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Erstattungsanspruch einer landwirtschaftlichen BG nach § 175 SGB 7 gegenüber anderen BG bei vorübergehender unfallbringender Tätigkeit eines höherverdienenden, dort versicherten Beschäftigten - Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 111 SGB 10 auf Erstatungsfälle nach § 175 SGB 7


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 26.06.2014
Aktenzeichen L 3 U 175/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 175 SGB 7, §§ 102ff SGB 10, § 37 SGB 1

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.925,72 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Erstattungsanspruchs nach § 175 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) um die Anwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 111 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Herr R geboren 1962, erlitt am 04. Mai 2007 im landwirtschaftlichen Unternehmen seines Vaters als mithelfender Familienangehöriger einen Unfall, den die Klägerin mit Bescheid vom 04. November 2008 als Versicherungsfall anerkannte. Im Haupterwerb war Herr R als Pförtner bei der Polizeidirektion S tätig, was der Klägerin seit dem 01. Juni 2007 bekannt war.

Mit Schreiben vom 17. September 2008, bei der Beklagten am 22. September 2008 eingegangen, teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass die Voraussetzungen für einen Lastenausgleich nach § 175 SGB VII vorlägen, und bat um Mitteilung, ob die Beklagte zum Lastenausgleich bereit sei. Die Beklagte bejahte die Frage dem Grunde nach, sie prüfe jedoch, ob eine Erstattung der Aufwendungen nach § 111 SGB X für die Zeit vor dem 22. September 2007 (Eingang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs der Klägerin) ausgeschlossen sei (Schreiben vom 07. Oktober 2008).

Die Klägerin machte mit drei Schreiben vom 10. November 2008 Erstattungsansprüche wegen Mehraufwendungen für das an Herrn R in der Zeit vom 14. Mai bis zum 16. September 2007 und vom 04. März bis zum 13. April 2008 kalendertäglich gezahlte Verletztengeld (VG) zuzüglich der Sozialversicherungsbeiträge (SV-Beiträge) und Verwaltungskosten sowie für die in der Zeit vom 17. September 2007 bis zum 16. Juli 2008 gezahlte Verletztenrente (VR) geltend. Die Beklagte kürzte den geltend gemachten Betrag auf 2.896,50 € mit der Begründung, der Erstattungsanspruch nach § 175 SGB VII für die vor dem 22. September 2007 erbrachten Aufwendungen sei nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen (Schreiben vom 20. November 2008). Die Klägerin bestand weiterhin auf einer Erstattung der Mehraufwendungen für Leistungen vor dem 22. September 2007 in Höhe von insgesamt 5.925,72 € mit der Begründung, dass § 111 SGB X auf den eigenständigen Erstattungsanspruch nach § 175 SGB VII keine Anwendung finde. Eine Einigung über ihre unterschiedlichen Rechtsauffassungen gelang den Beteiligten nicht (Schreiben der Klägerin vom 08. und 16. Dezember 2008, 14. Januar und 30. November 2009, Schreiben der Beklagten vom 06. Januar und 03. Dezember 2009).

Am 28. Januar 2010 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) Klage erhoben und vorgetragen, die Regelung des § 111 SGB X finde auf den Erstattungsanspruch des § 175 SGB VII keine Anwendung. Zwar zeige die zu § 111 SGB X ergangene Rechtsprechung, dass diese Regelung nicht nur auf die Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. SGB X Anwendung finde. Jedoch habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass § 111 SGB X z. B. für Erstattungsansprüche nach §§ 19, 21 Bundesversorgungsgesetz (BVG) keine Anwendung finde (Urteile vom 31. Mai 1989 - 9/9a RV 12/87 - und vom 06. März 1990 - 9a RV 10/90 -). Hiernach sei die Anwendbarkeit des § 111 SGB X zu verneinen, wenn ein geschlossenes Regelwerk vorliege oder wenn es sich um einen Anspruch anderer Art als nach §§ 102 ff. SGB X handele. Dies sei bei der Erstattungsnorm des § 175 SGB VII der Fall. Die Erstattungsansprüche der §§ 102 ff. SGB X setzten voraus, dass letztendlich ein unzuständiger Leistungsträger geleistet habe. Der Gesetzgeber habe jedoch mit der Regelung des § 175 SGB VII den Sozialversicherungsträgern untereinander einen originären Lastenausgleichsanspruch aus ordnungspolitischen Gründen eingeräumt. Hier gehe es nicht darum, dass ein Leistungsträger zu Unrecht geleistet habe, sondern die zu Recht erbrachten Aufwendungen würden „auf mehrere Schultern“ verteilt. Somit sei die Ausrichtung und damit der Zweck des Erstattungsanspruchs in § 175 SGB VII ein anderer als in §§ 102 ff. SGB X. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Auch wenn § 111 SGB X in der Regelung des § 175 SGB VII nicht genannt werde, bedeute dies nicht automatisch, dass die §§ 102 ff. SGB X generell ergänzend heranzuziehen seien. Sogenannte abweichende Regelungen im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I könnten sich auch aus der Struktur, der Systematik und dem Zweck einer Regelung ergeben. Dies zeige ganz besonders die Entwicklung der §§ 19, 20 BVG. Die erwähnte Rechtsprechung des BSG habe dazu geführt, dass § 21 Abs. 1 BVG um den letzten Satz ergänzt worden sei, durch den § 111 SGB X kraft gesetzlicher Verweisung auch für Ansprüche nach §§ 19, 20 BVG gelte. Eine solche Verweisung enthalte § 175 SGB VII aber gerade nicht.

Das SG Frankfurt (Oder) hat die Klage mit Urteil vom 21. Mai 2012, der Klägerin zugestellt am 20. Juni 2012, abgewiesen. Es liege zwar ein Fall des § 175 SGB VII vor. Die Klägerin habe gegen die Beklagte jedoch keinen Anspruch auf Zahlung der beanspruchten 5.925,72 €, weil dieser Erstattungsanspruch für die in der Zeit vor dem 22. September 2007 erbrachten Leistungen nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen sei. Die Klägerin habe ihren Erstattungsanspruch für erbrachte Leistungen im Versicherungsfall des Herrn R bei der Beklagten erst am 22. September 2008 und damit nach Ablauf der 12-Monats-Frist des § 111 Satz 1 SGB X, geltend gemacht. Die Vorschrift des § 111 SGB X sei nach Wortlaut, Sinn, Zweck und Normensystematik der §§ 37 SGB I, 175 SGB VII, 102 ff. SGB X auch auf Erstattungsansprüche nach § 175 SGB VII anwendbar. Nach § 37 Satz 1 HS 1 SGB I gälten das SGB I und das SGB X für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergebe. Damit gelte, sofern in den besonderen Teilen des SGB keine abweichenden Regelungen enthalten seien, § 111 SGB X auch in den besonderen Teilen des SGB für Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern, die denen nach §§ 102 ff. SGB X vergleichbar seien (Hauck/Noftz/Klattenhoff, SGB X Kommentar, § 111 Rn. 1, 9 ff; für die Vorgängervorschrift des § 175 SGB VII, den § 788 Reichsversicherungsordnung <RVO>: Kitzhöfer, § 788 RVO und Regreß, in: Versicherungsrecht 1991, 860-863, 861 f). Bei § 175 SGB VII handele es sich ebenso wie bei den §§ 102 ff SGB X um „Erstattungsansprüche“ zwischen verschiedenen Leistungsträgern. § 111 SGB X beziehe sich vom Wortlaut her ebenfalls auf einen „Anspruch auf Erstattung“. Mangels entgegenstehender Regelungen i. S. von Abweichungen oder Modifizierungen im SGB VII und SGB X bestehe daher zunächst eine Vermutung dahingehend, dass § 111 SGB X auch auf § 175 SGB VII Anwendung finde. Denn es bedürfe keiner ausdrücklichen Regelung in den Besonderen Teilen, dass eine Bestimmung des SGB I oder des SGB X Anwendung finde; vielmehr sei nur dann eine Regelung zu treffen, wenn dies nicht der Fall sein solle (Mrozynski, SGB I Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 37 Rn. 3). Die gegenteilige Rechtsauffassung (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Handkommentar Gesetzliche Unfallversicherung, § 111 SGB X Rn. 1) lasse eine Auseinandersetzung mit § 37 SGB I vermissen und setze sich auch speziell mit § 175 SGB VII nicht auseinander.

Auch Sinn und Zweck des § 175 SGB VII spreche für die Anwendbarkeit des § 111 SGB X. § 175 SGB VII wolle die Beitragszahler der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften (BG'en) von Aufwendungen entlasten, die nicht auf eine landwirtschaftliche Tätigkeit zurückzuführen seien und diene damit der Stützung der Landwirtschaft (Lauterbach/Deisler, Unfallversicherung [SGB VII]) Kommentar, 4. Aufl., 25. Lfg. Mai 2005, § 175 Rn. 4). § 111 SGB X lege demgegenüber generell fest, dass mit der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nicht unbegrenzte Zeit gewartet werden dürfe. Die Ausschlussfrist des § 111 SGB X bezwecke, dass der Erstattungspflichtige in kurzer Zeit nach der Leistungserbringung wisse, welche Ansprüche auf ihn zukommen werden, so dass er ggfs. für die zu erwartenden Belastungen entsprechende Rückstellungen vornehmen könne. Zum anderen diene die kurze Frist der raschen Abwicklung des Erstattungsverfahrens. Der Gesetzgeber habe daher den Beginn der Ausschlussfrist von leicht feststellbaren, objektiven Umständen (Leistungserbringung, Ablauf des Zeitraums, für den sie erfolgte) abhängig gemacht (BSG, Urteil vom 19. März 1996 – 2 RU 22/95 – Rn. 20, zit. n. Juris; Kasseler Kommentar/Kater, § 111 SGB X Rn. 2). Dieser Sinn und Zweck von § 111 SGB X stehe auch nicht im Gegensatz zu Sinn und Zweck des § 175 SGB VII, der eine Privilegierung der landwirtschaftlichen BG’en bzw. der diese finanzierenden landwirtschaftlichen Betriebe enthalte, aber zu Lasten der materiell-rechtlich unzuständigen anderen gewerblichen BG‘en bzw. Unfallkassen gehe. Wenn schon der materiell-rechtlich tatsächlich zuständige Leistungsträger dadurch privilegiert werde, dass er in Fällen des § 105 SGB X (Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers gegen den zuständigen) nur zeitlich begrenzt Erstattungsansprüchen ausgesetzt werde, müsse dies erst recht für einen materiell-rechtlich unzuständigen Leistungsträger wie den Erstattungspflichtigen im Fall des § 175 SGB VII gelten. Die landwirtschaftlichen BG‘en seien durch den Erstattungsanspruch gegen den unzuständigen Unfallversicherungsträger ohnehin schon privilegiert. Für eine doppelte Privilegierung durch Nichtanwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 111 SGB X sei kein rechtliches Bedürfnis ersichtlich. Die landwirtschaftlichen BG’en erführen als erste von dem Versicherungsfall und seien daher gehalten, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Es bestehe kein praktisches Bedürfnis, ihnen eine längere Frist zur Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nach § 175 SGB VII gegen andere Unfallversicherungsträger einzuräumen. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb sie nicht vorsorglich Erstattungsansprüche bei den anderen Unfallversicherungsträgern anmelden und auch Ermittlungen zu den Voraussetzungen des § 175 SGB VII durchführen könnten. Vielmehr sei der hinter § 111 SGB X stehende Rechtsgedanke, dass nach längerem Zeitablauf Rechtsfrieden und finanzielle Planungssicherheit der Leistungsträger wichtiger seien als die Herstellung von Gerechtigkeit durch einen Lastenausgleich zwischen Leistungsträgern, grundsätzlich auch mit dem Sinn und Zweck von § 175 SGB VII vereinbar.

Die Vorschrift des § 175 SGB VII gebiete auch nicht aufgrund ihrer Systematik oder wegen eines abweichenden Strukturprinzips die Nichtanwendbarkeit der §§ 102 ff. SGB X. Sog. abweichende Strukturprinzipien eines Besonderen Teils könnten dazu führen, dass eine Vorschrift des SGB I oder SGB X nicht anwendbar sei. Praktische Bedeutung hätten abweichende Strukturprinzipien bisher nur in der Sozialhilfe erlangt (Mrozynski, a.a.O., § 37 Rn. 11). § 175 SGB VII sei zwar systematisch nicht direkt mit einem der Erstattungsansprüche der §§ 102 ff SGB X vergleichbar, weise aber von seiner Struktur und Zielsetzung her Gemeinsamkeiten insbesondere mit den Erstattungsansprüchen nach § 103 SGB X und § 104 SGB X auf, bei denen die Erstattungsberechtigten – ebenso wie die landwirtschaftlichen BG‘en – nicht unzuständige Leistungsträger seien, sondern jedenfalls bei Leistungserbringung für diese Leistung tatsächlich zuständig gewesen seien. Beide Vorschriften verfolgten ebenso wie der Erstattungsanspruch nach § 175 SGB VII das Ziel, letztlich eine materiell gerechte Verteilung der Belastungen zwischen verschiedenen Leistungsträgern herzustellen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin seien die durch das BSG in den Urteilen zu §§ 19, 20 BVG (Urteile vom 31. Mai 1989 - 9/9a RV 12/87 - und vom 29. Mai 1991 - 9a RV 10/90 -) entwickelten Grundsätze zum geschlossenen Regelwerk betreffend die Leistungserbringung durch die Krankenversicherungsträger bzw. zu Ersatzansprüchen wegen Leistungen aufgrund eines gesetzlichen Auftrags nach dem Vorbild des § 670 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und zur Unanwendbarkeit der §§ 102 ff SGB X nicht auf den hier vorliegenden Fall übertragbar. So fänden sich im Sechsten Kapitel des SGB VII keine Regelungen für das Verhältnis zwischen den landwirtschaftlichen BG'en und den übrigen Trägern bezüglich Rangfolge, Erfüllung, Rückerstattung, Verjährung oder Fristberechnung. Auch könne von einer Dauerrechtsbeziehung zwischen den landwirtschaftlichen BG'en und den übrigen Unfallversicherungsträgern, wie sie das BSG zwischen den Krankenversicherungen und der Versorgungsverwaltung sehe, nicht ausgegangen werden. Zudem bestehe zwischen den landwirtschaftlichen BG'en und den übrigen Unfallversicherungsträgern in Bezug auf die Entschädigung der vorübergehend in der Landwirtschaft tätigen Verletzten kein auftragsartiges Verhältnis. Vielmehr handele es sich bei § 175 SGB VII um einen gesetzgeberisch gewollten Lastenausgleich zwischen zwei Unfallversicherungsträgern, die ansonsten überhaupt nicht in einer Rechtsbeziehung miteinander stünden, also um eine vergleichbare Konstellation wie in den Erstattungsansprüchen nach §§ 102 ff. SGB X.

Da nach alledem § 111 Satz 1 SGB X Anwendung finde, sei der Anspruch der Klägerin wegen Ablaufes der 12-Monats-Frist ausgeschlossen. Die Klägerin habe am 01. Juni 2007 Kenntnis davon erlangt, dass Herr R im Haupterwerb als Pförtner bei der Polizeidirektion S und damit im Zuständigkeitsbereich der Beklagten tätig sei. Die einen abweichenden Fristbeginn regelnde Vorschrift des § 111 Satz 2 SGB X sei nicht anwendbar, weil die Beklagte nicht selbst eine materiell-rechtliche Entscheidung über den von der Klägerin anerkannten Versicherungsfall habe treffen können. In den Fällen des § 175 SGB VII sei der erstattungspflichtige Leistungsträger an die Feststellung des Versicherungsfalls durch die landwirtschaftlichen BG‘en gebunden (BSG, Urteil vom 10. August 1999 - B 2 U 22/98 R- Rn. 22, in Juris). § 111 Satz 2 SGB X setze voraus, dass der Erstattungspflichtige eine materiell-rechtliche Entscheidung über Leistungen, wie sie der Erstattungsberechtigte bereits erbracht habe, überhaupt treffen könne und dürfe (v. Wulffen/Roller, SGB X Kommentar, 7. Aufl. 2010, § 111 Rn. 8), was hier nicht der Fall sei.

Die Berufung gegen dieses Urteil finde nicht statt, weil der für Erstattungsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 10.000 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) nicht erreicht werde.

Hiergegen hat sich die am 17. Juli 2012 bei dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg von der Klägerin erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gerichtet, mit der die Klägerin geltend gemacht hat, dass die Frage, ob § 111 SGB X auf den Erstattungsanspruch nach § 175 SGB VII Anwendung finde, klärungsbedürftig sei, da sie in der Rechtsprechung bisher nicht entschieden worden sei. Die Entscheidung habe auch eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, denn sie betreffe eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Fällen im Zuständigkeitsbereich aller landwirtschaftlichen BG‘en.

Mit Beschluss vom 28. August 2012 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Mai 2012 zugelassen.

Die Klägerin trägt mit ihrer Berufung ergänzend vor, es liege zunächst keine doppelte Privilegierung der landwirtschaftlichen BG‘en vor, wenn § 111 SGB X nicht auf den Anspruch nach § 175 SGB VII Anwendung finde, denn dessen Sinn und Zweck sei es, die landwirtschaftlichen BG’en von den besonderen Belastungen im Falle eines Arbeitsunfalles des in ihrem Zuständigkeitsbereich nur vorübergehend Tätigen mit wesentlich höherem Arbeitseinkommen als wie in der Landwirtschaft üblich freizuhalten (vgl. BSG, Urteil vom 10. August 1999 – B 2 U 22/98 R). Damit solle sichergestellt werden, dass auch die landwirtschaftlichen Unternehmer nur für die Aufwendungen aufkommen sollten, die sich auch der Höhe nach aus ihrem Wirtschaftsbereich ergeben würden, was der Gleichbehandlung und Gerechtigkeit diene. Auch sei § 175 SGB VII nach seiner grundsätzlichen Struktur und Zielsetzung mit den Erstattungsansprüchen nach §§ 102 ff. SGB X nicht vergleichbar. Mit den §§ 102 ff. SGB X (Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander) sei eine geschlossene Lösung für die Fragen beabsichtigt, welche Erstattungsansprüche bestünden und wie ihr Verhältnis untereinander sei, wenn anstelle des letztlich verpflichteten Leistungsträgers ein anderer Leistungsträger Sozialleistungen erbracht habe. Aufgrund des großen Anwendungsbereiches dieser Normen bestehe ein Bedürfnis, die Erstattung möglichst einfach, Kosten sparend und schnell durchzuführen, so dass der Erstattungsanspruch innerhalb der Frist nach § 111 SGB X geltend gemacht werden müsse. Dieses Bedürfnis bestehe für Fälle des § 175 SGB VII nicht, denn der Anwendungsbereich sei erheblich kleiner und auch in der Höhe der geltend gemachten Aufwendungen unterscheide sich § 175 SGB VII erheblich von den §§ 102 ff. SGB X. Da die landwirtschaftlichen BG‘en zuständige Leistungsträger blieben, erfolge kein Vermögensausgleich zwischen Sozialleistungsträgern bei Erbringung von Sozialleistungen durch unzuständige Träger. Dies zeige auch die Einordnung des §§ 175 SGB VII in das Sechste Kapitel „Aufbringung der Mittel“. Auch eine landwirtschaftliche BG könne ihren Erstattungsanspruch verwirken, wenn sie erst nach unangemessen langer Zeit an den anderen Unfallversicherungsträger herantrete. Ein Bedürfnis für die Existenz einer sehr kurzen Ausschlussfrist bestehe demgegenüber nicht. Die Einführung der Urteile des BSG zu §§ 19, 20 BVG sei allein deshalb erfolgt, weil das BSG die Ansicht vertrete, dass nicht alle Erstattungsansprüche über § 37 SGB I zu ergänzen seien, sondern nur in Fällen von gleichartigen Erstattungsansprüchen im Sinne der §§ 102 ff. SGB X. § 175 SGB VII sei eine derart spezielle Norm, die in dieser Form in den Sozialgesetzbüchern nicht noch einmal vorliege.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Mai 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die von ihr für den Arbeitsunfall des Herrn R erbrachten Mehraufwendungen nach § 175 SGB VII für den Zeitraum vom 14. Mai 2007 bis zum 21. September 2007 i. H. v. 5.925,72 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich vollinhaltlich auf die Ausführungen des SG Frankfurt (Oder) in dem angefochtenen Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die nach Zulassung durch Beschluss des Senats vom 28. August 2012 statthafte und zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG Frankfurt (Oder) hat zu Recht die Klage mit Urteil vom 21. Mai 2012 abgewiesen.

Zwar handelt es sich vorliegend um eine in Fällen von Erstattungsstreitigkeiten von Sozialleistungsträgern untereinander statthafte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG; vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 54, Rn. 40). Jedoch hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 5.925,72 € gemäß § 175 SGB VII, weil dieser Erstattungsanspruch für die in der Zeit vor dem 22. September 2007 erbrachten Leistungen (VG nebst SV-Beiträgen und Verwaltungskosten sowie VR) nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen ist.

Nach § 175 SGB VII erstattet, wenn vorübergehend für ein landwirtschaftliches Unternehmen Tätige einen Versicherungsfall erleiden und wenn für ihre hauptberufliche Tätigkeit ein anderer Unfallversicherungsträger als eine landwirtschaftliche BG zuständig ist, dieser der landwirtschaftlichen BG die Leistungen, die über das hinausgehen, was mit gleichen Arbeiten dauernd in der Landwirtschaft Beschäftigte zu beanspruchen haben.

Die Voraussetzungen des § 175 SGB VII liegen hier vor. Hinsichtlich eines zu entschädigenden Arbeitsunfalles und zur Berechnung des an Herrn R für die Zeit vom 14. Mai bis zum 16. September 2007 zu erbringenden VG nebst SV-Beiträgen und Verwaltungskosten und der für die Zeit vom 17. bis zum 21. September 2007 zu zahlenden VR gibt es zwischen den Beteiligten keine Differenzen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte jedoch keinen Anspruch auf Zahlung der beanspruchten 5. 925,72 €, weil dieser Erstattungsanspruch für die in der Zeit vor dem 22. September 2007 erbrachten Leistungen nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen ist. Der Senat verweist insoweit vollinhaltlich auf die Ausführungen des SG Frankfurt (Oder) in seinem Urteil vom 21. Mai 2012, denen er sich nach eigener Überprüfung anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Entscheidung. Sinn und Zweck des § 175 SGB VII ist es, eine eventuelle unverhältnismäßige Belastung der landwirtschaftlichen BG‘en auszugleichen, wenn ein in ihrem Zuständigkeitsbereich nur vorübergehend Tätiger mit einem wesentlich höheren Arbeitseinkommen als in der Landwirtschaft üblich, einen Arbeitsunfall erleidet. Durch die Lastenausgleichsmöglichkeit ist letztlich sichergestellt, dass auch die landwirtschaftlichen Unternehmer nur für die Aufwendungen aufkommen, die sich auch der Höhe nach aus ihrem Wirtschaftsbereich ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 10. August 1999 – B 2U 22/98 R -). Dieser Sinn und Zweck wird aber nicht dadurch tangiert, dass die leistende landwirtschaftliche BG ihren Erstattungsanspruch gegenüber der für die hauptberufliche Tätigkeit zuständigen BG innerhalb der Frist des § 111 SGB X geltend machen muss. Ob die landwirtschaftliche BG andernfalls „doppelt privilegiert“ würde, wie das SG meint, sei dahingestellt; jedenfalls wird die landwirtschaftliche BG nur ebenso behandelt wie andere Sozialleistungsträger, die für erbrachte Leistungen einen Erstattungsanspruch geltend machen wollen.

Auch ist § 175 SGB VII nach seiner grundsätzlichen Struktur und Zielsetzung durchaus mit den Erstattungsansprüchen der Leistungsträger untereinander nach §§ 102 ff. SGB X vergleichbar. Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und war er dafür materiell-rechtlich nicht zuständig, kann er als Ausgleich einen Erstattungsanspruch gegenüber dem eigentlich zuständigen Leistungsträger geltend machen. Auch der zunächst leistende unzuständige Träger erbringt dann Leistungen, die nicht durch Beiträge gedeckt sind, sondern in die Beitragslast eines anderen Sozialversicherungsträgers fallen. Diese Ausgangslage ist vergleichbar mit derjenigen der Klägerin, die sogar materiell- rechtlich zuständiger Leistungsträger ist, aber eine in ihrer Höhe von den Beiträgen ihrer Mitglieder nicht gedeckte Leistung erbringt. Erbringt ein Träger über seine materiell-rechtliche Zuständigkeit hinaus Leistungen, besteht immer ein Bedürfnis, die Erstattung möglichst einfach, Kosten sparend und schnell durchzuführen, wobei es keinen entscheidenden Unterschied macht, ob Erstattungsansprüche zwischen unterschiedlichen Sozialleistungsträgern oder zwischen einzelnen BG‘en abzuwickeln sind und dass der Lastenausgleich im Rahmen des § 175 SGB VII nur einen verschwindend geringen Anteil gegenüber den im Rahmen der §§ 102 ff. SGB X abzuwickelnden Erstattungsansprüchen ausmachen dürfte (in diesem Sinn auch Kitzhöfer, a.a.O., S. 860 ff., zu § 788 RVO, unter Bezugnahme auf Pickel, Das Verwaltungsverfahren, Kommentar zum SGB X, Stand 1990 § 102 Anm. 1A). Die Anwendung des § 111 SGB X ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die vom BSG im Bereich des Bundesversorgungsrechts entwickelten Grundsätze zum geschlossenen Regelwerk (§§ 19, 20 BVG) bei Leistungserbringung durch die Krankenversicherungsträger bzw. zu Ersatzansprüchen wegen Leistungen aufgrund eines gesetzlichen Auftrags nach §§ 670 BGB hier einschlägig wären (vgl. hierzu Urteile vom 31. Mai1989 - 9/9a RV 12/87 - und vom 29. Mai 1991 - 9a RV 10/90 -, in Juris). Ein geschlossenes Regelwerk liegt im SGB VII gerade nicht vor, worauf auch das SG bereits hingewiesen hat. Soweit § 21 BVG nunmehr anordnet, dass für die Erstattung nach § 18 c Abs. 5 die §§ 107 bis 114 SGB X Geltung hätten, kann nicht im Umkehrschluss davon ausgegangen werden, dass es der Gesetzgeber im Rahmen der Unfallversicherung bewusst unterlassen habe, eine entsprechende Vorschrift zu schaffen. Vielmehr bleibt es hier bei dem Grundsatz, dass die §§ 102 ff. SGB X über § 37 SGB I auch im SGB VII Geltung haben, soweit dort nichts anderes geregelt ist. Dass § 111 SGB X auch im Recht der Unfallversicherung gilt, lässt sich mittelbar auch dem Urteil des BSG vom 19. Februar 1986 (8 RK 64/84, in Juris) entnehmen, in dem das BSG ausführt, dass § 111 SGB X auch für die Ersatzansprüche der Unfallversicherungsträger gegen die Krankenkassen gelte. Wenn für den Erstattungsanspruch nach § 175 SGB VII etwas anderes gelten sollte, hätte es im Hinblick auf das erst am 01. Januar 1997 in Kraft getretene SGB VII nahe gelegen, die Anwendung der Vorschrift des § 111 SGB X ausdrücklich auszuschließen.

Schließlich überzeugt auch nicht das weitere Argument der Klägerin, eine Ausschluss- oder Verjährungsfrist sei entbehrlich, weil das Institut der Verwirkung ausreiche, falls eine landwirtschaftliche BG erst nach unangemessen langer Zeit an den anderen Unfallversicherungsträger herantrete. Das Rechtsinstitut der Verwirkung als eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist zwar auch im Rahmen der Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Das Institut der Verwirkung kann jedoch keine Fristenregelung ersetzen, die aus den oben erwähnten Gründen eines möglichst einfachen, klaren und schnellen Lastenausgleichs erforderlich ist. Denn über den bloßen Zeitablauf hinaus würde der - berechtigt erhobene - Einwand der Verwirkung voraussetzen, dass die verspätete Geltendmachung des Rechts illoyal erscheint und beim Verpflichteten zu unzumutbaren Nachteilen führt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 13. November 2012 - B 1 KR 24/11 R - in Juris). Hierbei handelt es sich um Tatbestände, die wenig auf das Verhältnis von Leistungsträgern untereinander passen und zudem wegen der rechtlichen Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe die Abwicklung von Erstattungsfällen schwerfällig und wenig kalkulierbar machen würden. Von daher kann der Auffassung der Klägerin, es bestehe kein Bedürfnis für die Existenz einer kurzen Ausschlussfrist nicht gefolgt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), weil die Klägerin mit ihrem Begehren unterlegen ist.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage, ob auf Erstattungsansprüche nach § 175 SGB VII die Ausschlussfrist des § 111 SGB X Anwendung findet, gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 63 Abs. 3 Satz 1, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 5.925,72 € festzusetzen.