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Entscheidung (1) 53 Ss 121/11 (85/11)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 05.12.2011
Aktenzeichen (1) 53 Ss 121/11 (85/11) ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts … vom 21. April 2011 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

Das Amtsgericht … hat den Angeklagten am 21. April 2011 wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,- € verurteilt.

Das Amtsgericht … hat zum Tatgeschehen im Wesentlichen folgendes festgestellt:

„Im Verlaufe der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt … vom 22.02.2010 diskutierten die Stadtverordneten im öffentlichen Teil der Versammlung unter anderem über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen S…/G… und C… Nr. 10/2010 - Antrag auf Einsetzung eines Schulsozialarbeiters in der …grundschule.

Der Beschluss hatte folgenden Inhalt:

“Die Stadtverordnetenversammlung beschließt:

1. Die Einsetzung eines Schulsozialarbeiters in der …grundschule zu Beginn des Schuljahres 2010/2011.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, gemeinsam mit den Schulleitern der …- und T…schule, dem R… als Träger von Projekten der offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie gegebenenfalls weiteren Akteuren ein Konzept zur Integration von Sozialarbeit an Schulen zu erstellen, dabei soll auch einen wesentlichen Anteil in Form von besonderen Schülerprojekten eingearbeitet werden, wie zum Beispiel eine Schulhofgestaltung. Ergänzend wird die Verwaltung gebeten, weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit gegen Vandalismus im Bereich der M…stadt vorzuschlagen.

3. Der Bürgermeister wird beauftragt, den Bedarf an Schulsozialarbeit an den anderen Grundschulen der Stadt zu prüfen und der Stadtverordnetenversammlung im Laufe des Jahres ein entsprechendes Konzept zur Beschlussfassung vorzulegen.“

Gegen 18.30 Uhr ergriff der Angeklagte das Wort und erklärte Folgendes:

“Wir …demokraten werden dem zustimmen mit seinen wunderbaren Sachen. Es wäre allerdings besser, wenn man die Hauptgrundursache beseitigen wurde, nämlich die Migranten. Danke schön“

Nach der Äußerung des Angeklagten ging ein Raunen / Protest durch die Versammlung, wobei ein männlicher Teilnehmer der Versammlung dem Inhalt nach u. a. äußert: “Is doch böse muss man sich sowas antun?“ Danach herrschte einen Moment lang Stille.

Die Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Frau …, ergriff das Wort, um mit der Abstimmung über den Antrag fortzufahren (“Wir kommen dann zur Abstimmung“). Hier wurde aber durch den Stadtverordneter der Partei “D…“, Herrn R… …, mit einer Wortmeldung und einem Antrag zur Geschäftsordnung unterbrochen.

“Frau …, ich bitte entsprechend darauf hinzuweisen, dass hier volksverhetzende Aussagen in dieser Stadtverordnetenversammlung nicht geduldet werden. Migranten zu beseitigen, ist eine Aufforderung zum Mord und Totschlag und das kann ich hier nicht dulden.“

Die Äußerung fand Zustimmung andere Teilnehmer der Versammlung durch Applaus.

Die Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Frau … appellierte daraufhin an den Angeklagten, solche Äußerungen künftig zu unterlassen. “Herr A…, ich möchte ihnen einen guten Rat geben. Nicht noch mal solche Sachen hier! Es kann nicht angehen, sie haben es jetzt gemerkt, an der Reaktion, dass man solche Kinder vielleicht ausgrenzt oder rausschmeißt oder sonst was. Ich möchte sie darauf aufmerksam machen, die nächste Sitzung und ähnliche Äußerung, dann werden wir anders verfahren.“

Nach einem kurzen Applaus folgte kurze eine Pause. Hier hätte der Angeklagte nach der Reaktion der anderen Stadtverordneten und Publikums die Möglichkeit gehabt, sich zu Wort zu melden und seine Äußerungen zu erklären bzw. richtig zu stellen.

Stattdessen meldete sich Frau P… zu Wort und erklärte:

„Nach der Aussage von Herrn D… gibt es an dieser Schule keine Probleme mit Migrationskindern. Sie sind sehr fleißig und versuchen sich gut in die Gemeinschaft einzufügen.“

Danach erfolgte die Beschlussfassung mit 33 Ja-Stimmen für den Antrag und 2 Enthaltungen. Anschließend ging die Stadtverordnetenversammlung zum nächsten Tagungsordnungspunkt über.“

Nach Ansicht des Amtsgerichts hat sich der Angeklagte der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB schuldig gemacht, da seine Äußerung geeignet gewesen sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Seine Äußerung sei auch nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt gewesen, da die Meinungsfreiheit ihre Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch § 130 StGB gehöre, finde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er begehrt seine Freisprechung. Er macht u.a. geltend, das Amtsgericht habe sich mit den Tatbestandsmerkmalen und den im § 130 Abs. 1 StGB aufgeführten Tathandlungen nicht auseinandergesetzt und nur eine „rudimentäre Subsumtion“ vorgenommen. Unter anderem macht er geltend, das Tatbestandsmerkmal „Teile der Bevölkerung“ im Sinne von § 130 Abs. 1 StGB setze eine Mehrheit von Personen voraus, die aufgrund gemeinsamer äußerer und innerer Merkmale als unterscheidbarer Teil von der Gesamtbevölkerung abgrenzbar sei. Diese Voraussetzungen lägen bei „Migranten“ nicht vor. … und Umgebung seien nach dem 30-jährigen Krieg nahezu entvölkert gewesen. Durch die großzügige Einwanderungspolitik des Großen Kurfürsten sei die Gegend erst wieder mit Menschen gefüllt worden. Daher sei an der …grundschule jeder Schüler bzw. dessen Eltern ein Migrant bzw. stamme von Menschen ab, die in diese Gegend zugewandert seien. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, zu Migranten nur die Menschen an der … Grundschule zu machen, die selbst oder deren Vorfahren erst nach dem Fall der Mauer nach … zugezogen seien. Der Begriff „Migrant" für Schüler einer Grundschule in … grenze daher einen Bevölkerungsteil nicht hinreichend ab. Überdies seien die Schüler der …grundschule nur eine vorübergehende Gruppierung, die für die Dauer eines Schulbesuchs eines Schulkindes bestehe.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit ihrer Stellungnahme vom 7. November 2011 die Verwerfung der Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet beantragt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Äußerung ergebe sich klar, dass der Angeklagte Familien mit Migrationshintergrund gemeint habe, deren Kinder Schüler an … Schulen sind. Diese stellten keine „vorübergehende Gruppierung“ dar, sondern bildeten einen auf Dauer - nämlich jedenfalls auf Dauer des Schulbesuchs - angelegten fest umrissenen Personenkreis.

II.

1. Die (Sprung-) Revision des Angeklagten ist zulässig.

Das innerhalb der Wochenfrist (§§ 314, 341 Abs. 1 StPO) zunächst unbestimmt erhobene Rechtsmittel ist rechtzeitig innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) als - gemäß § 335 StPO statthafte - Sprungrevision bezeichnet und begründet worden.

2. Die Sprungrevision des Angeklagten hat auch in der Sache Erfolg.

Die erhobene Sachrüge greift durch. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Angeklagten.

Die Äußerung des Angeklagten erfüllt weder den Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB noch den des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte nicht der Volksverhetzung schuldig gemacht, da sich seine Äußerung nicht auf „Teile der Bevölkerung“ im Sinne von § 130 Abs. 1 StPO a.F. bezog.

Vorliegend bezog sich die Äußerung des Angeklagten auf die Kinder von Migranten, die die …grundschule in … besuchen. Dies ergibt sich aus dem Kontext, in dem die Äußerung getätigt wurde, nämlich im Rahmen der Erörterung der Frage, ob im nächsten Schuljahr ein Schulsozialarbeiter in der …grundschule eingesetzt werden soll. Die Äußerung des Angeklagten war nach den getroffenen Feststellungen nur dahingehend zu verstehen, dass dieser in den Schülern mit Migrationshintergrund der …grundschule die „Hauptursache“ der Umstände sah, die die Einsetzung eines Schulsozialarbeiters in der …grundschule erforderlich machten. Die Reaktionen der anderen Stadtverordneten, insbesondere der Vorsitzenden, die erklärte, es könne nicht angehen, „dass man solche Kinder vielleicht ausgrenzt oder rausschmeißt oder sonst was“ sowie der Hinweis der Frau P…, an dieser Schule gebe es kein Problem mit Migrationskindern, belegen, dass diese Äußerung von den Anwesenden auch als auf die Kinder mit Migrationshintergrund der …grundschule bezogen verstanden wurde. Hiervon ist auch das Amtsgericht … ausgegangen, indem es ausgeführt hat, dass die Äußerung des Angeklagten so gemeint gewesen sei, dass die Migranten als Ursache für die an der Schule bestehende Probleme zu beseitigen seien. Auch die Generalstaatsanwaltschaft hat darauf hingewiesen, dass sich aus dem Sinnzusammenhang klar ergebe, dass der Angeklagte konkret Familien mit Migrationshintergrund gemeint habe, deren Kinder Schüler an … Schulen seien.

Die Anwendung des Tatbestandsmerkmals „Teile der Bevölkerung“ im Sinne von § 130 Abs. 1 StPO a.F. auf die „Schüler mit Migrationshintergrund der …schule oder aller … Schulen“ ist rechtlich nicht möglich.

Die Vorschrift des § 130 Abs. 1 StGB schützt alle Teile der inländischen Bevölkerung, die sich nach politischen, nationalen, ethnischen, rassischen, religiösen, weltanschaulichen, sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen oder anderen Merkmalen unterscheiden lassen. Es muss sich um eine Gruppe handeln, die sich durch irgendein festeres äußeres oder inneres Unterscheidungsmerkmal als äußerlich erkennbare Einheit heraushebt (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 – 3 StR 394/07 – m.w.N. zitiert nach juris; LK-Krauß, StPO, 12. Auflage, § 130 Rnr. 26 m.w.N.; Sch-Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, StPO, 28. Auflage, § 130 Rnr. 3 m.w.N.; Fischer, StGB, 57. Auflage, § 130 Rnr. 4 m.w.N.). Damit eine solche Personenmehrheit als „Teil der Bevölkerung“ anerkannt werden kann, muss sie über eine geringfügige Zahl hinausgehen und von einiger Erheblichkeit sein (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 6. März 2007 – Ss 2/07 – m.w.N. zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 24. September 1980 – 4 Ss 1410/80 - zitiert nach juris; LK-Krauß, StPO, 12. Auflage, § 130 Rnr. 27 m.w.N.; Sch-Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, StPO, 28. Auflage, § 130 Rnr. 3 m.w.N.). Das Tatbestandsmerkmal „Teile der Bevölkerung“ darf nicht über die Grenzen seines Sinns hinaus so verstanden werden, dass es sämtliche unterscheidbaren inländischen Mehrheiten erfasst, die eine gewisse Bedeutung im Leben des Volkes haben und die auf die in § 130 StGB beschriebene Weise angegriffen werden. Der Schutzbereich dieser Bestimmung wird vielmehr dadurch eingeschränkt, dass ein gewisser, nicht ganz geringfügiger zahlenmäßiger Umfang der betroffenen Personengruppierung zu fordern ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24. September 1980 – 4 Ss 1410/80 - zitiert nach juris). Die Beurteilung, ob eine Personenmehrheit als „Teil der Bevölkerung“ angesehen werden kann, folgt aus dem Bezug dieser Gruppe auf das Bevölkerungsganze. Denn der Schutz der Bestimmung des § 130 Abs. 1 StGB gilt den Teilen der inländischen Gesamtbevölkerung.

Die Personengruppierung muss zahlenmäßig jedenfalls so groß sein, dass der Kreis der zugehörigen Individuen nicht mehr überschaubar ist (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Mai 2009 -2 Ss 1014/09 m.w.N. zitiert nach Juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 6. März 2007 – Ss 2/07 – m.w.N. zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 24. September 1980 – 4 Ss 1410/80 - zitiert nach juris; LK-Krauß, StPO, 12. Auflage, § 130 Rnr. 27 m.w.N.; Sch-Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, StPO, 28. Auflage, § 130 Rnr. 3 m.w.N.).

Darüber hinaus muss eine Personengruppe, die als „Teil der Bevölkerung“ angesehen werden kann, räumlich über das ganze Bevölkerungsgebiet und unter der gesamten Bevölkerung verteilt sein, auch wenn sie im Einzelfall in bestimmten Teilen des Inlands ihren zahlenmäßigen Schwerpunkt hat. Auch räumlich muss sich demgemäß eine von § 130 Abs. 1 StGB a.F. geschützte Personenmehrheit als Bestandteil der inländischen Gesamtbevölkerung darstellen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24. September 1980 – 4 Ss 1410/80 - zitiert nach juris).

Ob die Personenmehrheit der „Migranten" überhaupt unter den Begriff "Teile der Bevölkerung" subsumierbar ist, kann vorliegend dahin stehen.

Jedenfalls ist die Anzahl der Schüler mit Migrationshintergrund an der …grundschule -und auch an … Schulen insgesamt- nicht ausreichend, um sie als „Teil der Bevölkerung“ im Sinne von § 130 StGB a.F. ansehen zu können. Angesichts der zahlenmäßigen Größenordnung der hiesigen inländischen Bevölkerung einerseits und einer Untergruppe von Schülern einer relativ kleinen Stadt andererseits können die … Schüler mit Migrationshintergrund nicht als eines der Teile angesehen werden, aus denen sich das Bevölkerungsganze zusammensetzt. Vielmehr ist die Personenzahl schlechterdings zu gering, um einen repräsentativen Bevölkerungsteil der Gesamtbevölkerung darzustellen. Schon dies steht einer Anwendung des § 130 StGB a.F. auf den vorliegenden Fall entgegen.

Es kommt hinzu, dass die Personengruppe der … Schüler mit Migrationshintergrund räumlich nicht über das ganze Bevölkerungsgebiet und unter der gesamten Bevölkerung verteilt ist.

Bereits aus diesem Grund kann die -allerdings zweifellos moralisch verwerfliche und völlig inakzeptable- Äußerung des Angeklagten nicht als Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB geahndet werden. Er kann wegen dieser intoleranten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechenden Äußerung auch nach keiner anderen Strafvorschrift zur Verantwortung gezogen werden. Das Strafgesetzbuch stellt nicht schon ausländerfeindliche Äußerungen als solche unter Strafe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 BvR 369/04 – m.w.N. zitiert nach juris).

Der Angeklagte kann auch nicht nach § 187 StGB (Verleumdung) bestraft werden. Seine Behauptung, die Kinder mit Migrationshintergrund der …grundschule seien hauptsächlich für die Missstände verantwortlich, die die Einsetzung eines Schulsozialarbeiters erforderlich machen, könnte zwar den Tatbestand der Verleumdung erfüllen. Jedoch setzt eine Ahndung gemäß § 194 StGB die Stellung eines fristgerechten Strafantrages eines Verletzten voraus. Vorliegend hat lediglich der Bürgermeister der Stadt … einen Strafantrag gestellt. Dieser ist jedoch gemäß § 77 StGB nicht Verletzter einer etwaigen Verleumdung.

Da das Amtsgericht vorliegend einen eindeutigen Sachverhalt rechtsfehlerhaft unter ein Strafgesetz subsumiert hat und auszuschließen ist, dass eine neue Hauptverhandlung noch Aufschlüsse zu erbringen vermag, entscheidet der Senat in der Sache selbst (unter Aufhebung des angefochtenen Urteils) auf Freisprechung (§ 354 Abs. 1 StPO).

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.