Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 14. Senat | Entscheidungsdatum | 13.10.2011 | |
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Aktenzeichen | L 14 AL 174/11 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 86b Abs 2 S 2 SGG, § 77 Abs 1 SGB 3, § 77 Abs 2 SGB 3, § 77 Abs 4 SGB 3 |
Zur Umschulung als Heilpraktikerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Beschwerde der Antragstellerin vom 20. Juni 2011 gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Mai 2011 (dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt am 20. Mai 2011) hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die beantragte Förderung der Ausbildung zur Heilpraktikerin vorläufig zu bewilligen.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch im Sinne der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs sowie ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht sind. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat keinen vorläufig zu sichernden Anspruch auf Übernahme der Kosten für die zweijährige Heilpraktikerausbildung an der SSchule bzw. auf Erteilung eines entsprechenden Bildungsgutscheins.
Gemäß § 77 Abs. 1 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) steht die Übernahme von Weiterbildungskosten im pflichtgemäßen Ermessen der Antragsgegnerin. Danach können erwerbsfähige Hilfebedürftige bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn
1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist,
2. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und
3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.
Anerkannt wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitnehmern wegen fehlenden Berufsabschlusses gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB III, wenn sie
1. über einen Berufsabschluss verfügen, jedoch auf Grund einer mehr als vier Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben können, oder
2. nicht über einen Berufsabschluss verfügen, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.
Liegen die Voraussetzungen für eine Förderung vor, wird dem Arbeitnehmer dies mittels eines Bildungsgutscheins gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 SGB III bescheinigt.
Soweit die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2010, der Gegenstand der beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) anhängigen Klage S 12 AL 193/10 ist, die Notwendigkeit der Weiterbildung zur Heilpraktikerin u.a. wegen fehlender Integrationsaussichten in den Arbeitsmarkt verneint hat, weil für Heilpraktiker derzeit keine versicherungspflichtigen Stellenangebote verfügbar seien, stände dies allein zwar einer Förderung der beruflichen Weiterbildung zur Heilpraktikerin, einer ohnehin überwiegend selbständig ausgeübten Tätigkeit, nicht von vornherein entgegen.
Ob eine Förderung der begehrten Umschulung zur Heilpraktikerin ferner deshalb ausgeschlossen ist, weil es sich bei dieser Bildungsmaßnahme nicht um eine berufliche Weiterbildung, sondern um eine Ausbildung handelt, kann für das vorliegende Verfahren dahinstehen. Denn weder für den Fall des Vorliegens einer Weiterbildungsmaßnahme noch einer Ausbildung steht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Förderfähigkeit nach dem SGB III gegenüber der Antragsgegnerin fest. Die Zuordnung der konkreten Maßnahme entweder als Weiterbildung oder als Ausbildung ist nach objektiven Kriterien vorzunehmen. Maßgeblich insofern ist nicht die Perspektive des Teilnehmers, sondern die konkrete Ausgestaltung des Bildungsangebots aufgrund der objektiv erkennbaren Umstände. Nach dem jeweiligen Zuschnitt, der Struktur und den Inhalten ist zu entscheiden, ob es sich um eine schulische oder berufliche Ausbildung oder aber um eine berufliche Weiterbildung handelt. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, etwa welche Vorkenntnisse für die erfolgreiche Teilnahme an der Maßnahme erforderlich sind, welche Unterrichtsformen geplant sind und welcher Abschluss angestrebt wird (vgl. BSG, Urteile vom 27. Januar 2005 – B 7a/7 AL 20/04 R – Juris Rn. 16 und vom 17. November 2005 – B 11a AL 23/05 R – Juris Rn. 17 jeweils m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. November 2006 – L 6 B 388/06 AL ER – Juris Rn. 18 m.w.N.). Wie sich darüber hinaus aus der in § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III gegenüber einer Ausbildungsmaßnahme verkürzten Dauer einer Weiterbildungsmaßnahme ergibt, müssen die Inhalte und ihre Vermittlung bei einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung an berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten anknüpfen, die aus einer vorangegangenen Ausbildung oder einer sonstigen beruflichen Tätigkeit resultieren. Ob sich vorliegend unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt, dass es sich bei der in Aussicht genommenen Heilpraktikerausbildung um eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung handelt, weil von der SSchule, wie den von der Antragstellerin überreichten Informationen zur Heilpraktikerausbildung zu entnehmen ist, neben der 3 ¼-jährigen Ausbildung auch eine zweijährige Heilpraktikerausbildung mit demselben Ausbildungspensum als Weiterbildungsmaßnahme angeboten wird, die von einer dafür zugelassenen fachkundigen Stelle nach § 85 SGB III als „Weiterbildungsmaßnahme“ zugelassen (zertifiziert) worden ist, ohne dass allerdings für diese „Weiterbildungsmaßnahme“ berufliche Zugangsvoraussetzungen beständen, kann jedoch letztlich offen bleiben.
Ebenfalls dahinstehen kann, ob die Notwendigkeit der angestrebten Bildungsmaßnahme im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB III zu bejahen ist, wenngleich dies erheblichen Zweifeln unterliegt. Diese tatbestandliche Voraussetzung setzt eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Prognoseentscheidung der Antragsgegnerin voraus zu der Frage, ob die Maßnahme der beruflichen Weiterbildung die Eingliederungschancen des Arbeitnehmers erhöht (Beschäftigungsprognose). Es muss die Erwartung bestehen, dass die Eingliederungschancen nach der Maßnahme besser sein werden als vorher. Kann hingegen dem Arbeitnehmer auch ohne diese Förderung voraussichtlich ein anderer Arbeitsplatz vermittelt werden, so wird das Ziel der Förderung der beruflichen Weiterbildung anderweitig erreicht; die Förderung ist also nicht notwendig (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2003 – B 7 AL 66/02 R – Juris Rn. 19 ff., 22). Entsprechende Umstände hat die 52jährige Antragstellerin, die von September 1982 bis Oktober 1988 Rechtswissenschaften an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften P studiert und ihrem Vortrag zufolge einen – in der Bundesrepublik Deutschland nicht als gleichgestellt anerkannten – Bildungsabschluss als Diplom-Staatswissenschaftlerin erworben habe, in der Folgezeit in verschiedenen Stellen als Bürokraft, von 1986 bis August 1990 als Leiterin Personal beim B Berlin und zuletzt von August 1990 bis zu ihrer Kündigung zum 31. Juli 2010 als Gebietsleiterin bei der Firma neckermann.de GmbH tätig war und der bis zum 30. Oktober 2011 Arbeitslosengeld in Höhe von 50,93 EUR täglich bewilligt worden ist, nicht plausibel vorgetragen. Allein ihr Vortrag, sich etwa 80 mal erfolglos beworben zu haben, genügt diesen Anforderungen ebenso wenig wie ihre pauschale Behauptung, die Weiterbildungsmaßnahme würde ihre Wiedereingliederungschancen in den Arbeitsmarkt jedenfalls erhöhen. Wie ausgeführt, kann dies im Ergebnis jedoch für das vorliegende Verfahren offen bleiben. Denn der von der Antragstellerin geltend gemachte Anspruch auf eine einstweilige Übernahme der Kosten für die berufliche Weiterbildung zur Heilpraktikerin bzw. auf Erteilung eines entsprechenden Bildungsgutscheins würde darüber hinaus voraussetzen, dass das Ermessen der Antragsgegnerin aller Voraussicht nach auf Null reduziert ist, also keine andere Entscheidung als die Bewilligung der angestrebten Umschulung zur Heilpraktikerin rechtmäßig wäre, ohne die beantragte Regelungsanordnung Rechtsschutz nicht rechtzeitig erreichbar und dies für die Antragstellerin unzumutbar wäre (vgl. hierzu auch LSG Hamburg, Urteil vom 3. Februar 2011 – L 5 AS 172/10 – Juris Rn. 23 f., LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. September 2009 – L 19 B 266/09 AS ER – Juris Rn. 18 f.). Dies ist hier nicht der Fall.
Gründe für eine Ermessensreduzierung auf die begehrte Förderung sind nicht erkennbar. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der von der Antragstellerin angestrebten Ausbildung zur Heilpraktikerin um die einzige Maßnahme handelt, mit der eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden könnte. Während die Antragsgegnerin im Falle etwaiger, bei der Antragstellerin zu Tage tretender fachlicher Defizite die Förderung einer modularen Weiterbildung etwa im Personalwesen oder im kaufmännischen Bereich angeregt hat, strebt die Antragstellerin selbst offenbar ausschließlich eine Umschulung zur Heilpraktikerin an. Konkrete Angaben dazu, weshalb sie in ihrem bisherigen Berufsfeld wenig bis keine Wiedereingliederungschancen habe, hat sie selbst nicht getätigt. Nach dem bei der Antragsgegnerin durchgeführten Beratungsgespräch war sie etwa 19 Jahre als Gebietsleiterin im Außendienst überregional tätig, habe 12 bis 14 Mitarbeiter betreut, Schulungen durchgeführt, Personaleinstellungen vorgenommen. Sie verfüge auf dem Bereich der Kundenberatung und -betreuung sowie der Betriebswirtschaftslehre über Expertenkenntnisse und im Bereich der Bezirksleitung (Handel und Vertrieb), des Personalwesens sowie der Gruppen- und Teamleitung über erweiterte Kenntnisse. Bei dieser Sachlage ist jedoch von der Antragstellerin nicht mit der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit dargetan, dass das Ermessen auf die Bewilligung der angestrebten Fördermaßnahme reduziert ist.
Im Übrigen fehlt es auch an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für die beantragte Regelungsanordnung im Sinne eines Anordnungsgrundes. Denn nach den von der Antragstellerin zum Verfahren gereichten Informationen zur Heilpraktikerausbildung an der S Schule ist ein Einstieg mit individueller Stundenplanerstellung und Kombination von Kursen jederzeit möglich. Hiermit in Einklang steht die mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2011 eingereichte Bescheinigung vom 23. September 2011, wonach bis November dieses Jahres sogar die Möglichkeit bestände, noch in den laufenden Kurs einzusteigen. Auch nach dem aktuellen Internetauftritt der Ausbildungseinrichtung (http://www.sschule.de/) orientiert sich der Ausbildungsbeginn zwar an den Prüfungszyklen der staatlichen Gesundheitsämter, so dass jeweils der 1. November oder 1. April für einen Beginn sinnvoll sei; grundsätzlich sei aber ein Einstieg in die Maßnahme mit individueller Stundenplanerstellung und Kombination von Kursen jederzeit möglich.
Nur vorsorglich wird für den Fall, dass es sich bei der als Weiterbildungsmaßnahme von der Einrichtung deklarierten Bildungsmaßnahme entsprechend der im Schulvertrag verwendeten Terminologie um eine Ausbildung im arbeitsförderungsrechtlichen Sinne handeln sollte, darauf hingewiesen, dass eine solche nach dem SGB III von vornherein nicht förderungsfähig wäre. Denn gemäß § 60 Abs. 1 SGB III ist eine berufliche Ausbildung nur dann förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist. Der Beruf des Heilpraktikers zählt jedoch nicht zu diesen Berufen (vgl. das Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe 2011 des Bundesinstituts für Berufsbildung zu § 90 Abs. 3 Berufsbildungsgesetz – BBiG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).