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Entscheidung 7 U 120/12


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 7. Zivilsenat Entscheidungsdatum 17.07.2013
Aktenzeichen 7 U 120/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. Juni 2012 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, an die Klägerin Zug um Zug gegen Rückgabe des Inhabergenussscheins … 32.550,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6. September 2010 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte zu 1. ihre eigenen außergerichtlichen Kosten voll sowie jeweils die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin und der Gerichtskosten. Die übrigen Kosten trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsgegner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckende Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin beansprucht von der Beklagten zu 1. wegen fehlerhafter Anlageberatung durch den für sie tätigen Beklagten zu 2. die Rückzahlung des Kaufpreises für einen Inhabergenussschein Zug um Zug gegen dessen Rückgabe sowie Auskunft über die in diesem Zusammenhang gezahlte Provision.

Die Klägerin, geboren im Jahre 1929, war in der DDR Lehrerin für Englisch und Russisch. Sie erhält eine monatliche Pension von 1.760,00 € und wurde seit 1995 von dem Beklagten zu 2. als ihrem Bankberater betreut, zunächst für die Y…, und als diese im Januar 2009 von der Beklagten zu 1. übernommen wurde, für diese. Der Kontakt zum Beklagten zu 2. blieb auch erhalten, nachdem die Klägerin im Jahr 2000 nach K… umgezogen war.

Der Beklagte zu 2. bot der Klägerin im Rahmen eines Telefonates den Erwerb eines – letztlich – von G… initiierten Genussscheines mit fünfzehnjähriger Laufzeit und 0,5 % Verzinsung im Jahr an und empfahl ihr diesen als Geldanlage. Dem folgend, erwarb die Klägerin gemäß der Kaufabrechnung der Beklagten zu 1. (Bl. 11) von dieser am 20. März 2008 nominell

31.000 € Inhabergenussscheine der …mit der Bezeichnung …, zum Kurswert von 32.550 € mit einer Laufzeit bis zum 30. September 2023.

Die Inhabergenussscheine wurden exklusiv von der Y… AG vertrieben. Zur näheren Charakterisierung wird auf die Kurzübersicht „Key Facts“ der Y… (Bl. 10) und auf die Beschreibungen gemäß den Anlagen BB1 und BB2 (Bl. 310 f.) verwiesen. Im Depot der Klägerin machte er nach ihrem Vortrag 40 % ihres Anlagekapitals aus, nach dem Vortrag der Beklagten 30 %. Am 27. August 2011 hatte er nach Angabe der Beklagten noch einen Wert von 58 % (= € 17.980,00, Bl. 105 d.A.). Heute soll er nach Angabe des Beklagten zu 2. bei einem Kurswert von 82 % liegen (Bl. 347). Allerdings ist der Genussschein weiterhin nicht frei handelbar, insbesondere nicht börsengängig. Zu den genannten Kurswerten kann die Beklagte zu 1. das Papier an die Emittentin zurückgeben.

Die Klägerin, vertreten durch ihren heutigen Betreuer, forderte die Beklagte zu 1. mit Schreiben vom 5. September 2010 auf, den Kauf des Genussscheines rückgängig zu machen (Bl. 19 d.A.).

Am 26. September 2011 wurde für die Klägerin die Betreuung angeordnet und ihr Sohn, Dr. P… S…, zum Betreuer – u. a. für die Vertretung vor Gericht – bestellt (Bl. 129 f.).

Die Klägerin hat darauf verwiesen, dass sie in der DDR lebte und Sprachlehrerin war; daher kenne sie sich mit wirtschaftlichen Zusammenhängen und der Finanzwelt nicht aus. Sie habe dem Beklagten zu 2. vertraut und daher immer auf dessen Drängen die von ihm empfohlenen Wertpapiere erworben.

Der Beklagte zu 2. habe ihr den Inhabergenussschein als eine konservative, risikoarme Geldanlage empfohlen mit einer Rendite von mindestens 7 %. Die lange Laufzeit habe er als unproblematisch erachtet, da der Inhabergenussschein über die Börse liquidiert werden könne. Tatsächlich habe es sich aber um eine spekulative Anlage gehandelt, über deren Risiken er sie nicht aufgeklärt habe, dessen Laufzeit für sie viel zu lang gewesen und die vor Ende der Laufzeit unverkäuflich sei. Eine Produktinformation (Bl. 12) habe sie erst auf Nachfrage im Jahr 2009 von den Beklagten erhalten.

Im Jahr 2008 sei sie zudem wegen fortschreitender Demenz bereits geschäftsunfähig gewesen, was der Beklagte zu 2. auch in dem Telefongespräch daran hätte erkennen müssen, dass sie seine Erklärungen gedanklich nicht mehr erfassen konnte, sofort wieder vergaß und schon nach kurzer Zeit immer wieder dieselben Fragen stellte.

Die Beklagten müssten Auskunft darüber erteilen, was sie für die Vermittlung des Geschäfts an Provisionen erhalten haben. Die Klägerin befürchtet, dass mehr gezahlt wurde als in der Produktinformation offen angegeben.

In der Klageschrift hat die Klägerin ihre auf Erwerb des Genussscheins gerichteten Erklärungen wegen arglistiger Täuschung und hilfsweise wegen Irrtums angefochten.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin Zug um Zug gegen Rückgabe des Inhabergenussscheins … 32.550,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 20.03.2008 zu bezahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, der Klägerin Auskunft über jegliche Provisionen zu erteilen, die an sie für die Veräußerung des Inhabergenussscheins …, bezahlt worden sind.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben eingewandt, die Beklagte zu 1. habe die Klägerin durch den Beklagten zu 2. anlegergerecht, richtig und vollständig über die für den Erwerb des Wertpapiers wesentlichen Umstände aufgeklärt. Bei dem Wertpapier handele es sich um eine konservative Anlage. Das „Term-Sheet“ (Bl. 310 d.A.) mit den Informationen über die Anlage habe sie der Klägerin übersandt. Die Laufzeit sei für die Klägerin kein Problem gewesen, da sie die Geldanlage für ihre Kinder gewollt habe.

Der Kauf sei im Übrigen der eigenen Motivation der Klägerin entsprungen. Sie sei mindestens seit dem Jahr 1995 im Wertpapiergeschäft tätig und eine aktive, akademisch gebildete und sehr informierte Wertpapierkundin mit langjährigen Erfahrungen im Aktien- und Aktienfondsbereich, die sich auch aus eigenem Antrieb heraus nach bestimmten Anlageformen, z.B. in Aktien-Branchenfonds erkundigte. Hinweise auf eine Geschäftsunfähigkeit oder eingeschränkte Geschäftsfähigkeit bei beginnender Demenz hätten sich in dem Telefongespräch mit der Klägerin nicht gezeigt.

Wegen der erhaltenen Provisionen hat die Beklagte zu 1. auf die vorgelegten Unterlagen verwiesen, insbesondere auf die Produktinformation (Bl. 12). Der Beklagte zu 2. habe keine Provision erhalten.

Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil (Bl. 221 f.) abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin habe eine mangelhafte, nicht anlegergerechte Beratung durch den Beklagten nicht bewiesen und könne daher weder Auskunft noch die Rückgängigmachung des Kaufs im Wege des Schadensersatzes oder wegen ungerechtfertigter Bereicherung beanspruchen. Die behauptete Geschäftsunfähigkeit sei nicht nachgewiesen worden.

Gegen das am 25. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Juli 2012 Berufung eingelegt und diese am 23. August 2012 begründet.

Die Parteien vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Klägerin macht ergänzend geltend, sie könne den Kauf des Inhabergenussscheins nach §§ 312 b f. BGB als Vertrag widerrufen, da sie nicht entsprechend Art. 246 §§ 1 und 2 EGBGB vor Vertragsschluss hinreichend belehrt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtene Entscheidung abzuändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin Zug um Zug gegen Rückgabe des Genussscheins … 32.550,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 20.03.2008 zu bezahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, der Klägerin Auskunft über jegliche Provisionen zu erteilen, die an sie für die Veräußerung des Genussscheins …, geflossen sind.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wenden ein, ein Recht zum Widerruf bestehe nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB nicht.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K… S…, A… K… und C… Sc….

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das erstinstanzliche Urteil sowie das Protokoll der Beweisaufnahme Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist in Bezug auf die Beklagte zu 1. im Wesentlichen begründet, sonst unbegründet.

1. Die Beklagte zu 1. haftet der Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1, 281 Abs. 2, 249 Abs. 1, 164 Abs. 1 BGB auf Rückgängigmachung der Geldanlage.

a) Zwischen der Klägerin und der Y… AG ist nach § 675 BGB ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder der Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (vgl. BGHZ 123, 126, Juris Rn. 11). Eine Bank ist dabei regelmäßig Anlageberaterin und nicht lediglich reine Anlagevermittlerin (vgl. BGH NJW 2011, 3227, 3228).

Dies gilt vorliegend in besonderer Weise, da die Klägerin seit 1995 von dem Beklagten zu 2. im Namen der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1. über einen langen Zeitraum hinweg über die Anlage ihres Vermögens beraten wurde und die Klägerin ihm vertraute.

b) Die Y… AG als Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1. hat die sich aus diesem Beratungsvertrag ergebenden Pflichten in einer zum Schadensersatz verpflichtenden Weise verletzt.

Inhalt und Umfang der Beratungspflicht müssen sowohl anleger- als auch anlagegerecht sein, wobei die konkrete Ausgestaltung der Beratung entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt. Zu den Umständen in der Person des Kunden gehören insbesondere dessen Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft; zu berücksichtigen ist also vor allem, ob es sich bei dem Kunden um einen erfahrenen Anleger mit einschlägigem Fachwissen handelt und welches Anlageziel der Kunde verfolgt. Die Kenntnis von solchen Umständen kann die Bank aus langjährigen Geschäftsbeziehungen mit dem Kunden gewonnen haben; verfügt sie nicht über entsprechendes Wissen, muss sie Informationsstand und Anlageziel des Kunden erfragen. Die Beratung hat sich daran auszurichten, ob das beabsichtigte Anlagegeschäft der sicheren Geldanlage dienen soll oder spekulativen Charakter hat. Die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung dieses Ziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten, also "anlegergerecht" sein (vgl. BGHZ 123, 126, Juris Rn. 14 - 17), § 31 Abs. 4 WpHG.

In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Dabei ist zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Börsenmarktes) und den speziellen Risiken zu unterscheiden, die sich aus den individuellen Gegebenheiten des Anlageobjekts (Kurs-, Zins- und Währungsrisiko) ergeben. Für den Umfang der Beratung ist hier insbesondere von Bedeutung, ob die beratende Bank das Anlageobjekt in ein von ihr zusammengestelltes Anlageprogramm aufgenommen hat und sie dieses Anlageprogramm zur Grundlage ihrer Beratung macht. Der Anlageinteressent darf davon ausgehen, dass seine ihn beratende Bank, der er sich aufgrund der von dieser in Anspruch genommenen Sachkunde anvertraut, die von ihr in das Anlageprogramm aufgenommenen Papiere selbst als "gut" befunden hat (vgl. BGHZ 123, 126, Juris Rn. 18).

c) Die Beratung durch den (für die Y…AG tätigen) Beklagten zu 2. war nicht anlegergerecht. Er kannte das Alter der Klägerin; er wusste, dass die Klägerin in der DDR lebte und früher Lehrerin war. Sachkenntnisse im Bereich des Wertpapierhandels konnte man danach nicht erwarten. Unterstellt, die Klägerin hätte, wie von den Beklagten behauptet, sich im Laufe der Jahre informiert und aktiv mit dem Wertpapierhandel befasst, wobei die Beklagten ihre Risikobereitschaft mit „mittel“ angeben hat (Bl. 302 d.A.), hätte sie vorliegend gleichwohl über die Risiken aufgeklärt werden müssen.

Der Beklagte zu 2. empfahl ihr, von einem Investmentfonds der A… („A…“) mit einer entsprechenden Kapitalsicherung (Sondervermögen nach dem Investmentgesetz) auf den streitgegenständlichen Inhabergenussschein auf der Grundlage von Hedge-Fonds „umzusteigen“. Dieser wies ein ungleich höheres Risiko bis hin zum Totalverlust auf, hatte eine Laufzeit von 15 Jahren und war nicht frei handelbar, so dass die Klägerin bei Bedarf nicht auf ihr Vermögen zurückgreifen konnte. Dies stellt eine grundlegend geänderte Anlagestrategie dar, für die der Beklagte zu 2. die Interessen der Klägerin erneut hätte erfragen und sie eingehend beraten müssen. Selbst wenn die Klägerin früher einem Ankauf von Wertpapieren mit einer Gefahr des Wertverlustes zugestimmt haben sollte, kann sich ein Anlageverhalten je nach der persönlichen und finanziellen Lage des Anlegers (Alter, erhöhter Bedarf für eine Pflege oder Unterbringung) und der Marktlage ändern. Hinzu kommt, dass es sich bei der Anlage um einen beträchtlichen Teil (30 oder gar 40 %) des Vermögens der Klägerin handelte. Angesichts ihres Alters drängte sich die Annahme auf, sie könnte den Betrag für ihre Altersabsicherung und eine mögliche Pflege benötigen. Die Beklagten behaupten zwar, der Klägerin sei es auf eine Verfügbarkeit nicht angekommen, weil sie den Betrag für ihre Kinder erhalten wolle. Aber auch in diesem Fall war der Klägerin der Erhalt ihres Vermögens wichtig, während es auf eine Steuerersparnis bei der finanziellen Situation der Klägerin nicht ankam.

Hätte der Beklagte zu 2. mit der Klägerin ein entsprechendes Beratungsgespräch geführt, so hätte er zudem erkennen müssen, dass die Klägerin seine Erläuterungen zu dem Inhabergenussschein nicht soweit verstand, dass sie auf Grund seiner Beratung eine verantwortliche Entscheidung hätte fällen können. Wie die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats ergeben hat, konnte die Klägerin damals schon die Erklärungen des Beklagten zu 2. gedanklich nicht mehr voll erfassen. Die Zeuginnen haben übereinstimmend ausgesagt, die Klägerin sei im Jahr 2008 bereits in ihren geistigen Fähigkeiten sehr eingeschränkt gewesen und habe den Inhalt eines Gesprächs nicht mehr erfasst bzw. sogleich vergessen. Dies war für den jeweiligen Gesprächspartner dadurch erkennbar, dass sie nach kurzen Momenten immer wieder dieselbe Frage stellte und z.B. auf einer Zugfahrt oder einem Spaziergang mehrfach kurz hintereinander fragte, wohin es gehe, so die Zeugin K…, oder in jedem Gespräch mit der Zeugin S…, ihrer Tochter, stets von Neuem fragte, in welcher Stadt diese wohne. Am … 2008, dem 80. Geburtstag ihres Ehemannes und nur wenige Monate nach Zeichnung des Genussscheines, wusste sie nach Aussage der Zeugin K… nicht, wer das „Geburtstagskind“ ist. Die Zeugin Sc… erlebte den Gesundheitszustand der Klägerin schon seit 2001 und stellte fortschreitende Einschränkungen in deren Geisteszustand fest, die bis zum Jahre 2008 zu einer bedeutenden Beeinträchtigung im Umgang mit der Klägerin führten. Als frühere Pflegekraft und Ehefrau eines an Demenz erkrankten Mannes verfügte sie über eine entsprechende Erfahrung. Alle Zeuginnen machten einen glaubwürdigen Eindruck und waren um eine ebenso sachliche wie anschauliche Schilderung bemüht. Aufgrund ihrer Angaben hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Klägerin schon Anfang des Jahres 2008 – und damit zum Zeitpunkt der telefonischen Beratung – so erhebliche geistige Defizite aufwies, dass ein Gesprächspartner jedenfalls im Zuge einer nicht nur ganz oberflächlichen, längeren Unterhaltung diese Defizite bemerken musste. Hätte der Beklagte zu 2. die Klägerin – wie erforderlich – eingehend beraten, dann hätte auch er dies erkennen müssen. Seine bei der informatorischen Anhörung vor dem Senat gemachte Angabe, von solchen Einschränkungen der geistigen Fähigkeiten nichts gemerkt zu haben, lässt nur den Schluss zu, dass die telefonische Beratung oberflächlich gewesen sein muss.

d) Darüber hinaus war die Beratung des Beklagten zu 2. auch nicht anlagegerecht. Er hat, persönlich gehört, angegeben, für den Genussschein hätten damals die Garantie der vollständigen Rückzahlung gesprochen und die weitgehende Steuerfreiheit (bis auf die 0,5 % Zinsen). Außerdem hätte die zugrunde liegende Zertifikate-Strategie damals funktioniert. Beim Vertrieb des Genussscheins sei man von einer Rendite von 5 bis 7 % ausgegangen („im Bereich des Möglichen“). Da das Papier nach zwei bis drei Jahren börsengängig sein sollte, sei er hiervon ausgegangen. Als Risiko habe er gegenüber der Klägerin (nur) vorübergehende Kursverluste angesprochen.

Mit diesem vom Beklagten zu 2. geschilderten Inhalt ging die Beratung über wesentliche Risiken des Genussscheines, wie sie in den Unterlagen der Y… und der Beklagten zu 1. vermerkt sind, hinweg:

Die damals von der Y… benutzte Marketingunterlage, die auch als „Term-sheet“ bezeichnet wird (Anlage BB1, Bl. 310 f.) ergibt, dass der Erfolg des Genussscheins von Hedge-Fonds abhängt, die von G… gemanagt werden. „Eine förmliche Kapitalgarantie ist allerdings nicht gegeben“ heißt es dort. Somit besteht für den Anleger das Risiko des Totalverlustes, falls der Emittent „pleite geht“. Auf dieses Risiko wurde die Klägerin in dem telefonischen Beratungsgespräch nicht hingewiesen. Dieses Risiko fällt umso mehr ins Gewicht, als die Klägerin sich zugleich auf eine mit 15 Jahren recht lange Laufzeit einlassen sollte oder musste – ein Zeitraum, in dem sich die für das Fortbestehen der Emittentin maßgeblichen wirtschaftlichen und finanziellen Gegebenheiten ganz erheblich ändern können. Außerdem musste sogar damit gerechnet werden, dass bei der Emittentin die „anfängliche Gewichtung der Risikoaktiva … voraussichtlich 100 %“ betrug (Bl. 311).

Kombiniert mit der niedrigen zugesagten Verzinsung („Fixer Kupon“ von 0,5 % p. a. auf den Nominalwert), lag angesichts der langen Laufzeit und der – bis heute – fehlenden Veräußerbarkeit das Risiko vor, über fünfzehn Jahre nicht an das investierte Geld heranzukommen, nur die 0,5 % Zinsen zu erhalten und außerdem keine Absicherung für den Fall einer Pleite der Emittentin zu haben. Eine Aufklärung hierüber ist in dem Telefonat nicht erfolgt.

Schließlich findet sich in der Marketingunterlage der Y… der Hinweis:

Konflikte: Da Unternehmen der G… hinsichtlich der Genusscheine unterschiedliche Rollen übernehmen, besteht ein Risiko, dass zwischen diesen Rollen und den eigenen Interessen Konflikte auftreten.“ (Bl. 313)

Diese Formulierung bedeutet nichts anderes als dass die hinter der Emittentin A… stehenden Unternehmen von G…, deren Marktverhalten die Werthaltigkeit des Genussscheins maßgeblich beeinflusst, unter Umständen eine Strategie verfolgen, die sich direkt gegen den Anleger wendet. Es liegt auf der Hand, dass über dieses – für einen normalen Anleger völlig unerwartete – Risiko aufgeklärt werden muss. Das ist in dem Telefonat ebenfalls unterblieben.

e) Der Genussschein war damit insgesamt das Gegenteil einer „konservativen“ Anlage. Er wies – zumal gegenüber dem Investmentfonds, den er im Depot der Klägerin „ablöste“ – ein deutlich erhöhtes, spekulatives Risiko auf, worüber keine gehörige Aufklärung erfolgte. Die Beklagte zu 1. muss sich die Beratungsfehler des Beklagten zu 2. als Rechtsnachfolgerin der Y… AG nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB zurechnen lassen.

Die Beratungsfehler des Beklagten zu 2. werden nicht durch die Ausführungen in dem „Term-sheet“ (Anlage BB1, Bl. 310 f.) ausgeglichen. Die Klägerin macht geltend, sie habe die Unterlagen überhaupt erst im Jahr 2009 erhalten, nachdem ihr Sohn diese angefordert hatte. Die Beklagte zu 1. wendet demgegenüber ein, der Beklagte zu 2. habe der Klägerin das „Term-sheet“ noch vor der telefonischen Beratung übersandt (Bl. 304 d.A.). Die ordnungsgemäße Aufklärung durch einen Prospekt setzt aber voraus, dass er dem Anleger so rechtzeitig vor der Anlageentscheidung übergeben wird, dass der Anleger sich mit dem Prospektinhalt vertraut machen kann (vgl. BGH vom 14. Mai 2013, XI ZR 431/10). Die Übergabe erst beim Verkaufsgespräch genügt nicht (vgl. BGHZ 193, 159, Rn. 20 f.). Ob ein Tag ausreicht, sich mit dem Inhalt eines Verkaufsprospektes vertraut zu machen oder ein längerer Zeitraum erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH NJW 2011, 3229, Juris Rn. 18). Grundsätzlich trägt der Anleger die Beweislast dafür, dass ein Prospekt nicht rechtzeitig vorgelegt wurde (vgl. BGH VersR 2013, 359, 360, Rn. 16). Der Beklagte zu 2. hat im Zuge seiner persönlichen Anhörung durch den Senat von sich aus geschildert, dass er die schriftliche Information erst im Anschluss an das Telefongespräch der Klägerin übersandt habe. Da war die Beratung aber schon beendet und die Kaufentscheidung gefallen. Erst auf die ausdrückliche Frage des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, ob er eine frühere Versendung – vor dem Telefonat nämlich – ausschließen könne, hat der Beklagte zu 2. dies verneint. Der Senat hat aus diesem Aussageverhalten die Überzeugung gewonnen, dass der Beklagte zu 2. die Unterlagen allenfalls nach dem maßgeblichen Telefonat abgeschickt hat und, dass seine Relativierung der zunächst klaren Aussage nur dem Bestreben geschuldet war, seinem Anwalt nicht zu widersprechen.

Auch im Übrigen gibt es nicht den geringsten Anhalt für die Annahme, dass die Klägerin die Unterlagen vor dem Telefonat und noch dazu so rechtzeitig erhalten haben könnte, dass sie in der Lage gewesen wäre, sich hieraus zu informieren.

Schließlich enthält das „Term-sheet“ selber den Hinweis: „Diese Information kann eine auf die individuellen Verhältnisse des Anlegers und seine Anlageziele abgestellte Beratung nicht ersetzen.“ (Bl. 313), so dass die persönliche Beratung durch den Beklagten zu 2. auch nach dem Willen der Y… den Vorrang haben sollte. Es gilt daher der Vorrang des gesprochenen Wortes wie im Übrigen grundsätzlich bei der Beratung z.B. auf der Grundlage eines Emissionsprospektes (vgl. BGH NJW 2011, 3573, 3574, Rn. 11).

f) Bei Aufklärungspflichtverletzungen wird das Verschulden nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet und die Beweislast im Hinblick auf die Kausalität umgekehrt, d.h., der Aufklärungspflichtige muss beweisen, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei ordnungemäßer Aufklärung erworben hätte, weil er den richtigen Rat oder Hinweis nicht befolgt hätte (BGH NJW 2011, 3227, 3229, Rn. 33; 3229 Juris Rn. 7). Dies ist der Beklagten zu 1. nicht gelungen. Die Klägerin beanspruchte schon kurz nach Zeichnung des Inhabergenussscheines die Rückgängigmachung, nachdem ihr jetziger Betreuer sich über die Risiken des Papiers erkundigt hatte.

g) Die Klägerin kann im Wege des Schadensersatzes nach § 249 Abs. 1 BGB beanspruchen, so gestellt zu werden wie sie stünde, wenn sie den Inhabergenussschein nicht gezeichnet hätte, d.h., sie kann die von ihr geleisteten Zahlungen zurückfordern Zug um Zug gegen Rückübertragung des Genussscheines.

Grundsätzlich steht der Klägerin zusätzlich nach § 252 BGB der ihr entgangene Gewinn zu. Dazu hätte sie aber vortragen müssen, dass sie den Betrag, den sie für den Inhabergenussschein aufgewandt hat, in eine alternative Anlage investiert hätte, die in dem fraglichen Zeitraum eine Rendite von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz erwirtschaftet hätte. An einem entsprechenden Vortrag fehlt es, so dass sie lediglich aus Verzug gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB ab ihrem Schreiben vom 5. September 2010 (Bl. 19 d.A.), mit dem sie die Rückgängigmachung des Kaufes verlangt, Zinsen in der geltend gemachten Höhe beanspruchen kann.

h) Das Landgericht hat, durch einen Sachverständigen beraten, eine Geschäftsunfähigkeit der Klägerin (§ 104 Nr. 2 BGB) zum Kaufzeitpunkt als nicht nachweisbar erachtet. Der Senat hat nach Vernehmung der drei Zeuginnen die Frage angesprochen, ob ein erneuter Aufklärungsversuch in dieser Richtung unternommen werden soll. Die Klägerin hat dies nicht beantragt. Daher geht der Senat davon aus, dass die Klägerin (noch) geschäftsfähig war. Dies hindert aber nicht die obige Feststellung, dass sie zum Zeitpunkt des Beratungsgespräches bereits in ihren geistigen Fähigkeiten eingeschränkt und dies auch für ihre Gesprächspartner erkennbar war.

Auf die Anfechtung der Klägerin wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise wegen Irrtums, kommt es nicht mehr an. Außerdem war die Anfechtung verspätet.

Die Klägerin kann ihre auf den Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung nicht nach § 355, 312d BGB widerrufen. Dem steht § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2012, XI ZR 439/11).

2. Die Auskunftsklage gegen die Beklagte zu 1. ist unbegründet.

Der Beratungsvertrag verpflichtet ein Kreditinstitut zwar dazu, dem Anleger Auskunft über Rückvergütungen aus der Vertriebsprovision zu erteilen. Aufklärungspflichtige Rückvergütungen liegen vor, wenn Teile der Ausgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren, die der Kunde über die Bank an die Gesellschaft zahlt, hinter seinem Rücken an die beratende Bank umsatzabhängig zurückfließen, so dass diese ein für den Kunden nicht erkennbares besonderes Interesse hat, gerade diese Beteiligung zu empfehlen (vgl. BGH NJW 2011, 3227, 3228, Rn. 20, 23 f.; vom 14.05.2013, XI 431/10 ).

Die Beklagte zu 1. hat jedenfalls die verlangte Auskunft erteilt, indem sie vorgetragen hat, über die in den Unterlagen ausgewiesene Provision hinaus keine solche bezogen zu haben.

3. Die Berufung der Klägerin in Bezug auf den Beklagten zu 2. ist nicht begründet.

Der Beklagte zu 2. ist nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Da er die Klägerin nicht als selbständiger Berater beraten hat und keine unmittelbare vertragliche Verbindung zwischen ihm und der Klägerin besteht, kommt lediglich eine Schadensersatzpflicht aus § 826 BGB wegen einer sittenwidrigen Schädigung in Betracht.

Ein Anlageberater, der vorsätzlich eine anleger- und objektwidrige Empfehlung abgibt und die Schädigung des um Rat fragenden Anlegers zumindest billigend in Kauf nimmt, ist dem Anleger wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet. Wird die Empfehlung auf Grund grob fahrlässigen Verhaltens leichtfertig in unrichtiger Weise abgegeben, ist sie dann als sittenwidrig zu werten, wenn sie erkennbar für die Entschließung des Anlegers von Bedeutung ist und in Verfolgung eigener Interessen in dem Bewusstsein einer möglichen Schädigung des Anlegers abgegeben wird (BGH NJW 2008, 1734, 1737, Rn. 29).

Die subjektiven Voraussetzungen für eine sittenwidrige Schädigung sind bei dem Beklagten zu 2. nicht gegeben. Auf Grund seiner persönlichen Anhörung ist der Senat davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2. die Klägerin weder vorsätzlich noch leichtfertig falsch beraten hat und deren Schädigung dabei vorsätzlich in Kauf nahm.

Der Beklagte zu 2. hat der Klägerin den Inhabergenussschein empfohlen, nachdem er zu Beginn der Zeichnungsphase an einer Schulung der Y… AG über Produktdetails teilgenommen hatte. Referent war ein Finanzmathematiker, nach dessen Ausführungen er nicht damit rechnete, der Kurs könne sich später dauerhaft negativ entwickeln. Außerdem ging er davon aus, das Papier werde nach zwei bis drei Jahren börsengängig sein, so dass die Klägerin wieder Zugriff auf ihr Vermögen gehabt hätte. Im Hinblick darauf empfahl er der Klägerin den Inhabergenussschein, zumal aus seiner Sicht eine hundertprozentige Rückzahlung garantiert war, so dass es allenfalls zu vorübergehenden Kursverlusten hätte kommen können. Außerdem erwartete er im Ergebnis eine Rendite von ca. 7 % und sah eine Steuerersparnis bei der Rückzahlung. Dies ist dem Beklagten nicht zu widerlegen, zumal er sich auf die – scheinbar wissenschaftlich fundierten - Ausführungen in der Schulung seiner Arbeitgeberin verlassen hat.

Allerdings hat der Beklagte zu 2. grob fahrlässig die Angaben in dem „Term-sheet“ nicht ernst genommen, ansonsten hätte er den Widerspruch zu den Ausführungen in der Schulung, die Interessenkollision zwischen dem Anleger und der Emittentin sowie das Risiko bis hin zu einem Totalverlust erkennen müssen. Auch wusste der Beklagte zu 2., dass sich die Klägerin auf seine Beratung stützt. Ihm fehlten jedoch die für eine Sittenwidrigkeit notwendigen eigenen Interessen und Vorteile aus dem Verkauf des Inhabergenussscheines. Er war bei der Y… AG fest angestellt und hat für den Verkauf keine gesonderte Provision erhalten, so dass er die Klägerin nicht zu seinem Vorteil falsch beraten hat.

Ein etwaiger Anspruch auf Auskunft gegen den Beklagten zu 2. über Rückzahlungen und interne Provisionen ist unbegründet, weil durch dessen Angaben bereits erfüllt.

4. Die Kostenentscheidung beruht §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte zu 1. hat die Kosten auch zu tragen, soweit sie auf die Auskunftsklage ihr gegenüber entfallen. Die Zuvielforderung der Klägerin war insoweit gering und hat keine zusätzlichen Kosten verursacht.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zukommt noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird wie folgt festgesetzt:

Klageantrag zu 1.:

        

32.550,00 €

Klageantrag zu 2.:

        

 1.000,00 €

insgesamt

        

33.550,00 €