Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 25.04.2012 | |
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Aktenzeichen | 9 UF 183/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bad Liebenwerda vom 6. Juli 2011 (Az.: 21 F 134/11) wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussbeschwerde des Vaters wird der vorbezeichnete Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bad Liebenwerda dahin abgeändert, dass die vorläufige Entziehung der elterlichen Sorge, soweit der Vater betroffen ist, aufgehoben wird.
Die angeordnete Vormundschaft wird aufgehoben.
Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen; außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Der Gegenstandswert wird auf 3.000 € festgesetzt.
I.
Die Beteiligten zu 1. und zu 2. sind die Eltern des Kindes L… B…, geboren am ….07.2004. Sie waren kurzzeitig miteinander verheiratet. Die im Mai 2003 geschlossene Ehe wurde im Jahr 2006 geschieden. Nach der Trennung der Eltern verblieb das Kind im Haushalt der Mutter.
Die im Mai 1967 geborene Mutter bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente und lebt in keiner festen Partnerschaft. Sie hat noch vier weitere Kinder und zwar die erwachsene Tochter Y…, D… (geb. am ….01.2006), S… (geb. am ….05.2007) sowie E… (geb. am ….01.2011). Das Kind Y… stammt aus der ersten Ehe der Kindesmutter. Ein weiteres Kind der Beteiligten zu 1. ist vor vielen Jahren verstorben.
Der im Juli 1964 geborene Vater hat keine weiteren Kinder. Er ist seit einigen Jahren mit einem Handwerksbetrieb selbstständig; zuvor war er als Montagearbeiter bundesweit tätig.
Seit 2005 streiten die Eltern heftig - auch gerichtlich - über das Umgangsrecht des Vaters mit seiner Tochter und die elterliche Sorge. Durch Beschluss vom 29.06.2009 hat der Senat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens 9 UF 102/08 eine Umgangspflegschaft eingerichtet, die jedoch nicht umgesetzt werden konnte.
Im Jahr 2009 hat der Vater - als Reaktion auf den „Umgangsboykott“ der Mutter - ein Sorgerechtsverfahren angestrengt, das beim Amtsgericht Bad Liebenwerda unter dem Aktenzeichen 21 F 215/09 geführt wird. Im Verlauf dieses Verfahrens hat das Amtsgericht die Diplom-Psychologin Dr. A… Br… mit der Erstattung eines familienpsychologischen Gutachtens beauftragt. Die Sachverständige hat in der Folgezeit das schriftliche Gutachten vom 12.08.2010 vorgelegt. Danach ist von einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge seitens der Mutter auszugehen. Sie sei nicht bereit, die Belange des Kindes mit dem Vater zu regeln und einen Kontakt zwischen beiden zu ermöglichen. Nach Einschätzung der Sachverständigen nutzt die Mutter die emotionalen Bedürfnisse des Kindes aus und/oder instrumentalisiert das Kind zur Durchsetzung eigener Interessen. Durch die Erziehungsdefizite der Mutter sei das Kind in seiner emotionalen und sozialen Entwicklung bereits nachhaltig beeinträchtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens vom 12.08.2010 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 05.07.2011 teilte das Jugendamt dem Amtsgericht mit, dass der Schulpsychologe H. Bo… das psychische Wohl von L… gefährdet sehe. Die Stellungnahme des Staatlichen Schulamtes … vom 12.05.2011, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, wurde beigefügt ebenso die Einschätzung der damaligen Klassenlehrerin U. K… vom 09.06.2011.
Am darauf folgenden Tag hat das Amtsgericht im Sorgerechtsverfahren 21 F 215/09 die Eltern, den Verfahrensbeistand sowie das Jugendamt angehört. Die Sachverständige Dr. A. Br… hat ihr schriftliches Gutachten vom 12.08.2010 erläutert und ergänzende Ausführungen - unter Einbeziehung der vorliegenden Stellungnahme des Schulpsychologen H. Bo… und dem Bericht der damaligen Klassenlehrerin U. K… - gemacht.
Das Amtsgericht hat sodann ein Verfahren nach §§ 1666, 1666 a BGB eingeleitet. Im Wege der einstweiligen Anordnung hat es im vorliegenden Verfahren (Az.: 21 F 134/11) durch Beschluss vom 06.07.2011 den Eltern die elterliche Sorge vorläufig entzogen und das Jugendamt des Landkreises … zum Vormund bestellt. Wegen der Gründe wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Entscheidung verwiesen.
Am 06.07.2011 wurde L… auf Veranlassung des Jugendamtes in eine Kurzzeitpflegestelle gebracht.
Gegen den Beschluss vom 06.07.2011 hat die Mutter mit Schriftsatz vom 13.07.2011 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie eine Aufhebung der einstweiligen Anordnung erstrebt und eine Rückführung des Kindes in ihren Haushalt. Sie hält die Maßnahme für sachlich nicht gerechtfertigt und vor allem unverhältnismäßig. Es lägen weder Erziehungsdefizite ihrerseits noch Entwicklungsrückstände auf Seiten des Kindes vor. Die psychischen Einschränkungen des Kindes seien dem Verhalten des Vaters und den von ihm angestrengten gerichtlichen Verfahren geschuldet. Die Fremdunterbringung des Kindes komme einer „Internierung“ gleich. Sie diene allein dazu, dem Vater den Umgang mit der Tochter zu ermöglichen. Der erfolgte Eingriff in die elterliche Sorge sei gesetzwidrig und verstoße gegen ihr nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschütztes Elternrecht.
Seit dem 27.07.2011 lebt das Kind in der A… Kinder- und Jugendeinrichtung in F… und besucht dort auch die Schule. Wegen Lerndefiziten erfolgte Ende Januar 2012 eine Rückstufung in die 1. Klasse. L… befindet sich seit einiger Zeit in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung wegen einer sozialen Angststörung.
Die Mutter besuchte L… erstmalig am 07.09.2011 in der A… Kinder- und Jugendeinrichtung in F…. In der Folgezeit fanden begleitete Umgänge in einem Zwei-Wochen-Rhythmus statt. Seit geraumer Zeit hat das Kind einmal wöchentlich Kontakt zu der Mutter. Die Geschwister sieht es zusammen mit der Mutter einmal im Monat im „R…“ in B…. Die Umgänge werden begleitet. Der Vater hat seit Ende Juli 2011 wöchentlich begleiteten Umgang mit seiner Tochter in der Einrichtung.
Die vom Landrat des …-Kreises im September 2011 initiierte außergerichtliche Mediation - unter Mitwirkung der Diplom-Psychologin K. L… - ist Ende 2011 gescheitert. Ziel dieser Maßnahme war die Wiederherstellung der gemeinsamen Elternverantwortung und die einvernehmliche Beziehungsgestaltung von L… zu ihren Eltern. Das vorliegende Beschwerdeverfahren hat während dieser Zeit - auf Antrag der Beteiligten - geruht.
Der Vater hat mit Schriftsatz vom 28.02.2012 Anschlussbeschwerde eingelegt, mit der er die Wiedererlangung der elterlichen Sorge erstrebt. Er beruft sich auf seine uneingeschränkte Erziehungsfähigkeit. Von ihm gehe auch keine Kindeswohlgefährdung aus. Die getroffene Maßnahme sei bezüglich seiner Person nicht gerechtfertigt.
Der Senat hat am 15.03.2012 den Vater, das Kind, das beteiligte Jugendamt, den Amtsvormund und den Verfahrensbeistand persönlich angehört und die Zeugen A… N…, C… F…, M… M… und U… P… vernommen. Weitere Zeugen (M… Le…, U… K…, M… Li… und B… S…) und die Sachverständige Dr. A… Br… sind am 16.04.2012 gehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf die Sitzungsniederschriften vom 15.03.2012 und 16.04.2012 Bezug genommen. Die Mutter ist zu beiden Anhörungsterminen nicht erschienen. Sie hat die Ärztlichen Atteste der Fachärztin für Allgemeinmedizin, Frau Dipl. med. C… S…, vom 13.03.2012 und vom 26.03.2012 sowie eine Stellungnahme vom 23.04.2012 zu den Akten gereicht, auf deren Inhalt verwiesen wird.
II.
1.
Die Beschwerde der Mutter ist gemäß §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 Abs. 1 FamFG statthaft und gemäß §§ 59, 63 ff. FamFG auch im Übrigen zulässig. In der Sache ist sie jedoch nicht begründet.
Nach den im Beschwerdeverfahren gewonnenen Erkenntnissen hält der Senat es für gerechtfertigt, der Beteiligten zu 1. gemäß §§ 1666, 1666 a BGB die elterliche Sorge für das betroffene Kind vorläufig zu entziehen.
Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Zu den gerichtlichen Maßnahmen gehört insbesondere nach § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge. Voraussetzung für ein Eingreifen des Familiengerichts ist eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BGH, Beschluss vom 26.10.2011, XII ZB 247/11; FamRZ 2010, 720; Beschluss vom 15.12.2004 - XII ZB 166/03 - FamRZ 2005, 344). Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind allerdings nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann, § 1666 a BGB. Die Trennung des Kindes von seinen Eltern ist allein unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG zulässig. Das hierfür vorausgesetzte elterliche Fehlverhalten muss ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (BVerfG, Beschluss vom 02.12.2010, 1 BvR 2414/10; BVerfGE 60, 79, 91). Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen und damit zugleich die Aufrechterhaltung der Trennung der Kinder von ihnen gesichert wird, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (BVerfGE 60, 79, 89). Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (BVerfGE 24, 119, 145; 60, 79, 93; Beschluss vom 02.12.2010, 1 BvR 2414/10, Rn. 24).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist der vorläufige Entzug der elterlichen Sorge durch den angefochtenen Beschluss, soweit die Mutter betroffen ist, nicht zu beanstanden. Es liegt eine schwerwiegende Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB vor, die - zumindest bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens - eine Trennung des Kindes von seiner Mutter erforderlich macht. Hiervon ist der Senat aufgrund der durchgeführten Ermittlungen überzeugt.
Nach den Feststellungen der langjährig erfahrenen Sachverständigen Dr. A… Br…, einer Diplom-Psychologin, besteht bei L… eine psychische Deprivation bzw. ein Hospitalismussyndrom. Es handelt sich hierbei um einen Symptomkomplex, der auf einen Mangel an Außenreizen, Förderung und Zuwendung hindeutet und dazu führt, dass das Urvertrauen frühzeitig zerstört wird. Es liegt ferner eine Bindungsstörung vor. Das Bindungsverhalten des Kindes ist ängstlich-vermeidend; es ist nicht in der Lage, selbstständig Sozialkontakte aufzubauen. Die Mutter-Kind-Beziehung ist ebenfalls gestört. Im Erleben und Fühlen von L… spielt die Mutter - wie die Sachverständige festgestellt hat - keine Rolle. Auch das Familienbild des Kindes weicht deutlich von der Norm ab. Ihm war bislang nicht bewusst, dass jedes Kind einen Vater hat. Dem Kind fehlt es zudem an Grundwissen, was unabhängig von der Sozialstruktur des Elternhauses vorhanden sein sollte. Die Summe der Defizite ist nach Einschätzung der Sachverständigen unter Berücksichtigung Internationaler Standards bereits als Störung zu klassifizieren.
Die Feststellungen der Sachverständigen beruhen auf eigenen Untersuchungsergebnissen und der Auswertung von Angaben Dritter. Frau Dr. A. Br… suchte L… am 30.03.2012 und am 13.04.2012 für jeweils ca. vier Stunden in der Einrichtung auf, führte mit ihr psychologische Testverfahren durch und konnte sie in der Interaktion beobachten.
Die Feststellungen der Sachverständigen stehen im Einklang mit den Bekundungen der vom Senat vernommenen Zeugen. So hat die ehemalige Klassenlehrerin von L…, Frau U… K…, im Rahmen ihrer Vernehmung am 16.04.2012 die Symptome der Bindungsstörung des Kindes bestätigt. Die Zeugin U. K…, die das Kind bis Juli 2011 an dem Grundschulzentrum … in B… unterrichtete, hat L… als auffällig schüchtern und geradezu ängstlich beschrieben. Anfangs habe sie sich nicht getraut, mit anderen Kindern Kontakt aufzunehmen. Auf Fragen habe sie nur sehr zaghaft und in Flüstersprache, meist aber nur mit einer Kopfbewegung geantwortet. Das Lesen im Klassenverband habe sie bis zuletzt verweigert; L… habe nur in kleinen Gruppen mit bestimmten Kindern leise gelesen.
Nach Aussage der Zeugin M… Li…, die im Hort des Grundschulzentrums … in B… tätig ist, hat L… während der Vorschulzeit überhaupt nicht gesprochen und kaum Reaktionen gezeigt. Auch später sei sie sehr schüchtern und ängstlich gewesen. Am ersten Schultag habe sie beim gemeinsamen Mittagessen bitterlich geweint. In der Individuellen Lernzeit (IL-Stunde) habe sie sich zunächst abgeschottet und nicht reagiert. Später habe sie zwar besser mitgemacht und auch gesprochen, aber nur mit vertrauten Personen.
Auch die Schulleiterin, Frau M… Le…, hat das Kind als extrem menschenscheu geschildert. Sie habe L… im September 2009 kennen gelernt. Die Mutter habe das Kind in der Schule anmelden wollen. Die Zeugin M. Le… hat bekundet, dass sich ein Kontakt mit dem Kind nicht herstellen ließ. Eine Testung des Kindes sei nicht möglich gewesen, auch später während der Vorschulzeit nicht.
Die spätere Klassenlehrerin des Kindes, Frau A… N…, hat im Rahmen des Anhörungstermins vom 15.03.2012 L… ebenfalls als sehr schüchternes Kind beschrieben. Bei Aufnahme in die Klasse im August 2011 habe sie sich kaum geäußert. Erst nach einiger Zeit habe das Kind Vertrauen gefasst und auch mehr gesprochen. L… besitze wenig Selbstvertrauen; ihre Sprechweise sei leise und verzagt.
Auch Frau C… F…, die Bezugsbetreuerin des Kindes in der Einrichtung, hat L… als sehr schüchtern charakterisiert. Sie verständige sich meistens im Flüsterton. Das Kind habe bei Aufnahme vieles nicht gekonnt und gewusst. Nach Darstellung der Zeugin C. F… konnte L… sich nicht selbst waschen, nicht mit Messer und Gabel umgehen und keine Schleifen binden. Verschiedene Gemüsesorten (Tomate, Gurke, Möhre) und Tiere (Tiger, Löwe, Pfau) habe sie nicht benennen können. Märchen seien ihr unbekannt gewesen. Die Bezugsbetreuerin hat auch von Verhaltensauffälligkeiten berichtet. Bei einer Kontaktaufnahme mit fremden Personen sei das Kind sehr ängstlich, verstecke sich unter dem Tisch, im Schrank oder hinter den Erziehern. Anfangs habe L… jeglichen Körperkontakt abgelehnt und sämtliche Emotionen unterdrückt. Eigene Bedürfnisse oder Wünsche äußere das Kind bis heute nicht. Die Verabschiedung von den Eltern gestalte sich kurz und erfolge verbal, auch nur nach vorangegangener Aufforderung. L… frage nicht nach Familienangehörigen und wolle auch nicht gefragt werden.
Frau M… M…, die die Umgänge L…s mit der Mutter bzw. mit dem Vater bis zum 21.12.2011 begleitete, hat das Mutter-Kind-Verhältnis als distanziert dargestellt. L… habe mit der Mutter zwar gespielt, aber nicht ihre körperliche Nähe gesucht. Auch habe sie die Mutter weder begrüßt noch verabschiedet. Während der Umgänge mit dem Vater habe sich das Kind versteckt oder bei ihr, der Umgangsbegleiterin, Schutz gesucht.
Die Zeugin U… P… hat von ähnlichen Beobachtungen während der Umgänge mit der Mutter bzw. mit dem Vater berichtet. Die Umgänge zwischen L… und ihrer Mutter begleitete sie nur kurzzeitig und die Umgänge mit dem Vater von Anfang an. Nach Darstellung der Frau U. P… können Vater und Tochter mittlerweile miteinander kommunizieren.
Der Senat hält die Bekundungen der Zeugen für glaubhaft. Er verkennt dabei nicht, dass die Bezugsbetreuerin des Kindes, die Zeugin C. F…, wie auch die Umgangsbegleiterinnen, die Zeuginnen M. M… und U. P…, Einrichtungen angehören, die mit dem beteiligten Jugendamt zusammenarbeiten und damit im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. Die Kindesmutter hat in der vorliegenden Sache fachkundige Dritte und die Medien eingeschaltet, die heftige Kritik an der Arbeitsweise des Jugendamtes und der von ihm eingeschalteten Träger der Kinderhilfe geäußert haben. Die Zeuginnen haben mehr oder weniger erkennen lassen, dass sie sich des auf ihnen lastenden Drucks bewusst waren. Ungeachtet einer gewissen Verunsicherung angesichts persönlicher Vorwürfe gibt es hier keine Anhaltpunkte dafür, dass die Zeugenaussagen der Mitarbeiter dieser Einrichtungen unrichtig sind. Sie korrespondieren mit den Feststellungen anderer Zeugen. Es handelt sich hierbei um die Lehrerinnen U. K… und A. N…, die Horterzieherin M. Li… und die Schulleiterin M. Le…. Diese Personen haben kein Interesse, den Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens in irgendeiner Weise zu beeinflussen.
Die Zeugenaussagen decken sich auch mit dem Eindruck des Senats, den dieser von dem Kind im Rahmen seiner Anhörung am 15.03.2012 gewinnen konnte. L… ließ sich für einige Zeit auf ein (Buchstabenlege-) Spiel ein. Der Versuch, mit ihr ins Gespräch zu kommen, blieb aber ohne Erfolg. Das Kind schmiegte sich an seine Begleitperson, flüsterte mit ihr und versteckte sich hinter seinen Haaren.
Auch die Stellungnahme des Schulpsychologen H. Bo… vom 12.05.2011 und die amtliche Auskunft der Dipl. med. U. Sc… vom 10.04.2012 sprechen für die Richtigkeit der Zeugenaussagen. Der Schulpsychologe konnte das Kind im Rahmen einer Hospitation am 09.05.2011 beobachten. Nach seinem Bericht hat das Kind wenig emotional reagiert, zu Mitschülern kaum Kontakt aufgenommen und nicht gesprochen. Die Amtsärztin, Frau Dipl. med. U. Sc…, nahm am 24.09.2009 und am 16.03.2010 bei L… die Einschulungsuntersuchung vor. Der Untersuchungstermin am 24.09.2009 war freiwillig. Das Kind verweigerte in beiden Fällen eine körperliche Untersuchung und sprach kein Wort. Defizite in der Feinmotorik und in der emotional-sozialen Entwicklung wurden festgestellt. Eine Schulrückstellung wurde trotz der festgestellten Einschränkungen nicht vorgenommen, weil man - aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit der Mutter - der Überzeugung war, den Defiziten des Kindes im Rahmen des Schulbesuchs besser begegnen zu können. Diese Erwartungshaltung hat sich insoweit bestätigt, als L… im Laufe der Schulzeit ihr ängstlich-vermeidendes Verhalten teilweise aufgegeben und zu einigen Personen Vertrauen gefasst hat. So haben die Zeugen, die Lehrerinnen U. K… und A. N… sowie die Horterzieherin M. Li…, übereinstimmend bekundet, dass es ihnen mit viel Geduld und Zuwendung gelungen ist, zu L… Kontakt aufzubauen, sie zu motivieren und mit ihr zu lernen. Nach Aussage der Zeugin U. K… haben sich auch die motorischen Fähigkeiten des Kindes im Laufe des ersten Schuljahres sehr verbessert. Die Aussagen der vorgenannten Zeugen belegen zudem, dass die Behauptungen der Mutter, das Kind sei vor der Fremdunterbringung nicht verhaltensauffällig und bei Einschulung altersgerecht entwickelt gewesen, nicht richtig sind.
Auch die Aussage des Herrn Dipl. med. B… S…, der L… von frühester Kindheit bis zur Herausnahme aus dem Haushalt der Mutter ärztlich versorgt und betreut hat, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Der Zeuge hat das Kind als besonders schüchtern, aber kooperativ beschrieben und das Verhältnis zwischen Mutter und Kind als normal. Die besondere Schüchternheit sei als Persönlichkeitsmerkmal und nicht als Verhaltensauffälligkeit einzustufen. Dieser Einschätzung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Es ist schon fraglich, ob der Zeuge als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügt, eine psychologische Bewertung vorzunehmen. Selbst wenn er psychologisch geschult sein sollte, hat er das Kind nur in den jeweiligen - mehr oder minder kurzen - Untersuchungssituationen erlebt und nicht in Interaktion mit fremden Personen. Bei diesen Gegebenheiten dürfte eine fundierte psychologische Einschätzung des kindlichen Verhaltens überhaupt nicht möglich sein. In diesem Zusammenhang darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Zeuge Dipl. med. B. S… das Kind seit frühester Kindheit ärztlich versorgt und betreut hat. Für L… handelt es sich mithin um eine vertraute Person, zumal die Mutter das Kind regelmäßig - zeitweise sogar wöchentlich - dem Kinderarzt vorgestellt hat. Die Ausführungen des Zeugen Dipl. med. B. S… sind auch widersprüchlich. Nach seiner Darstellung hat er dafür gesorgt, dass L… im Jahr 2009 dem Psychologen St… vorgestellt wurde. Dies erscheint jedoch nicht nachvollziehbar, wenn er - wie in der mündlichen Verhandlung vom 16.04.2012 geschehen - das Kind für altersgerecht entwickelt hält und keine Auffälligkeiten im Verhalten festgestellt haben will.
Schließlich steht auch das Ergebnis des beim S… R… im Juli 2011 durchgeführten HAWIK III Tests nicht im Widerspruch zu den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen. Nach den beim S… R… durchgeführten Untersuchungen besteht bei L… eine durchschnittliche mentale Gesamtbefähigung mit einem G-IQ von 89, was zum unteren Drittel der altersgerechten Intelligenzskala zählt. Der Handlungsteil weist mit einem H-IQ von 95 auf ein altersgerechtes Leistungsniveau hin, wohingegen die Leistungen im Verbalteil mit einem V-IQ von 86 gerade noch durchschnittlich sind. Das S… R… hat die festgestellte Divergenz als „recht inhomogenes Testprofil“ bewertet. Die Sachverständige Dr. A. Br… hat die Testergebnisse beim S… R… angefordert und im Einzelnen ausgewertet. Sie ist dabei ebenso wie das S… R… zu dem Schluss gekommen, dass die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes durchschnittlich sind und es durchaus zum Besuch einer Regelschule befähigen. Die Testteile, die die kultur- und bildungsabhängige Intelligenz abbilden, sind jedoch - so die Auswertung der Sachverständigen - außerhalb des Normbereichs. Nach ihrer Einschätzung weist dies auf ein Mangelmilieu in der Förderung hin. Letztlich ist das S… R… zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Die Untersuchenden, die Oberärztin Dipl. med. A… R… und die Dipl.-Psychologin E… Wa…, haben festgestellt, dass L… nur bei optimalen Verhältnissen mit entsprechenden Förderungen in der Lage ist, den schulischen Anforderungen zu genügen.
Die Ausführungen der Sachverständigen Dr. A. Br… im Anhörungstermin vom 16.04.2012 sind überzeugend, nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Bereits in ihrem schriftlichen Gutachten vom 12.08.2010 ist die Sachverständige in dem Verfahren nach § 1671 BGB (Amtsgericht Bad Liebenwerda, Az.: 21 F 215/09) - nach Exploration der Eltern - zu der Einschätzung gelangt, dass Erziehungsdefizite auf Seiten der Mutter vorliegen und hierdurch das Kindeswohl gefährdet ist. Das Kind sei durch das Fehlverhalten der Mutter in seiner emotionalen und sozialen Entwicklung bereits nachhaltig beeinträchtigt. Sie isoliere das Kind sozial. Es fehle ihr an Bindungstoleranz.
Anhaltspunkte dafür, dass die Sachverständige Dr. A. Br… bei Abgabe der gutachterlichen Einschätzung vor dem Senat am 16.04.2012 bzw. Erstattung des schriftlichen Gutachtens vom 12.08.2010 nicht unparteiisch war oder es ihr an der erforderlichen Sachkunde fehlt, sind nicht gegeben und von der Beschwerdeführerin auch nicht dargetan. Die Sachverständige hat ihr Gutachten frei von Widersprüchen erstattet und ist zudem auch nicht von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen. Die vom Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter aufgeworfene Frage der Verwertbarkeit der gutachterlichen Feststellungen der Dipl.- Psychologin Dr. A. Br… ist eine rechtliche Fragestellung, die dem Gericht vorbehalten ist und nicht Gegenstand einer weiteren Begutachtung sein kann. Soweit die Mutter einzelne Feststellungen der Sachverständigen infrage stellt bzw. einzelne Beobachtungen als nicht zutreffend oder als unmaßgebliche Marginalien darstellt, kann damit der Wert der Begutachtung nicht in Zweifel gezogen werden.
Entscheidend ist nicht, ob L… einzelne Gemüsesorten oder Tiere kennt und ob es einzelnen Erziehern mit außerordentlicher Geduld in Monaten gelungen ist, ihr Vertrauen zu erwerben. Maßgeblich ist der durch die Beweisaufnahme und die Anhörung der Beteiligten ermittelte Gesamteindruck. Ungeachtet der im Eilverfahren nur eingeschränkt möglichen Begutachtung – die gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu vertiefen wäre – hat die Sachverständige aufgrund eigener Beobachtungen und Untersuchungen sowie unter zutreffender Würdigung der Beobachtungen anderer eine fundierte Einschätzung abgegeben.
Die von der Sachverständigen Dr. A. Br… bei L… festgestellte seelische Störung stellt eine schwerwiegende Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB dar, die es rechtfertigt, der Mutter die elterliche Sorge für das betroffene Kind vorläufig zu entziehen. Die Maßnahme ist auch nicht unverhältnismäßig im Hinblick auf den Grad der Kindeswohlgefährdung.
Nach den bisher durchgeführten Ermittlungen ist davon auszugehen, dass die massiven Verhaltensauffälligkeiten des Kindes, die Lerndefizite und seine Probleme bei der Bewältigung des Alltags auf einer eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Mutter beruhen. Die Mutter hat das Kind in den vergangenen Jahren nicht nur sozial isoliert, sondern auch psychisch vernachlässigt und nicht gefördert.
Hierfür spricht bereits die von der Sachverständigen Dr. A. Br… bei L… festgestellte psychische Deprivation bzw. Hospitalismussyndrom. Es handelt sich hierbei um einen Symptomkomplex, der auf einen Mangel an Außenreizen, Förderung und Zuwendung hindeutet und dazu führt, dass das Urvertrauen frühzeitig zerstört wird. Es liegt ferner eine Bindungsstörung vor. Dem Kind fehlt es auch an Grundwissen, was unabhängig von der Sozialstruktur des Elternhauses vorhanden sein sollte.
L… besuchte niemals einen Kindergarten. Die Mutter hat aber auch nicht dafür gesorgt, dass das Kind mit gleichaltrigen oder gar älteren Kindern zusammen sein konnte. L… hatte - jedenfalls solange sie im Haushalt der Mutter lebte - keine Freunde. Sie durfte nur mit ihren jüngeren Geschwistern spielen. Den Kontakt zum Vater hat die Mutter ebenfalls unterbunden, trotz anders lautender gerichtlicher Entscheidungen.
Die Mutter ermöglichte L… auch nicht die Teilnahme an den Spielstunden, einer Pflichtveranstaltung im ersten Schuljahr. Dies geschah entgegen ausdrücklichem fachlichem Rat. Sowohl die Klassenlehrerin U. K… als auch die Horterzieherin M. Li… hatten die Beteiligte zu 1. über den erzieherischen Wert der Veranstaltung aufgeklärt. Die Mutter trat den gut gemeinten Ratschlägen sinngemäß mit der Bemerkung entgegen, sie habe zu Hause einen Kindergarten. Eine Freistellung von der Schulveranstaltung erreichte sie schließlich durch die Vorlage eines Ärztlichen Attests. Der Kinderarzt Dipl. med. B. S… bescheinigte hierin, dass das Kind täglich gegen 13.00 Uhr eingesalbt werden müsse. L… leidet an Neurodermitis. Die Ausstellung des Ärztlichen Attests ist nicht nachvollziehbar. Im Rahmen des Anhörungstermins vor dem Senat am 16.04.2012 hat der Kinderarzt - als Zeuge vernommen - die Fehlzeiten in der Schule mit anderen Erkrankungen des Kindes begründet; die Neurodermitis sei in letzter Zeit zurückgegangen.
Die aufgezeigten Umstände machen deutlich, dass die Mutter das Kind sozial isoliert hat. Die Kontakte des Kindes beschränkten sich ausschließlich auf die Familie. Es lebte abgeschirmt von der Außenwelt, quasi unter einer „großen Glocke“.
Im Haushalt der Mutter ist L… auch nicht gefördert worden. Hiervon muss aufgrund der Untersuchungsergebnisse des S… R…, den Feststellungen der Sachverständigen Dr. A. Br… und der Aussage der Zeugin C. F… ausgegangen werden. Wie bereits ausgeführt, hat das Kind bei den im S… R… durchgeführten Tests, die die kultur- und bildungsabhängige Intelligenz abbilden, schwach abgeschnitten. Nach Einschätzung der Sachverständigen weist dies auf ein Mangelmilieu in der Förderung hin; das S… R… wertet die Divergenz der Testergebnisse als inhomogenes Testprofil und sieht besonderen Förderbedarf bei stabilen sozialen Verhältnissen. Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht auch die Zeugenaussage der Bezugsbetreuerin C. F…. Sie hat von mangelnden Alltagskompetenzen und Wissenslücken berichtet. Nach Darstellung der Zeugin konnte L… bei Aufnahme in der Einrichtung sich nicht selbst waschen, nicht mit Messer und Gabel umgehen und keine Schleifen binden. Verschiedene Gemüsesorten (Tomate, Gurke, Möhre) und Tiere (Tiger, Löwe, Pfau) habe sie nicht benennen können. Märchen seien ihr unbekannt gewesen.
Schließlich gibt es auch gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter das Kind psychisch vernachlässigt hat. Die Sachverständige Dr. A. Br… hat mit dem Kind verschiedene psychologische Tests durchgeführt. Es ergab sich dabei, dass L… ein guter Selbstversorger ist und Trost, Zuwendung etc. von Seiten der Mutter oder von Seiten Dritter nicht kennt. Ferner hat sie - befragt zur Alltagsstruktur - berichtet, dass sich die Kinder das Frühstück aus dem Kühlschrank nehmen, miteinander spielen, essen, wieder spielen und dann schlafen gehen. Beim Spiel mit Puppen hat L… die Mutter mit Baby im Bett platziert und die Kinder im Kinderzimmer. Auch der Umstand, dass das Kind beim Verabschieden oder Wiedersehen eine vermeidende Haltung einnimmt und keine Emotionen zeigt, spricht für eine psychische Vernachlässigung des Kindes.
Angesichts der aufgezeigten Umstände ist es zur Abwehr einer weiteren Kindeswohlgefährdung unumgänglich, der Mutter die elterliche Sorge vorläufig zu entziehen. Eine unmittelbare Gefährdung - wie sie hier gegeben ist - rechtfertigt die Herausnahme eines Kindes aus dem elterlichen Haushalt. Es gibt derzeit keine Alternativen, um der Gefährdungssituation - das seelische Wohl von L… ist durch das Verhalten der Mutter bereits nachhaltig beeinträchtigt - Rechnung zu tragen. Die Maßnahme ist zum Schutz des Kindes und zur Wahrnehmung seiner wohlverstandenen Interessen dringend geboten.
In Anbetracht der Schwere der festgestellten Fehlentwicklungen und des enormen Handlungsbedarfs pädagogischer und psychotherapeutischer Art ist ein weiteres Zuwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht möglich. Die Mutter negiert die Fehlentwicklungen und seelischen Probleme ihrer Tochter. L… sei altersgerecht entwickelt und auf dem besten Weg gewesen, obwohl die vorliegenden Fakten - wie bereits ausgeführt - Gegenteiliges belegen.
Die Beteiligte zu 1. ist nicht willens, fachlichen Rat und Hilfe anzunehmen, ihr Handeln zu überdenken und Änderungen herbeizuführen. Anderslautende Äußerungen sind bloße Lippenbekenntnisse, wie sich der Senat bereits in anderem Zusammenhang überzeugen konnte. Gutgemeinte Ratschläge von pädagogisch geschulten Personen wurden ignoriert wie auch ärztliche Empfehlungen. So hatte die Amtsärztin Dipl. med. U. Sc… der Mutter am 24.09.2009 geraten, L… psychotherapeutisch behandeln zu lassen wegen des dringenden Verdachts einer emotional- sozialen Entwicklungsstörung. In der Folgezeit geschah nichts. Gegenteiliges lässt sich jedenfalls nicht dem Anamnesebogen vom 26.02.2010 zur Einschulung entnehmen.
Die Mutter erkennt die Bedürfnisse des Kindes nicht oder ist hierzu nicht in der Lage. Selbst die Fremdunterbringung des Kindes hat bei der Mutter kein Umdenken und Einlenken bewirkt. Wie dem Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 12.01.2012 entnommen werden kann, befürwortet die Mutter - trotz außergerichtlicher Mediation und sonstiger Bemühungen - den Umgang der Tochter mit dem Vater auch heute nicht. Gegenteilige Bekundungen, wie zuletzt mit Schriftsatz vom 23.04.2012, erfolgen – wie dem Senat aus weiteren Verfahren bekannt ist – immer wieder, wenn die Mutter befürchtet, ansonsten Nachteile zu erleiden. Die jeweiligen Beteuerungen zur Zusammenarbeit mit dem Vater oder Dritten bereit zu sein, gingen in den letzten Jahren stets ins Leere. Die Verantwortung dafür schanzte die Mutter dem Kind („will nicht“, „kann sie nicht zwingen“) oder Dritten („findet keinen Zugang“, „bemüht sich nicht“ u.ä.) zu. Die Mutter ist unbelehrbar. Es geht ihr allein um die Durchsetzung eigener Interessen. Dazu sind ihr auch alle Mittel recht - wie der Akteninhalt eindrucksvoll belegt. Gerichte, Behörden, professionelle Helfer und Sachverständige werden verunglimpft und der Fehlleistung bezichtigt. Das Kind soll durch die Fremdunterbringung, die sie als „Heiminternierung“ bezeichnet, traumatisiert, körperlich zerstört und in ihrer schulischen Entwicklung zurückgeworfen worden sein. Das Gegenteil ist der Fall. L… macht - wie die Sachverständige Dr. A. Br… feststellen konnte - in der Einrichtung Fortschritte, wenn auch kleine. Nach Einschätzung der Sachverständigen würde die vorsichtig begonnene Verbesserung ihrer Entwicklung mit Sicherheit abreißen, wenn sie in den mütterlichen Haushalt zurückkehren müsste. Es ist eine Regression zu befürchten, d.h. eine Manifestierung der Störungsbilder. Der Umstand, dass das Kind im Januar 2012 in die erste Klasse zurückgestuft worden ist, hat mit der Fremdunterbringung nichts tun. Die Rückstufung ist der nicht altersgerechten Entwicklung des Kindes und den vorhandenen Wissenslücken geschuldet. In diesem Zusammenhang darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass L… in der ersten Klasse immerhin 43 Schultage versäumt hat. Selbst die Zeugin U. K…, die gemeint hat, L… könne die zweite Klasse schaffen, hat von Rückschlägen aufgrund der vielen Fehlzeiten berichtet.
L… fühlt sich in der Einrichtung wohl und hat Freunde gefunden. Sie erhält dort die erforderliche pädagogische Unterstützung, um ihre zahlreichen Defizite aufarbeiten zu können. Die Beziehung zum Vater ist angebahnt worden. Das Kind erlebt in der Einrichtung erstmalig, dass andere Menschen nicht nur feindlich, sondern auch liebenswert sind. Es kann sich frei entfalten und auch Emotionen zeigen. Seit einiger Zeit wird L… auch psychotherapeutisch behandelt wegen einer sozialen Angststörung.
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Der Senat hat auch erhebliche Zweifel, ob die Mutter überhaupt körperlich in der Lage ist, für L… Elternverantwortung wahrzunehmen. Die Beteiligte zu 1. hat in ihrem Haushalt noch drei weitere kleine Kinder zu versorgen und zu betreuen. Es handelt sich hierbei um die am ….01.2006 geborene D…, die am ….05.2007 geborene S… und die am ….01.2011 geborene E…. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die Kindesmutter die Ärztlichen Atteste der Fachärztin für Allgemeinmedizin, Frau Dipl. med. C… S…, vom 13.03.2012 und vom 26.03.2012 zu den Akten gereicht, wonach eine Reise- und Verhandlungsfähigkeit nicht gegeben ist. Nach Darstellung der behandelnden Ärztin befindet sich die Mutter in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand. Ihr momentanes Körpergewicht beträgt 32 kg; sie hat darüber hinaus noch andere physische und auch psychische Probleme (rezidivierende Durchfälle, Infekte, Rhythmusstörungen des Herzens, Myalgien, Brechattacken und Schlafstörungen). Nach ärztlicher Einschätzung bedarf die Beteiligte zu 1. dringend ärztlicher Behandlung unter stationären Bedingungen, die sie allerdings ablehnt, weil ansonsten die Versorgung ihrer Kinder nicht gewährleistet sei.
2.
Die Anschlussbeschwerde des Vaters vom 28.02.2012 ist zulässig und auch begründet.
Gemäß § 66 Satz 1 Halbs. 1 FamFG kann ein Beteiligter sich der Beschwerde anschließen, selbst wenn er auf die Beschwerde verzichtet hat oder die Beschwerdefrist verstrichen ist. Letzteres ist hier der Fall. Den Akten lässt sich zwar eine Zustellung des schriftlich abgesetzten Beschlusses vom 06.07.2011 an den Vater bzw. seinen Verfahrensbevollmächtigten nicht entnehmen. Die Vorschrift des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG sieht aber eine absolute Frist von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses zur Einlegung einer Beschwerde vor. Diese Frist war bei Eingang der Anschlussbeschwerde Ende Februar 2012 längst abgelaufen.
Die Anschließung ist zulässig. Eine Beschränkung der Anschließung auf bestimmte Gegenstände sieht das Gesetz nicht vor. Daher kommt es weder darauf an, ob für das konkrete Verfahren das Verbot der Schlechterstellung gilt, noch ob sich in dem Verfahren Beteiligte mit widerstreitenden Interessen gegenüberstehen (Keidel/Sternal, FamFG, 17. Auflage, § 66 Rz. 4). Für den hier vorliegenden Fall einer Anschließung gegen eine nach §§ 1666, 1666 a BGB ergangene Maßnahme gibt die Literatur und Rechtsprechung - soweit ersichtlich - nichts her. Nach Auffassung des Senats hat der Elternteil, der keine Beschwerde eingelegt hat, in diesem Fall ein berechtigtes Interesse an einer Anschließung. Dies wird deutlich, wenn man sich die Konsequenzen eines Obsiegens des beschwerdeführenden Elternteils, ohne dass sich der andere Elternteil der Beschwerde angeschlossen hat, vor Augen hält. Vorliegend würde das bedeuten, dass der Mutter nach Aufhebung der einstweiligen Anordnung vom 06.07.2011 bezüglich ihrer Person nach §1680 Abs. 1, 3 BGB die elterliche Sorge für L… allein zusteht.
Die Anschlussbeschwerde ist in der Sache auch begründet. Es gibt keinen Grund, dem Vater die elterliche Sorge ganz oder teilweise nach §§ 1666, 1666 a BGB zu entziehen. Er ist weder erziehungsungeeignet, noch geht von ihm eine Kindeswohlgefährdung aus. Er unterstützt - wie er vor dem Senat am 15.03.2012 glaubhaft versichert hat - die eingeleiteten Hilfemaßnahmen. Er habe nicht die Absicht, L… in nächster Zeit zu sich zu nehmen. Seitens des Jugendamts und der Umgangsbegleiterinnen wird dem Vater bestätigt, dass er behutsam den Kontakt zu L… aufgebaut hat und Ratschläge und Empfehlungen annimmt. Es fehlt allerdings aufgrund des langjährigen Beziehungsabbruchs, den der Vater nicht zu verantworten hat, zwischen Vater und Tochter noch an einer hinreichend sicheren Bindung. Eine so gefestigte Beziehung, dass der Vater L… in seinem Haushalt aufnehmen könnte, ist derzeit nicht gegeben. Der Vater sieht dies ebenso und dokumentiert mit seiner Entscheidung, die Tochter vorerst im Heim zu belassen, seine Sorge und die Übernahme von Verantwortung für das Kindwohl.
Der angefochtene Beschluss ist deshalb, soweit dem Vater die elterliche Sorge vorläufig entzogen worden ist, aufzuheben. Bei dieser Sachlage kann auch die angeordnete Amtsvormundschaft keinen Bestand haben. Sie unterliegt der Aufhebung. Gemäß § 1680 Abs. 3 BGB steht dem Vater - nach teilweiser Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung - die elterliche Sorge für L… vorläufig allein zu.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 81 Abs. 1 FamFG.
Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40 Abs. 1, 41 Satz 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG. Angesichts der Komplexität der Sache hält der Senat einen Wert von 3.000 €, was dem doppeltem Regelwert entspricht, für angemessen, aber auch ausreichend.