Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat | Entscheidungsdatum | 19.05.2011 | |
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Aktenzeichen | L 13 VG 33/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 OEG |
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Versorgungsanspruch nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Der 1974 geborene Kläger ist deutsch-türkischer Staatsangehörigkeit, verheiratet und hat zwei Kinder.
Am 5. September 2005 stellte er bei dem Beklagten den Antrag, ihm Versorgung nach dem OEG wegen körperlicher und psychischer Störungen als Folgen einer ihm gegenüber begangenen Gewalttat zu gewähren. Zur Begründung gab er an, dass er auf dem Berliner Alexanderplatz von mehreren Rechtsradikalen geschlagen worden sei, weil er Ausländer sei. Wegen Vergesslichkeit könne er keine Angaben zur Tatzeit (Tag, Monat, Jahr) machen. Die Tat sei zwischen 16 und 17 Uhr begangen worden. Eine Anzeige hätte er nicht erstattet, da ihm die Täter angedroht hätten, ihn umzubringen, falls er Anzeige erstatte. Von dem Vorfall habe er deshalb niemandem außer seinem behandelnden Arzt E-CB berichtet, bei dem er auch wegen der Folgen des Überfalles in Behandlung gewesen sein. Dem Antrag reichte der Kläger ein ärztliches Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie R K vom 17. November 2005 nach, bei dem er sich seit 2004 in Behandlung befindet.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2005 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, dass ein Anspruch auf Entschädigung ausscheide, da der Nachweis, das unschuldige Opfer einer kriminellen Gewalttat geworden zu sein, durch den Kläger nicht erbracht worden sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 14. Januar 2006, mit dem er vortrug, dass er vor ca. zehn Jahren zusammengeschlagen worden sei, und dem er eine von ihm selbst geschriebene und unterschriebene Erklärung seiner Ehefrau über die Folgen der vermeintlichen Gewalttat beifügte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2006 zurück. Auf den nach Aktenlage am 3. Februar 2006 zur Post aufgegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 6. März 2006, einem Montag, Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat im Erörterungstermin vom 7. September 2006 dem Kläger informatorisch und im Erörterungstermin vom 8. April 2010 den Arzt B als Zeugen zu der vermeintlichen Gewalttat befragt. Das Sozialgericht hat ferner Teile der Patientenakte des Klägers des Arztes B beigezogen sowie eine Auflistung der Krankenkasse vom 21. September 2006 über Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers im Zeitraum vom 27. Dezember 1994 bis zum 21. November 1995. Der Kläger hat ein ärztliches Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Kr vom 16. März 2004, des Arztes für Innere Medizin Prof. Dr. H vom 6. Juli 2005 und des HNO- Arztes Dr. J vom 1. März 2006 zu den Gerichtsakten gereicht.
Mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2010 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG, weil zur Überzeugung des Gerichts nicht nachgewiesen sei, dass er Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden sei. Insoweit seien die Angaben des Klägers selbst unvollständig und detailarm und überzeugten nicht. Der Nachweis eines vorsätzlich, rechtswidrigen tätlichen Angriffes sei auch nicht auf Grund der Aussage des Zeugen B erbracht. Der Zeuge selbst sei bei dem vermeintlichen Vorfall nicht zugegen gewesen und könne daher keine eigenen Wahrnehmungen bekunden. Überdies habe der Zeuge nicht ausschließen können, ob die bei dem Kläger unstreitig festgestellten Verletzungen, die er im Frühjahr 1998 festgestellt habe, von dem Überfall, über den der Kläger ihm berichtet habe, oder etwa von einem Ringkampf oder einer Schlägerei stammen würden. Da die Angaben des Klägers nicht hinreichend glaubhaft seien, könne das Vorliegen eines vorsätzlich rechtswidrigen, tätlichen Angriffes auch nicht unter Berücksichtigung der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anwendbaren Regelung des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) als erwiesen angesehen werden.
Gegen den ihm am 19. Juli 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12. August 2010 sinngemäß Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.
Zur Begründung beruft er sich auf die Aussage des ihn behandelnden Arztes B.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juli 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab dem 5. September 2005 eine Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 unter Anerkennung der durch die im Antrag beschriebenen Tat erlittenen Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen zu gewähren,
hilfsweise,
ein Sachverständigengutachten über die Schädigungsfolgen nach § 103,
hilfsweise nach § 109 Sozialgerichtsgesetz einzuholen,
weiter hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht
zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist zutreffend.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn der angefochtene Bescheid vom 8. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Feststellung einer MdE bzw. eines GdS von mindestens 30 sowie die Zahlung einer Beschädigten- Grundrente gemäß § 1 OEG i. V. m. §§ 30, 31 BVG ab Antragstellung am 5. September 2005.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sind vorliegend nicht erfüllt. Die von dem Kläger geltend gemachten Misshandlungen auf Grund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes gegen seine Person sind nicht nachgewiesen. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach dem OEG, zu denen das Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs zählt, müssen nachgewiesen, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 28. Juni 2000, B 9 VG 3/99 R m. w. N., SozR 3-3900 § 15 Nr. 3). Dies ist hier nicht gegeben.
Unter Würdigung aller Umstände ist es auch zur Überzeugung des Senats lediglich möglich, nicht aber in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass der Kläger Opfer des von ihm beschriebenen tätlichen Angriffes hier in Form eines Überfalles durch Rechtsradikale gewesen ist. Nachweise darüber, dass der tätliche Angriff tatsächlich so, wie vom Kläger beschrieben, stattgefunden hat, gibt es nicht. Soweit in den Patientenunterlagen des Arztes B unter dem 9. März 1998 vermerkt ist, dass der Kläger schwere Prellungen aufgrund einer (von ihm vorgetragenen) Auseinandersetzung durch Skinheads erlitten haben soll, ist dieser Vermerk zwar ein Indiz dafür, dass eine solche Tat möglicherweise tatsächlich stattgefunden haben könnte. Eine Nachweiswirkung im zuvor beschriebenen Sinn kommt dem allerdings nicht zu. Denn angesichts der weiteren Eintragungen in vorgenannter Patientenakte, wonach der Kläger des Öfteren auch in Schlägereien oder Prügeleien verwickelt gewesen sein soll, ist es ebenso möglich, dass die von Dr. B beschriebenen Verletzungen ihre Ursache in einer anderen körperlichen Auseinandersetzung haben können. Insoweit liegt aber auch kein alternativer Geschehensablauf vor, dem ohne Weiteres die Qualität eines vorsätzlich, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zukommt, ungeachtet dessen, dass der Kläger seinen Anspruch hierauf, also auf eine Schlägerei oder Prügelei oder dgl. ohnehin nicht stützt.
Auch hat die Befragung des den Kläger behandelnden Arztes B durch das Sozialgericht den Nachweis eines tätlichen Angriffes, wie vom Kläger vorgetragen, nicht erbracht. Der Arzt B war selbst bei der Tat nicht zu gegen und bezieht seine Erkenntnisse ausweislich seiner Zeugenaussage allein aufgrund der Angaben, die der Kläger ihm gegenüber gemacht hat. Dass die von ihm festgestellten Verletzungsspuren einem konkreten Ereignis zuzuordnen waren, konnte auch der Zeuge nicht bestätigen. Vor diesem Hintergrund bedurfte es keiner erneuten Vernehmung des Arztes B durch den Senat. Der Senat sieht auch keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen. Insbesondere ist eine Vernehmung des behandelnden Psychiaters und Neurologen K nicht geboten, der den Kläger erst seit Frühjahr 2004 behandelt und sein Wissen über die vermeintliche Tat ebenso wie der Zeuge B allein aus den Angaben des Klägers bezieht, wie die vorliegenden Atteste vom 16. März 2004 und vom 17. November 2005 belegen.
Geht mithin die Nichterweislichkeit des Vorliegens eines vorsätzlich, rechtswidrigen tätlichen Angriffes zu Lasten des Klägers, greift zu dessen Gunsten, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat auch nicht die über § 6 Abs. 3 OEG anwendbare Beweiserleichterungsvorschrift des § 15 Abs. 1 KOVVfG. Soweit danach in Fällen einer Beweisnot die Angaben des jeweiligen Klägers der Entscheidung zugrunde zu legen sind, soweit sie nach den Umständen des Falles als glaubhaft erscheinen, kann sich der Kläger hierauf nicht mit Erfolg berufen. Denn der Kläger hat auch zur Überzeugung des Senats nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er Opfer eines vorsätzlich, rechtswidrigen gegen ihn gerichteten tätlichen Angriffes durch Rechtsradikale geworden ist. Die Angaben des Klägers hierzu sind allgemeiner Natur und beschränken sich auf die Darstellung eines Geschehensablaufes, wie sie von jedermann beschrieben werden könnten. Nicht ansatzweise nachvollziehbar ist auch für den Senat, weshalb sich der Kläger nicht einmal an das exakte Jahr erinnern kann, in dem das schädigende Ereignis stattgefunden haben soll. Die Behauptung des Klägers, dies beruhe auf Vergesslichkeit überzeugt nicht, zumal der Kläger in der Lage gewesen ist, eine konkrete zeitliche Angabe (16 bis 17 Uhr) zu machen. Ingesamt erwecken die Ausführungen des Klägers den Eindruck, dass ein konstruierter Geschehnisablauf beschrieben wird. Allein der Umstand, dass in der Patientenakte des Arztes Bunter dem 9. März 1998 eine Auseinandersetzung mit Skinheads aufgrund von Angaben des Klägers erwähnt wird, lässt daher den Vortrag des Klägers zu einem vermeintlichen Überfall als nicht glaubhaft erscheinen.
Fehlt es mithin an dem Nachweis eines vorsätzlich, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG, musste der Senat den von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen nach - zutreffenderweise - § 106 SGG und § 109 SGG, ein Sachverständigengutachten über die Schädigungsfolgen einzuholen, nicht folgen. Denn diesbezügliche Feststellungen sind nur dann geboten, wenn das Vorliegen eines schädigenden Ereignisses im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG feststeht. Das ist hier, wie dargelegt, aber gerade nicht der Fall.
Auch eine Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht, wie vom Kläger weiter hilfsweise begehrt, scheidet aus. Ein die Zurückverweisung der Sache berechtigender Grund im Sinne des § 159 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 SGG ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht gegeben sind.