBl. II S. 1150) und im Verhältnis der Bundesrepublik zur Türkei am 16. April 1984 (BGBl. II S. 460) in Kraft getreten ist, bzw. nach dem Europäischen Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 – ESÜ - (BGBl. II 1990, 220), das für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Februar 1991 (BGBl. II S. 392) und im Verhältnis zur Türkei seit dem 1. Juni 2000 (BGBl. II S. 1207) in Kraft ist. Welches der beiden Übereinkommen vorrangig anzuwenden ist (vgl. dazu Art. 18 Abs. 2 MSA, Art. 19 ESÜ) kann offen bleiben, weil die jeweiligen Reglungen, die die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen betreffen, hier zu identischen Ergebnissen führen.

Beide völkerrechtliche Vereinbarungen mit dem formalen Rang eines Bundesgesetzes haben grundsätzlich Vorrang vor §§ 108, 109 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG – vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586), die ebenfalls die Anerkennung ausländischer Entscheidungen sowie Anerkennungshindernisse normieren und die die bis zum 31. August 2009 gültige entsprechende Regelung in § 16 a des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FGG – abgelöst haben. Gleiches gilt in Bezug auf § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, der in Fällen wie dem vorliegenden als allgemeine zivilprozessuale Vorschrift nicht mehr anwendbar ist, seitdem speziellere Vorschriften auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit bzw. in Familiensachen bestehen (a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. August 2005 – OVG 7 B 24.05 -, juris Rn. 39). Schließlich erfordert die Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch kein besonderes Anerkennungsverfahren (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1988, FamRZ 1989, 378, 389).

Nach Art. 7 Satz 1 MSA sind Maßnahmen, die die gemäß Art. 1 bis 6 MSA zuständigen Gerichte oder Verwaltungsbehörden nach innerstaatlichem Recht getroffen haben und zu denen auch die Übertragung der Personensorge für ein minderjähriges Kind zählt, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen. Diese Regelung darf in den Mitgliedstaaten nur dann unbeachtet bleiben, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist (Art. 16 MSA). Vergleichbare Vorschriften enthalten Art. 7 ESÜ (Anerkennung in einem Vertragsstaat ergangener Sorgerechtsentscheidungen) und Art. 10 Abs. 1 a) ESÜ. Danach können Anerkennung und Vollstreckung einer Sorgerechtsentscheidung versagt werden, wenn die Wirkungen der Entscheidung mit den Grundwerten des Familien- und Kindschaftsrechts im ersuchten Staat offensichtlich unvereinbar sind.

Aus den angeführten Regelungen ergibt sich, dass ausländische Sorgerechtsentscheidungen … grundsätzlich im Bundesgebiet anerkannt werden müssen (vgl. auch VGH München, Beschluss vom 3. Juni 1996 – 10 CS 98.1074 -, juris Rn. 10). Die Vorbehaltsklausel des ordre public kommt nur im Ausnahmefall zum Tragen, sodass bei der Prüfung, ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, Zurückhaltung geboten ist. Ein Anerkennungshindernis wegen Verstoßes gegen den ordre public kann danach nicht schon dann angenommen werden, wenn die ausländische Entscheidung nicht überzeugend erscheint oder ein deutsches Gericht nach deutschem Recht anders entschieden hätte.

Das Erfordernis einer „offensichtlichen Unvereinbarkeit“ schließt es ferner grundsätzlich aus, dass Gerichte oder Behörden eines Vertragsstaates die ausländische Entscheidung auf ihre materielle Richtigkeit hin („révision au fond“) überprüfen. Ein im Sinne der deutschen oder auch ausländischen Rechtsordnung „falsches“ Ergebnis führt für sich genommen noch nicht zum Verstoß gegen den Vorbehalt des ordre public (daher zweifelhaft VG Berlin, Urteil vom 23. September 2009 – VG 9 K 135.09 V -, juris, und VG Berlin, Urteil vom 1. September 2009 – VG 21 K 126.09 V -, FamRZ 2010, 681, die die ausländische Sorgerechtsentscheidung einer umfassenden inhaltlichen Richtigkeitskontrolle unterziehen).

Nach alledem liegt ein Verstoß gegen den deutschen ordre public erst vor, wenn das Ergebnis in einem so starken Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1986 - 1 B 20/86 -, juris Rn. 6 ff. = FamRZ 1986, 351; BGH, Beschluss vom 18. September 2001, NJW 2002, 960, 961; BGH, Urteil vom 21. April 1998, BGHZ 138, 331, 334; Bumiller/Harders, Freiwillige Gerichtsbarkeit FamFG, 9. Aufl., § 109 Rn. 9).

Eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts kommt sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht in Betracht. Aus verfahrensrechtlichen Gründen kann einer ausländischen Entscheidung die Anerkennung dann zu versagen sein, wenn das Verfahren von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass nach der deutschen Rechtsordnung nicht mehr von einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1986 - 1 B 20/86 -, juris Rn. 10 m.w.N. = FamRZ 1986, 381). In materiell-rechtlicher Hinsicht ist zu prüfen, ob die Entscheidung in der Sache selbst gegen rechtliche Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung verstößt. Prüfungsmaßstab sind in beiden Fällen vor allem auch die Grundrechte.

Überträgt man dies auf ausländische Sorgerechtsentscheidungen, so kann ein Verstoß gegen den ordre public insbesondere dann gegeben sein, wenn das Ergebnis der ausländischen Sorgerechtsentscheidung mit den Grundwerten des deutschen Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist. Hierzu zählt vor allem das Wohl des Kindes, dessen Beachtung einen wesentlichen und unverzichtbaren Grundsatz des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts bei allen Entscheidungen über das Sorgerecht darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. September 2006 – 2 BvR 2216/05 -, juris Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 1 BvR 374/09 – NJW 2010, 2333 ff.; s. z.B. auch §§ 1626 Abs. 3, 1666, 1696 Abs. 1, 1697 a BGB).“

Dem schließt sich der erkennende Senat an. Davon ausgehend verstößt die mit Urteil des 10. Familiengerichts Izmir vom 8. April 2008 erfolgte Übertragung des alleinigen Sorgerechts für den Kläger auf dessen Vater weder verfahrensrechtlich noch materiellrechtlich gegen den deutschen ordre public.

b) Das vor dem türkischen Familiengericht durchgeführte Verfahren leidet nicht an einem mit dem deutschen ordre public unvereinbaren Verfahrensmangel.

Denn auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Abweichung von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts bereits eine Verletzung des ordre public begründen kann. Der Vorbehalt greift vielmehr nur, wenn das Verfahren von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass nach der deutschen Rechtsordnung nicht mehr von einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1986 - 1 B 20/86 -, juris Rn. 10 m.w.N. = FamRZ 1986, 381). Prüfungsmaßstab sind auch insoweit insbesondere die Grundrechte (vgl. auch § 7 Abs. 4 des „Deutschen Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses - Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz - SorgeRÜbkAG“ v. 5. April 1990, BGBl. I Nr. 18 S. 701 ff. i.d.F. der Änderung durch Gesetz vom 19. Februar 2001, BGBl. I S. 288, wonach die Voraussetzungen des Artikels 10 Abs. 1 Buchstabe a oder b des Übereinkommens insbesondere dann vorliegen, „wenn die Wirkungen der Entscheidung mit den Grundrechten des Kindes oder eines Sorgeberechtigten unvereinbar wären“; ebenso § 19 des Gesetzes zum internationalen Familienrecht vom 26. Januar 2005 - BGBl. I Nr. 7 Seite 1162 i.d.F. der Änderung v. 23. Mai 2011, BGBl. I S. 916).

Nach der deshalb insbesondere zu berücksichtigenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23. Juli 2007 - 1 BvR 156/07 -,zit. nach juris Rn 10 ff.; Beschl. v. 18. Juli 2006 - 1 BvR 1465/05 -, zit. nach juris Rn 29 f., Beschluss v. 29. Oktober 1998 - 2 BvR 1206/98 -, BVerfGE 99, 145 ff., zit. nach juris Rn 57 ff., 76 ff.; Beschluss v. 18. Februar 1993 - 1 BvR 692/92 -, zit. nach juris Rn 11 f.; BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 1968 - 1 BvL 20/63, 1 BvL 31/66-, BVerfGE 24, 119, 144, zit. nach juris Rn 57 ff.) verlangen der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz der Kinder und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör eine Verfahrensgestaltung, die eine eigenständige Wahrnehmung der Kindesbelange sicherstellt und es den Gerichten ermöglicht, die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung möglichst zuverlässig zu erkennen. Der Wille des Kindes ist zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Die Anhörung des Kindes stellt einen Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang dar, der der Absicherung des Kindeswohles dient und die Stellung des Kindes als Subjekt im Verfahren, seine Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 GG sowie seinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) schützt. Wenn eine für die Zukunft des Kindes bedeutsame Entscheidung getroffen wird und wegen eines Interessenkonflikts zwischen Eltern und Kind die Interessen des Kindes nicht hinreichend durch die Eltern wahrgenommen werden können, kann sich daraus bei Kindern, deren Alter und Reife eine eigene Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte nicht erlaubt, auch die Pflicht ergeben, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, dass dem Kind bereits im familiengerichtlichen Verfahren ein Pfleger zur Wahrung seiner Interessen zur Seite gestellt wird. Ob darüber hinaus eine weitere Aufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist, bleibt indes grundsätzlich dem zuständigen Fachgericht vorbehalten (vgl. dazu z.B. BVerfG, Beschluss v. 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 -, zit. nach juris Rn 25, 29; Beschluss v. 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2681/07 -, zit. nach juris Rn 21).

Davon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass sich ein Anerkennungshindernis wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht schon aus dem Fehlen einer grundsätzlich als dessen Bestandteil anzusehenden persönlichen Anhörung des Klägers durch das Familiengericht in Izmir ergibt. Denn dieses Gericht hat den damals 13-jährigen Kläger in der durchgeführten mündlichen Verhandlung persönlich „verhört“ (so die Übersetzung des Urteils, unter „Beweismittel und Begründung“). Als Ergebnis dieser Anhörung wird im Urteil zwar nur angeführt, dass der Kläger erklärt habe, in die 8. Klasse zu gehen, mit der Übertragung des Sorgerechts von der Mutter auf den Vater einverstanden zu sein und dass er nach Deutschland einreisen wolle, da er dort eine bessere schulische Ausbildung bekommen könne. Dass bei dieser Anhörung jedenfalls nach dem im Urteil wiedergegebenen Anhörungsergebnis weitere, aus Sicht des deutschen Familienrechts für die Beurteilung des Kindeswohls gewichtige Gesichtspunkte - wie die bisherigen Lebensverhältnisse, Art und Umfang der bisherigen Kontakte zum schon kurz nach der Geburt des Klägers nach Deutschland gegangenen Vater, genauere Vorstellungen zum Leben in Deutschland u.ä. - nicht abgefragt worden sind und dass die vom Kläger bei seiner Anhörung geäußerten Wünsche und Vorstellungen mit den Wünschen seiner Eltern übereinstimmten und durch deren - etwaige Schwierigkeiten möglicherweise ausblendende - Vorstellungen geprägt waren, ändert nichts daran, dass der Kläger im Rahmen des Verfahrens jedenfalls Gelegenheit hatte, sich zu der ihn betreffenden Sorgerechtsänderung zu äußern und diesbezüglich seine eigenen Wünsche und Vorstellungen zu bekunden, und dass der entscheidende Richter Gelegenheit hatte, sich durch Befragung einen persönlichen Eindruck vom Kläger zu verschaffen. Etwaige inhaltliche Mängel der Befragung des Klägers begründen zwar möglicherweise Bedenken gegen die Tragfähigkeit und vorbehaltlose Beachtlichkeit des von diesem geäußerten Willens. Sie begründen aber keine mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr vereinbare Abweichung von Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts und machen die tatsächlich durchgeführte Anhörung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht unbeachtlich.

Soweit der Beklagte unter Bezugnahme auf eine - im Verfahren nicht vorgelegte - Entscheidung eines Zivilsenats des türkischen Kassationsgerichtshofes (Urteil v. 12. März 2008, Gz. E. 2008/2-229) ausführt, dass auch die sich daraus ergebende Maßgabe der Erstellung eines unabhängigen Gutachtens durch eine sachverständige Stelle missachtet worden sei, ist weder feststellbar noch dargelegt, dass diese Maßgabe nach türkischem Recht auch für Fälle gilt, in denen - wie hier - beide Elternteile und das angehörte Kind selbst die beantragte Sorgerechtsänderung wünschen. Die dem Urteil des Kassationsgerichtshofes zugrunde liegende Fallkonstellation dürfte jedenfalls eine andere gewesen sein, da es im Fall einer erstinstanzlichen, dem Willen aller Verfahrensbeteiligten entsprechenden Entscheidung schon nicht zur Anrufung eines Rechtsmittelgerichts gekommen sein dürfte. Unabhängig davon kommt es - wie eingangs dargelegt - aber auch nicht auf etwaige sich nach türkischem Recht ergebende Fehler an, sondern nur darauf, ob die unterbliebene Einholung einer unabhängigen Stellungnahme einer sachverständigen Stelle einen mit dem deutschen ordre public unvereinbaren Verfahrensmangel begründet. Dafür ist jedenfalls in einem Sorgerechtsverfahren, in dem - wie hier - nicht nur beide Elternteile, sondern auch das angehörte Kind selbst die beantragte Sorgerechtsänderung ausdrücklich wünschen, weil sie sich davon eine bessere Förderung des Kindes versprechen, nichts ersichtlich.

In einem solchen Fall bedarf es zum Schutz der Rechte des Kindes nicht etwa zwingend der Einschaltung einer unabhängigen bzw. gerade seine Interessen vertretenden Stelle mit der Funktion eines - etwa dem deutschen Verfahrenspfleger entsprechenden - unabhängigen Interessenvertreters für das Kind. Denn die Wahrnehmung der wohlverstandenen Interessen ihres Kindes obliegt in erster Linie den Eltern. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist zum Schutz der Rechte des Kindes (nur) geboten, wenn im Einzelfall konkrete Umstände die Annahme begründen, dass der für das Kind auftretende Elternteil die Interessen des Kindes aus dem Blick verlieren und vorrangig eigene Interessen vertreten könnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18. Juli 2006 - 1 BvR 1465/05 -, zit. nach juris Rn 29). Dafür ist angesichts der übereinstimmenden und im Übrigen gerade mit einem für das Kindeswohl wesentlichen Gesichtspunkt - der voraussichtlich besseren Förderung des Klägers durch den geplanten Umzug zum Vater - begründeten Erklärungen beider Elternteile zur gewünschten Sorgerechtsänderung indes nichts ersichtlich, zumal der hier mit 13 Jahren durchaus bereits zur Bildung eines eigenen Willens und zur Artikulierung eigener Interessen fähige Kläger sich mit der von seinem Vater gewünschten und von seiner Mutter unterstützten Sorgerechtsänderung ausdrücklich einverstanden erklärt hat.

Auch der Verzicht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens vermag in derartigen Fallkonstellationen keine Verletzung des verfahrensrechtlichen ordre public zu begründen. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens auch nach deutschem Prozessrecht nicht zwingend ist, sondern im Ermessen des zuständigen Fachgerichts steht. Zum anderen ist es auch dem deutschen Kindschaftsrecht nicht fremd, dem übereinstimmenden Willen beider Elternteile eine wesentliche und zugleich für das Kindeswohl indizielle Bedeutung beizumessen. So begründet der übereinstimmende Wunsch beider Elternteile eines nichtehelichen Kindes gem. § 1671 Abs. 1, 2 BGB bei fehlendem Widerspruch des mindestens 14jährigen Kindes ohne weiteres einen Anspruch auf die entsprechende Sorgerechtsübertragung, sofern nicht zwingend eine anderer Regelung getroffen werden muss (Abs. 3). Die Regelung gilt zwar nicht für Eltern, die (noch) nicht über ein gemeinsames Sorgerecht verfügen. Auch diese können bei entsprechendem Einvernehmen aber zunächst ein gemeinsames Sorgerecht begründen, um sodann einen Antrag gem. § 1671 Abs. 1, 2 BGB zu stellen. Die darin liegende Möglichkeit zur Umgehung einer positiven Kindeswohlprüfung hat der Gesetzgeber gesehen und in Kauf genommen (Veit, in Beck-OK § 1672 RN 11).

Davon ausgehend begründet im konkreten Fall aber auch der Verzicht des 10. Familiengerichts Izmir auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung, insbesondere durch Einholung einer „unabhängigen Stellungnahme einer sachkundigen Stelle“, keine offensichtliche Verkennung oder gar Missachtung der grundrechtlich geforderten und insoweit zu den Grundwerten des deutschen Familienrechts zählenden Pflicht, das gerichtliche Verfahren wie auch die Sorgerechtsentscheidung selbst maßgeblich am Kindeswohl zu orientieren. Denn die mit Urteil vom 8. April 2008 getroffene Sorgerechtsübertragung entsprach dem übereinstimmend erklärten Eltern- und Kindeswillen und auch der von allen Beteiligten als Grund für die begehrte Sorgerechtsübertragung angegebene Aspekt einer besseren Förderung des Klägers im Fall seines Aufenthalts beim Vater in Deutschland musste dem Gericht keinen Anlass geben, an einer Vereinbarkeit der von allen Beteiligten gewünschten Entscheidung mit dem Wohl des Klägers zu zweifeln. Denn dem Gesichtspunkt einer bestmöglichen Förderung des Kindes wird auch im deutschen Kindschaftsrecht eine wesentliche Bedeutung beigemessen (BVerfG, Beschluss v. 12. September 2006 - 2 BvR 2216/05 -, zit. nach juris Rn 16; Beschluss v. 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 -, zit. nach juris Rn 27). Dass das Familiengericht diese übereinstimmende Einschätzung der Eltern - jedenfalls nach den Entscheidungsgründen des Urteils - nicht anhand der genaueren Umstände des konkreten Falles näher auf ihre Tragfähigkeit überprüft hat, mag zwar Zweifel an der Verlässlichkeit der damit verbundenen Prognose begründen. Ein offensichtlicher Widerspruch zu den Grundgedanken der Regelungen des deutschen Kindschaftsrechts und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen ergibt sich aber auch daraus nicht. Denn es ist auch dem deutschen Recht nicht fremd, den Eltern die primäre Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Förderung ihrer Kinder zu überlassen. So gehört es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Ausübung des Wächteramtes des Staates nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmöglich entsprechende Förderung zu sorgen (Beschluss v. 20. Oktober 2008 - 1 BvR 2275/08 -, zit. nach juris Rn 15). Dabei werde in Kauf genommen, dass Kinder durch den Entschluss ihrer Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden.

c) Auch ein materiellrechtlicher Verstoß gegen den ordre public liegt nicht vor. Das Urteil des 10. Familiengerichts Izmir steht nicht in einem so starken Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint.

Dabei begründet es - entgegen der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung - für sich genommen keinen Verstoß gegen den Vorbehalt des ordre public, wenn eine Sorgerechtsübertragung auf den mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater nach türkischem Recht nicht möglich sein sollte. Darauf, ob das türkische Gericht das dortige Recht zutreffend angewandt hat, kommt es nicht an (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 29. September 2010 - 12 B 21.09, zit. nach juris - Rn 27 f.). Maßgeblich ist vielmehr auch insoweit allein, ob das Entscheidungsergebnis in einem so starken Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind wiederum vor allem die Grundrechte bzw. die sich aus diesen ergebenden wesentlichen Grundwerte des deutschen Familien- und Sorgerechts, zu denen insbesondere das Kindeswohl gehört.

Eine offensichtliche Unvereinbarkeit der türkischen Sorgerechtsentscheidung mit den Grundwerten des deutschen Kindschaftsrechts ergibt sich weder aus der - auch im deutschen Recht vorgesehenen - Übertragung des Sorgerechts für ein nichteheliches Kind auf den Vater noch aus einer dadurch im konkreten Fall bewirkten Verletzung des Kindeswohls des Klägers. Soweit der Beklagte meint, dass die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater des Klägers ersichtlich „allein ausländerrechtlich motiviert“ gewesen sei, zeigt dies eine Unvereinbarkeit mit dem Kindeswohl des Klägers nicht auf, weil die die Übersiedlung zum Vater ermöglichende Sorgerechtsentscheidung im Hinblick auf eine bessere Förderung der Erziehung und Ausbildung des Klägers getroffen und damit gerade mit einem für das Kindeswohl wesentlichen Gesichtspunkt begründet wurde. Unabhängig davon kommt es für die Vereinbarkeit des Ergebnisses, hier der vorgenommenen Sorgerechtsänderung, mit dem materiellen ordre public aber auch nicht auf die Motivation, sondern allein auf die Untragbarkeit des Ergebnisses an. Letzteres ist hier nicht erkennbar. Die tatsächliche Erreichbarkeit der angestrebten Förderung der Erziehung und Ausbildung und - damit verbunden - besserer Zukunftschancen des Klägers in Deutschland erscheint angesichts der von der Beklagten angeführten, vom entscheidenden Familiengericht jedenfalls nicht erkennbar berücksichtigten Umstände (wie dem Alter des Klägers, den fehlenden deutschen Sprachkenntnissen, einer möglicherweise schwierigen Beziehung zwischen dem Kläger und seinem bereits kurz nach seiner Geburt nach Deutschland ausgereisten Vater) zwar als offen. Daraus folgt indes nicht, dass die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater im Ergebnis offensichtlich und in nicht hinnehmbarer Weise mit dem Kindeswohl unvereinbar wäre. Denn die von der Beklagten geäußerten Bedenken gegen die Chancen einer erfolgreichen Integration des Klägers sind selbst insofern „ausländerrechtlich motiviert“, als sie aufgrund von in anderen Fällen aufgetretenen, eine erfolgreiche Integration ausländischer Kinder erschwerenden oder gar verhindernden Problemen die Wahrscheinlichkeit einer Förderung und erfolgreichen Integration auch des Klägers in Deutschland für gering halten. Diese ebenfalls - und mehr noch als die beanstandete türkische Sorgerechtsentscheidung - ohne nähere Kenntnis aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere der Personen und der Fähigkeiten des Klägers und seines Vaters geäußerte abweichende Einschätzung genügt indes nicht, um die auf Wunsch der regelmäßig durchaus am Wohlergehen ihrer Kindern interessierten und für dessen bestmögliche Förderung primär zuständigen Eltern erfolgte Sorgerechtsübertragung als im Ergebnis mit dem Kindeswohl unvereinbar zu erweisen. Der zurückhaltend anzuwendende und auf Abweichungen von grundlegenden innerstaatlichen Rechts- und Wertvorstellungen beschränkte ordre-public-Vorbehalt kann nicht dafür instrumentalisiert werden, die in § 20 Abs. 3 AuslG auch für den Fall des Vorliegens einer anzuerkennenden ausländischen Sorgerechtsübertragung noch vorgesehene Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde aufzunehmen und in diesem Rahmen nunmehr zwingend eine Prüfung insbesondere der Integrationsvoraussetzungen und der Integrationsfähigkeit des Kindes zu verlangen. Denn diese mögen zwar beachtliche Aspekte für die Beurteilung des Kindeswohls im Fall einer Sorgerechtsübertragung auf den im Ausland lebenden Elternteil sein; zu den zwingend einzuhaltenden Grundwerten des Kindschaftsrechts zählen sie indes nicht. Mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (Familienzusammenführungsrichtlinie) ist der Richtliniengeber im Wege typisierender Bewertung davon ausgegangen, dass in den Fällen des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Richtlinie ein Nachzug des Kindes zu dem sorgeberechtigten Elternteil ohne weitere Prüfung regelmäßig dem Kindeswohl entspricht (vgl. BVerwG, Urt. v. 7. April 2009 - 1 C 17/08 -, zit. nach juris Rn 13), und der deutsche Gesetzgeber hat dies in § 32 Abs. 3 AufenthG insoweit übernommen, als ein Rechtsanspruch auf Nachzug zu einem in Deutschland lebenden Elternteil besteht, wenn dieser „allein“ sorgeberechtigt ist. Die darin liegende Anerkennung der mit dem ordre public vereinbaren ausländischen Sorgerechtsentscheidungen als kindeswohlkonform kann und darf nicht durch eine Ausweitung der ordre-public-Vorbehalte gegen ausländische Sorgerechtsentscheidungen um eine „angemessene Integrationsprüfung“ umgangen werden.

Im konkreten Fall ist zudem zu berücksichtigen, dass die Lebensverhältnisse des Klägers in der Türkei ebenfalls nicht unproblematisch erscheinen, weil der Kläger seit der Heirat seiner Mutter im Jahr 2005 nicht mehr mit dieser zusammen, sondern von beiden Eltern getrennt bei seinen Großeltern väterlicherseits lebt.

2. Die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung des begehrten Visums waren sowohl zum Zeitpunkt des 16. Geburtstags des Klägers im Dezember 2010 als auch im Entscheidungszeitpunkt erfüllt. Das Vorhandensein ausreichenden Wohnraums gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG für den Kläger und seinen Vater wurde für beide Zeitpunkte durch Vorlage eines im September 2010 abgeschlossenen Mietvertrages über eine Dreizimmerwohnung nachgewiesen. Auch erscheint der Lebensunterhalt des Klägers dauerhaft gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG).

Gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten öffentlichen Leistungen, unter ihnen das Kindergeld und der Kinderzuschlag, außer Betracht. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden gem. § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt.

Maßgeblich ist danach die Deckung des Bedarfs der hier aus dem Kläger selbst und seinem Vater bestehenden Bedarfsgemeinschaft im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB II). Dieser errechnet sich aus den Regelsätzen für Vater und Sohn in Höhe von monatlich 651 EUR (364 EUR und 287 EUR) und den Wohnkosten (535 EUR) mit insgesamt 1.186,00 EUR monatlich. Gesonderte Krankenversicherungskosten fallen nicht an, da der Kläger über seinen Vater familienversichert ist. Dieser Bedarf erscheint bei der gebotenen prognostischen Betrachtung auf der Grundlage der vorgelegten Einkommensnachweise, der Einstellungszusage vom 24. Oktober 2011 und der ergänzenden Erklärungen des Vaters des Klägers für beide maßgeblichen Zeitpunkte gesichert.

Für den Zeitpunkt des 16. Geburtstags des Klägers im Dezember 2010 ergibt sich dies ohne weiteres aus den vorgelegten Einkommensnachweisen des Vaters für die Monate Januar bis Dezember 2009, Februar bis Juni 2010 und Januar bis Juli 2011. Aus diesen ergibt sich - bei monatlich durchaus erheblich schankenden Einzelbeträgen - für das Jahr 2009 ein Durchschnittseinkommen von 1.934,25 EUR brutto pro Monat (insgesamt: 23.210,99 EUR) und für die durch die vorgelegten Nachweise belegten Monate Januar bis Juni 2010 ein Durchschnittseinkommen von monatlich 2.296,17 EUR brutto (Abrechnung für den Januar fehlt, aber Angabe des bis einschließlich Juni verdienten Gesamt-Brutto-Betrages von 13.777,04 EUR auf der Abrechnung für den Monat Juni). Die Abrechnungen für die Monate Juli bis Dezember 2010 wurden zwar nicht vorgelegt. Die nachfolgenden, die Monate Januar bis Juli 2011 betreffenden Abrechnungen belegen aber für diese sieben Monaten wiederum ein Durchschnittseinkommen von 2.154,26 EUR brutto. Zudem weisen sie weiterhin denselben Arbeitgeber und als Eintrittsdatum den 12. Januar 2009 aus, was die in der mündlichen Verhandlung gemachte Angabe des Vaters des Klägers bestätigt, dass er auch während dieses Zeitraums für denselben Arbeitgeber tätig war. Angesichts des im Durchschnitt aller durch Nachweise belegten Monate erzielten Einkommens von 2.154,26 EUR brutto monatlich wäre der errechnete Lebensunterhalt der aus dem Kläger und seinem Vater bestehenden Bedarfsgemeinschaft im Dezember 2010 aber selbst dann noch als gesichert anzusehen gewesen, wenn der Vater während dieser Zeit erheblich weniger verdient haben sollte als im ersten Halbjahr 2010, zumal von diesem Einkommen keine Abschläge gem. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II (bzw. bis 31. März 2011: § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II a.F.) abzusetzen waren (vgl. BVerwG, Urteil v. 16. November 2010 - 1 C 20.09 -, zit. nach juris Rn 33) und das Kindergeld für den Kläger in Höhe von 184 EUR die Einkünfte erhöht hätte.

Im Entscheidungszeitpunkt des Senats war der Vater des Klägers zwar nicht mehr bei seinem früheren Arbeitnehmer beschäftigt, sondern - nach einer wegen geringer Auftragslage erfolgten Kündigung - bereits seit drei Monaten arbeitslos. Die zu diesem Zeitpunkt zu berücksichtigenden Einkünfte in Höhe von insgesamt 1.150,80 EUR, bestehend aus dem Arbeitslosengeld des Vaters in Höhe von 886,80 EUR, dem für den Kläger gewährten Kindergeld in Höhe von 184 EUR und einem im verwendeten Berechnungsprogramm (HTK-AuslR, § 5 AufenthG, Info: Lebensunterhalt-Berechnung) mit 85 EUR ausgewiesenen Kinderzuschlag waren nicht ausreichend zur Deckung des errechneten Bedarfs, sondern lagen um 30,20 EUR darunter. Bei der gebotenen prognostischen Betrachtung ist der Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft nach Auffassung des Senats aber dennoch dauerhaft gesichert, denn der Vater des Klägers hat im Termin bereits eine - erneute - Einstellungszusage seines bisherigen Arbeitgebers vorgelegt, mit der dieser ihm „aufgrund der vorliegenden Auftragslage“ die verbindliche Zusage gab, ihn ab dem 1. November 2011 wieder in ein unbefristetes Vollzeit-Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Da diese Zusage von einem Arbeitgeber erteilt wurde, für den der Vater des Klägers bis zum Juli dieses Jahres bereits mehr als zwei Jahre lang gearbeitet hat, der den Vater des Klägers also kennt und dessen Fähigkeiten einschätzen kann, erscheint die Zusage auch hinreichend verlässlich, die positive Prognose einer dauerhaften Einkommenssicherung zu tragen. Hinzu kommt, dass der Vater des Klägers seit Jahren fast durchgängig als Estrichleger erwerbstätig war und jedenfalls im Durchschnitt ein den Bedarf erheblich übersteigendes Erwerbseinkommen erzielen konnte. Dies stützt nach Auffassung des Senats auch die Erwartung, dass es ihm selbst im Fall einer erneuten Arbeitslosigkeit jedenfalls innerhalb kurzer Zeit gelingen wird, eine neue, den Lebensunterhalt sichernde Arbeit zu finden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision wird gem. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen, weil die Frage grundsätzlicher Klärung bedarf, welche verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine ausländische Sorgerechtsentscheidung der deutsche ordre public begründet.