Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 23.11.2018 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 6 Sa 527/18 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2018:1123.6SA527.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 Abs 2 KSchG, § 17 Abs 3 KSchG |
Zumutbarkeit der Einbeziehung in die Sozialauswahl ist für den Arbeitgeber nicht gegeben, wenn das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers ohnehin 1 Monat nach Ablauf der Kündigungsfrist ausgelaufen wäre und die übrigen Arbeitnehmer noch ein weiteres Jahr beschäftigt werden sollten
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 01.03.2018 - 41 Ca 389/17 - teilweise abgeändert und die Klage hinsichtlich der Kündigung vom 17.05.2017 und im Klageantrag zu 3) hinsichtlich eines Betrages von 5.120,57 EUR brutto abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Widerklage wird abgewiesen.
II. Die Kosten der 1. Instanz haben die Beklagte zu 86 % und der Kläger zu 14 % zu tragen. Die Kosten der 2. Instanz haben die Beklagte zu 90 % und der Kläger zu 10 % zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier ordentlich betriebsbedingter Kündigungen, Annahmeverzugslöhne sowie eine Widerklage.
Der 69-jährige in den USA geborene Kläger war bei der Beklagten im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses seit dem 1. August 2015 als Lehrkraft beschäftigt. Die Befristung war bis zum 31. Juli 2017 vereinbart. Das monatliche Bruttogehalt des Klägers betrug zunächst bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden …. €, zuletzt ….. €. Alleingesellschafter der Beklagten war das Königreich S.. Die Beklagte beschäftigte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer, ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.
In § 1 des Arbeitsvertrags hieß es unter anderem:
(1) „Die … GmbH beabsichtigt Herrn B. befristet als Lehrkraft für die Fächer IB DP Mathematics und IB DP Physics zu beschäftigen, …
(2) Soweit betrieblich erforderlich kann die Lehrkraft auch mit anderen, ihrer Ausbildung und ihren Erfahrungen entsprechenden Tätigkeiten beschäftigt werden.“
Am 21. Dezember 2016 erhielt der Kläger für die dann folgende Zeit einen Stundenplan (in arabischer Sprache, Blatt 60 der Akte). Danach war der Kläger in den Klassen 5, 7,8 und 9 mit insgesamt 19 Wochenstunden und zwei Beobachtungsstunden eingeplant.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19. Dezember 2016, dem Kläger zugegangen am 21. Dezember 2016 zum 31. Januar 2017.
Mit der am 10. Januar 2017 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 20. Januar 2017 zugestellten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung vom 19. Dezember 2016 geltend gemacht.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit weiteren Schreiben vom 17.5.2017 erneut ordentlich betriebsbedingt zum 30.6.2017.
Mit der Klageerweiterung vom 23.5.2017 hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung vom 17.5.2017 geltend gemacht. In einer weiteren Klageerweiterung hat der Kläger schließlich für die Monate Februar 2017 bis Juli 2017 Annahmeverzugslohnansprüche geltend gemacht.
Die Beklagte erstattete für die Kündigung von 38 Berliner Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Massenentlassungsanzeige, deren Eingang die Bundesagentur für Arbeit für den 16.5.2017 bestätigte.
In seinem erstinstanzlichen Vortrag hat der Kläger die mangelnde soziale Rechtfertigung, insbesondere eine fehlerhafte Sozialauswahl sowie eine nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige gerügt.
Der Kläger hat behauptet, dass der Unterricht an der KFA nicht nur auf Arabisch, sondern auch auf Englisch erfolgt sei. Die Erteilung des Unterrichts auf Englisch wäre unabhängig von der Tatsache der Einführung des International Baccalaureate Diploma Programme (IB DP), der internationalen Hochschulreife gewesen. Der unbestrittene Wegfall des IB DP hätte den Kläger gar nicht betroffen, da der Kläger in den Klassenstufen 5, 10 und 11 Mathematik sowie in den Klassenstufen 7, 8 und 9 das Fach Naturwissenschaften unterrichtet hätte. Das IB DP hätte aber erst ab Klassenstufe 10 begonnen. Die niedrigeren Klassenstufen seien auch weiterhin auf Englisch unterrichtet worden. Der Kläger hätte bis zum Schuljahresende seine Fächer weiter unterrichten können. Außerdem wäre er in den Klassen 10 und 11 von Beginn seines Arbeitsverhältnisses an als Krankheitsvertretung des Kollegen H. tätig gewesen. Dieser Kollege sei weiterhin dauerhaft erkrankt. Der Kläger könne zudem auch das Fach Englisch – wie schulüblich – auf Englisch unterrichten und wäre dafür als ausgebildeter Pädagoge ohne weiteres in der Lage gewesen.
Im Rahmen der Sozialauswahl wären sämtliche Lehrer vergleichbar, da der Kläger für alle Fächer eingesetzt werden könne. Jedenfalls sei der Kollege T. M. weniger schutzbedürftig als der Kläger gewesen.
Schon bei der ersten Kündigung sei eine Massenentlassungsanzeige notwendig gewesen, da die Beklagte im maßgeblichen Zeitraum auch 30 Lehrerinnen und Lehrer der KFA Bonn gekündigt hätte. Die zweite Massenentlassungsanzeige wäre unwirksam, da mehrere Angaben falsch und unvollständig gewesen seien.
Der Kläger hat beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19. Dezember 2016 nicht aufgelöst wurde.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Mai 2017 aufgelöst wurde.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30.723,42 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.10.2017 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Alleingesellschafter hätte im Juni 2016 beschlossen, dass IB DP nicht einzuführen. Dies hätte sich aus der Weisung gemäß Telegramm (Blatt 49 der Akte) ergeben. In Umsetzung dieses Beschlusses hätte die Beklagte die Vorbereitung zum IB DP zu Beginn des Schuljahres 2016/2017 am 19. September 2016 eingestellt. An der KFA Berlin würde ausschließlich nach saudi-arabischem Curriculum auf Arabisch unterrichtet. Lediglich der Englischunterricht werde auf Englisch gehalten. Der Kläger wäre für die Fächer IB DP Mathematics und IB DP Physics eingestellt worden. Das IB DP stehe für einen zweijährigen Bildungsgang der Schüler der Klassen 11 und 12. Mit den beiden weiteren englischsprachigen Lehrern H. und M. sei das Arbeitsverhältnis ebenso beendet worden.
Da der Kläger kein Arabisch spreche, wäre zugleich eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit entfallen. Nach der Einstellung der Vorbereitung des IB DP sei der Kläger für seine restliche Vertragszeit nur noch als Nachhilfelehrer eingesetzt worden. Die Vertretung für den erkrankten Lehrer H. wäre nur für zwei Wochen erfolgt, da die Schüler dem nur englischsprachigen Kläger nicht hätten folgen können. Der vom Kläger vorgelegte Stundenplan beziehe sich ausschließlich auf nicht im Lehrplan vorgesehenen Unterricht. Mangels Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hätte keine Notwendigkeit der Sozialauswahl bestanden. Einer Massenentlassungsanzeige hätte es bei der ersten Kündigung nicht bedurft.
Hinsichtlich der zweiten Kündigung hat die Beklagte behauptet, das Königreich S. hätte am 16. März 2017 beschlossen, die KFA Berlin zum 24.5.2017 zu schließen. Den Lehrkräften sei daher bis auf wenigen zum 30. Juni 2017 gekündigt worden – oder wenn später – nur aufgrund einer längeren Kündigungsfrist. Lediglich für ca. 64 Schüler sollte ein Restbetrieb mit zwölf Vollzeitkräften oder 14 Lehrerinnen und Lehrern bis zum Ende des s. Schuljahres 2017/2018 aufrechterhalten bleiben.
Bei der von der Beklagten vorgenommenen Sozialauswahl hätte der Kläger nur Platz 26 erhalten. 18 Lehrkräfte sein sozialschutzbedürftiger als der Kläger. Im Übrigen sei der Kläger mit den verbliebenen Lehrkräften schon deshalb nicht vergleichbar, weil das saudische Schuljahr erst am 8. September 2017 wieder begonnen hätte. Im Monat Juli 2017 hätte daher für den Kläger ohnehin keine Beschäftigungsmöglichkeit bestanden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Parteivortrags in der ersten Instanz wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit seiner Entscheidung vom 1.3.2018 der Klage stattgegeben. Die erste Kündigung vom 19. Dezember 2016 sei unwirksam, weil die Beklagte die Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß durchgeführt habe. Der Mitarbeiter M. sei so wie der Kläger nach der von der Beklagten vorgetragenen unternehmerischen Entscheidung überflüssig. Der Kollege M. sei auch nicht deshalb aus der Sozialauswahl herauszunehmen, weil sein Arbeitsverhältnis zum 25.3.2017 endete. Immerhin sei es damit für den Kläger um fast zwei Monate weitere Beschäftigung gegangen. Da die Beklagte keine Sozialdaten des Herrn M. vorgetragen hätte, sei die Vermutung nicht widerlegt, dass der Kläger sozial schutzwürdiger sei.
Die zweite Kündigung vom 17.5.2017 sei nach § 17 Kündigungsschutzgesetz wegen nicht ordnungsgemäß durchgeführter Massenentlassungsanzeige unwirksam. Die zwingende Angabe der Gründe für den Personalabbau sei von der Beklagten falsch dargestellt worden. Die Beklagte habe nicht angegeben, zu wann sie den Schulbetrieb schließen wolle und erwecke dadurch mit der falschen Angabe der Regelbeschäftigtenzahl den unzutreffenden Eindruck, sie würde sämtlichen 38 Beschäftigte zum nächstmöglichen Zeitpunkt kündigen. Über den Verbleib von 14 Lehrkräften im Rahmen eines Restbetriebs für ein Schuljahr habe sie die Bundesagentur nicht unterrichtet. Der Arbeitsverwaltung sei aber ein Überblick darüber zu geben, welcher Anlass und welcher Sachverhalt die Kündigungen ausgelöst habe. Der Arbeitsverwaltung werde durch die allgemeine Benennung des den Kündigungen zugrunde liegenden Anlasses eine Grundlage für die Prüfung gegeben, ob eine Abkürzung oder eine Verlängerung der Sperrfrist in Betracht komme und welche Maßnahmen zur Verhinderung der Massenentlassung oder für Vermittlungen in Betracht gezogen werden könnten.
Dies führe zu einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur Beklagten bis zum Befristungsende am 31.7.2017 und zu einem sich daraus ergebenden Annahmeverzugslohnanspruch gemäß § 615 BGB in tenorierter Höhe.
Dagegen wendet sich die am 19.4.2018 eingelegte und am 5. Juni 2018 begründete Berufung der Beklagten. Eine Vergleichbarkeit des Klägers mit Herrn M. sei nach den jeweiligen Arbeitsverträgen und den darin vereinbarten geschuldeten Aufgaben jedoch nicht gegeben. Da das Arbeitsverhältnis zu Herrn M. ohnehin nur bis zum 25. März 2017 befristet war, hätte sich die Beklagte dazu entschieden, dieses Arbeitsverhältnis der Einfachheit halber auslaufen zu lassen. Daraus lasse sich keine Pflicht zur Sozialauswahl ableiten. Im Übrigen hätte das Arbeitsgericht Herrn M. unter Berücksichtigung seines Lebensalters als sozial schutzbedürftiger im Vergleich zum Kläger einstufen können. Beide Arbeitnehmer hätten sich zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung im Rentenalter befunden.
Das Arbeitsgericht habe falsche Tatsachen zugrunde gelegt. Es sei davon ausgegangen, dass die Beklagte entschieden habe, 38 Beschäftigten zu kündigen und mit 14 weiteren Mitarbeitern einen Restbetrieb fortzuführen. Richtig sei aber, dass es bei der Beklagten insgesamt 38 Beschäftigte gebe, auf die sich auch die Massenentlassungsanzeige beziehe, allen diesen sei innerhalb von 30 Tagen gekündigt worden, wobei – auf der Grundlage einer Sozialauswahl – 14 Lehrkräften jedoch erst mit Wirkung zum 30. Juni 2018 gekündigt wurde, weil diese für den Restbetrieb von einem weiteren Schuljahr benötigt würden.
Das Arbeitsgericht überspanne die rechtlichen Anforderungen an die mitzuteilenden Gründe für die geplanten Entlassungen in der Massenentlassungsanzeige. Der Bundesagentur seien die arbeitsvertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfristen der einzelnen Arbeitnehmer mitgeteilt worden. Angaben, ob die Kündigungen zum nächstmöglichen Zeitpunkt erfolgten oder mit Wirkung zu einem späteren Zeitpunkt, seien gesetzlich nicht gefordert und in den Formularen der Bundesagentur nicht vorgesehen. Der Kläger sei unstreitig in der Massenentlassungsanzeige unter Nummer 26 aufgeführt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 1. März 2018 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Berlin, Az: 41 Ca 289/17 die Klage abzuweisen und den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 16.958,63 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. März 2018 zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Widerklage abzuweisen.
Zu Recht habe das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Beklagte keine Sozialauswahl durchgeführt habe. Der Kläger sei umfassend einsetzbar gewesen. Auch Herr M. sei umfassend einsetzbar gewesen. Die Beklagte habe aber Herrn M. nicht gekündigt. Die Sozialauswahl ergebe, dass der Kläger aufgrund der Tatsache, dass er verheiratet und auch zwei Jahre älter als Herr M. sei, sozial schutzwürdiger sei.
Zu Recht habe das Arbeitsgericht auch die zweite Kündigung für unwirksam erachtet. Die Beklagte habe gegenüber der Bundesagentur nicht einmal angezeigt, zu welchem Zeitpunkt der Schulbetrieb stillgelegt und abgewickelt werden solle. Die Bundesagentur konnte sich auch nicht aus der Angabe der Kündigungsfristen erschließen, zu welchem Zeitpunkt der Betrieb stillgelegt und abgewickelt sein würde. Die Anzeige genüge nicht ansatzweise dem Substantiierungsgrad einer Mitteilung gegenüber dem Betriebsrat, was jedoch Maßstab der Wirksamkeit sei.
Der Kläger bestreitet, dass bei der Beklagten zum Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige genau 38 Angestellte beschäftigt wurden. Auch trage die Beklagte einmal vor, der Restbetrieb werde mit 12 benötigten Lehrkräften fortgeführt. Ein anderes Mal trage die Beklagte vor, für den Restbetrieb seien sogar 14 Lehrkräfte weiterbeschäftigt worden.
Der Beschäftigungsbedarf des Klägers sei hinsichtlich der zweiten Kündigung vom 17. Mai 2017 nicht bereits zum 30. Juni 2017 entfallen, denn der Beschäftigungsbedarf eines Lehrers entfalle nicht dadurch, dass Schulferien seien. Die Kündigung eines Lehrers allein aufgrund des Beginns von Schulferien wäre unstreitig unwirksam. Nichts anderes könne für die Kündigung des befristet beschäftigten Klägers gelten. Lehrer würden auch in den Ferien beschäftigt. Aus Sicht der Beklagten bestand bei Abschluss der Befristung Beschäftigungsbedarf bis Ende Juli 2017. Es gebe keine Arbeitsaufgabe, die mit Wirkung zum 30. Juni 2017 weggefallen sei.
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und frist- und formgemäß im Sinne des §§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.
Die Widerklage in der 2. Instanz ist gem. 717 ZPO zulässig.
II. Die Berufung ist nur zum Teil begründet. Die Kündigung vom 19. Dezember 2016 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst. Die Kündigung vom 17. Mai 2017 dagegen hat das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam zum 30. Juni 2017 aufgelöst. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten Anspruch auf Annahmeverzugslohn bis zum 30. Juni 2017 in Höhe von 25.602,85 Euro brutto. Die Widerklage ist unbegründet.
1. Kündigung vom 19. Dezember 2016
Zur Vermeidung einer lediglich wiederholenden Darstellung kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen im Urteil erster Instanz nach § 69 ArbGG Bezug genommen werden, denen sich die erkennende Berufungskammer inhaltlich anschließt.
Hinsichtlich des Vortrags der Beklagten in der Berufung wird noch Folgendes ausgeführt:
a) Auf die Vergleichbarkeit der Einsatzmöglichkeit des Klägers und des Herrn M. kommt es nicht an, da beide Arbeitskräfte aufgrund der Beendigung des Projekts IB DP für die Beklage überflüssig waren. Gerade wenn es für die Beklagte – wie sie vorträgt – darum ging, alle Arbeitsverhältnisse mit allen drei Arbeitnehmern des International Baccalaureate möglichst schnell zu beenden, hat sie nicht mehr die Vergleichbarkeit der jeweiligen Einsatzmöglichkeit zu prüfen. Das Internationale Baccalaureate ist mit der unternehmerischen Entscheidung der endgültigen Einstellung der Vorbereitungshandlungen entfallen. Damit sind entsprechend auch die Arbeitskräfte überflüssig, die in englischer Sprache Fachunterricht erteilten.
b) Es handelte sich nicht um eine zulässige Opportunitätsentscheidung, die eine Sozialauswahl zwischen dem Beschäftigten M. und dem Kläger entbehrlich machen würde. Die Beklagte hat sich umgekehrt beim Kläger auch nicht gescheut, vor Ablauf der nahestehenden Befristung im Juli 2017 eine betriebsbedingte Kündigung zum 30. Juni 2017 auszusprechen.
Wenn sich der Arbeitgeber entscheidet, ein Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers von drei nicht mehr zu beschäftigenden Arbeitnehmern noch über sieben Wochen länger laufen zu lassen, hat sie denjenigen zu wählen, der am sozial schutzbedürftigsten ist.
c) Der Kläger war nach § 1 Abs. 3 KSchG sozial schutzbedürftiger als der Mitarbeiter M.. Denn der Kläger ist verheiratet und hatte dadurch eine Unterhaltsverpflichtung. Beide Mitarbeiter sind etwa gleich alt und haben auch etwa gleich lange Betriebszugehörigkeitszeiten.
Die Beklage hat in der bei der zweiten Kündigung erfolgten Sozialauswahl ein eigenes Punkteschema angewandt; danach bewertet sie die gesetzliche Unterhaltspflicht des Ehepartners mit 4 Punkten. Dies war für die Kammer ein zusätzliches Indiz.
2. Kündigung vom 17. Mai 2017
Die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 17. Mai 2017 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam zum 30. Juni aufgelöst.
a) Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG wirksam, weil sie sozial gerechtfertigt ist.
Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse, die der Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt.
Die Beklagte begründet die Kündigung einerseits mit der Entscheidung im Juni 2016, das International Baccalaureate DP nicht einzuführen und die Vorbereitungen dazu einzustellen. Andererseits begründet die Beklagte die Kündigung mit dem Beschluss vom 16. März 2017, den Betrieb der Schule in Berlin zum Ende des saudischen Schuljahres 2017/2018 endgültig einzustellen.
aa) Die Stilllegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 1 Abs. 2S. 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung eine Kündigung abgeben können. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Mit der Stilllegung des gesamten Betriebes entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten. Neben der Kündigung wegen erfolgter Stilllegung kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Erforderlich ist dazu aber, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen. Der Ernsthaftigkeit der Stilllegungsabsicht steht dabei nicht entgegen, dass sich der Arbeitgeber entschlossen hat, die gekündigten Arbeitnehmer in der jeweiligen Kündigungsfrist noch für die Abarbeitung vorhandener Aufträge einzusetzen. Der Arbeitgeber erfüllt damit gegenüber den tatsächlich eingesetzten Arbeitnehmern lediglich seine auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Beschäftigungspflicht. An einem endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung fehlt es aber, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch in ernsthaften Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebes steht. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber sich im Zeitpunkt der Kündigung noch um neue Aufträge bemüht. Ist andererseits im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Betriebsstilllegung endgültig geplant und bereits eingeleitet, behält sich der Arbeitgeber aber eine Betriebsveräußerung vor, falls sich eine Chance bietet, und gelingt dann später noch eine Betriebsveräußerung, bleibt es bei der sozialen Rechtfertigung der Kündigung (vgl. BAG, 9.2.1994, 2 AZR 666/93, NZA 1994, S. 686; BAG vom 15.11.2011, 2 AZR 42/10, DB 2012, S. 1445).
Bei einer Betriebsstilllegung ist ferner erforderlich, dass die geplanten Maßnahmen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen haben. Diese liegen vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, bis zum Ablauf der einzuhaltenden Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes, d. h. die Stilllegung, gegeben sein. Von einer Stilllegung kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern gekündigt, etwaige Miet- oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen darf, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt (vgl. BAG, 16. 2. 2012, 8 AZR 693/10, NZA – RR 2012, S. 465).
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung ist der des Kündigungszugangs. Dies schließt nicht aus, dass – insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt – der tatsächliche Eintritt der prognostizierten Entwicklung Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit und Plausibilität der Prognose zulässt. Verläuft die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung planmäßig, ist es gerechtfertigt, von einem tragfähigen Konzept im Zeitpunkt der Kündigung auszugehen. Die im Kündigungszeitpunkt gestellte Prognose, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde der Beschäftigungsbedarf entfallen, wird so bestätigt.
Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass dringende betriebliche Erfordernisse die Kündigung bedingen, § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG. Beruft sich der Arbeitgeber auf dem betriebsbedingten Kündigungsgrund der Stilllegung, so ist, wenn das Vorliegen eines Stilllegungsentschlusses im Kündigungszeitpunkt bestritten wird, der Arbeitgeber verpflichtet substantiiert darzulegen, dass und zu welchem Zeitpunkt er diejenigen organisatorischen Maßnahmen, die sich rechtlich als Betriebsstilllegung darstellen, geplant und beschlossen hat. Über diese Entschlussfassung hinaus muss der Arbeitgeber substantiiert vortragen, dass auch die geplanten Maßnahmen selbst im Kündigungszeitpunkt bereits greifbare Formen angenommen hatten. Der Umfang der Darlegungslast hängt dabei auch davon ab, wie sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung der Kündigung einlässt.
bb) im vorliegenden Fall hat die Beklagte substantiiert vorgetragen, dass der Botschafter des Königreichs S. am 16. März 2017 namens und in Vollmacht der Regierung des Königreichs S. die Schließung der Berliner Schule zum 24. Mai 2017 und des Restbetriebes zum Ende des s. Schuljahres 2017/2018 beschlossen habe, dass diese Entscheidung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen habe und – bereits zum 11. Januar 2018 – auch tatsächlich umgesetzt worden sei.
(1) an der Wirksamkeit des Beschlusses vom 16. März 2017 besteht kein Zweifel. Alleingesellschafterin der Beklagten ist das Königreich S.. Das Auswärtige Amt eines Landes wird grundsätzlich durch seinen jeweiligen Botschafter im Ausland vertreten. Bei einer juristischen Person genügt es, dass derjenige, der dazu die tatsächliche Macht hat, die betreffende Entscheidung endgültig und vorbehaltlos getroffen hat (vgl. zum Beispiel BAG vom 11.3.1998, 2 AZR 414/97, NZA 1998, S. 879 und BAG vom 20.11.2014, 2 AZR 512/13, NZA 2015, S. 679).
Im vorliegenden Fall hatte der neue Botschafter die Entscheidung endgültig und vorbehaltlos getroffen und umsetzen lassen.
(2) Die geplante Schulschließung hatte zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen. Am 16. Mai 2017 war die Massenentlassungsanzeige gestellt worden, auf der die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der 38 von 38 Arbeitnehmern angezeigt wurde. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt behauptet, in Berlin seien mehr als 38 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Mit Bescheid vom 16. Mai 2017 bestätigte die Bundesagentur für Arbeit die Anzeige und die Beklagte kündigte die Arbeitsverhältnisse sämtlicher in Berlin beschäftigter Arbeitnehmer, wobei die Arbeitsverhältnisse von 14 Lehrkräften zum 30. Juni 2018 gekündigt wurden und die Arbeitsverhältnisse der anderen Lehrkräfte zu einem früheren Zeitpunkt.
(3) Die geplante Schulschließung wurde auch umgesetzt. Das Schulgebäude wurde zum 30. Juli 2017 geräumt und der restliche Schulbetrieb fand bis zum 11. Januar 2018 auf einem anderen Grundstück statt. Die Beklagte hat die Berliner Schulverwaltung jeweils ordnungsgemäß gemäß Paragraf 102 des Berliner Schulgesetzes von den Schließungszeitpunkten informiert.
(4) Die Kammer hatte keinen Anlass, an der Absicht der Beklagten, die Berliner Schule endgültig zu schließen und an der tatsächlichen Schulschließung zu zweifeln.
cc) Die Kündigung ist auch wegen dringender betrieblicher Erfordernisse bedingt, weil die Beklagte die unternehmerische Entscheidung getroffen hat, das IB DP nicht weiter vorzubereiten. Auch diese Entscheidung ist vom Botschafter getroffen worden. Sie hat auch greifbare Formen angenommen. Mit dieser Entscheidung entfiel der Unterricht in englischer Sprache. Sämtliche Lehrer, die in englischer Sprache Fachunterricht erteilten, sind entlassen worden. Der Kläger hat keinen Lehrer benannt, der außer den drei für das IPDP eingestellten Lehrer in englischer Sprache unterrichten würde. Der Bedarf ab diesen Lehrern ist mit der Aufgabe des Programms entfallen.
dd) Eine Möglichkeit, den Kläger über den 30. Juni 2017 hinaus weiter zu beschäftigen, gab es nicht. Denn die Beklagte hat den englischsprachigen Unterricht nach Überzeugung der Kammer in der letzten mündlichen Verhandlung tatsächlich mit dem Ende des Schuljahres 2017 eingestellt. Sie hat auch keinen Unterricht mehr in englischer Sprache durchführen lassen. Die Weiterführung eines Rumpfbetriebes mit ca. 65 Schülerinnen und Schülern und 14 Lehrkräften auf zwölf Vollzeitstellen ab dem Monat September 2017 führte nicht zu einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Klägers. Dieser hatte ohnehin einen Arbeitsvertrag, der aufgrund Befristung mit Ablauf des 31. Juli 2017 endete. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach Ende des Schuljahres bestand für den Kläger weder im Rahmen von Vorbereitungen oder Nachbereitung des Unterrichts.
ee) Die Kündigung ist nicht wegen einer unterbliebenen Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam, denn die Beklagte hat die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer gekündigt. Der Beklagten war es nicht zuzumuten, den Kläger in eine Sozialauswahl hinsichtlich des Beendigungsdatums einzubeziehen, da sein Arbeitsverhältnis ohnehin einen Monat nach Ablauf der Kündigungsfrist ausgelaufen wäre. Er war deshalb nicht mit denjenigen Lehrkräften vergleichbar, denen erst zum Ablauf des Schuljahres 2018 gekündigt wurde.
b) die Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Durchführung des Verfahrens bei Massenentlassungen gemäß § 17 Abs. 3 KSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.
aa) Die von der Beklagten beabsichtigten Entlassungen waren gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG anzeigepflichtig. Es sollten die Arbeitsverhältnisse von 38 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen betriebsbedingt gekündigt werden.
Unter Entlassung im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz eins Kündigungsschutzgesetz ist der Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Die Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige besteht auch bei Stilllegung des Betriebes (vgl. BAG 26.2.2015, 2 AZR 955/13, NZA 2015, S. 681).
bb) Ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KSchG liegt nicht vor.
Das Schreiben der Beklagten vom 11. Mai 2017 an die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Berlin Nord, entspricht den Anforderungen des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG.
(1) Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Massenentlassungsanzeige nicht deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte angegeben hat, im Betrieb seien in der Regel 38 Arbeitnehmer beschäftigt und hierbei nicht die in Bonn beschäftigten Arbeitnehmer hinzugerechnet hatte.
Ob es sich bei den beiden Schulen um einen einheitlichen Betrieb, wie der Kläger behauptet oder um zwei Betriebe im kündigungsschutzrechtlichen Sinne handelte, wie die Beklagte behauptet, konnte dahingestellt bleiben. Der Begriff des Betriebes in § 17 KSchG entspricht dem der §§ 1, 4 BetrVG, nicht aber zwingend dem des § 23 KSchG, weil die räumliche Einheit kündigungsschutzrechtlich kein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal darstellt; dort kommt es vielmehr wesentlich auf die Leitung des Betriebes an, der es obliegt, die Einzelheiten der arbeitstechnischen Zwecksetzung zu regeln (vgl. BAG vom 15.2.2011, 8 AZR 692/10, NZA-RR 2012, S. 570).
Der Betrieb ist die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mithilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG einen Betriebsteil als selbstständig, sie müssen die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG in diesem Betriebsteil überschritten sein, um die Anzeigepflicht auszulösen (vgl. BAG a.a. O.).
Für das Vorliegen eines Betriebsteils im Sinne des § 4 BetrVG genügt ein Mindestmaß an organisatorischer Selbstständigkeit gegenüber dem Hauptbetrieb. Dieses liegt vor, wenn in der Einheit wenigstens eine Person mit Leitungsmacht vorhanden ist, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt. Betriebsteile sind von Hauptbetrieb räumlich weit entfernt, wenn wegen dieser Entfernung eine sachgerechte Vertretung der Arbeitnehmer des Betriebsteils durch den Betriebsrat des Hauptbetriebs nicht erwartet werden kann. Dies ist beispielsweise bei einer Entfernung von ca. 300 km der Fall (vgl. BAG a.a.O.).
Aus dem Unionsrecht ergibt sich für den Begriff des Betriebs im Sinne des § 17 KSchG nichts anderes. Die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. EG L 225 vom 12. August 1998, S. 16) enthält keine eigenständige Definition des Betriebsbegriffs. Der EuGH legt den Begriff des Betriebs im Sinne der Richtlinie weitaus. So bezeichnet der Begriff Betrieb nach Maßgabe der Umstände die Einheit, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehören. Ein Betrieb kann schon dann vorliegen, wenn im Rahmen eines Unternehmens eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität besteht, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Da der mit der Richtlinie 98/59/EG verfolgte Zweck insbesondere sozioökonomische Auswirkungen betrifft, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können, muss die fragliche Einheit wieder notwendigerweise rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen, als Betrieb qualifiziert werden zu können. Für den Begriff des Betriebs ist nicht entscheidend, ob die fragliche Einheit eine Leitung hat, wie selbstständig Massenentlassungen vornehmen kann (vgl. BAG a.a.O.).
Im vorliegenden Fall handelte es sich bei der Schule in Berlin jedenfalls um einen Betriebsteil im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BetrVG. Denn die Schule hatte einen Schulleiter, der Weisungsrechte der Beklagten ausübte. Die Entfernung zwischen Bonn und Berlin beträgt ca. 600 km. Im Übrigen waren die Bonner Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige in Berlin schon entlassen im Sinne des § 17 KSchG, nämlich deren Arbeitsverhältnisse gekündigt.
Der Kläger ist selbst unstreitig in der Entlassungsanzeige aufgeführt worden. Er hat damit den Schutz, den die Massenentlassungsanzeige ihm gegenüber in Bezug auf etwaige Dispositionen der Arbeitsverwaltung entfalten soll, genossen und würde sich daher auf unzutreffende Zahlenangaben – auch nicht berufen können (vgl. BAG vom 28.6.2012 – 6 AZR 780/10 – Rn. 50, Juris).
(2) Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Angabe in Zeile 32 der Entlassungsanzeige fehlerhaft war. Der Normzweck der Massenentlassungsanzeige liegt in den arbeitsmarktpolitischen Zielen. Der Arbeitsagentur soll durch die Anzeigepflicht die Möglichkeit gegeben werden, rechtzeitige Maßnahmen zu veranlassen, mit deren Hilfe die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer in neue Arbeitsverhältnisse vermittelt werden können (vgl. Beck OK ArbR/Volkening KSchG § 17 Rn. 1, beck-online). Dieser Zweck ist auch mit der dürftigen Beschreibung in Zeile 32 Genüge getan. Auch wenn die Arbeitsagentur allein aus dieser Beschreibung nicht erkennen kann, zu welchem Zeitpunkt die Schule tatsächlich vollständig abgewickelt wird, kann sie sich im Sinne ihres arbeitsmarktpolitischen Auftrages auf eine Vielzahl von Kündigungen einstellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
(3) Es handelt sich auch nicht um eine unzulässige Vorratsanzeige, da es sich um eine einheitliche Maßnahme handelt. Sämtliche Kündigungen sollten am gleichen Tag ausgesprochen werden, auch wenn diese zu unterschiedlichen Terminen wirksam werden sollten. Die Kündigung verstößt auch nicht gegen § 18 IV KSchG. Nach dieser Vorschrift bedarf es unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 einer erneuten Anzeige, soweit die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach den Abs. 1 und 2 zulässig sind, durchgeführt werden.
§ 18 Abs. 4 KSchG ist so auszulegen, dass keine erneute Anzeige erfolgen muss, (vgl. ERfK-Kiel, 10. Aufl. § 18 KSchG Rn. 12 m.w.N.). Mit Durchführung der Entlassung ist die Kündigungserklärung gemeint (vgl. BAG vom 6.11.2008, NZA 2009, S. 1013, Rn. 29). Der Arbeitgeber müsste danach eine erneute Anzeige erstatten, wenn er von der Möglichkeit des Ausspruchs der Kündigung bis dahin keinen Gebrauch gemacht hat. Dies ist hier aber nicht der Fall, da sämtliche Kündigungen mit gleichem Datum ausgesprochen wurden (vgl. BAG vom 9.6.2016 – 6 AZR 638/15 AP KSchG 1969 § 17 Nr. 50, beck-online).
3. Annahmeverzugslohn
Der Kläger hat Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß § 615, § 611, § 612, 294 ff. BGB in Verbindung mit § 11 KSchG bis zum 30. Juni 2017.
Die Kündigung vom 19. Dezember 2016 war unwirksam. Die Kündigung vom 17. Mai 2017 hat das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2017 aufgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt war Vergütung zu zahlen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
4. Widerklage
Die Beklagte hat keinen Anspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO auf Rückerstattung der geleisteten Nettozahlung in Höhe von 16.958,63 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. März 2018.
Die Parteien haben in der Kammerverhandlung unstreitig gestellt, dass der bisher an den Kläger geleistete Nettobetrag dem entspricht, was die Beklagte als Nettolohn entsprechend ihren Probeabrechnungen bis einschließlich 30. Juni 2017 abgerechnet hatte. Die Zahlungen sind zu Recht aufgrund des vollstreckbaren erstinstanzlichen Tenors geleistet worden. Die Zahlung ist zu Recht erfolgt. Eine Erstattung scheidet aus.
III. Die Entscheidung über die Kosten folgt §§ 91 und 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.