Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 25.11.2011 | |
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Aktenzeichen | 13 WF 129/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers von 26.04.2011 wird diesem unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts … - Familiengericht - vom 06.04.2011 - 20 F 124/10 - Verfahrenskostenhilfe für das Vollstreckungsabwehrverfahren gegen die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Jugendamtes …, Landkreis …, vom 19.09.1996, UR-Nr.: N 426/1996, bewilligt.
Dem Antragsteller wird Rechtsanwältin G… aus H… zu den Bedingungen einer im Gerichtsbezirk … ansässigen Rechtsanwältin beigeordnet.
I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für seinen Antrag, die Zwangsvollstreckung des Antraggegners aus der Urkunde des Jugendamtes … vom 19.09.1996, UR-Nr.: N 426/1996, für die Zeit von Mai 1997 bis April 2010 für unzulässig zu erklären.
Der Antragsteller ist der Vater des am ….03.1995 geborenen Antragsgegners. Der Antragsgegner hat auf der Grundlage der vorbezeichneten Jugendamtsurkunde gegen den Antragsteller einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20.05.2010 erwirkt und betreibt gegen ihn die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsrückständen seit Mai 1997 in Höhe von 15.695,82 € zuzüglich des laufenden Unterhaltes in Höhe von 191,22 € seit März 2010.
Der Antragsteller behauptet, seit seiner Trennung von der Kindsmutter im Mai 1997 zu keinem Zeitpunkt zur Leistung von Kindesunterhalt aufgefordert worden zu sein, obgleich die Kindsmutter stets über seinen Aufenthaltsort informiert gewesen sei. Im Falle seiner Inanspruchnahme hätte er gestützt auf Leistungsunfähigkeit die Abänderungsklage erhoben.
Der Antragsgegner macht geltend, seine gesetzliche Vertreterin (nachfolgend Kindsmutter) habe bis Herbst 2009 keine Kenntnis vom Aufenthaltsort des Antragstellers gehabt, da er nach Aufgabe der gemeinsamen Wohnung im Sommer 1997 mehrfach seinen Aufenthalt und Wohnsitz gewechselt hatte ohne jeweils eine zustellungsfähige Adresse hinterlassen zu haben. Erst im Herbst 2009 habe er sich erstmals per Postkarte bei seinen Kindern gemeldet. Im Mai 2010 habe die Kindsmutter dann durch Vermittlung des Jugendamtes einen Überblick über die Orte im Land Brandenburg und in Sachsen erhalten, in denen der Antragsteller in den letzten 13 Jahren gemeldet gewesen sei. Anschließend habe ihr das Jugendamt mitgeteilt, dass die Sozialleistungen, die der Antragsteller beziehe, weit unter der vollstreckungsrechtlichen Pfändungsfreigrenze lägen.
Mit Beschluss vom 06.04.2011 - 20 F 124/10 - hat das Amtsgericht - Familiengericht - …den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, es fehlten besondere Gründe für das Vorliegen von Zeit- und Umstandsmoment und der Antragsgegner habe bis Herbst 2009 keinerlei Kenntnis vom Aufenthaltsort des Antragstellers gehabt.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Im Wesentlichen ist er der Ansicht, dem in der Jugendamtsurkunde titulierten Anspruch stehe der von ihm erhobene Einwand der rechtsmissbräuchlichen Verwendung des Titels entgegen. Der Anspruch sei verwirkt; die Verwirkung liege hier als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens vor. Sie ergebe sich insbesondere daraus, dass der Antragsgegner durch die Kindsmutter den Anspruch seit mehr als 13 Jahren nicht mehr geltend gemacht habe. Weiter macht er geltend, irrigerweise sei durch das Familiengericht angenommen worden, dass dem Antragsgegner die Anschrift des Antragstellers nicht bekannt gewesen sei und er deshalb nicht in der Lage gewesen sei, seine Unterhaltsansprüche gegen den Antragsteller geltend zu machen. Dem Antragsgegner bzw. seiner gesetzlichen Vertreterin sei vielmehr die Anschrift des Antragstellers aus verschiedenen Umständen in diesem Zeitraum immer wieder bekannt gewesen; für diese Behauptung hat er Beweis angeboten.
Das Amtsgericht - Familiengericht - … hat mit Beschluss vom 08.07.2011 der Beschwerde nicht abgeholfen und sie zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Auf der Grundlage seines beweisbewehrten Vorbringens besteht für die Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO, § 120 Abs. 1 FamFG) bezüglich des hier verfahrensgegenständlichen Zeitraums von Mai 1997 bis April 2010 Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO. Die in der Urkunde des Jugendamtes … vom 19.09.1996, UR-Nr.: N 426/1996, titulierten Unterhaltsansprüche für die von dem Antragsteller geltend gemachten Zeiträume könnten auf Grund von Verwirkung (§ 242 BGB) untergegangen oder jedenfalls nicht mehr ausübbar sein.
In Einzelnen:
Rückständiger Unterhalt kann grundsätzlich der Verwirkung unterliegen, wenn sich seine Geltendmachung unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung als unzulässig darstellt. Die Verwirkung ist insoweit ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (sog. Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (sog. Umstandsmoment; BGHZ 146, 217 m.w.N.). Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (vgl. BGH FamRZ 2002, 1698). Vielmehr spricht gerade bei derartigen Ansprüchen vieles dafür, an das sog. Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen zu stellen.
Von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Andernfalls können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Abgesehen davon sind im Unterhaltsrechtsstreit die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Einkommensverhältnisse der Parteien nach längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. Diese Gründe, die eine möglichst zeitnahe Geltendmachung von Unterhalt nahelegen, sind so gewichtig, dass das Zeitmoment der Verwirkung auch dann erfüllt sein kann, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die etwas mehr als ein Jahr zurückliegen (BGHZ 152, 217). Denn der Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes verdient bei Unterhaltsrückständen für eine mehr als ein Jahr zurückliegende Zeit besondere Beachtung. So verdient etwa beim Ehegattenunterhalt nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 1585 b Abs. 3, 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB der Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes bei Unterhaltsrückständen für eine mehr als ein Jahr zurückliegende Zeit besondere Beachtung.
Der Senat folgt diesen Erwägungen des Bundesgerichtshofes und hält sie auch für den hier verfahrensgegenständlichen Kindesunterhalt grundsätzlich für übertragbar.
In Fällen, in denen der gesetzliche Mindestunterhalt bzw. der Regelunterhalt geltend gemacht wird, müssen besondere Gründe das Vorliegen des Zeit- und Umstandsmomentes rechtfertigen, weil der Pflichtige vor Zeitablauf nicht damit rechnen kann, dass das minderjährige Kind nicht auf den Unterhalt in dieser Höhe angewiesen ist (vgl. auch Senat, Beschluss vom 26.03.2010 - 13 WF 41/08; zitiert nach Juris).
Die vorbezeichneten Erwägungen treffen im Wesentlichen auf titulierte Unterhaltsansprüche zu, die - wie im vorliegenden Fall - erst nach ihrer Titulierung fällig geworden sind. Zwar spielt es, sobald Unterhaltsansprüche tituliert sind, keine Rolle, dass die Einkommensverhältnisse der Parteien nach Ablauf längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar sind. Dabei handelt es sich aber nicht um ein besonders gewichtiges Argument, das für eine Verkürzung des Zeitmoments der Verwirkung bei nicht titulierten Unterhaltsforderungen spricht. Entscheidend ist vielmehr der Schuldnerschutz. Von einem Unterhaltsgläubiger, dessen Ansprüche bereits vor ihrer Fälligkeit tituliert sind, kann mindestens ebenso wie von einem Berechtigten, der über keinen Titel verfügt, erwartet werden, dass er seine Ansprüche zeitnah durchsetzt (siehe dazu BGH, FamRZ 1999, 1422). In beiden Fällen können ansonsten Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen.
Der Schuldnerschutz verdient es somit auch im Falle der Titulierung künftig fällig werdender Unterhaltsforderungen, besonders beachtet zu werden, weshalb auch in diesen Fällen das Zeitmoment bereits nach dem Verstreichenlassen einer Frist von etwas mehr als einem Jahr als erfüllt anzusehen sein kann (vgl. BGHZ 103, 62; BGHZ 152, 217). Dieser Bewertung entspricht auch die gesetzliche Regelung der Verjährung von Unterhaltsansprüchen, die wie die Verwirkung u. a. dem Schuldnerschutz dient. Danach verbleibt es nämlich gemäß § 218 Abs. 2 i.V. mit § 197 BGB a.F. (jetzt § 197 Abs. 2 BGB i.V. mit § 195 BGB) auch im Falle der Titulierung von zukünftig fälligen Unterhaltsansprüchen bei der kurzen Verjährungsfrist des § 197 BGB a.F., um das Anwachsen von Rückständen zu verhindern, die den Schuldner wirtschaftlich gefährden würden, was der Fall wäre, wenn auch diese künftigen Ansprüche der gewöhnlichen 30-jährigen Verjährung titulierter Ansprüche unterlägen (so BGH FamRZ 2004, 531, s. auch FamRZ 1999, 1422).
Der Umstand, dass die Verjährung der Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes gegenüber seinen Eltern bis zur Volljährigkeit des Kindes gehemmt ist, steht dabei der Annahme einer Verwirkung der Ansprüche während der Dauer der Minderjährigkeit dann nicht entgegen, wenn aus besonderen Gründen die Voraussetzungen sowohl des Zeit- als auch des Umstandsmoments für die Bejahung der Verwirkung erfüllt sind (vgl FamRZ 1999, 1422 m.w.N.).
Von diesen Maßstäben ausgehend erscheint nach dem bisherigen Sach- und Streitstand das unter Beweis gestellte Antragstellervorbringen schlüssig für eine Verwirkung (§ 242 BGB) der titulierten Unterhaltsansprüche im geltend gemachten Zeitraum.
Danach hat der Antragsgegner durch die Kindsmutter seinen Anspruch von Mai 1997 bis April 2010 nicht geltend gemacht. Die fehlende Inanspruchnahme des Antragstellers durch die Kindsmutter steht dabei nicht im Streit. Im Streit steht vielmehr die Behauptung des Antragstellers, die Kindsmutter habe u. a. ständig Kontakt mit dem Vater des Antragstellers - E… K… - gehabt, dem der Aufenthalt des Antragsstellers bekannt gewesen sei, so dass die Kindsmutter immer über den Aufenthaltsort des Antragstellers informiert gewesen sei. Diesem Beweisantritt wird ggf. auch unter Durchführung des Beweisantrittes für den Gegenbeweis nachzugehen sein.
In diesem Zusammenhang wird sich das Familiengericht damit auseinanderzusetzen haben, ob im Falle einer annähernd dreizehnjährigen Untätigkeit das Zeitmoment so gewichtig geworden sein könnte, dass an das Umstandsmoment entsprechend geringere Anforderungen gestellt werden können.
Davon abgesehen könnte hier neben der erheblichen Dauer ein weiterer besonderer Grund für die Bejahung des Umstandsmomentes darin liegen, dass der Antragsgegner, vertreten durch die Kindsmutter, Angaben des Schuldners, er sei leistungsunfähig, folgenlos über Jahre hingenommen hat (vgl. hierzu Ehinger, in: Ehinger/Griesche/Rasch, Handbuch Unterhaltsrecht, 6. Auflage, Rn. 160 a m.w.N.). Der Antragsgegner führt selbst aus, auf der Grundlage von Recherchen des Jugendamtes in … zur fehlenden Leistungsfähigkeit des Antragstellers mit Vollstreckungsmaßnahme abgewartet zu haben.
Nach alledem hat die sofortige Beschwerde Erfolg.