Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 13. Kammer | Entscheidungsdatum | 11.05.2012 | |
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Aktenzeichen | 13 Sa 2486/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 Abs 2 KSchG, § 155 Abs 4 S 9 SGB 5, § 164 Abs 4 S 1 SGB 5 |
Eine Betriebskrankenkasse und eine nachfolgende Betriebskrankenkasse in Abwicklung sind keine unterschiedlichen Rechtspersönlichkeiten
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.11.2011 - 33 Ca 8147/11 - wird auf ihre Kosten bei unverändertem Streitwert in der II. Instanz zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Die Parteien streiten um die gesetzliche Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses sowie um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweisen Kündigung.
Die Klägerin war seit dem 13.10.1988 beim Land Berlin im Bereich der Betriebskrankenkasse (BKK) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging zum 01.01.1999 auf die BKK Berlin über. Zum 01.01.2004 schloss sich die BKK Berlin mit der BKK Hamburg zusammen. Aus dieser Fusion entstand die Beklagte, die zum 01.01.2005 erneut mit der BKK B. und Be. BKK fusionierte.
Bei der Beklagten handelte es sich um eine sog. geöffnete Betriebskrankenkasse, die etwa 400 Arbeitnehmer beschäftigte. Die Klägerin war zuletzt als Sachbearbeiterin im Bereich Meldungen/Familienversicherungen gegen eine Bruttomonatsvergütung von 3.669,00 Euro bei ihr tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Tarifverträge für die Betriebskrankenkasse Anwendung.
Am 07.04.2011 zeigte der Vorstand der Beklagte dem Bundesversicherungsamt die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Beklagten an. Das Bundesversicherungsamt ordnete mit Bescheid vom 04.05.2011 die Schließung der Beklagten zum Ablauf des 30.06.2011 und die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Mit Schreiben vom 09.05.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der Schließung zum 30.06.2011 ende.
Mit Schreiben vom 20.04.2011 und 04.05.2011 unterrichtete die Beklagte den bei ihr gebildeten Hauptpersonalrat darüber, dass sie die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter vorsorglich zum 30.06.2011 und höchstvorsorglich ordentlich fristgemäß bzw. bei den tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern außerordentlich mit sozialer Auslauffrist kündigen werde. Der Hauptpersonalrat erhob hiergegen mit Schreiben vom 17.05.2011 Einwendungen. Mit zwei Schreiben vom 20. und 23.05.2011 nahm die Beklagte hierzu Stellung und forderte den Hauptpersonalrat erfolglos auf, einen Terminsvorschlag für ein Gespräch zu benennen. Wegen des genauen Inhalts der genannten Schreiben wird auf die zur Akte gereichten Kopien (Bl. 103 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 19.05.2011 zum 30.06.2011, höchstvorsorglich zum „nächstmöglichen Termin“. Nach Berechnung der Beklagten handele es sich hierbei um den 31.12.2011.
Die Beklagte firmiert seit ihrer Schließung als „C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung“. Die Klägerin schloss am 15./19.06.2011 für die Zeit ab dem 01.07.2011 einen bis zum 30.06.2012 befristeten Arbeitsvertrag als Sachbearbeiterin mit der „C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung“. Dieser hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
„Präambel
Die Arbeitgeberin ist eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung, die mit dem den Abwicklungsarbeiten der mit Ablauf des 30. Juni 2011 geschlossenen C. BKK betraut ist. Die Arbeitgeberin ist nicht die Rechtsnachfolgerin der C. BKK.“
Mit ihrer am 30.05.2011 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die gesetzliche Beendigung und die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 25.11.2011 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30.06.2011 fortbesteht und auch durch die Kündigung der Beklagten vom 19.05.2011 weder zum 30.06.2011 aufgelöst wurde, noch zum 31.12.2011 aufgelöst werden wird. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass die zulässige Klage auch begründet sei. Es könne dahinstehen, ob der gesetzliche Beendigungstatbestand des § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V iVm. § 155 Abs. 4 S. 9 SGB V („Die Vertragsverhältnisse der Beschäftigten, die nicht nach Abs. 3 untergebracht werden, enden mit dem Tag der Auflösung oder Schließung“) auch für ordentlich kündbare Arbeitnehmer wie die Klägerin Anwendung finde. Jedenfalls für den Fall der (befristeten) Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer zum Zweck der Abwicklung müsse § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass diese Arbeitsverhältnisse nicht kraft Gesetzes endeten.
Die Kündigung der Beklagten sei weder als ordentliche noch als außerordentliche Kündigung wirksam. Zwar stelle die Betriebsstilllegung zumindest einen betriebsbedingten Grund iSv. § 1 Abs. 2 KSchG dar. Vorliegend werde der Betrieb aber weder zum 30.06.2011 noch zum 31.12.2011 stillgelegt, vielmehr fielen voraussichtlich bis 2013 Abwicklungsarbeiten an, mit denen auch die Klägerin noch nach dem 31.12.2011 beschäftigt werde.
Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Parteivortrags I. Instanz wird auf das erstinstanzliche Urteil (Bl. 336-357 d.A.) verwiesen.
Gegen dieses ihr am 07.12.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 13.12.2011 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangene und am 16.02.2012 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.02.2012 im Original begründete Berufung der Beklagten, die nach wie vor der Auffassung ist, dass es sich bei der BKK und der BKK in Abwicklung um zwei unterschiedlichen Körperschaften öffentlichen Rechts handele.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.11.2011 - 33 Ca 8147/11 - die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen des zweitinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 14.02.2012 (Bl. 385 ff. d.A.) und 10.04.2012 (Bl. 481 ff. d.A.) sowie der Klägerin vom 02.04.2012 (Bl. 462 ff. d.A.) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.04.2012 (Bl. 487 f. d.A.) verwiesen.
I.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe c, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 und S. 5 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.
II.
In der Sache hat die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin der Feststellungsklage der Klägerin stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Berlin im Ergebnis dahingehend, dass jedenfalls für die vorliegende Fallkonstellation einer ordentlich kündbaren Arbeitnehmerin, die einen befristeten Anschlussvertrag mit der BKK in Abwicklung erhalten hat und dieser über den 31.12.2011 hinaus fortbesteht, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch einen gesetzlichen Beendigungstatbestand noch durch die hilfsweise außerordentliche noch durch die höchst hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung beendet worden ist. Dabei kommt es auf eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 164 Abs. 4 S. 1; 155 Abs. 4 S. 9 SGB V nicht an.
1. Denn „das Arbeitsverhältnis“ dauert unstreitig über den 30.06.2011 zumindest noch bis zum 30.06.2012 an. „Das Arbeitsverhältnis“ ist nicht zerlegbar in ein unbefristetes und ein befristetes Arbeitsverhältnis, es existiert nur als ein Arbeitsverhältnis, welchem unterschiedliche Verträge zu Grunde liegen (vgl. dazu etwa den Wortlaut des § 17 TzBfG; BAG 14.02.2007 – 7 AZR 95/06 – EzA § 620 BGB 2002 Nr. 12, zu II.1. der Gründe mwN., Rz. 15; KR-Bader, 9. Aufl., § 17 TzBfG Rz. 11 mwN.).
a) Folgt man der Auffassung der Klägerin, dass es eine gesetzliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den vorliegenden Fall nicht gäbe, besteht das Arbeitsverhältnis über den 30.06.2011 hinaus fort. Ob der sich unmittelbar anschließende befristete Arbeitsvertrag nur unter Vorbehalt abgeschlossen worden ist oder nicht (vgl. dazu das Schreiben der C. BKK vom 15.06.2011, Bl. 489 f. d.A.), ist dabei ebenfalls unerheblich, weil in beiden Fällen „das Arbeitsverhältnis“ über den 30.06.2011 hinaus fortbesteht.
b) Gleiches gilt, wenn man der Auffassung der Beklagten folgt, dass die Parteien ein befristetes Arbeitsverhältnis ohne einen Vorbehalt abgeschlossen hätten und das „alte“ Arbeitsverhältnis gesetzlich geendet. Auch in diesem Fall dauert „das Arbeitsverhältnis“ aufgrund des befristeten Vertrages über den 30.06.2011 hinaus an.
2. Dieses Arbeitsverhältnis besteht auch zwischen „den Parteien“ über den 30.06.2011 hinaus fort. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die BKK und die BKK in Abwicklung nicht unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten.
a) Denn gemäß § 155 Abs. 1 S. 2 SGB V gilt die Betriebskrankenkasse als fortbestehend, bis die Geschäfte abgewickelt sind, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Wie die Beklagte zu Recht ausführt (Schriftsatz vom 20.09.2011, S. 8, Bl. 65 d.A.) entspricht diese Vorschrift der Regelung des § 49 Abs. 2 BGB, wonach der Verein bis zur Beendigung der Liquidation als fortbestehend gilt, soweit der Zweck der Liquidation dies erfordert. Der Verein oder – wie hier – die Körperschaft des öffentlichen Rechts BKK bestehen also qua Fiktion weiter fort, soweit es der Zweck der Liquidation oder Abwicklung erfordert (vgl. BGH 22.03.2001 – IX ZR 373/98 – ZIP 2001, 889 ff. = NJW-RR 2001, 1552 ff.; BAG 23.01.2008 – 4 AZR 312/01 – BAGE 125, 314 ff. = EzA § 4 TVG Nr. 45). Damit ändert sich zwar der Vereinszweck bzw. der Körperschaftszweck, die juristische Person erlischt jedoch nicht (so zutreffend MünchKomm/Reuter, 5. Aufl., § 49 BGB Rz. 2 und Rz. 87; BGH 11.11.1985 – II ZR 37/85 – BGHZ 96, 253, 254 f.; Ermann/Westermann, BGB, 12. Aufl., § 49 Rz. 5), Im Gegenteil besteht eine Identität der Rechtspersönlichkeit (zutreffend Staudinger-Weick, BGB, § 49 Rz. 16 f.), nur der Zweck der Rechtspersönlichkeit ändert sich (so auch der Beschluss des VGH Baden-Württemberg 27.09.2011 – PB 15 S 1026/11 – S. 21 f., Bl. 246 f. d.A.).
b) Der Abschluss eines befristeten Vertrages zur Abwicklung des Krankenkassengeschäfts bis zur endgültigen Auflösung der BKK hält sich genau an diesen geänderten Zweck der Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. insofern auch BAG 23.01.2008, aaO., zu I.2.a)cc) der Gründe, Rz. 24, mit der Verweisung auf die Beendigung von Verträgen durch Kündigung und Befristung).
3. Zutreffend hat das Arbeitsgericht Berlin sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung entschieden, dass die Kündigung vom 19.06.2011 das Arbeitsverhältnis der Parteien weder zum 30.06.2011 noch fristgemäß zum 31.12.2011 beendet hat, da die Beklagte durch den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages zur Abwicklung der Geschäfte der BKK gezeigt hat, dass ein Beschäftigungsbedarf über den 31.12.2011 hinaus besteht. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Berlin insoweit und sieht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer nur wiederholenden Begründung ab.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Revision war für die Beklagte wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.