Gericht | OLG Brandenburg Vergabesenat | Entscheidungsdatum | 28.08.2012 | |
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Aktenzeichen | Verg W 19/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auch wenn das beanstandete Vergabeverfahren der Sache nach auf Vereinbarung einer der vergaberechtlichen Nachprüfung grundsätzlich nicht unterliegenden Dienstleistungskonzession gerichtet ist, ist dennoch der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen gegeben, wenn geltend gemacht wird, die Leistungen seien ohne Gesetzesverstoß nur unter Beachtung des für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen geltenden Vergaberechts zu beschaffen.
2. Die Frage, ob die Vergabe einer Dienstleistungskonzession nach gesetzlichen Regelungen untersagt ist, die selbst nicht zu den Bestimmungen über das Vergaberecht zu rechnen sind, ist von den Nachprüfungsinstanzen inzidenter zu beantworten.
3. Die Abwasserbeseitigungspflichtigen können nach § 56 Satz 1 WHG und § 66 Abs. 1 Satz 1 BbgWG bei der Abwasserbeseitigung zwar einen Erfüllungsgehilfen zuziehen. Es ist jedoch gesetzeswidrig, dass ein Konzessionär im eigenen Namen Abwasserbeseitigungsverträge schließen und Entgelte sowie Baukostenzuschüsse erheben soll. Die Ausschreibung einer solchen Dienstleistungskonzession ist deshalb vom Auftraggeber aufzuheben.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 19.12.2011 - VK 53/11 - aufgehoben.
Die Auftraggeberin wird angewiesen, die Ausschreibung „Dienstleistungskonzession Abwasser“ für das Satzungsgebiet der Stadt Z… aufzuheben und bei fortbestehender Vergabeabsicht ein Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats durchzuführen.
Die Gebühren und Auslagen des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin hat die Auftraggeberin zu tragen. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens - mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben - sowie die Kosten des Verfahrens gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB jeweils einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin hat die Auftraggeberin zu tragen.
Der Wert des Verfahrens der sofortigen Beschwerde und derjenige des Verfahrens auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde werden auf je 2.068.220,- € festgesetzt.
I.
Die Auftraggeberin, die Stadt Z…, ist gemäß § 66 Abs. 1 Brandenburgisches Wassergesetz (BbgWG) abwasserbeseitigungspflichtige Körperschaft in ihrem Stadtgebiet mit Ausnahme einzelner Ortsteile. Zur Durchführung der Aufgabe der Abwasserbeseitigung hat sie den Entwässerungsbetrieb der Stadt Z… als Eigenbetrieb gegründet. Dessen Aufgabe ist es nach § 2 der Betriebssatzung, an Anlagen der Abwasserentsorgung Eigentum zu erwerben und diese zu betreiben. Die technische und kaufmännische Betriebsführung der Anlagen hat die Auftraggeberin mittels Betriebsführungsvertrages der Beigeladenen zu 1) übertragen.
Die Auftraggeberin beabsichtigt, die Aufgabe der Abwasserbeseitigung künftig von einem privaten Unternehmen wahrnehmen und von diesem insbesondere Abwasserbeseitigungsentgelte privatrechtlich erheben zu lassen. Zu diesem Zweck schrieb sie die Vergabe einer Dienstleistungskonzession „Abwasserbeseitigung“ im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit aus.
In der am 26.07.2011 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Bekanntmachung führte die Auftraggeberin in Ziff. VI.3) aus:
„Diese Bekanntmachung erfolgt freiwillig. Das Verfahren der Vergabe einer Dienstleistungskonzession unterliegt weder dem gesetzlichen Vergaberechtsverfahren (§§ 97 ff. GWB) noch den gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien. Es finden die Grundsätze des EU-Vertrages bezüglich der Publizität, des Wettbewerbs, der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung Anwendung. Es soll daher ein Höchstmaß an Transparenz und Wettbewerb gewährleistet werden. Insofern wird die Vergabe in Anlehnung an die Vorschriften der VOL/A wie ein Verhandlungsverfahren gestaltet. Der Auftraggeber bindet sich hiermit jedoch nicht an die Vorschriften des GWB oder der VOL/A …“.
Zur Beschreibung des Auftrages enthält die Bekanntmachung unter Ziff. II.1.5) im Wesentlichen folgende Angaben:
„Der Konzessionär soll von der Stadt beauftragt werden, diese als Erfüllungsgehilfe bei der Durchführung der Abwasserbeseitigung zu unterstützen. Eine Pflichtenübertragung findet nicht statt. Der Konzessionär wird ermächtigt, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung privatrechtliche Entgelte von den Abwasserkunden im Satzungsgebiet der Stadt Z… zu erheben und sich so zu refinanzieren. Die Anlagen zur Abwasserbeseitigung verbleiben im Eigentum des Eigenbetriebs Entwässerungsbetrieb der Stadt Z…. Mit der Ausschreibung der Abwasserkonzession sollen folgende Ziele soweit wie möglich erreicht werden:
- Lösung der Altanschließerproblematik ohne zusätzliche Aufwendungen und Risiken für die Stadt
- keine Erhöhung der prognostizierten Abwasserkosten für die Bürger der Stadt Z…“
Die Antragstellerin, ein in den Bereichen Wasserwirtschaft, Umweltservice, Energie und Verkehr tätiges Unternehmen, reichte neben weiteren Unternehmen, darunter auch die Beigeladenen zu 1) und 2), fristgerecht einen Teilnahmeantrag ein.
Mit Schreiben vom 28.09.2011 forderte die Auftraggeberin die Bietinteressenten zur Abgabe eines Angebots auf. Sie erteilte in ihrem 32-seitigen Schreiben umfangreiche Hinweise über den Leistungsgegenstand und fügte unter anderem den beabsichtigten Konzessionsvertrag bei.
Der Konzessionsvertrag sieht vor, dass der Konzessionär als Verwaltungshelfer im eigenen Namen und auf eigene Rechnung bei der Durchführung der Abwasserbeseitigung und dem Betrieb der öffentlichen Abwasseranlage tätig wird (§ 1 Nr. 5 des Vertragsentwurfs). Die öffentlich-rechtliche Abwasserbeseitigungspflicht und die Satzungshoheit sollen bei der Auftraggeberin verbleiben. Die Auftraggeberin soll Eigentümerin der bestehenden Anlagen bleiben und Eigentümerin neu errichteter Anlagen werden (§ 1 Nr. 4 des Vertragsentwurfs). Der Konzessionär soll Abwasserbeseitigungsverträge mit den Grundstückseigentümern schließen und privatrechtliche Entgelte im eigenen Namen auf eigene Rechnung erheben (§§ 9 Abs. 2, 10 Abs. 1 des Vertragsentwurfs). Anstelle der bisher erhobenen Anschlussbeiträge soll der Konzessionär berechtigt sein, privatrechtliche Baukostenzuschüsse von den Nutzern der Abwasseranlage zu erheben (§ 10 Abs. 3 des Vertragsentwurfs). Aus dem Aufkommen der Entgelte und Baukostenzuschüsse soll der Konzessionär sämtliche Aufwendungen und Kosten zum Betrieb und zum Ausbau der öffentlichen Abwasseranlage aufbringen, einschließlich der Kosten der Betriebsführung nach dem mit der Beigeladenen zu 1) geschlossenen Betriebsführungsvertrag und der Kosten für die kaufmännische Betriebsführung und die Werkleitung des Eigenbetriebs der Auftraggeberin, welche die Auftraggeberin dem Konzessionär weiterberechnet (§§ 1 Nr. 4, 2, 4, 10 Nr. 1, 11 Nr. 1 des Vertragsentwurfs). Dabei soll der Konzessionär auf eigene Rechnung nach Maßgabe der von der Auftraggeberin aufgestellten Abwasserbeseitigungskonzepte Investitionen in die Anlagen erbringen (§§ 1 Nr. 4, 4 Nr. 1, 2 und 3 des Vertragsentwurfs).
Der Konzessionär soll garantieren, dass es anlässlich der Übernahme der Durchführung der Abwasserentsorgung durch ihn trotz der damit verbundenen Umsatzsteuerpflichtigkeit der Abwasserentgelte nicht zu einer Erhöhung der Belastung der Nutzer kommen wird. Die Auftraggeberin ihrerseits übernimmt keine Garantie dafür, dass die laufenden Entgelte und Baukostenzuschüsse in jedem Fall rechtlich unbedenklich erhoben werden können und auf Dauer für den Konzessionär auskömmlich sind. Das wirtschaftliche Risiko soll in dieser Hinsicht allein von dem Konzessionär getragen werden (§ 10 Nr. 5 des Vertragsentwurfs). Die Laufzeit des Vertrages soll 15 Jahre mit Verlängerungsoption um fünf Jahre betragen.
Die Auftraggeberin erklärte, sie beabsichtigte, den mit der Beigeladenen zu 1) unbefristet geschlossenen Betriebsführungsvertrag bis auf weiteres fortzusetzen. Sollte der Vertrag beendet werden, so soll der Konzessionär auch die in dem Betriebsführungsvertrag geregelten Aufgaben unmittelbar übernehmen (§§ 2 Nr. 5, 11 Nr. 5 des Vertragsentwurfs). In diesem Fall könne der Kommissionär die aufgrund des unmittelbaren Betriebs entstehenden eigenen Kosten bei der Kalkulation der Abwasserentgelte berücksichtigen, während die Kostentragung für die Betriebsführung durch die Stadtwerke entfiele (§ 11 Nr. 5 des Vertragsentwurfs).
Umfangreiche weitere Unterlagen, unter anderem auszugsweise den Betriebsführungsvertrag mit der Beigeladenen zu 1) sowie kaufmännische und technische Daten, konnten die Bieter nach vorheriger Absprache mit der Auftraggeberin in einem elektronischen Datenraum einsehen. Die Antragstellerin nahm am 13.10.2011 die Einsicht im Datenraum.
Mit Telefax-Schreiben vom 19.10.2011 wandte sich die Antragstellerin an die Auftraggeberin und beanstandete die beabsichtigte Vergabe. Sie rügte die beabsichtigte Vergabe einer Dienstleistungskonzession. Es handele sich um einen Dienstleistungsauftrag, der zwingend dem Vierten Teil des GWB unterfalle und nach den Regelungen der EG VOL/A zu vergeben sei. Ein Dienstleistungsauftrag sei jedenfalls deshalb gegeben, weil der Konzessionär die derzeit von der Beigeladenen zu 1) wahrgenommene Betriebsführung übernehmen müsse, wenn der mit dieser geschlossene Betriebsführungsvertrag beendet werde. Unabhängig davon sei die Abgabe eines ordnungsgemäßen Angebots mangels ausreichender Informationen über kalkulationsrelevante Daten, insbesondere wegen nur unvollständiger Vorlage des Betriebsführungsvertrages nicht möglich. Die nur unzureichend zur Einsicht für sechs Stunden im Datenraum zur Verfügung gestellten Unterlagen seien lückenhaft und nicht aussagekräftig. So sei insbesondere nicht ersichtlich, welche Kosten hinsichtlich der Betriebsführung durch die Stadtwerke anfielen, ebensowenig sei erkennbar, welche Investitionen in welcher Zeit mit welchen Kosten zu erwarten seien. Eine etwaige Beteiligung der Beigeladenen zu 1) oder einer ihrer Gesellschafter am Vergabeverfahren sei vergaberechtswidrig, weil mit Blick auf die bisherige Wahrnehmung der Betriebsführung durch die Beteiligte zu 1) ein Wettbewerbsvorteil bestehe. Zudem bestehe ein Mitwirkungsverbot nach § 16 VgV.
Die Auftraggeberin, vertreten durch ihre Verfahrensbevollmächtigten, wies die Rügen mit Schreiben vom 25.10.2011 zurück und erteilte ergänzende Erläuterungen zum Auftragsgegenstand mit der Anmerkung, dass betriebswirtschaftliche Eckdaten im Zuge der Verhandlungen zu klären seien.
Mit Anwaltsschreiben vom 27.10.2011 vertiefte die Antragstellerin ihre Rügen und führte aus, die Vergabe einer Dienstleistungskonzession sei nach den einschlägigen wasserrechtlichen Vorschriften von vornherein unzulässig. Für die angestrebten direkten Rechts- und Entgeltbeziehungen zu den Nutzern fehle die rechtliche Grundlage. Sie forderte die Antragstellerin auf, das Verfahren aufzuheben und bei fortbestehender Vergabeabsicht einen Dienstleistungsauftrag auszuschreiben. Dies wies die Auftraggeberin mit Anwaltsschreiben vom 01.11.2011 zurück.
Dagegen hat die Antragstellerin am 09.11.2011 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereicht. Sie hat geltend gemacht, die beabsichtigte Dienstleistungskonzession stelle eine Umgehung des Vergaberechts dar, weil sie nach den Vorschriften des Wasser- und auch des Kommunalabgabenrechts unzulässig sei. Die Leistungen seien als Dienstleistungsauftrag in einem Verfahren zu vergeben, welches den Vorgaben des Kartellvergaberechts gemäß §§ 97 ff GWB und der EG VOL/A entspreche. Die Vergabe einer unzulässigen Dienstleistungskonzession unterliege der vergaberechtlichen Nachprüfung, denn dadurch sei sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt. Vorliegend sei eine Dienstleistungskonzession auch der Sache nach nicht gegeben, weil es dem potenziellen Konzessionär an der für eine Konzession charakterisierenden wirtschaftlichen Freiheit fehle und gegebenenfalls auch die Leistung der Betriebsführung übernommen werden müsse.
Es dränge sich der Verdacht auf, die Auftraggeberin habe gar nicht ernsthaft vor, die Aufgabe der Abwasserbeseitigung an einen Dritten zu vergeben. Vielmehr erstrebe sie, die sogenannte „Altanschließerproblematik“ durch eine Umstellung auf privatrechtliche Entgelte zu lösen. Insofern stelle sich das durchgeführte Verfahren auch kommunalabgabenrechtlich als „Umgehungsgeschäft“ dar. Wirtschaftlich sinnvoll könne das Verfahren allein von dem jetzigen Betriebsführer, den Stadtwerken, oder von deren privatrechtlichem Gesellschafter betrieben werden. Eine solche Verfahrensausgestaltung widerspreche dem Transparenz-, Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgebot, es diskriminiere unabhängige Bieter. Darüber hinaus seien sowohl die Stadtwerke als auch deren private Gesellschafter gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 VgV vom weiteren Verfahren auszuschließen, da ein unwiderlegbarer Interessenkonflikt bestehe.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. die Auftraggeberin zu verpflichten, das Ausschreibungsverfahren „Dienstleistungskonzession Abwasser“ im Rahmen der freiwilligen EU-weiten Bekanntmachung aufzuheben und
2. die Auftraggeberin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zu verpflichten, den Auftrag über die Abwasserbeseitigung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu vergeben, hilfsweise, andere geeignete Maßnahmen zu treffen.
Die Auftraggeberin hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Sie hat gemeint, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, weil das Vergabeverfahren eine Dienstleistungskonzession betreffe, für die der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht eröffnet sei. Der Antragstellerin fehle auch die Antragsbefugnis, da sie weder eine konkrete Rechtsverletzung geltend mache, noch einen entstandenen oder drohenden Schaden darlege. Die Antragstellerin mache mit den behaupteten Verstößen gegen das Wasser- und Kommunalabgabenrecht die Verletzung von Rechtsnormen außerhalb des Vergaberechts geltend, damit könne sie im Vergabenachprüfungsverfahren nicht gehört werden. Zudem sei der Nachprüfungsantrag mangels Wahrung der Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GWB unzulässig. Da in der Vergabebekanntmachung unter Ziff. VI.4.2) bezüglich der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf § 107 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 GWB hingewiesen worden sei, habe die Antragstellerin die beanstandete Vergabe einer Dienstleistungskonzession bis zum Auflauf der Frist zur Einreichung der Teilnahmeanträge rügen müssen. Dass eine Dienstleistungskonzession vergeben werden solle, sei aus der Bekanntmachung erkennbar gewesen. Abgesehen davon habe die Antragstellerin ihre Rüge nicht unverzüglich nach Kenntniserlangung von dem vermeintlichen Verstoß erhoben.
Der zu vergebende Auftrag stelle tatsächlich eine Dienstleistungskonzession dar, eine Umgehung des Vergaberechts finde nicht statt. Der Konzessionär beziehe sein Entgelt von Dritten und habe das betriebswirtschaftliche Risiko zu tragen. So sehe der Konzessionsvertrag keine Anpassungsmechanismen für einen etwaigen Bevölkerungsrückgang bzw. einen sparsameren Wasserverbrauch der Anschließer vor. Der Konzessionär habe auch keinen Anspruch darauf, dass der bestehende Anschluss- und Benutzungszwang in jedem Fall durchgesetzt werde. Auch bleibe das Insolvenzrisiko beim Konzessionär. Im Hinblick auf eine etwaige Übernahme des Betriebsführungsvertrages komme ein weiteres Risiko hinzu, welches die Qualifikation des Modells als Konzession verstärke. Die Rechtslage in Brandenburg lasse die Erhebung privater Entgelte und Baukostenzuschüsse im Abwasserbereich zu, so dass das Konzessionsmodell nach den Vorschriften des Wasser- und des Kommunalabgabenrechts zulässig sei.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 19.12.2011 den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen. Die beabsichtigte Vergabe unterliege nicht der vergaberechtlichen Nachprüfung, denn die zu beschaffende Leistung sei als Dienstleistungskonzession einzuordnen, die nicht in den Anwendungsbereich des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens falle. Nach den insoweit maßgeblichen Begriffsbestimmungen der Richtlinien 2004/17/EG (Sektorenkoordinierungsrichtlinie) und 2004/18/EG (Vergaberechtskoordinierungsrichtlinie) sei als Dienstleistungskonzession ein Vertrag anzusehen, der von einem Dienstleistungsauftrag nur insoweit abweiche, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zu ihrer Nutzung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises bestehe und der Auftragnehmer in irgendeiner Weise ein wirtschaftliches Risiko trage. Das sei hier der Fall. Der Auftragnehmer erhalte seine Vergütung ausschließlich von Dritten. Die mit den ausgeschriebenen Dienstleistungen verbundenen Risiken seien durch die vorgesehene Vertragsgestaltung vollständig auf den Konzessionär übertragen.
Soweit der Konzessionär verpflichtet werde, im Falle der Beendigung des Betriebsführungsvertrages die darin geregelten Aufgaben zu übernehmen, führe dies nicht zu einem Dienstleistungsauftrag. Die Betriebsführung sei lediglich eine Nebenpflicht. Auch wenn der Konzessionär mit der Übernahme der Betriebsführung eigene Kosten aufwenden und Personal übernehmen müsse, sei die Betriebsführungspflicht nicht als Hauptpflicht zu qualifizieren, weil bei Vertragsschluss nicht feststehe, ob die Übernahme der Aufgaben eines Betriebsführers überhaupt zum Tragen komme.
Ob die vorgesehene Vertragsgestaltung gegen das in Brandenburg geltende Wasser- und Kommunalabgabenrecht verstoße, bedürfe keiner Entscheidung. Im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens seien nur Rechtsverstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften zu prüfen, wozu die hier betroffenen öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Wasser- oder Kommunalabgabenrechts nicht gehörten.
Gegen den ihr am 19.12.2011 zugestellten Beschluss der Vergabekammer hat die Antragstellerin die am 29.12.2011 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde erhoben. Sie hält an ihren bisher erhobenen Rügen fest und führt ergänzend aus, sie habe ein Interesse an der Leistung und im Falle eines ordnungsgemäßen Verfahrens auch Zuschlagchancen. Eine Verletzung von Rügeobliegenheiten sei nicht gegeben. Mangels Durchführung eines förmlichen Verfahrens bestehe eine solche Obliegenheit nicht. Abgesehen davon leide das Vergabeverfahren an so schwerwiegenden Mängeln, dass es von Amts wegen aufzuheben sei.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und nach ihren vor der Vergabekammer gestellten Nachprüfungsanträgen zu erkennen.
Die Auftraggeberin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer und tritt dem Beschwerdevorbringen mit vertiefter Darlegung ihrer bisher vorgebrachten Argumente entgegen.
II.
Die gemäß §§ 116, 117 GWB statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Der zulässige und in der Sache begründete Nachprüfungsantrag der Antragstellerin führt zur Anweisung der Auftraggeberin, die Ausschreibung aufzuheben und bei fortbestehender Vergabeabsicht ein Vergabeverfahren unter Beachtung der einschlägigen Vergaberechtsbestimmungen erneut durchzuführen.
1) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere ist entgegen der Ansicht der Vergabekammer der Rechtsweg vor die im Vierten Teil des GWB vorgesehenen Vergabenachprüfungsinstanzen gegeben.
1.1) Die Zuständigkeit der Vergabekammer und des Vergabesenats ist für das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin eröffnet, obwohl das beanstandete Vergabeverfahren nach zutreffender Beurteilung der Vergabekammer der Sache nach auf Vereinbarung einer Dienstleistungskonzession gerichtet ist, welche an sich nicht in den Anwendungsbereich des Vierten Teils des GWB fällt.
a) Der vergaberechtlichen Nachprüfung unterliegen öffentliche Aufträge, welche die maßgeblichen Schwellenwerte übersteigen, §§ 99, 100, 102 ff, 127 GWB, § 2 VgV.
Öffentliche Aufträge sind gemäß § 99 Abs. 1 GWB entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, ferner Baukonzessionen und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen.
b) Nicht zu den öffentlich Aufträgen im Sinne von § 99 GWB zählen Dienstleistungskonzessionen, weil diese in der Vorschrift nicht erwähnt sind (vgl. BGH, Beschluss v. 08.02. 2011, X ZB 4/10, BGHZ 188, 200; Beschluss v. 23.01.2012, X ZB 5/11, VergabeR 2012, 440; Beschluss v. 18.06.2012, X ZB 9/11, zitiert nach juris.de).
c) Der Vertragsschluss ist seinem Inhalt nach auf eine Dienstleistungskonzession und nicht auf einen Dienstleistungsauftrag gerichtet.
Zutreffend hat die Vergabekammer der Beurteilung, ob eine Dienstleistungskonzession vorliegt, die Definition der Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2004/17/EG (Sektorenkoordinierungsrichtlinie) und 2004/18/EG (Vergaberechtskoordinierungsrichtlinie) zugrunde gelegt (vgl. EuGH, Urteil v. 10.03.2011, C-274/09; VergabeR 2011, 430; BGH, Beschluss v. 08.02.2011 a.a.O.). Danach ist eine Dienstleistungskonzession dann gegeben, wenn die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung ausschließlich in dem Recht zu deren Nutzung oder in diesem Verwertungsrecht zuzüglich der Zuzahlung eines Preises besteht und der Auftragnehmer das Betriebsrisiko zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt (vgl. EuGH, Urteil v. 10.03.2011, a.a.O.; BGH, Beschluss v. 08.02.2011 a.a.O.; OLG München, Beschluss v. 25.03.2011, Verg 4/11, VergabeR 2011, 606; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.10.2011, Verg 51/11, VergabeR 2012, 65). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn die beabsichtige Vergabe hat Dienstleistungen zum Gegenstand, für die der Auftragnehmer von der Auftraggeberin kein Entgelt, sondern unter Übernahme des wirtschaftlichen Risiko das Recht erhalten soll, Entgelte von Dritten zu erheben.
aa) Der beabsichtigte Vertrag hat Dienstleistungen zum Inhalt. Der Auftragnehmer soll bei der Abwasserbeseitigung und dem Betrieb der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage tätig werden und von den Nutzern privatrechtliche Entgelte erheben (Ziff. II.1.5. der Bekanntmachung, § 1 Nr. 5 des Konzessionsvertrages). Gegenstand des Vertrages sind damit Dienstleistungen nach Art. 4 Abs. 2 lit. b Richtlinie 2004/14/EG und Anhang II Teil A Kategorie 16 Richtlinie 2004/18/EG.
Allerdings erschöpft sich der Vertragsinhalt nicht in Dienstleistungen, denn dem Konzessionär obliegt auch, den in einem Investitionsplan nach Maßgabe des Abwasserbeseitigungskonzepts zu bestimmenden Investitionsumfang zur Herstellung, Erneuerung und Erhaltung der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage auf eigene Rechung zu realisieren (§§ 2 Nr. 6, 4 Nr. 1 bis 7, 11 Abs. 1 des Vertragsentwurfs) Geschuldet sind dabei, wie §§ 1 und 4 des Konzessionsvertrages klarstellen, Baumaßnahmen.
Nach § 99 Abs. 7 Satz 2 GWG gilt ein öffentlicher Auftrag, der neben Dienstleistungen Bauleistungen umfasst, indes auch dann als Dienstleistungsauftrag, wenn die Bauleistungen im Verhältnis zum Hauptgegenstand Nebenleistungen sind. Derselbe Maßstab ist bei Zuordnung eines auf Abschluss einer Konzession gerichteten Vertrages heranzuziehen, der neben Dienstleistungen Bauleistungen erfasst (vgl. OLG München, Beschluss v. 25.03.2011, a.a.O., Senat, Beschluss v. 30.05.2008, Verg W 5/08, VergabeR 2009, 468).
Bei einem gemischten Vertrag, der sich sowohl auf einen Vorgang, der von einer Vergaberichtlinie erfasst wird, als auch auf einen Vorgang bezieht, der nicht dem unionsrechtlichen Vergaberecht unterliegt, wird darauf abgestellt, ob der dem Vergaberecht unterliegende Sachverhalt gegenüber dem letztgenannten von untergeordneter Bedeutung ist. Dabei ist auf die wesentlichen, vorrangigen Verpflichtungen abzustellen, die den Auftrag als solchen prägen und nicht auf die Verpflichtungen bloß untergeordneter oder ergänzender Art, die zwingend aus dem eigentlichen Gegenstand des Vertrages folgen; der jeweilige Wert der dabei erbrachten Einzelleistungen ist insoweit nur ein Kriterium unter anderen, die bei der Ermittlung des Hauptgegenstandes zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, Urteil v. 21.02.2008, C-412/04, VergabeR 2008, 501; EuGH, Urteil v. 15.10.2009, C-196/08, VergabeR 2010, 478).
Nach dem Vorbringen der Auftraggeberin, welches der Senat zu ihren Gunsten zugrunde legt, betreffen die Baummaßnahmen in erster Linie die zu Sicherstellung des Betriebs der vorhandenen Abwasserbeseitigungsanlagen erforderlichen Arbeiten der Instandhaltung und Instandsetzung und sind als „Annextätigkeit“ sowohl im Hinblick auf den Gesamtcharakter des Vertrages als auch wertmäßig von untergeordneter Bedeutung.
bb) Die Gegenleistung besteht ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung. Der Auftragsnehmer soll allein dadurch vergütet werden, dass er von den Nutzern der Abwasseranlage im eigenen Namen und auf eigene Rechnung privatrechtliche Entgelte und Baukostenzuschüsse erhebt.
cc) Der Auftragnehmer hat auch das Betriebsrisiko zumindest zu einem wesentlichen Teil zu tragen. Wird der Dienstleistungserbringer - wie hier - ausschließlich von Dritten vergütet, so genügt für die Annahme einer Dienstleistungskonzession die Übertragung eines erheblich eingeschränkten Betriebsrisikos durch den öffentlichen Auftraggeber (vgl. EuGH, Urteil v. 10.09.2009 a.a.O.; Urteil v. 10.09.2009, C-206/08, VergabeR 2010, 48; Urteil v. 10.03.2011 a.a.O.). Eine solche Sachlage ist hier gegeben, auch wenn aufgrund Satzung ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht. Nach der Vertragsgestaltung liegen die mit Schwankungen beim Abwasseraufkommen und mit der Beitreibung der Entgelte zusammenhängenden wirtschaftlichen Risiken allein beim Auftragnehmer. Weitergehende Anforderungen bestehen nicht, insbesondere ist es unerheblich, dass die Abwasserbeseitigungsanlage im Eigentum der Auftraggeberin verbleibt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschuss, v. 19.10.2011, a.a.O.; OLG Jena, Beschluss v. 11.12.2009, 9 Verg 2/08, VergabeR 2010, 705).
d) Die Wahl des an sich dem Vierten Teils des GWB nicht unterliegenden Vertragstyps der Dienstleistungskonzession steht der Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen unter den Gegebenheiten des Streitfalls nicht entgegen.
Die Antragstellerin macht geltend, die beabsichtigte Vergabe der Dienstleistungskonzession sei unter anderem wegen Verstoßes gegen wasser- und kommalabgabenrechtliche Vorschriften unzulässig, die Leistungen seien ohne Gesetzesverstoß nur unter Beachtung des für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen geltenden Vergaberechts zu beschaffen. Mit diesem Begehren verfolgt die Antragstellerin der Sache nach die Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB. Dafür ist die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen nach §§ 102 ff GWB gegeben (vgl. BGH, Beschluss v. 18.06.2012 a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.10.2011 a.a.O.).
Dass der Erfolg des Begehrens davon abhängt, ob der Auftraggeberin die Beschaffung durch Vergabe einer Dienstleistungskonzession aufgrund einer gesetzlichen Regelung untersagt ist, die selbst nicht unmittelbar zu den Bestimmungen über das Vergaberecht im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB zu rechnen ist, ändert daran nichts. Diese Frage ist inzidenter im Rahmen der in die Zuständigkeit der Nachprüfungsinstanzen fallenden Prüfung zu beantworten, ob der Beschaffungsvorgang den Bestimmungen über das Vergaberecht unterliegt (vgl. BGH, Beschluss v. 18.06.2012 a.a.O.).
1.2) Der Wert der zu vergebenden Dienstleistungen übersteigt den für Dienstleistungsaufträge gemäß §§ 100 Abs. 1, 127 GWB, § 2 Nr. 2 VgV geltenden Schwellenwert von 193.000 €. Der prognostizierte Konzessionsumsatz für den mit einer Laufzeit von 15 Jahren zuzüglich einer Verlängerungsoption von fünf Jahren vorgesehenen Vertrag liegt bei jährlich 1,738 Mio. € netto.
1.3) Die Antragstellerin ist gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Ihr Interesse am Auftrag hat sie durch Einreichung des Teilnahmeantrages belegt. Darüber hinaus hat sie eine Verletzung ihrer Rechte aus § 97 Abs. 7 GWB geltend gemacht und dargelegt, dass ihr durch die behauptete Rechtsverletzung ein Schaden zu entstehen droht.
a) Das Vorbringen der Antragstellerin, der Gegenstand der Dienstleistungskonzession müsse als Dienstleistungsauftrag unter Einhaltung der einschlägigen Vergabeordnung im reglementierten Vergabeverfahren ausgeschrieben werden, enthält die Behauptung einer Verletzung der Bestimmungen über das Vergaberecht. Der Anspruch aus § 97 Abs. 7 GWB schließt das Recht ein, die Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens zur Beschaffung einer dem Anwendungsbereich des Vierten Teils des GWB unterliegenden Leistung zu erzwingen, wenn die Vergabestellte den Beschaffungsvorgang nicht als ausschreibungspflichtig ansieht und ihn deshalb ohne förmliches Vergabeverfahren abschließen will (vgl. BGH, Beschluss v. 18.06. 2012 a.a.O.).
So verhält es sich auch im Streitfall, wenngleich die Auftraggeberin zur Wahrung der auch bei der Erteilung einer Dienstleistungskonzession zu beachtenden Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz die Ausschreibung freiwillig europaweit bekannt gemacht hat. Mit Ziff. VI.3) der Bekanntmachung hat die Auftraggeberin ausdrücklich klargestellt, dass nach ihrer Ansicht die beabsichtigte Vergabe, weder den gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien noch dem Vierten Teil des GWB unterliege und sie sich deshalb nicht an die Vorschriften des GWB oder die Vergabeordnung der VOL/A binde.
Durch die behauptete Verletzung des Vergaberechts mangels Beachtung des für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen geltenden Vergaberechts droht der Antragstellerin auch ein Schaden. Insoweit sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Ein durch die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften verursachter, zumindest drohender Schaden darf nicht ausgeschlossen sein (vgl. BVerfG, Beschluss v. 29.07.2004, 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 566; BGH, Beschluss v. 26.09.2006, X ZB 14/06, BGHZ 169, 131; Beschluss v. 10.11.2009, X ZB 8/09, BGHZ 183, 95). Das ist hier der Fall, denn einem am Auftrag interessierten Unternehmen droht regelmäßig ein Schaden durch Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss v. 10.11.2009 a.a.O.).
1.4) Der Nachprüfungsantrag mit der Beanstandung, die zu vergebende Leistung sei zwingend unter Einhaltung des für Dienstleistungsaufträge geltenden Vergaberechts auszuschreiben, ist nicht wegen Verletzung einer Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 GWB unzulässig.
a) Eine Obliegenheit zur Rüge besteht grundsätzlich dann, wenn der Antragsteller an einem durch Vergabebekanntmachung eingeleiteten Verfahren teilnimmt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.10.2006, Verg 35/06, VergabeR 2007, 200; Beschluss v. 14.04. 2010, Verg 60/10, VergabeR 2010, 78; Senat, Beschluss v. 18.09.2008, Verg W 13/08, zitiert nach juris.de).
b) Ob die Rüge gegen die Ausschreibung als Dienstleistungskonzession unter den Gegebenheiten des Streitfalls deshalb entbehrlich war, weil eine Beanstandung gegen die Nichteinhaltung der Bestimmungen des Vierten Teils des GWB aufgrund des Hinweises der Bekanntmachung, hieran nicht gebunden zu sein, als von vornherein aussichtslos anzusehen war (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.01.2012, Verg 67/11, zitiert nach juris.de), bedarf letztlich keiner Entscheidung.
c) Die Antragstellerin ist der Rügeobliegenheit jedenfalls nachgekommen. Sie hat die fehlerhafte Wahl der Dienstleistungskonzession mit Telefax-Schreiben vom 19.10.2011 rechtzeitig vor Ablauf der erst in den Vergabeunterlagen benannten Frist zur Angebotsabgabe und auch unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB gerügt. Ebenfalls hat sie mit ihrem Nachprüfungsantrag die Antragsfrist nach § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB gewahrt.
aa) Dass die Auftraggeberin eine Dienstleistungskonzession vergeben will, war zwar aus der Vergabebekanntmachung zu erkennen. Eine Obliegenheit, eine dagegen gerichtete Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB innerhalb der Frist zur Einreichung des Teilnahmeantrages zu erheben, ist dennoch nicht anzunehmen. Die Frage, ob tatsächlich eine Dienstleistungskonzession vorliegt, ist nach den konkreten Umständen der Gestaltung von Leistung und Gegenleistung zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss v. 08.02.2011 a.a.O.). Zu einer dahingehenden Beurteilung hat die Vergabebekanntmachung ausreichende Informationen nicht hergegeben. Dieser war nicht zu entnehmen, welche Leistungen im Einzelnen mit welcher Entgeltregelung vergeben werden sollen. Die Antragstellerin konnte dies vielmehr frühestens nach Erhalt des Entwurfs des Konzessionsvertrages beurteilen. Da ihr dieser Entwurf erst nach Einreichung des Teilnahmeantrages mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe durch den 32-seitigen Verfahrensbrief vom 28.09.2011 zur Kenntnis gebracht worden ist, hat eine Rügeobliegenheit zuvor nicht bestanden.
bb) Die Rüge vom 19.10.2011 ist vor Ablauf der am 03.11.2011 endenden Frist zur Angebotsabgabe und damit gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB fristgerecht erfolgt.
cc) Die Rüge ist auch als im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB unverzüglich nach Erkennen des Vergabeverstoßes erhoben anzusehen.
Die Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB wird ausgelöst mit positiver Kenntnis vom Vergabeverstoß. Das setzt voraus, dass der Antragsteller einerseits von den tatsächlichen Umständen, auf die er den Vorwurf einer Vergaberechtsverletzung stützt, volle Kenntnis hat. Zum anderen ist die zumindest laienhafte rechtliche Wertung notwendig, dass es sich um ein zu beanstandendes Vergabeverfahren handelt. Eine Obliegenheit, sich die maßgeblichen Kenntnisse durch zügige Nachforschungen zu verschaffen, besteht indessen nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.07.2001, Verg 16/01, VergR 2001, 419; OLG Dresden, Beschluss v. 23.04.2009, WVerg 11/08; VergabeR 2010, 106). Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn der Wissensstand des Antragstellers (in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht) einen solchen Grad erreicht hat, dass seine gleichwohl nicht sichere Kenntnis von dem Vergaberechtsverstoß darauf beruht, dass er sich ihr mutwillig verschlossen hat (vgl. OLG Dresden, Beschluss v. 23.04.2009 a.a.O.).
Die Voraussetzungen für das Eingreifen der Rübeobliegenheit hat der Auftraggeber darzulegen. Die Unzulässigkeit eines ansonsten zulässigen Nachprüfungsantrags kann nur angenommen werden, wenn dem Antragsteller nachgewiesen ist, dass er den behaupteten Vergaberechtsverstoß erkannt und diesen gleichwohl nicht unverzüglich gerügt hat (vgl. BGH, Beschluss v. 01.02.2005, X ZB 27/04, VergabeR 2005, 328).
Im Streitfall vermag die Auftraggeberin keinen Umstand aufzuzeigen, der die Feststellung tragen könnte, dass die Antragstellerin die ihr mit Schreiben vom 28.09.2011 zur Verfügung gestellten Unterlagen zu einem bestimmten Zeitpunkt vor dem 19.10.2011 so eingehend geprüft hat, dass sie den gerügten Verstoß erkannt hat. Ganz naheliegend erscheint vielmehr die Befassung der Antragstellerin mit den gesamten Auftragsunterlagen nach Durchführung der Datenraumeinsicht am 13.10.2011, bei der den Interessenten mehr als 100 Unterlagen, darunter ein Auszug des Betriebsführungsvertrages mit der Beigeladenen zu 1) und zahlreiche betriebswirtschaftliche Daten, zur Einsicht zur Verfügung gestellt worden sind. Bei Kenntniserlangung am 13.10.2011, dem Tag, an dem die Vergabeunterlagen erstmals in ihrer Gesamtheit zur Kenntnis genommen werden konnten, ist die Rüge sechs Tage später am 19.10.2011 so rechtzeitig erhoben worden, als es der Antragstellerin den Umständen nach möglich und zumutbar war.
dd) Der Umstand, dass die Antragstellerin ihre mit Schreiben vom 19.10.2011 erhobene Rüge gegen die Wahl der Dienstleistungskonzession erstmals mit dem erneuten Rügeschreiben vom 27.10.2011 auf den rechtlichen Gesichtspunkt des Verstoß gegen die Vorschriften des Wasser- und Kommunalabgabenrechts gestützt hat, begründet eine Verletzung der Rügeobliegenheit nicht. Im Schreiben vom 19.10.2011 hat die Antragstellerin ausdrücklich die „vorgenommene Ausschreibung als Dienstleistungskonzession“ beanstandet und die Auftraggeberin ausgefordert, „eine Ausschreibung entsprechend den Regelungen der VOL/A-EG“ durchzuführen (Seite 5 des Schreibens vom 19.10.2011). Damit hat die Antragstellerin den vermeintlichen Vergabeverstoß der Nichteinhaltung des für Dienstleistungsaufträge oberhalb der Schwellenwerte geltenden Vergaberechts konkret bezeichnet. Bei der mit Rügeschreiben vom 27.10.2011 geltend gemachten Unzulässigkeit der Konzession, weil diese Vertragsart der Auftraggeberin nach den Vorschriften des Wasser- und Kommunalabgabenrechts verwehrt sei, handelt es sich nicht um eine selbständige Rüge, die ihrerseits an den Obliegenheiten des § 107 Abs. 3 GWB zu messen wäre. Die Antragstellerin hat die rechtzeitig erhobene Beanstandung gegen die Ausschreibung als Dienstleistungskonzession lediglich mit einem weiteren rechtlichen Gesichtspunkten vertieft. Das ist zu jeder Zeit möglich.
ee) Der am 09.11.2011 bei der Vergabekammer eingegangene Nachprüfungsantrag der Antragstellerin hat die gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB einzuhaltende Antragsfrist von 15 Kalendertagen nach Eingang der Nichtabhilfemitteilung unter Berücksichtigung des auf das Rügeschreiben vom 19.10.2011 von der Auftraggeberin erteilten Antwortschreibens vom 25.10.2011 gewahrt.
2) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist auch begründet. Das von der Auftraggeberin eingeleitete Vergabeverfahren leidet an einem Verstoß gegen das Vergaberecht, der die Antragstellerin in ihren Bieterrechten verletzt und nur durch Aufhebung der Ausschreibung beseitigt werden kann.
Die Beschaffung der zu vergebenden Dienstleistungen im Wege einer Dienstleistungskonzession ist nach den Vorschriften des Wasser- und Kommunalabgabenrechts gesetzwidrig.
Gesetzwidrig ist die Ausgestaltung als Dienstleistungskonzession deshalb, weil die rechtliche Grundlage dafür fehlt, dass der Konzessionär Entgelt und Baukostenzuschüsse für die Errichtung und Benutzung der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage im eigenen Namen auf eigene Rechnung zur eigenen Verwendung erhebt. Das sieht der von der Auftraggeberin beabsichtigte Konzessionsvertrag aber vor. In dem Vertrag ist bestimmt, dass der Konzessionär im eigenen Namen und auf eigene Rechnung gegenüber den Nutzern tätig wird, dass dazu rechtsgeschäftliche Beziehungen (Abwasserbeseitigungsverträge) zwischen dem Konzessionär und den Nutzern geschlossen werden und der Konzessionär privatrechtliche Entgelte und Baukostenzuschüsse im eigenen Namen und für eigene Rechnung erhebt (§§ 9, 10 des Vertragsentwurfs).
Der Erhebung privatrechtlicher Entgelte und Baukostenzuschüsse durch den Konzessionär als privatem Dritten fehlt die gesetzliche Grundlage.
Gemäß § 56 Satz 1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (WHG) ist Abwasser von den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu beseitigen, die nach Landesrecht hierzu verpflichtet sind (Abwasserbeseitigungspflichtige). Nach Satz 2 der Vorschrift können die Länder bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Abwasserbeseitigung anderen als den in Satz 1 genannten Abwasserbeseitigungspflichtigen obliegt. Gemäß Satz 3 der Vorschrift können sich die zur Abwasserbeseitigung Verpflichteten zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter bedienen. Im Land Brandenburg haben nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Brandenburgisches Wassergesetz (BbgWG) die Gemeinden das auf ihrem Gebiet anfallende Abwasser zu beseitigen und die dazu notwendigen Anlagen (Abwasseranlagen) zu betreiben oder durch Dritte betreiben zu lassen. Mit § 6 Abs. 1 Satz KAGBbg in der seit dem 01.02.2004 geltenden Fassung (Neubekanntmachung vom 31.03.2004, GVBl. 2004, S. 174) ist grundsätzlich auch die Möglichkeit geschaffen worden, anstelle von (öffentlich-rechtlichen) Benutzungsgebühren privatrechtliche Entgelte zu erheben. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: „Benutzungsgebühren sind zu erheben, wenn eine Einrichtung oder Anlage überwiegend dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dient, sofern nicht ein privatrechtliches Entgelt gefordert wird“.
Eine gesetzliche Grundlage für eine Erhebung privatrechtlicher Entgelte durch einen Dritten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ist darin nicht zu sehen, denn dies stünde im Widerspruch zu § 56 Satz 1 WHG und § 66 Abs. 1 Satz 1 BbgWG, wonach die Gemeinden zur Abwasserbeseitigung verpflichtet sind und sich lediglich zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter bedienen und die Anlagen durch Dritte betreiben lassen können. Die Übertragung der Abwasserbeseitigung im Sinne der Pflichtenübertragung ist unzweifelhaft unzulässig; zulässig ist lediglich die Beauftragung eines Dritten mit der Erfüllung der bei der Gemeinde verbleibenden Aufgabe, was allein die Zuziehung eines bloßen Erfüllungsgehilfen erlaubt.
Erfüllungsgehilfe ist, wer mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als dessen Hilfsperson tätig wird. Zwischen dem Erfüllungsgehilfen und dem Vertragspartner des Schuldners bestehen keine vertraglichen Beziehungen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 278 Rn. 7, 40). Auch wenn die von der Auftraggeberin erstellten Vertragsunterlagen den Konzessionär als Verwaltungshelfer bzw. Erfüllungsgehilfen bezeichnen, so ist der Sache nach nicht die Zuziehung einer Hilfsperson zur Erfüllung vorgesehen, denn - wie ausgeführt - soll der Konzessionär im eigenen Namen Abwasserbeseitigungsverträge mit den Nutzern schließen und Entgelte sowie Baukostenzuschüsse erheben.
Eine solche Konstruktion der Übertragung der Befugnis zum Handeln im eigenen Namen bei der Aufgabenerfüllung und der Entgelterhebung auf einen Dritten, ohne dass dieser dabei die in der Verantwortung der Gemeinde liegende Aufgabe wahrnimmt, kennt das Gesetz nicht. Die Annahme, die Aufgabenerfüllung könne durch einen Dritten in der Weise wahrgenommen werden, dass er nicht als Hilfsperson des Verpflichteten, sondern im eigenen Namen aufgrund eigener und nur zwischen ihm und den Nutzern bestehender Vertragsbeziehungen tätig wird, steht zudem im Widerspruch zu der die Gemeinden treffenden gesetzlichen Pflichtenzuweisung. Der Entgelterhebung durch den Konzessionär fehlt damit die Grundlage (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.10.2011 a.a.O. zur Abfallentsorgung, § 16 KrW-/AbfG, § 9 LAbfG NRW mit Ausführungen zur Abwasserentsorgung, § 56 WHG, § 6 KAG NRW). Soweit die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. SächsOVG, Beschluss v. 24.09.2004, 5 BS 119/04 und Beschluss v. 06.09.2011, 5 B 205/10; VG Cottbus, Beschluss v. 08.06.2011, 6 K 1033/09 und Beschluss v. 01.11.2011, 6 K 15711; zitiert jeweils nach juris.de) die Konzession im Bereich der Abwasserentsorgung für zulässig ansieht, überzeugt diese Auffassung nicht, weil nicht aufgezeigt wird, aufgrund welchen Rechtssatzes die sogenannte „funktionale Privatisierung“ oder „Erfüllungsprivatisierung“ ohne Übertragung der zugrunde liegenden Verbindlichkeit vollzogen werden soll.
Die Erhebung von privaten Baukostenzuschüssen ist - unabhängig davon, wer diese von den angeschlossenen Eigentümern erhebt - in Brandenburg schon deshalb unzulässig, weil § 8 Abs. 9 KAGBbg die Erhebung von Baukostenzuschüssen auf privatrechtlicher Grundlage nur für Anlagen der Versorgung, nicht aber der Entsorgung zulässt.
3) Da die ausgeschriebene Dienstleistungskonzession nach dem Gesetz nicht statthaft ist, darf das Vergabeverfahren nicht durch Vertragsschluss beendet werden. Da der Vergabeverstoß die gesamte Ausschreibung einschließlich der Angaben der Bekanntmachung betrifft, verpflichtet der Senat die Auftraggeberin, die Ausschreibung aufzuheben (§ 123 GWB).
III.
Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen beruht auf § 128 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB sowie §§ 120 Abs. 2, 78 GWB. Es entspricht der Billigkeit, dass die Auftraggeberin die Kosten mit Ausnahme der außergerichtlichen Auslagen der Beigeladenen allein zu tragen hat. Ein Kostenerstattungsanspruch der Beigeladenen entspricht nicht der Billigkeit, weil sie weder mit eigenen Anträgen noch mit schriftsätzlichem Vorbringen am Verfahren teilgenommen haben.
Die Wertfestsetzung beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der festgesetzte Betrag von 2.068.220,- € entspricht 5 % der Bruttoauftragssumme von 41.364.400,- €.
Die Bruttoauftragssumme ist unter Ansatz der prognostizierten Konzessionserlöse einschließlich Umsatzsteuer für die gesamte Vertragslaufzeit von 20 Jahren zu bestimmen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 05.03.2010, 9 Verg 2/08, zitiert nach juris.de; Senat, Beschluss vom 11.12.2008, Verg W 5/08, unveröffentlicht; Senat, Beschluss vom 08.04.2010, Verg W 2/10; zitiert nach juris.de). Nach Prognose der Auftraggeberin ist mit jährlichen Entgelteinnahmen von 1.738.000,- € netto zu rechnen; zuzüglich 19 % Umsatzsteuer ergibt sich ein Betrag von 2.068.220,- € jährlich. Bei der zugrunde zu legenden Vertragslaufzeit von 20 Jahren beträgt die Bruttoauftragssumme 41.364.400,- €.