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Bauplanungs-, Bauordnungs- und Städtebauförderungsrecht


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 7. Kammer Entscheidungsdatum 28.08.2014
Aktenzeichen VG 7 K 537/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 34 BauGB

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Genehmigung für die Errichtung einer Werbeanlage auf dem Gebiet der Beigeladenen.

Am 7. Oktober 2010 beantragte die Klägerin die Genehmigung zur Errichtung einer Plakatwerbetafel auf dem Grundstück xxxstraße xxx in xxx (Gemarkung xxx, Flur xx, Flurstück xxx). Die doppelseitig nutzbare, freistehende Werbetafel soll der Ankündigung von Veranstaltungen, der Parteien- und der Wirtschaftswerbung dienen. Ausweislich des eingereichten Antrags soll sie eine Größe von 10,2 m² (Breite: 3,75 m, Höhe: 2,70 m), eine Ausladung von 0,10 m, eine lichte Durchgangshöhe von 1,50 m und eine Gesamthöhe von 4,20 m haben. Als verwendete Werkstoffe sind Stahl und Leichtmetall angegeben. Die Aufstellung soll auf Höhe der östlichen Hauswand des Gebäudes auf dem oben genannten Grundstück, im rechten Winkel zum Fußweg und in einem Abstand von 0,5 m zu diesem erfolgen. Ferner ist hinsichtlich der Lage des Vorhabens zur öffentlichen Straße angegeben, es befinde sich ca. 3,00 m entfernt vom Fahrbahnrand (L 234). Das Fundament soll aus Beton bestehen. Mit Blick auf die jahrzehntelange Erfahrung soll sich ein besonderer Nachweis der Standsicherheit den Antragsunterlagen zufolge erübrigen.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 forderte der Beklagte die Klägerin zur Nachreichung fehlender Unterlagen (u.a. zeichnerische Darstellung des Werbeschilds mit Maßangaben, Angabe des konkreten Abstandes zur Straßengrundstücksgrenze) auf. Unter dem 11. November 2010 reichte die Klägerin die angeforderten Unterlagen nach.

Die Beigeladene verweigerte am 6. Dezember 2010 dem Beklagten gegenüber die Erteilung ihres Einvernehmens. Zur Begründung führte sie aus, das der Fremdwerbung dienende Vorhaben sei als eigenständige gewerbliche Hauptnutzung zu beurteilen. Die vorhandenen Hauptnutzungen (Wohnhäuser und gewerblich genutzte Gebäude) auf den Grundstücken entlang der xxxstraße lägen ca. 8 bis 20 m entfernt von der jeweils straßenseitigen Grundstücksgrenze. Vorgelagert befänden sich die Zufahrten von Stellplätzen. Eine gewerbliche Hauptnutzung, wie beantragt, sei nicht vorhanden. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Auch werde eine Zulassung der Werbetafel negative Vorbildwirkung entfalten.

Der Landesbetrieb Straßenwesen stimmte dem Vorhaben unter dem Widerrufsvorbehalt der Einhaltung einiger Nebenbestimmungen (u.a. Mindestabstand von 3,50 m zur Fahrbahnkante) zu.

Nach erfolgter Anhörung der Klägerin lehnte der Beklagte die Erteilung der beantragten Baugenehmigung mit streitgegenständlichem Bescheid vom 13. Januar 2011 ab. Zur Begründung führt er aus, die Werbetafel solle in einer mit Wohnhäusern und gewerblich genutzten Gebäuden bebauten Umgebung errichtet werden. Seiner Größe nach sei das Vorhaben den vorhandenen Gebäuden deutlich untergeordnet. Auch Hinsicht der Art des Maßes der baulichen Nutzung sowie der Bauweise füge sich die Werbetafel in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Allerdings sei dies nicht der Fall bezüglich der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle. Denn die vorhandenen Hauptnutzungen entlang der xxxstraße lägen 8 - 20 m entfernt von der jeweils straßenseitigen Grundstücksgrenze. In den diesen Hauptnutzungen vorgelagerten Grundstücksbereichen befänden sich Zufahrten und auch für die jeweilige Hauptnutzungen notwendige Stellplätze. Eine gewerbliche Nutzung sei nicht vorhanden. Allerdings könnten auch Vorhaben, die in der näheren Umgebung bisher nicht vorkämen zulässig sein, wenn sie keine bewältigungsbedürftigen Spannungen begründet oder vorhandene Spannungen verstärken würden, insbesondere wenn sie keine negativen Vorbildwirkungen entfalten würden. Letztgenanntes sei vorliegend aber der Fall. Die Aufstellung einer nicht unerheblichen Anzahl von weiteren Werbetafeln entlang der xxxstraße könne dann nicht verhindert werden. Auch sei die freistehende Werbetafel aufgrund ihrer Größe von planungsrechtlicher Relevanz und geeignet, eine städtebaulich relevante Entwicklung einzuleiten. Auch führe diese Art der baulichen Nutzung in den der Hauptnutzung vorgelagerten Grundstücksbereichen entlang der Straße zu einer Beeinträchtigung des vorhandenen Ortsbildes.

Die Klägerin begründet ihren Widerspruch vom 31. Januar 2011 wie folgt: Die umgebende Bebauung sei sowohl von der Bebauungstiefe her als auch hinsichtlich der baulichen Eigenart völlig unterschiedlich. Es bestehe keine einheitliche Baugrenze bzw. Baulinie. Es sei daher nicht zu erkennen, in welcher Art und Weise das Vorhaben die Eigenart der näheren Umgebung beeinträchtige. Dasselbe gelte hinsichtlich der Beeinträchtigung des Ortsbildes. Hinsichtlich einer solchen sei auf einen größeren Rahmen abzustellen. Darüber hinaus sei nicht jedes Ortsbild besonders schützenswert.

Nachdem die Beigeladene auch im Widerspruchsverfahren ihr Einvernehmen verweigerte, wies der Beklagte (entsprechend der bauplanungsrechtlichen Stellungnahme) den Widerspruch mit Bescheid vom 19. Mai 2011 zurück. Zur Begründung wiederholte er seine Ausführungen im Ausgangsbescheid und stellte darüber hinaus fest, dass die Errichtung der beantragten Werbeanlage zu einer störenden Häufung führe, da auf dem Vorhabengrundstück bereits mehrere Werbeanlagen für Werbung an der Stätte der Leistung vorhanden seien.

Mit ihrer Klage vom 27. Mai 2011 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung stellt sie ergänzend zu ihrer Widerspruchsbegründung darauf ab, dass eine faktische Baugrenze schon deshalb nicht bestehe, weil in der Umgebung des Vorhabenstandorts überhaupt nur ein Gebäude, nämlich das Gebäude auf dem Vorhabengrundstück, existiere. Alle anderen Bebauungen auf den benachbarten Grundstücken lägen gestaffelt wesentlich weiter zurück. Eine faktische Bauflucht gebe es nicht. Die Voraussetzungen für eine störende Häufung lägen im Tatsächlichen nicht vor.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 13. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2011 die Genehmigung zur Errichtung einer Werbeanlage auf der Liegenschaft xxx, xxxstraße xxx, gemäß der eingereichten Bauvorlagen zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung widerspricht er - über seine Ausführungen in den Bescheiden hinaus - der Darstellung der Klägerseite, es gebe in der Umgebung des Vorhabens nur ein Gebäude. Vielmehr sei die xxx-xxx-Straße, in die die xxxstraße östlich münde, bis auf zwei Baulücken bebaut. Darüber hinaus reicht er mehrere Fotos zur Belegung des Umstandes her, dass auf dem Vorhabengrundstück bereits zwei, auf dem sich westlich anschließende Flurstück xxx drei und dem sich östlich anschließenden Flurstück ebenfalls drei genehmigungsfreie Werbeanlagen an der Stätte der Leistung existierten.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. In der Sache hat sie geäußert, dass sie keine Anhaltspunkte sehe, von der Verweigerung des Einvernehmens abzurücken.

Die Einzelrichterin hat in der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2014 Beweis erhoben durch Ortsbesichtigung und Augenscheineinnahme; wegen der dabei getroffenen Feststellungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 13. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2011ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, weil diese keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zur Errichtung der Werbeanlage hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Errichtung der geplanten Werbetafel ist gemäß § 55 Abs. 1 BbgBO genehmigungspflichtig, ein Fall der Genehmigungsfreiheit für bestimmte Werbeanlagen nach Absatz 8 der Vorschrift liegt ersichtlich nicht vor.

Anspruchsgrundlage ist § 67 Abs. 1 Satz 1 Brandenburgische Bauordnung (BbgBO). Danach ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, denn das Vorhaben der Klägerin ist jedenfalls bauplanungsrechtlich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, unzulässig.

Das Baugrundstück liegt nicht im Umgriff eines Bebauungsplans. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich nach § 34 BauGB. Absatz 1 der Vorschrift zufolge ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Bei der Bestimmung des Gebiets-charakters ist zunächst die nähere Umgebung im Sinne des § 34 BauGB und damit der räumliche Bewertungsrahmen festzulegen. Einzubeziehen ist der Bereich, auf den sich das Vorhaben hinsichtlich des jeweiligen Merkmals auswirken kann und welcher seinerseits das Baugrundstück prägt. Neben der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstückes muss demnach auch die Bebauung der Umgebung in die Bewertung einbezogen werden, sofern diese noch prägend auf das Grundstück einwirken kann.

Offen bleiben kann letztlich, ob sich das Vorhaben nach Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dies dürfte indes der Fall sein, wovon auch der Beklagte ausgeht. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der aufgrund des § 9a BauGB erlassenen Verordnung (Baunutzungsverordnung - BauNVO -) bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen ist § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden (§ 34 Abs. 2 BauGB). Vorliegend entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem Mischgebiet i.S.v. § 6 BauNVO, wie sich anlässlich der mündlichen Verhandlung vor Ort ergeben hat. Dieses ist typischerweise gekennzeichnet durch ein Nebeneinander von Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung. Eine solche Lage ist, wie insbesondere der Augenschein durch das Gericht ergeben hat, hier offensichtlich gegeben:

Der maßgebliche Rahmen der näheren Umgebung hinsichtlich des Merkmals der Art der baulichen Nutzung umfasst den Bebauungszusammenhang nördlich der Bahnhofstraße im Westen allenfalls beginnend mit der xxxstraße xxx (Flurstück xxx) und spätestens endend mit der xxxstraße xxx (Flurstücke xxx und xxx). Darüberhinausgehende Bebauungen prägen weder das Vorhaben noch werden sie ihrerseits durch diese geprägt. Denn im Westen schließt ein Knick der xxxstraße gen Norden und im Osten der Übergang der xxxstraße in die ebenfalls scharf gen Norden abknickende xxx-xxx-Straße einen weiteren Bezug aus.

Im so beschriebenen Abschnitt entlang der xxxstraße befinden sich neben Wohnhäusern auch Anwesen, auf denen eine gewerbliche Nutzung stattfindet. Während westlich des Vorhabengrundstücks - soweit für die hiesige Betrachtung noch relevant - insbesondere Wohnnutzungen zu finden sind, stellt sich die Lage auf dem Vorhabengrundstück und östlich davon wie folgt dar: Auf dem Vorhabengrundstück (Flurstück xxx) und auf dem östlichen Nachbargrundstück (Flurstücke xxx und xxx) werden mehrere Gewerbe samt Eigenwerbungstafeln betrieben, auf dem Grundstück xxxstraße xxx (Flurstück xxx) befinden sich neben einer Wohnnutzung eine Fahrschule und eine Versicherungsagentur. Das östlich sich anschließende Grundstück (Flurstück xxx) weist wiederum eine Wohnnutzung auf. Das nächste Grundstück (Flurstück xxx) weist eine Wohnnutzung und das Büro eines Rechtsanwaltes auf. Es schließen sich an (Flurstück xxx) ein Gebäude mit gemischter Nutzung (oben Wohnnutzung und unten Cafébetrieb). Auch die weiteren Grundstücke xxxstraße xxx und xxx (Flurstücke xxx und xxx) weisen eine solche Mischung auf (Wohnnutzung und Nutzung durch Ärzte u.ä. sowie Apotheke). Folgend auf zwei Mehrfamilienhäuser (Flurstücke xxx und xxx) findet sich auf dem letzten in östlicher Richtung vielleicht noch einzubeziehenden Grundstück wiederum eine gemischt Nutzung (Flurstücke xxx und xxx, Secondhandladen).

Die streitgegenständliche Werbeanlage ist nach seiner Art gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO als sonstiger Gewerbebetrieb zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung sind selbständige Anlagen der Fremdwerbung – um eine solche handelt es sich hier - eigenständige gewerbliche Hauptnutzungen, die als sonstige Gewerbebetriebe im Sinne der genannten Vorschrift anzusehen sind (st. Rspr. seit BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1992 – 4 C 27.91 -, zitiert nach Juris). Denn eine Nebenanlage im Sinn des § 14 BauNVO ist eine Außenwerbung nur „an der Stätte der Leistung“ (vgl. dazu etwa Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. Juli 2012 – 15 ZB 12.117 –, zitiert nach Juris).

Unter Berücksichtigung der relevanten Bebauung entlang der xxxstraße ist die Werbeanlage aber insofern planungsrechtlich unzulässig, als sie sich hinsichtlich der Grundfläche, die überbaut werden soll, nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die nähere Umgebung einfügt. Denn sie liegt außerhalb der auch durch eine solche bauliche Anlage einzuhaltenden Baugrenze.

Vorauszuschicken ist Folgendes: Für Bebauungspläne enthält § 23 BauNVO Regelungen zur überbaubaren Grundstücksfläche. Gemäß § 23 Abs. 3 BauNVO darf bei Festlegung einer Baugrenze diese durch Gebäude und Gebäudeteile (und - wie noch näher zu erläutern ist - auch anderen baulichen Anlagen: siehe BVerwG vom 7. Juni 2001 - 4 C 1.01 -, zitiert nach Juris) nicht überschritten werden. Für § 34 BauGB kann hinsichtlich der Prüfungskriterien grundsätzlich auf das Ordnungssystem der BauNVO abgestellt werden. Für das Zulässigkeitsmerkmal "überbaubare Grundstücksfläche" kann damit auf die in § 23 BauNVO bezeichneten Begriffsbestimmungen von Baulinie, Baugrenze und Bebauungstiefe zurückgegriffen werden, falls die Eigenart der Umgebung von "faktischen" Baugrenzen bestimmt ist. Zu beachten ist insofern, dass die „faktischen Baugrenzen“ oft nicht einheitlich sind. Daraus ergeben sich entsprechende Spielräume. Sie ergeben sich weiter daraus, dass auch faktisch eindeutige Baugrenzen überschritten werden können, wenn dadurch bodenrechtlich beachtliche Spannungen nicht begründet oder vorhandene Spannungen erhöht werden (vgl. hierzu insgesamt: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 2014, § 34, Rn. 47, m.w.N.). Zwar bezieht sich § 23 Abs. 3 BauNVO ausdrücklich nur auf Gebäude und Gebäudeteile. Unabhängig davon, ob es sich um eine in einem Bebauungsplan festgestellte oder um eine tatsächliche Baugrenze im oben genannten Sinne handelt, gilt eine (faktische) Baugrenze aber auch für eine Werbeanlage, die eine gewerbliche Hauptnutzung im o.g. Sinne darstellt (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall: VG Augsburg. Urteil vom 20. März 2013 - Au 4 K 12.1583 -, zitiert nach Juris). Das Gericht folgt insoweit der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, das sich hierfür auf Textgeschichte, systematischen Zusammenhang und die Zielsetzung bauplanerischer Festsetzungen stützt. Es legt plausibel dar, dass der damalige Verordnungsgeber mit Blick auf das seinerzeitige Regelungsumfeld keinen Anlass gesehen hat, der unterscheidenden Umschreibung von Gebäudetypen und anderen baulichen Anlagen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, um damit mittelbar den Inhalt von Baulinien, Baugrenzen und Bebauungstiefen eingrenzend zu regulieren. Vielmehr hat er das Augenmerk insbesondere auf die Unterscheidung zwischen Gebäuden und Nebenanlagen gelegt. Eine Auslegung, wonach eine bauliche Anlage, welche bauplanerisch weder "Gebäude" noch "Nebenanlage" ist, als Hauptnutzung "vor der Baugrenze" ohne Weiteres zulässig wäre, würde der Zielsetzung der Verordnung als Grundlage für die bauplanungsrechtlichen Absichten einer Gemeinde zuwiderlaufen (vgl. im Einzelnen: BVerwG, a.a.O.). Nichts Anderes kann im Fall der hilfsweisen Heranziehung der Vorschrift im Rahmen des § 34 BauGB gelten.

Nach diesen Maßstäben hat sich eine einheitliche vordere Baugrenze in der maßgeblichen Umgebung gebildet, welche das etwa einen halben Meter hinter dem Fußweg (und auch hinter der Flurstücksgrenze) endende Vorhaben nicht einhält.

Nach den dem Gericht vorliegenden Übersichtslageplänen (übergebenes Luftbild aus dem Brandenburgviewer mit Liegenschaftskataster sowie Auszug aus dem Liegenschaftskataster) und nach der durchgeführten Inaugenscheinnahme ist festzustellen, dass die Bebauung (Hauptnutzungen) in der für das Vorhaben maßgeblichen Umgebung ausnahmslos einen Abstand von mindestens 5 m, teilweise auch deutlich mehr, zu der straßenseitigen Grundstücksgrenze bzw. zum Gehweg aufweist. Soweit die Klägerin schriftsätzlich hat vortragen lassen, dass die das Vorhabengrundstück umgebenden Flurstücke gar nicht bebaut seien, ist diese Behauptung jedenfalls nach den durch das Gericht getroffenen Feststellungen widerlegt und wurde durch den Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch nicht aufrechterhalten. Vielmehr sind mit Ausnahme des Flurstücks xxx sämtliche Grundstücke in der relevanten Umgebung des geplanten Vorhabens bebaut. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob die relevante Umgebungsbebauung hinsichtlich des Merkmals der "Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ enger als im oben dargelegten Sinne hinsichtlich des Merkmals der Art der baulichen Nutzung zu fassen ist (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2014 - 4 B 38.13, zitiert nach Juris). Denn dieser Baugrenze halten auch die Bebauungen auf den dem Vorhabengrundstück nahe gelegenen Flurstücken und dem Vorhabengrundstück selbst (Flurstücke xxx, xxx, xxx, xxx, xxx) ein.

Nichts Anderes ergibt sich daraus, dass sich – wie dem Protokoll der mündlichen Verhandlung zu entnehmen ist und worauf der Vertreter der Klägerin in der Verhandlung auch hingewiesen hat – auf einigen der Grundstücke in der relevanten Umgebung noch vor der o.g. Baugrenze Stellplätze befinden bzw. sich vor dem Cafè auf dem Flurstück xxx eine Terrasse befindet. Diese Anlagen sind vorliegend bei der Ermittlung der relevanten Eigenart der näheren Umgebung unbeachtlich. Denn auszusondern sind u.a. solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Ihre Aussonderung hat mit dem Begriff "Fremdkörper" nichts zu tun, sondern ist dem Bundesverwaltungsgericht zufolge Ergebnis einer Beschränkung auf das Wesentliche. Schon diese Beschränkung ist danach zwar nicht ganz frei von wertenden Elementen; sie knüpft aber noch stärker an die Feststellung des tatsächlich Gegebenen an (BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, zitiert nach Juris). Diese als Nebenanlagen – wenn auch mit Blick auf die Spezialregelung in §12 BauNVO nicht als solche i.S.d. § 14 BauNVO – zu den jeweiligen Hauptnutzungen einzuordnenden baulichen Anlagen werden als kaum Höhe aufweisende, befestigte Flächen vor dem jeweiligen Gebäude durch den Betrachter kaum wahrgenommen. Anders als die in Augenschein genommenen Gebäude und auch das in den Antragsunterlagen in einer Fotomontage dargestellte, seiner Zweckbestimmung nach vom Gehweg aus gut wahrnehmbare Vorhaben beeinflussen die Stellplätze und die Terrasse die Eigenart der Umgebung nicht.

Soweit der Vertreter der Klägerin das Vorliegen einer Baugrenze mit Blick auf die Gegebenheiten auf den Flurstücken xxx und xxx im westlichen Teil der maßgeblichen Umgebungsbebauung an der Bahnhofstraße in Zweifel zieht, folgt das Gericht dem nicht. Zwar ist ihm beizupflichten, dass die Wohngebäude auf diesen Grundstücken in der Tat – dem o.g. Luftbild und auch den vorgefundenen Einfriedungen zufolge – offenbar fast direkt hinter der Flurstücksgrenze stehen. Das ist indes nicht relevant. Denn für die Frage, ob sich ein Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB einfügt, kommt es auf die Grenzen des Baugrundstücks nicht an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. September 1988 – 4 B 175.88). Die o.g. Flurstücke verspringen im Vergleich zu den westlich gelegenen um einige Meter nach hinten. Maßgebend ist, dass die Bebauung die o.g. Baugrenze einhält.

Die den vorgegebenen Rahmen nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, überschreitende Webeanlage ist auch nicht ausnahmsweise zulässig. Zwar können sich Vorhaben, die den aus ihrer Umgebung ableitbaren Rahmen überschreiten, dennoch in diese Umgebung einfügen. Bei dem "Einfügen" geht es weniger um "Einheitlichkeit" als um "Harmonie". Daraus, dass ein Vorhaben in seiner Umgebung ohne ein Vorbild ist, folgt noch nicht, dass es ihm an dem harmonischen Einfügen fehlt. Das Erfordernis des Einfügens schließt nicht schlechthin aus, etwas zu verwirklichen, was es in der Umgebung bisher nicht gibt (vgl.BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 -, zitiert nach Juris). Geht jedoch ein Vorhaben über den vorgegebenen Rahmen hinaus, so fügt es sich in seine Umgebung nur ein, wenn die Überschreitung nicht in einer Weise erfolgt, die geeignet ist, entweder aufgrund des Vorhabens selbst oder infolge der Vorbildwirkung bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen oder die vorhandenen Spannungen zu erhöhen. Ein Vorhaben, das im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen begründet und erhöht, das in diesem Sinne "verschlechtert", "stört", "belastet", bringt die ihm vorgegebene Situation gleichsam in Bewegung. Es stiftet Unruhe, die potenziell ein Planungsbedürfnis nach sich zieht. Soll es zugelassen werden, kann dies sachgerecht nur unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung geschehen (vgl. BVerwG, a.a.O. sowie Urteile vom 21. November 1980 - 4 C 30.78 – und vom 3. April 1981 - 4 C 61.78 -, jeweils zitiert nach Juris). Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das Vorhaben der Klägerin auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil es wegen der von ihm ausgehenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtliche Spannungen zu begründen. Das geplante Vorhaben würde nämlich wegen der Überschreitung des Rahmens gleichsam Bewegung in die vorhandene Situation bringen und somit potenziell ein Planungsbedürfnis hervorrufen. Es hätte jedenfalls Vorbildwirkung für die Nachbargrundstücke entlang der Nordseite der Bahnhofstraße, auf denen zahlreiche weitere Hauptnutzungen (insbesondere auch in Gestalt von bisher nicht vorhandenen Fremdwerbeanlagen) vor der bislang bestehenden Baugrenze errichtet werden könnten. Wegen dieser weitreichenden, sich aus der konkreten Situation ergebenden Folgewirkungen ist das Vorhaben der Klägerin unzulässig, weil ein solcher Vorgang nur aufgrund einer Bauleitplanung mit den Grundsätzen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist.

Da die streitgegenständliche Werbeanlage schon aus diesem Grund bauplanungsrechtlich nicht zulässig ist, kann offen bleiben, ob sie - wovon der Beklagte in seinem Ausgangsbescheid offenbar ausgegangen ist - das Ortsbild beeinträchtigen könnte. Dasselbe gilt für die durch den Beklagten erst im Klageverfahren eingeführte bauordnungsrechtliche Frage, ob das Vorhaben zu einer störenden Häufung von Werbeanlagen gemäß § 9 Abs. 2 S. 2 BbgBO führen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und bezüglich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auf § 162 Abs. 3 VwGO. Insoweit entspricht es der Billigkeit, der Klägern die Kosten nicht aufzuerlegen, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO sind nicht gegeben.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 i.V.m. II. 9.1.6 des vorliegend noch heranzuziehenden Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).