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Asylrecht aus Kartenart 1, 4


Metadaten

Gericht VG Potsdam 6. Kammer Entscheidungsdatum 03.12.2013
Aktenzeichen VG 6 K 3592/13.A ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 3 Abs 1 AsylVfG

Leitsatz

Die offenbar durchgängig den subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG eröffnenden Rückkehrerbefragungen syrischer Stellen begründen alleine wegen einer illegalen Ausreise, eines im Ausland gestellten Asylantrages und/oder eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts nicht zugleich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens je zu 1/4; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Nach ihrer 2011 erfolgten Einreise ins Bundesgebiet brachten sie bei der Außenstelle ... des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylanträge an, zu deren Begründung sie sich auf eine allgemeine Diskriminierung durch die arabische Mehrheitsbevölkerung und den Wunsch nach einer besseren Zukunft für die Kinder stützten; eine politische Betätigung sowie konkrete Begebenheiten als Anlass der Ausreise aus Syrien gaben sie nicht an. Mit seit dem 3. Mai 2012 bestandskräftigen Bescheiden vom 16. April 2012 lehnte das Bundesamt die Asylanerkennung sowie eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hinsichtlich aller Kläger ab; es erkannte ihnen indes mit Blick auf die derzeitige Lage in Syrien subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG (i.d.F. der bis zum 30. November 2013 geltenden Bekanntmachung vom 25. Februar 2008, BGBl. I S. 161 - AufenthG a.F. -) zu.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 8. August 2013, eingegangen am Folgetag, beantragten die Kläger unter Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung beim Bundesamt (erneut) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil sich die Verhältnisse in Syrien weiter verschlechtert hätten und Rückkehrern aus dem Ausland wegen einer illegalen Ausreise, einer Asylantragstellung und eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung eine Gruppenverfolgung drohe. Außerdem habe sich der Kläger zu 1. anlässlich einer Demonstration am 1. Februar 2012 exilpolitisch betätigt.

Mit am Folgetag zur Post gegebenem Bescheid vom 28. August 2013 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hinsichtlich aller Kläger ab. Die exilpolitische Betätigung habe der Kläger lediglich zur Erlangung der Flüchtlingseigenschaft entfaltet und hätte im Asylerstverfahren vorgetragen werden können; sie belege auch keine Fortsetzung einer bereits in Syrien eingenommenen politischen Haltung.

Mit ihrer am 5. September 2013 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihren Folgeantrag unter Vertiefung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren weiter. Hierzu verweisen sie auf entsprechende Rechtsprechung, namentlich zur Vermutung eines politischen Einschlags von Folter als Mittel des syrischen Regimes zur Erlangung irgendwelcher Informationen z.B. hinsichtlich der politischen Exilszene, sowie auf eine Änderung der Anerkennungspraxis des Bundesamtes im Zusammenhang mit Rekrutierungen zum Armeedienst.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. August 2013 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 9. Oktober 2013 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, der mit Beschluss vom 10. Oktober 2013 wegen der gegenläufigen Rechtsprechung zur Bewertung der inmitten stehenden Fragen Prozesskostenhilfe bewilligt hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Bundesamtsvorgänge (Erst- und Folgeverfahren) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg. Der angegriffene Bundesamtsbescheid erweist sich in Ansehung aller im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erkennbaren Umstände als rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, da sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylVfG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474 - AsylVfG n.F. -) nach wie vor nicht zu beanspruchen vermögen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

In Anbetracht der bestandskräftigen Bescheide vom 16. April 2013 kommt hier nur dann eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Frage, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gegeben sind (§ 71 Abs. 1 1. Hs. AsylVfG), unter den gegebenen Umständen also bei Vorliegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten der Kläger (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder bei Vorliegen neuer Beweismittel (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Beide hier denkbaren Voraussetzungen für eine begünstigende Entscheidung des Bundesamtes liegen derzeit (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nicht vor.

Soweit sich die Kläger auf eine (einzige) Demonstrationsteilnahme des Klägers zu 1. am 1. Februar 2012 berufen, steht ihrer Klage die zutreffende Annahme des Bundesamts im angegriffenen Bescheid entgegen, dass es sich um einen Umstand handelt, den sie bereits im Asylerstverfahren hätten geltend machen können (vgl. § 51 Abs. 2 VwVfG), sowie das Erfordernis, derlei vermeintlich neuen Umstände innerhalb von drei Monaten anbringen zu müssen (§ 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG). Es lässt sich schon im Ansatz nicht erkennen, dass es den Klägern nicht zumutbar oder möglich hat sein sollen, jene Demonstrationsteilnahme rechtzeitig beim Bundesamt glaubhaft zu machen. Daher kann dahingestellt bleiben, ob sich außer dem Kläger zu 1. auch die übrigen Kläger überhaupt auf die geltend gemachte exilpolitische Betätigung als Grund eines eigenen Anerkennungsanspruchs berufen können.

Soweit sich die Kläger auf die in der Rechtsprechung unterschiedlich bewertete allgemeine Situation berufen, in welcher sich syrische Rückkehrer insbesondere bei illegaler Ausreise, mehrjährigem Auslandsaufenthalt und nach Asylantragstellung befinden, und weiter sinngemäß geltend machen, dem Kläger zu 1. drohe eine (Zwangs-)Rekrutierung zur in Kriegsverbrechen involvierten syrischen Armee, vermag ihnen das Gericht nicht beizutreten. Hinsichtlich der allgemeinen Gefahrenlage hat sich die Situation in Syrien gegenüber April 2012 nicht grundlegend verändert; das Gericht vermag ferner nicht zu erkennen, dass die Foltergefahren, die dem den Klägern zugesprochenen subsidiären Schutz zugrunde liegen, an für das Flüchtlingsschutzversprechen maßgebliche individualisierbare tatsächliche oder vermutete Persönlichkeitseigenschaften der bisher völlig unpolitisch in Erscheinung getretenen Kläger anknüpfen, was im Übrigen ebenfalls bereits im Asylerstverfahren hätte angebracht werden können. Schließlich bezieht sich die von den Klägern angeführte Änderung der Verwaltungspraxis des Bundesamtes offensichtlich auf glaubhaft gemachte Fälle, in denen sich syrische Wehr- bzw. Reservedienstpflichtige dem konkret drohenden Wehrdienst entzogen haben, was beim hier allein in den Blick zu nehmenden Kläger zu 1. nicht der Fall war.

Nach der Überzeugung des Gerichts steht den Klägern mit Blick auf die nach wie vor desaströsen Verhältnisse in Syrien kein Flüchtlingsschutz zu, etwa wegen des in Deutschland angebrachten Asylantrages oder wegen ihrer illegalen Ausreise oder des illegalen Verbleibs im Ausland.

Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich die Kläger bei einer Rückkehr in ihre Heimat Nachstellungen seitens des Assad-Regimes ausgesetzt sehen müssen, die an die vom Flüchtlingsschutzversprechen umfassten Persönlichkeitsmerkmale anknüpfen und über das hinausgehen, was mit dem ihnen zuerkannten Folterschutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG a.F.; jetzt: § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG n.F.) umfasst ist. Es gibt keinen stichhaltigen Anhalt dafür, dass unverfolgt illegal ausgereiste Rückkehrer nach Syrien, die sich im Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt haben, schlechthin angesichts der Repression des syrischen Staates in Bezug auf Oppositionelle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt werden. Solche Rückkehrer unterliegen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher Behandlung bei den üblichen Rückkehrerbefragungen; dies allein begründet aber keinen Anspruch auf Anerkennung als politisch Verfolgter (so auch OVG NW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 A 1517/13.A -, juris). Es ist bekannt, dass die syrischen Stellen Rückkehrer gezielt befragen; es mag sein, dass dies auch dazu dient, etwaige politische Widersacher im Ausland zu identifizieren. Die Zielrichtung der Rückkehrerbefragungen ist konturlos und ins Blaue gerichtet. Der bloße Umstand, dass das Informationsinteresse des Regimes – auch – politisch motiviert sein mag, reicht für die Annahme einer politischen Verfolgung des Verhörten nicht aus. Dafür ist bei Maßnahmen zur Aufklärung von Verdächten zumindest erforderlich, dass die politisch verfolgte Person, derentwegen die Aufklärungsmaßnahme ergriffen wird, dem persönlichen Umfeld des Verhörten zugerechnet werden kann (vgl. insoweit BVerfG, Beschluss vom 28. Januar 1993 - 2 BvR 1803/92 -, juris). Eine solche persönlich-individuelle Unterstellung einer politischen Gegnerschaft des jeweiligen Rückkehrers kann indes nicht allgemein angenommen werden, also ohne dass eine individuell zuzurechnende Verbindung zwischen potenziellem Verhöropfer und sich – tatsächlich oder vermeintlich – oppositionell betätigendem Dritten besteht. Es ist lebensfremd, davon auszugehen, das syrische Regime habe Mittel und Kapazitäten, in der Masse der sich seit nunmehr bald drei Jahren erhebenden Bevölkerung all jene identifizieren zu können, die sich – zumal als Mitläufer oder selbst in einer Opferrolle – an oppositionellen Betätigungen irgendwie beteiligt haben oder ihnen Unterstützung haben angedeihen lassen. Dabei kann es auch dem syrischen Regime nicht verborgen geblieben sein, dass sich tausende syrische Staatsangehörige ins Ausland abgesetzt haben, um den widrigen Verhältnissen vor Ort zu entgehen, ohne dass sie sich selbst politisch betätigt haben, und dass sich unter den Bürgerkriegsflüchtlingen auch eine Vielzahl solcher befindet, die vor den Übergriffen der mit dem syrischen Regime verfeindeten mehrgesichtigen Opposition ins Ausland geflohen sind. Es gibt keinen stichhaltigen Beleg dafür, dass all diesen Flüchtlingen wegen unterstellter oppositioneller Aktivitäten gezielt nachgestellt werden wird. Nur wenn es als hinreichend gesichert gelten muss, dass der jeweilige Rückkehrer selbst als tatsächlicher oder vermeintlicher gegnerischer Aktivist in den Fokus des syrischen Regimes geraten ist, erwächst ihm über die allgemeine Foltergefahr hinaus die beachtliche Wahrscheinlichkeit eigener politischer Verfolgung. Die Kläger haben insoweit indes nichts glaubhaft zu machen vermocht. Die von ihnen beanspruchte Gleichsetzung subsidiären Schutzbedarfs (hier nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG n.F.) mit den Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylVfG übersieht die bei letzterem in der hier konkret betroffenen Konstellation maßgebliche persönliche Betroffenheit in Bezug auf das einschlägige Persönlichkeitsmerkmal. Dies ist besonders augenfällig in Bezug auf die Kläger zu 2. bis 4., hinsichtlich derer bei lebensnaher Betrachtung mangels diesbezüglicher Anhaltspunkte nicht auch nur ansatzweise beachtlich wahrscheinlich unterstellt werden dürfte, sich selbst im Ausland politisch betätigt bzw. Kontakte zur politischen Opposition gepflegt zu haben.

Hinsichtlich der von den Klägern – wiederum sinngemäß allenfalls für den Kläger zu 1. – geltend gemachten Gefahr einer Zwangsrekrutierung finden sich im von ihnen zitierten Länderbericht des britischen Home Office vom 11. September 2013 (umstrittene) Berichte dazu, dass (nur) Studenten und bis zu 35 Jahre alte Männer zur Armee eingezogen werden (a.a.O. Rn. 9.16), Voraussetzungen, die auf den Kläger zu 1. nicht zutreffen. Es kann überdies bezweifelt werden, dass beim kurdischen Kläger zu 1. ein Reservedienst in Betracht kommt; Anhaltspunkte hierfür hat er jedenfalls nicht einmal dargetan.

Das Gericht verbleibt bei der Annahme, dass (lediglich) bei Vorliegen nachvollziehbarer konkreter Indizien dafür, dass die betroffene Person als potenzielle Opponentin in den Blick der syrischen Stellen geraten ist bzw. gerät, über die allgemeine Gefahr unmenschlicher Behandlung i.S.d. Folterverbots hinaus eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 AsylVfG n.F. gebietende Gefahr gegeben ist.

Die Kostenfolge beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO; 100 Abs. 1 ZPO; 83b AsylVfG.