Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 14.03.2012 | |
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Aktenzeichen | L 7 KA 60/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 81 Abs 5 SGB 5 |
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme.
Der Kläger ist Zahnarzt und nimmt seit dem 1. April 1993 an der vertragszahnärztlichen Versorgung in Berlin teil. Von November 2001 bis Mai 2002 ließ er von den im Ruhrgebiet ansässigen Dentallaboren G handelsgesellschaft mbH (im Folgenden: G) und a D handelsgesellschaft mbH (im Folgenden: a d) Zahnersatz für insgesamt 14 Patienten herstellen. Beide Firmen ließen seit den 90er Jahren den Zahnersatz im Ausland – teils in China, teils in der Türkei – zu im Vergleich zu einer Herstellung in Deutschland wesentlich günstigeren Konditionen anfertigen. Für den (zumindest anfangs) qualitativ einheitlich guten Standard wurden den Zahnärzten drei Vertragsvarianten angeboten:
- im Standarttarif wurden bei einer Garantiezeit von 3 Jahren nur die tatsächlich entstandenen, günstigeren Kosten in Rechnung gestellt;
- in der Variante Komfort mit Materialzuschuss wurden hochwertige Materialien eingesetzt, die den Kunden allerdings nicht in Rechnung gestellt wurden;
- im Komforttarif wurden bei einer Garantiezeit von 6 Jahren zunächst die nach dem Bundeseinheitlichen Leistungsverzeichnis für zahntechnische Leistungen (BEL II) zulässigen (und von den Zahnärzten gezahlten) Höchstpreise in Rechnung gestellt, anschließend jedoch erhielten die Zahnärzte – soweit im Einzelfall – einen Teil der Differenz zwischen den tatsächlichen und den in Rechnung gestellten Kosten, d.h. ca. 15 - 30 % der Nettoleistungssumme, als sog. Kick-Back-Leistungen in bar ausgezahlt, ohne dies gegenüber den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen bzw. den zahlungspflichtigen Patienten anzugeben.
Zumindest im internen Abrechnungsverkehr der G sollten ausschließlich die Leistungen des Komforttarifs mit einem Sternchen (*) versehen werden, was allerdings über längere Zeit nicht konsequent gehandhabt wurde, sodass z.B. auch Leistungen der Variante Komfort mit Materialzuschuss in dieser Weise gekennzeichnet wurden. Von den insgesamt 1.750 Kunden der G nahmen ca. 420 Zahnärzte bundesweit den Komforttarif in Anspruch.
Die Hauptverantwortlichen der G, die Brüder T und O J M sowie J B, hatten in das Kick-back-System nur wenige Personen, u.a. die 4 Regionalleiter eingeweiht. Auch einige der diesen Regionalleitern unterstellten Außendienstmitarbeiter, u.a. der den Kläger betreuende Mitarbeiter B S, waren durch die Hauptverantwortlichen oder – ohne deren Wissen – von den Regionalleitern informiert worden. Nach dem Willen der Hauptverantwortlichen sollte kein eingeweihter Außendienstmitarbeiter von sich aus mit den Kick-back-Zahlungen beim Komforttarif werben, sondern hierüber nur auf ausdrückliche Nachfrage Auskunft geben. Im Übrigen sollten die Regionalleiter aus den Mitteilungen ihrer Außendienstmitarbeiter die „empfänglichen“ Zahnärzte herausfiltern und mit diesen in Kontakt treten. An diese Vorgaben hielten sich jedoch nicht alle Regionalleiter und Außendienstmitarbeiter.
Die Kick-back-Zahlungen wurden bis Mitte 2001 durch Briefe ohne Absender oder durch eingeweihte Mitarbeiter der G in bar an die Zahnärzte ausgezahlt. Danach wurde zur Übermittlung der jeweils auf- oder abgerundeten Bargeldbeträge die Versandart „Post-Express“ der Deutschen Post AG gewählt und hierfür die Kundennummer der A S GmbH – einer in der Nähe von München ansässigen Firma, die sich mit dem Recycling von Altgold, z.B. aus Goldzähnen, befasste – genutzt, um eine Verbindung mit der G zu verschleiern. Das Bargeld wurde einmal im Monat verschickt und befand sich dabei in einen handelsüblichen Briefumschlag, der seinerseits in einen flachen, dunkelbraunen Buchkarton verpackt wurde. Obwohl nach den Bestimmungen der Deutschen Post AG für diese Versandart die einzelne Sendung nur an die im Adressfeld genannte natürliche Person „eigenhändig“ ausgeliefert werden durfte, übergaben Zusteller in einzelnen Fällen Post-Express-Sendungen auch an andere Personen, z.B. eine Arzthelferin. Solche Fälle wurden, nach den Angaben von O J M in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 10. Oktober 2004 vor der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, „aus erzieherischen Gründen“ bei der Deutschen Post AG beanstandet. Zugleich gab er jedoch an, ihm sei kein Fall einer nicht-eigenhändigen Übergabe bekannt.
Über das Internet bestand die Möglichkeit, anhand der Frachtbriefnummer zu erfahren, an welchem Tag und um welche Uhrzeit der Empfänger den Erhalt der Sendung eigenhändig quittiert hatte. Die entsprechenden Belege wurden von der G allerdings nicht ausgedruckt. In einer an die A S GmbH gerichteten Rechnung der Deutschen Post AG vom 10. Februar 2002 finden sich Eintragungen, wonach dem Kläger unter seiner Praxisanschrift am 6. Februar 2002 vom 12 Uhr ein „Express Paket“ mit einem Gewicht von 500 g ausgeliefert wurde; der Zusatz „Eigenhändig Express Nat V“, der in derselben Rechnung für am gleichen Tag ausgelieferte Sendungen an andere Ärzte teilweise enthalten ist, fehlt beim Kläger jedoch.
Ab August 2002 wurde das Geld von einer auf Schweizer Bundesgebiet befindlichen Filiale der Deutschen Post AG am Grenzübergang B per eigenhändig zuzustellendem Einschreiben versandt. Warensendungen der G wurden auf andere Art vom Firmensitz aus verschickt. Altgoldsendungen der A S GmbH wurden zwar auch per Post-Express versandt, waren allerdings erheblich schwerer.
Im ersten Quartal 2002 gründeten drei Mitarbeiter der G die Fa. al dente, um mit dem erworbenen Wissen und vorhandenen Kontakten ein ähnliches Geschäftsmodell – der Tarif mit Kick-back-Zahlungen i.H.v. 25 % wurde Premium genannt – aufzubauen. Diese Firma hat die Kick-back-Zahlungen jedoch nicht durch eine Sondermarkierung auf ihren Rechnungen und Sammellisten gekennzeichnet; Angaben zu solchen Zahlungen rühren nur von handschriftlichen Ergänzungen („Premium“) her. Keine Angaben existieren hingegen zum Zahlungsweg oder der Versandart.
Aufgrund von Medienberichten im November 2002 wurden in der Folgezeit die bis dahin wegen des o.g. Tatkomplexes bereits eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungen erheblich intensiviert. Die Hauptverantwortlichen von G und a d räumten von Beginn an die Tatvorwürfe ein und wirkten konstruktiv an der Aufklärung mit. Im Rahmen einer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Essen gab O J M am 15. Oktober 2003 zur „Kd.-Nr. 1070 – Dr. W“ an:
„Wenn ich gefragt werde, ob o.g. Zahnarzt Rabatt-Zahlungen erhalten hat, und wenn ja, in welchem Zeitraum, so erkläre ich:
Ja, und zwar von 11/01 bis 1/2002 ohne Staffel. Es wurde durchgängig ein Rabatt in Höhe von 20 % gezahlt.
Nach unseren Berechnungen ergibt sich eine Gesamtsumme von 526, 94 €.
ADM war Herr S. Die erste Zahlung wurde abredewidrig persönlich von Herrn S statt Herrn C an den Arzt übergeben. Im weiteren Verlauf erhielt der Arzt von mir die Zahlungen auf dem Postwege.“
Im Wesentlichen das gleiche bezeugte J B anlässlich seiner Vernehmung am 17. Juli 2003. Kick-back-Zahlungen i.H.v. insgesamt 526,94 € errechneten auch die Ermittlungsbehörden auf der Grundlage von insgesamt 13 dem Kläger zugeordneten und von der G mit einem Sternchen versehene Bestellungen und einer Rechnungssumme (ohne Material) von insgesamt 2.634,71 €. Ferner wurden drei an den Kläger gerichtete Sammelrechnungen der Fa. a d aus den Monaten März bis Mai 2002 (Gesamtbetrag 3.737,36 €) sichergestellt, welche handschriftliche Ergänzungen (u.a. den Zusatz „Premium“ sowie Einzelbeträge i.H.v. 60.-, 240.- und 395.- €) enthalten.
Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 22. September 2004 (34 KLs 6/04, abrufbar unter www.justiz.nrw.de) verurteilte das Landgericht Duisburg wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs sowie wegen Steuerhinterziehung T M und J B zu je 3 Jahren Freiheitsstrafe und O J M zu 2 Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. Bereits am 6. Januar 2004 waren von der G genutzte und bis dahin polizeilich versiegelte Kellerräume wieder freigegeben worden. Wegen weiterer Unterlagen, die O J M anschließend dort fand und den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellte, wurde er am 12. Oktober 2004 durch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf erneut vernommen.
Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 19. Juli 2007 wurde der Außendienstmitarbeiter S, der zunächst – bei seiner polizeilichen Vernehmung am 18. Januar 2005 und bei seiner Anhörung durch den Disziplinarausschuss der Beklagten im Fall G – geleugnet hatte, mit Zahnärzten über Kick-back-Zahlungen gesprochen zu haben, dies aber im Rahmen der Hauptverhandlung einräumte, wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betrugs in 9 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung verurteilt. Zu den in diesem Urteil genannten Zahnärzten zählt der Kläger nicht.
In Zusammenhang mit diesen Ermittlungsverfahren wurde auch der Kläger beschuldigt, von den Unternehmen in 14 Fällen Kick-Back-Zahlungen erhalten zu haben, die er nicht an die gesetzlichen Krankenkassen weitergeleitet habe. Die Staatsanwaltschaft Berlin leitete unter dem Aktenzeichen 97 Js 15/04 ein Ermittlungsverfahren ein, das am 4. Januar 2006 gegen die Zahlung einer Geldauflage von 2.400.- € gemäß § 153a Abs. 1 StPO eingestellt wurde.
Am 22. März 2006 beantragte der Vorstand der Beklagten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Kläger wegen des Erhalts von Kick-Back-Zahlungen in Höhe von 1.221,94 €. In einer Stellungnahme vom 29. Mai 2006 führte der Kläger aus, er habe bei den beiden Laboren in acht beziehungsweise sechs Fällen Probearbeiten anfertigen lassen. Der Kontakt sei über Herrn S zu Stande gekommen. Andere Personen habe er nicht kennen gelernt. Weil die Arbeiten nicht seinen Vorstellungen entsprochen hätten, habe er von den Laboren Abstand genommen. Die Vorwürfe, eine Rückvergütung erhalten zu haben, seien nicht gerechtfertigt. Der Verdacht beruhe auf den Aussagen der Firmeninhaber, zweier verurteilter Krimineller, die er durch nichts widerlegen könne. Er könne nur seine Unschuld beteuern.
Nach persönlicher Anhörung des Klägers beschloss der Disziplinarausschuss in seiner Sitzung am 14. Juni 2006, ihm wegen der Verletzung der Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung in 14 Fällen eine Geldbuße in Höhe von 2.000,- € und die Kosten des Disziplinarverfahrens i.H.v. 286.- € aufzuerlegen. Im schriftlichen Bescheid vom 6. September 2006 wird zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der Kläger habe in acht Fällen von der Firma G Rückvergütungen von 20% in Höhe von insgesamt 527,15 € und von der Firma a d in sechs Fällen Rückvergütungen in Höhe von 25% in Höhe von insgesamt 696,61 € erhalten. Die Rückvergütungen habe er nicht an die Krankenkassen oder die Patienten weitergegeben. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a StPO sei ein Hinweis für das Vorliegen der Voraussetzungen der Disziplinarmaßnahme. Zwar sei die Unschuldsvermutung nicht widerlegt, aber das Einverständnis des Klägers mit der Einstellung deute daraufhin, dass er Schwierigkeiten gesehen habe, sich ausreichend zu verteidigen. Durch die Aufzeichnungen der Datenbank der Firma G und aus dem Vernehmungsprotokoll der Herren B und O J M seien die Kick-Back-Zahlungen belegt. Die Aussagen der Geschäftsführer seien glaubhaft, weil beide sich in ihren Vernehmungen selbst belastet hätten. Der Kläger habe Kenntnis von der Auftragsvariante „Komfort“ und den damit verbundenen Kick-Back-Zahlungen gehabt. Die Dokumentation der Deutschen Post AG beweise, dass dem Kläger am 6. Februar 2002 vor 12:00 Uhr ein Express-Paket mit einem Gewicht von 500 Gramm persönlich zugestellt worden sei. Dabei habe es sich um den Versand von Bargeld als Kick-Back-Zahlung gehandelt. Es gebe keinen vernünftigen Zweifel, dass der Kläger auch die übrigen Kick-Back-Zahlungen erhalten habe. Zwar seien die Aufstellungen der Post lückenhaft, gleichwohl sei in Parallelverfahren ermittelt worden, dass alle betroffenen Vertragszahnärzte ähnliche Rückvergütungen entsprechend den „Kick-Back“-Berichten erhalten hätten. Im Übrigen bestätigten die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnisse die Überzeugung des Disziplinarausschusses, dass die erhobenen Vorwürfe zuträfen. Damit liege ein schuldhafter Verstoß gegen § 5 S. 3 der einleitenden Bestimmungen des bundeseinheitlichen Leistungsverzeichnisses der abrechnungsfähigen zahntechnischen Leistungen beziehungsweise § 11 Ziffer 2 EKV-Z vor. Nur die tatsächlich entstandenen Sachkosten dürften abgerechnet werden, Rabatte müssten weitergegeben werden. Die peinlich genaue Abrechnung gehöre zu den Grundpflichten des Zahnarztes, deren Verletzung die Verhängung einer deutlichen Disziplinarmaßnahme ermögliche. Vorliegend erscheine eine Geldbuße jedoch ausreichend, wobei die geringe Schadenshöhe und der Umstand, dass der Kläger bisher disziplinarrechtlich nicht belastet sei, zu berücksichtigen seien. Unter Berücksichtigung des schweren Verstoßes und des Verschuldens des Klägers sei es sachgerecht, ihm auch die Kosten des Verfahrens in Höhe von 286,88 € aufzuerlegen.
Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt: Die Aussagen der Geschäftsführer bezögen sich nur auf die Firma G, nicht jedoch auf die Firma a d. Der Disziplinarausschuss der Beklagten könne die Zeugenaussage nicht als glaubhaft einstufen, weil er die Zeugen nicht vernommen habe. Im Übrigen hätten die Geschäftsführer ihre Aussagen nicht als Zeugen, sondern als Beschuldigte gemacht und hätten dabei nicht der Wahrheitspflicht unterlegen. Möglicherweise sei den Geschäftsführern bei der Belastung des Klägers ein Versehen unterlaufen. Die Geldsendungen seien nicht nachgewiesen. Die Dokumentation der Post sei insoweit ohne Beweiswert. Es gebe keine Dokumente, die den Empfang belegten. Auch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a StPO sei ohne Beweiswert. Er – der Kläger – sei zermürbt gewesen und habe die Angelegenheit abschließen wollen. Die Überführung anderer Zahnärzte könne ihn gleichfalls nicht belasten. Er sei 2001 auf der Suche nach einem neuen Labor gewesen und habe verschiedene Labore ausprobiert. Er habe sich von den Laboren getrennt, noch bevor er von den Abrechnungsbetrügereien erfahren habe.
Die Beklagte hat vorgebracht, die bekannten beziehungsweise ermittelten Tatsachen genügten, um konkrete Feststellungen zu treffen. Es gelte der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe hätten sich mit einem ausreichenden Grad an Sicherheit bestätigt, weshalb die vom Disziplinarausschuss gewonnene Überzeugung nicht zu beanstanden sei. Die Dokumentation der Deutschen Post AG könne als Urkundsbeweis gewertet werden und lasse den Rückschluss zu, dass der Kläger ein Paket mit Bargeld erhalten habe. Auch die Bewertung der Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO sei nicht zu beanstanden, weil hierfür hinreichender Tatverdacht gegeben sein und der Schuldvorwurf sich bestätigt haben müsse.
Mit Urteil vom 25. Februar 2009 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und ist hierbei weitgehend der Argumentation des Klägers gefolgt.
Gegen dieses ihr am 13. März 2009 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 3. April 2009, zu deren Begründung sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und ergänzt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Februar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Verwaltungsakte (einschließlich der beigefügten Auszüge aus der den Kläger betreffenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte) sowie die einen anderen Berliner Vertragszahnarzt betreffende staatsanwaltschaftlich Ermittlungsakte 97 Js 8/04, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Beschluss des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 14. Juni 2006 in der Form des schriftlichen Bescheides vom 6. September 2006 aufgehoben.
I)
Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist § 81 Abs. 5 SGB V i.V.m. der zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen, hier maßgeblichen Satzung der Beklagten vom 13. September 2004 sowie der Disziplinarordnung (DiszO), die als Anlage 2 Bestandteil der Satzung ist. Nach § 81 Abs. 5 S. 1 SGB V müssen die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder bestimmen, die ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. Maßnahmen nach Satz 1 sind je nach Schwere der Verfehlung Verwarnung, Verweis, Geldbuße oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung oder der vertragsärztlichen Beteiligung bis zu zwei Jahren (Satz 2 der Vorschrift). Das Höchstmaß der Geldbußen kann bis zu 10.000 € betragen (Satz 3 der Vorschrift). Die Ausübung des Disziplinarrechts erfolgt gemäß § 14 der Satzung durch Disziplinarausschüsse. Deren Mitglieder sind unabhängig und unterliegen keinen Weisungen (§ 1 Abs. 5 Satz 4 DiszO). Der Disziplinarausschuss bestimmt den Umfang der Beweisaufnahme. Er kann hierbei von der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, die vor Einleitung des Verfahrens oder im Ermittlungsverfahren gehört wurden, absehen und stattdessen die Niederschriften über die Aussagen sowie schriftliche Äußerungen berücksichtigen (§ 9 DiszO). Er entscheidet aufgrund des Ergebnisses einer mündlichen Verhandlung (§ 13 Abs. 1 DiszO).
II)
Für die richterliche Kontrolle von Disziplinarbescheiden gilt ein besonderer Prüfungsmaßstab.
Soweit der Disziplinarausschuss nach seinem Ermessen zu entscheiden hat, ist der Verwaltungsakt nach § 54 Abs 2 SGG nur bei Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch rechtswidrig. Das Gericht hat dazu die Voraussetzungen des Ermessens festzustellen und insbesondere auch zu prüfen, ob der Disziplinarausschuss von einem richtigen und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich von sachgerechten Gründen hat leiten lassen. Dabei ist es auf die im Verwaltungsakt mitgeteilten Ermessenserwägungen beschränkt. Kommt das Gericht zum Ergebnis, der Disziplinarausschuss habe seiner Entscheidung in fehlerhafter Weise Tatsachen zugrunde gelegt, führt die Verengung des zugrunde liegenden Sachverhalts nicht zwingend dazu, dass der Disziplinarausschuss sein Ermessen neu ausüben muss. Allerdings darf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Disziplinarbescheids durch das Gericht nicht im Widerspruch zu den dargelegten Ermessenserwägungen des Disziplinarausschusses stehen. Uneingeschränkt durch die Gerichte überprüfbar ist hingegen die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vertrags(zahn)arztes eine disziplinarisch zu ahndende Pflichtverletzung darstellt (BSGE 62, 127). Im Rahmen der Prüfung, ob die Behörde den richtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt hat, darf das Gericht die maßgeblichen Tatsachen abweichend feststellen und Beweismittel anders würdigen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer Sozialgerichtsgesetz, 9.A., § 54 Rd. 28b).
III)
Hieran gemessen erweist sich die Entscheidung des Disziplinarausschusses über die Auferlegung einer Geldbuße als rechtswidrig. Denn er hat das Gesamtergebnis des Verfahrens dadurch nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt, dass er teils gewichtige Umstände nicht in seine Beweiswürdigung einbezogen hat, teils auf unzutreffende Erwägungen abgestellt hat. Maßgeblich ist insoweit einzig der Inhalt des Bescheids des Disziplinarausschusses vom 6. September 2006; Erwägungen und Umstände, die darin nicht wiedergegeben werden, sind unbeachtlich, auch wenn sie möglicherweise von den Mitgliedern des Disziplinarausschusses für die Entscheidungsfindung tatsächlich von Bedeutung waren.
1) Der Disziplinarausschuss hat seine Schlussfolgerung, dass der Kläger „tatsächlich Kick-back-Zahlungen erhalten hat und ihm auch Grund bzw. Zweck dieser Rückvergütungen bekannt waren“, aus folgenden Umständen abgeleitet:
- der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a StPO (und nicht nach § 170 Abs. 2 StPO),
- „Aufzeichnungen aus der Datenbank der Fa. G“,
- den für glaubhaft gehaltenen Aussagen von J B vom 17. Juli 2003 und O J M vom 12. Oktober 2004,
- den für glaubhaft gehaltenen Aussagen „der Beschuldigten in parallelen Verfahren“, die es abwegig erscheinen ließen, dass „entgegen allen anderen Zahnärzten der Betroffene im hiesigen Verfahren trotz derselben Wahl der „Komfort-Variante“ keine „Kick-back-Zahlungen“ durch die Fa. G erhalten haben will“,
- der „Dokumentation der Deutschen Post AG (Rechnung Euro Express)“.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden.
a) Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO hätte der Disziplinarausschuss nicht als eigenständiges Indiz werden dürfen. Denn mit einer Einstellung nach § 153a StPO wird keine Entscheidung darüber getroffen, ob der Beschuldigte die ihm durch die Anklage vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht. Eine Einstellung nach § 153a StPO setzt keinen Nachweis der Tat des Angeklagten voraus. Dies entspricht auch dem Gebot der Unschuldsvermutung. Dabei handelt es sich um eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, die auch kraft Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes ist. Die Unschuldsvermutung verlangt, dass dem Täter in einem justizförmig geordneten Verfahren, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten gewährleistet, Tat und Schuld nachgewiesen werden müssen. Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (BVerfG NJW 1991, 1530). Dies heißt freilich nicht, dass eine Einstellung nach § 153a StPO einer eigenständigen Würdigung und Bewertung der strafgerichtlichen Verfahrensakten in einem Disziplinarverfahren entgegenstünde. Dem Disziplinarausschuss ist es nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung etwa im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Schlussfolgerungen für ein disziplinarrechtlich zu ahndenden Verhalten ergeben (vgl. BVerfG a.a.O.).
b) Hinsichtlich der Aussagen von J B vom 17. Juli 2003 hat der Disziplinarausschuss nicht in seine Überlegungen eingestellt, dass seine Angaben nach eigenem Bekunden auf intensiver, wochenlanger Vorarbeit beruhen und er somit im Hinblick auf die konkret den Kläger betreffenden Angaben offensichtlich nur schriftlich fixierte Informationen wiedergibt, nicht aber aus eigener Erinnerung oder Beobachtung über den Empfang von Kick-back-Zahlungen durch den Kläger berichtet. Der konkret den Kläger betreffende Informationsgehalt dieser Aussage geht somit nicht über die in den Datenbankaufzeichnungen der G bereits enthalten Daten, welche der Disziplinarausschuss ebenfalls verwertet hat, hinaus.
Hinsichtlich der Aussagen von O J M vom 12. Oktober 2004 durfte der Disziplinarausschuss als Indiz für deren Glaubhaftigkeit nicht darauf abstellen, dass er sich mit dieser Aussage auch selbst belastete. Denn am 12. Oktober 2004 war dieser G-Mitarbeiter bereits rechtskräftig verurteilt, sodass eine (weitere) Selbstbelastung durch seine Angaben an diesem Tag nicht eintreten konnte. Unbeachtlich ist, dass die Staatsanwaltschaft O J M an diesem Tag – ausweislich des Vernehmungsprotokolls – als Beschuldigten vernahm. Hierbei dürfte es sich um ein Versehen handeln. Jedenfalls ist weder dem angefochtenen Bescheid des Disziplinarausschusses noch den gesamten dem Senat von der Beklagten zur Verfügung gestellten Unterlagen zu entnehmen, wegen welcher weiterer Straftat die Vernehmung an diesem Tag erfolgte.
Im Übrigen hat der Disziplinarausschuss nicht berücksichtigt, dass sich die Bereitschaft zu umfänglichen geständigen Einlassungen nicht nur nachteilig, sondern auch strafmildernd auswirken kann (vgl. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 28.A., § 46 Rd. 41a m.w.N.).
c) Bezüglich der Aussagen „der Beschuldigten in parallelen Verfahren“ bleiben Zweifel, ob damit Zahnärzte oder Mitarbeiter der o.g. Dentalhandelsgesellschaften gemeint sind. Welche konkreten Angaben welcher Personen verwertet wurden, bleibt daher offen.
d) Aus der Rechnung der Deutschen Post AG vom 12. Februar 2002 mag im Zusammenspiel mit den Angaben der G-Mitarbeiter zu entnehmen sein, dass der Kläger am 6. Februar 2002 vor 12 Uhr eine Postsendung erhalten hat, wie sie üblicherweise für den Versand der Kick-back-Zahlungen verwandt wurde. Sie lässt jedoch in keiner Weise Rückschlüsse auf den ggf. übersandten Betrag zu. Da die Bargeldsendungen nach den Angaben von O J M jeden Monat verschickt wurden, wäre die o.g. Rechnung allenfalls ein starkes Indiz dafür, dass der Kläger einmal, und zwar im Februar 2002, eine Kick-back-Zahlung tatsächlich erhalten hat. Da aber (offensichtlich) keine weiteren Rechnungen der Deutschen Post AG mit der Frachtbriefnummer der A S GmbH gefunden wurden, ist der Schluss auf die mehrfache Auslieferung solcher Bargeldsendungen unzulässig. Und sogar dann, wenn die Postsendung vom 6. Februar 2002 den gesamten von den G-Mitarbeitern ermittelten Kick-back-Betrag von 526,94 € (ggf. auf- oder abgerundet) enthalten hätte, wären der o.g. Rechnung – entgegen der Darstellung des Disziplinarausschusses – keinerlei Indizien für den Empfang eines weiteren Kick-back-Betrags i.H.v. 695.- € durch die Fa. a d zu entnehmen (siehe hierzu auch sogleich).
e) Selbst wenn man zugunsten der Beklagen annähme, es sei aufgrund der vom Disziplinarausschuss genannten Indizien der Nachweis erbracht, dass der Kläger Kick-back-Zahlungen von der Fa. G erhalten habe, fehlt es an Tatsachen, aufgrund derer der Disziplinarausschuss zur Annahme gelangt, der Kläger habe von der Fa. a d Kick-back-Zahlungen i.H.v. 695.- € erhalten. Zu diesem Tatkomplex finden sich im angefochtenen Beschluss des Disziplinarausschusses außer der Angabe des vermeintlichen Kick-back-Gesamtbetrags keine Feststellungen. Weder wurde von dieser Firma eine Leistungsvariante mit der Bezeichnung „Komfort“ angeboten – sie hieß, bei weitgehend gleichem Inhalt, vielmehr „Premium“ –, noch finden sich irgendwelche Ausführungen zur Frage, in welcher Form dem Kläger oder auch anderen Zahnärzten Kick-back-Zahlungen zugeflossen sind. Insbesondere konnten die G-Mitarbeiter B, T und O J M, die im Beschluss vom 14. Juni 2006 wiederholt zitiert werden, keinerlei Angaben zu den Verhältnissen der Fa. a d machen, da sie dieser nicht angehörten. Auf die insoweit einschlägigen Aussagen der a d-Mitarbeiter C, K und K hat sich der Disziplinarausschuss nicht bezogen. Sie sind bezüglich des Zahlungswegs auch nicht ergiebig. Zwar hat O K, teilweise übereinstimmend mit A K, angegeben, der Außendienstmitarbeiter S sei auch für a d tätig gewesen und habe die jeweiligen Kick-back-Beträge an die Zahnärzte in bar ausgezahlt. B S hat eine Tätigkeit für die Fa. a d jedoch anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung vehement bestritten und auch das strafgerichtliche Urteil vom 19. Juli 2007 erwähnt nur seine Tätigkeit für die Fa. G.
2) Hat der Disziplinarausschuss somit einerseits entscheidungsrelevante Umstände unberücksichtigt gelassen und andererseits sein Ergebnis teilweise auf rechtlich unbeachtliche Erwägungen gestützt, führt dies zur Fehlerhaftigkeit seiner Beweiswürdigung insgesamt. Die vom Senat dargelegten Beanstandungen betreffen nicht nur Randbereiche, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt nur unwesentlich verändern. Insbesondere die – vom Disziplinarausschuss immerhin an erster Stelle erwähnten – unzulässigen Schlussfolgerungen aus der Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO und die fehlenden Hilfstatsachen (Indizien) für den Empfang von Kick-back-Zahlungen durch die Fa. a d zwingen dazu, die Beweiswürdigung durch den Disziplinarausschuss insgesamt zu beanstanden.
3) Die Entscheidung des Disziplinarausschusses über die Auferlegung einer Geldbuße erweist sich darüber hinaus aus den Überlegungen des Sozialgerichts, welche nicht nur die Beweiswürdigung als fehlerhaft angesehen, sondern in zulässiger Weise eine eigenständige Beweiswürdigung mit abweichendem Ergebnis vorgenommen hat, als rechtswidrig. Auf die Ausführungen des Sozialgerichts verweist der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG.
IV)
Auch die Entscheidung des Disziplinarausschusses über die Kostentragung ist rechtswidrig.
Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 DiszO können die Kosten des Verfahrens dem betroffenen Zahnarzt ganz oder zum Teil auferlegt werden, wenn eine Maßnahme nach § 14 der Satzung – diese Vorschrift enthält u.a. den Katalog möglicher Disziplinarmaßnahmen – ausgesprochen ist. Nachdem der Senat die durch den Disziplinarausschuss auferlegte Geldbuße aufgehoben hat, fehlt es an einer Maßnahme nach § 14 der Satzung, die eine Kostentragung des klagenden Zahnarztes nach sich ziehen könnte. Dass die Voraussetzungen von § 13 Abs. 4 Satz 2 DiszO – Kostentragung des Zahnarztes bei von ihm verschuldeter Vertagung der mündlichen Verhandlung – vorliegen, wurde vom Disziplinarausschuss nicht festgestellt und ist auch anderweitig nicht ersichtlich.
V)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.