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Berufsrechtliche Rüge; Zurückweisung von Prozessbevollmächtigten; Verbot der Mehrfachverteidigung; Anwaltssozietät


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 91. Senat Entscheidungsdatum 04.03.2010
Aktenzeichen OVG 91 HB 1.08 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 70 HeilBerG BB, § 103 HeilBerG BB, § 110 HeilBerG BB, § 146 StPO, § 146a StPO

Tenor

Die Rechtsanwälte I., P. und Z. werden als Prozessbevollmächtigte der Antragsteller zu 1.) bis 5.) zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Antragsteller sind niedergelassene Zahnärzte; sie betreiben unter der Bezeichnung „Zahnklinik B.“ bzw. als „Praxisgemeinschaft Zahnärzte“ eine Praxisgemeinschaft, bestehend aus der Gemeinschaftspraxis, und und den Einzelpraxen und . Nach Anhörung und entsprechender Beschlussfassung ihres Vorstandes sprach die Antragsgegnerin gegenüber jedem Antragsteller mit gesonderten, gleichlautenden Bescheiden vom 2006 wegen Verletzung der ihnen obliegenden Berufspflichten eine berufsrechtliche Rüge aus.

Mit Beschluss vom 9. Juli 2008 hat das Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Potsdam den Antrag der Antragsteller auf gerichtliche Nachprüfung der ausgesprochenen Rügen zurückgewiesen. Gegen diesen ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt M. am 26. August 2008 zugestellten Beschluss hat dieser mit am 9. September 2008 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz für die Antragsteller 1.) bis 5.) Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2008 hat die Rechtsanwaltssozietät I. aus H. die Vertretung der Antragsteller angezeigt.

II.

Die Sozietätsanwälte I., P. und Z. sind gemäß § 103 Abs. 1, § 110 des Heilberufsgesetzes (HeilBerG) i.V.m. § 146a StPO von der gemeinsamen Prozessführung der Antragsteller wegen Verstoßes gegen das Mehrfachvertretungsverbot des § 146 StPO auszuschließen.

1. Gemäß § 146 Satz 1 StPO kann ein Verteidiger nicht gleichzeitig mehrere derselben Tat Beschuldigte verteidigen. Gemäß § 146a Abs. 1 Satz 1 StPO ist ein Mehrfachverteidiger zurückzuweisen. Die Zurückweisung bei Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung ist zwingend (BGHSt 26, 291; Laufhütte in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 146 Rn. 10, § 146a Rn. 2; Lüderssen in: Löwe-Rosenberg, StPO und GVG, 25. Aufl., 3. Bd., § 146a Rn. 1). Ob im konkreten Fall ein Interessenkonflikt vorliegt oder möglich ist, ist unmaßgeblich (Lüderssen, a.a.O., § 146 Rn. 4). Der Interessenwiderstreit wird unwiderleglich vermutet (Lüderssen, a.a.O., § 146 Rn. 1, Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 146 Rn. 9).

2. §§ 146, 146a StPO finden im vorliegenden Beschwerdeverfahren aufgrund der Verweisung des § 110 HeilBerG auf die Vorschriften der Strafprozessordnung Anwendung. Dem steht nicht entgegen, dass in den §§ 103, 104 HeilBerG ausdrücklich nur auf die Vorschriften über die Beschwerde (§§ 304 ff. StPO), das Wiederaufnahmeverfahren (§§ 359 ff. StPO) und die Vorschriften des Vierten Buches der Strafprozessordnung verwiesen wird. § 103 HeilBerG regelt nur die Zulässigkeit der Beschwerde; § 104 HeilBerG die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens. Einzelheiten des Beschwerdeverfahren sind weder in § 103 HeilBerG noch in §§ 304 ff. StPO geregelt. Die speziellen Beschwerdevorschriften in beiden Gesetzen sind damit nicht abschließend. Für das Beschwerdeverfahren nach §§ 304 ff. StPO gelten die allgemeinen Verfahrensvorschriften der Strafprozessordnung. Diese finden nun gemäß § 110 Satz 1 HeilBerG, soweit nicht anders geregelt, auch für das Verfahren nach dem Heilberufsgesetz sinngemäße Anwendung. Den Fall der Mehrfachvertretung regelt das Heilberufsgesetz nicht; § 70 HeilBerG räumt nur die generelle Möglichkeit einer Vertretung in jeder Lage des Verfahrens durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt ein.

Der Heranziehung der §§ 146, 146a StPO stehen auch Eigenheiten und Besonderheiten des Verfahrens nach dem Heilberufsgesetz nicht entgegen.

Das Verbot der Mehrfachverteidigung gemäß § 146 StPO soll den Beschuldigten, auch gegen seinen Willen, davor schützen, dass der Verteidiger in einen Interessenwiderstreit gerät und dadurch seine Beistandsfunktion beeinträchtigt wird (BVerfGE 45, 354; Meyer-Großner, a.a.O., § 146 Rn. 1), mit der Folge, dass er die Verteidigung wegen eines Interessenkonflikts möglicherweise nicht mit vollem Einsatz führen kann (vgl. BGH, NJW 1992, 1841). Eine dem Wesen einer Verteidigung widersprechende Interessenkollision ist aber nicht nur bei der Verteidigung eines Beschuldigten im Strafverfahren denkbar, sondern ist auch in allen anderen Verfahrensarten, in denen ein Verteidiger tätig wird, latent gegeben. In der Rechtsprechung wird daher das Mehrfachvertretungsverbot in Disziplinarverfahren prinzipiell für anwendbar erklärt (BVerwG, NJW 1994, 1019 zur Wehrdisziplinarordnung; BVerwG, NJW 1985, 1180 zur BDO). Die hiergegen aus systematischen Gründen geltend gemachten Bedenken, dass die Verteidigung in Disziplinarsachen nicht grundsätzlich den Regeln der Strafprozessordnung unterliegt, sondern in § 138a Abs. 4 StPO ausdrücklich als Verteidigung „in anderen gesetzlich geordneten Verfahren“ gekennzeichnet wird (so Lüderssen, a.a.O. § 146 Rn. 41), teilt der Senat nicht. § 138a StPO steht mit § 146 StPO in keinem gesetzessystematischen Zusammenhang. Gemäß § 138a Abs. 4 StPO kann ein Verteidiger, solange er ausgeschlossen ist, den Beschuldigten auch nicht in anderen gesetzlich geordneten Verfahren verteidigen. Die Vorschrift regelt einen weiteren Grund, einen Verteidiger von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen, nämlich, wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, eine der dort in Absatz 1 genannten Straftaten begangen zu haben. Ist dies der Fall, ist er auch für alle anderen gesetzlich geordneten Verfahren ausgeschlossen. Hieraus kann nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass ein Rechtsanwalt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 138a Abs. 1 StPO im Verfahren vor Disziplinarverfahren etc. ausgeschlossen ist und Disziplinarverfahren von § 146 StPO nicht erfasst sind.

Finden die §§ 146, 146a StPO danach prinzipiell auch in Disziplinarverfahren Anwendung, kann für Verfahren der Heilberufsgerichtsbarkeit wegen Verletzung der einem Arzt obliegenden Berufspflichten nichts anderes gelten. Wie in Strafverfahren besteht auch in solchen Verfahren, die gegen mehrere Ärzte wegen des gleichen Sachverhalts eingeleitet worden sind, die Gefahr der Interessenkollision. Gründe hierfür können beispielsweise unterschiedliche persönliche Verantwortlichkeiten und Verfahrens- bzw. Verteidigungsstrategien, unterschiedlicher Schweregrad der Berufspflichtverletzung, differenzierte/abgestufte berufsrechtliche Maßnahmen nach §§ 34, 59 HeilBerG, etc. sein.

Der Einwand der Antragsteller, dass ihre Verfahrensbevollmächtigten in dem berufsgerichtlichen Verfahren keine Verteidiger, sondern ihre Vertreter sind und insoweit auch nicht das Verbot der Mehrfachverteidigung greift, verfängt nicht. Die Antragsteller wehren und verteidigen sich im vorliegenden Verfahren gegen die ihnen von der Antragsgegnerin vorgeworfenen Berufspflichtverletzungen; in diesem Rahmen nehmen ihre Verfahrensbevollmächtigten ihre Rechte wahr. Nichts anderes erfolgt in einem Strafprozess, in welchem ein Rechtsanwalt den Beschuldigten gegen den ihm gegenüber erhobenen Vorwurf, eine strafbare Handlung begangen zu haben, verteidigt.

3. Vorliegend besteht hinsichtlich der gegenüber sämtlichen Antragstellern erhobenen Vorwürfe, die Gegenstand dieses Verfahrens sind, Tatidentität im Sinne des §§ 146 Satz 1, 264 StPO. Allen Antragstellern wird gleichermaßen vorgeworfen, sich desselben beruflichen Fehlverhaltens schuldig gemacht zu haben, indem sie seit der Eröffnung ihrer Praxis im September 2004 bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Rügebescheides im Internet, in den „Gelben Seiten“ und mittels der Übertitelung des Eingangsbereichs zu ihren Praxisräumen in der mit den Bezeichnungen „Zahnklinik B.“ bzw. „Zahnklinik“ geworben und hierdurch einen Verstoß gegen das Verbot berufswidriger Werbung aus § 22 der Berufsordnung der Landeszahnärztekammer Brandenburg vom 12. Juni 2002 (ABl. für Brandenburg 2003, S. 320) begangen haben.

4. Da die Rechtsanwälte I., P. und Z. als Sozietätsmitglieder gleichzeitig die Belange aller Antragsteller im Beschwerdeverfahren vor dem erkennenden Senat vertreten, liegt damit ein Fall der gemäß § 146 Satz 1 StPO untersagten Mehrfachverteidigung vor und zwar unabhängig davon, ob eine tatsächliche Interessenkollision vorliegt, weil der Interessenwiderstreit - wie ausgeführt - unwiderleglich vermutet wird.

Auch die Mitglieder einer Anwaltssozietät dürfen nicht mehrere Beschuldigte verteidigen, wenn sich alle Sozietätsanwälte als Verteidiger bestellt haben (BGH NStZ 1983, 228; OLG Karlsruhe NJW 1976, 249), wobei nicht entscheidend ist, ob die Prozessvollmacht auf alle oder mehrere Anwälte der Sozietät ausgestellt ist. Maßgeblich für die Anwendung des § 146 StPO ist, ob ein Verteidigungsverhältnis vorliegt (Meyer-Goßner, a.a.O., § 146 Rn. 8; Lüderssen, a.a.O., § 146 Rn. 15).

Hier nun haben die Rechtsanwälte I., P. und Z. mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2008 angezeigt, die Antragsteller gemeinsam zu vertreten. Eine andere Auslegung lässt die Erklärung „... zeigen wir an, dass wir nunmehr die Antragsteller vertreten.“ nicht zu. Zwar schließt eine nachträgliche Beschränkung der Vertretung auf jeweils einen Beschuldigen die Anwendung des § 146 StPO aus. Eine solche ist jedoch hier nicht erfolgt. Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2008 wurde die Vertretung nur höchst vorsorglich auf die in der Kanzlei tätigen Anwälte insoweit verteilt, als dass der Antragsteller zu 3.) von Rechtsanwalt I., der Antragsteller zu 4.) von Rechtsanwältin Z., die Antragstellerin zu 1.) von Rechtsanwältin P. vertreten wird und die Antragsteller zu 2.) und 5.) sich selbst vertreten. Dies kann nur so verstanden werden, als dass es zunächst bei der Vertretung aller Antragsteller durch sämtliche Anwälte der Sozietät verbleiben soll.

5. Im Ergebnis waren die Rechtsanwälte I., Z. und P. für die Vertretung aller Antragsteller auszuschließen. Haben ein oder mehrere Verteidiger die Vertretung mehrerer Beschuldigter gleichzeitig angezeigt, hat die Zurückverweisung insgesamt für alle Vertretungsverhältnisse zu erfolgen (Laufhütte, a.a.O., § 146a Rn. 3; Meyer-Goßner, a.a.O., § 146a Rn. 2).

Eine Kosten- und Auslagenentscheidung war nicht veranlasst, da dieser Beschluss keine verfahrensabschließende Entscheidung darstellt, vgl. § 464 Abs. 1 und 2 StPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 103 Abs. 1 HeilBerG i.V.m. § 304 Abs. 4 Satz 2 1. HS StPO).