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Haftungsbescheid vom 22.11.2010


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 12.09.2017
Aktenzeichen 9 K 9281/12 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2017:0912.9K9281.12.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte die Klägerin als Entleiherin von Arbeitnehmern einer Fa. B…, Inhaber C…, mit Sitz in D… (Republik Polen) wegen rückständiger Lohnsteuern 2002 und 2003 etc. gemäß § 42 d Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes – EStG – in Haftung nehmen kann.

Herr C…, wohnhaft in E…-straße, D… (Republik Polen), war Inhaber eines Einzelunternehmens mit der Bezeichnung „B…“, welches sowohl in Polen als auch in Deutschland Installationsarbeiten auf den Arbeitsgebieten „Elektro und Wasser, Abwasser, Heizung“ durchführte. Auf gezielte Nachfrage seitens des Finanzamtes F… als damals bundesweit zentral zuständigem Finanzamt für ausländische Werkvertragsunternehmen (siehe zur damaligen Gesetzeslage Rätke, in: Klein, AO, 13. Aufl. § 20 a Rz. 12 m. w. N.) wurde das Unternehmen durch dessen Geschäftsführer Diplom-Ingenieur G…, H…-straße, I… mit Anmeldebogen vom 19. September 2002 beim Finanzamt F… steuerlich angemeldet (StNr.: …). Als Sitz des Unternehmens wurde die Stadt D… angegeben, als Anschrift, unter der das Unternehmen in Deutschland zu erreichen sei: c/o J…, H…-straße, I…. Außerdem wurde angegeben, dass das Einzelunternehmen Auftragnehmerin eines Werkvertrages bezüglich der Durchführung von Installationsarbeiten sowie Heizungsmontage in der Zeit vom 12. August bis zum 24. Oktober 2002 (evtl. Verlängerung) sei. Auftraggeberin sei die Klägerin, die damals noch wie folgt firmierte: K… GmbH, L…-straße, 81671 I….

Bereits am 23. Mai 2002 wurde zwischen der Klägerin als Auftraggeberin und der Fa. B… mit Sitz in D… als Auftragnehmerin ein schriftlicher Vertrag geschlossen, der mit der Bezeichnung „Rahmenwerkvertrag“ überschrieben ist (Bl. 000003 ff. der Akte des Finanzamtes F… zu § 48 b EStG) und folgenden Inhalt hat:

„1. Vertragsgegenstand

Der Auftragnehmer (AN) übernimmt in eigener Regie und Verantwortung die Ausführung des Werkvertrages.

1.1 Der Auftraggeber (AG) beauftragt den AN zur Durchführung von Montage- bzw. Bauleistungen gemäß dem in der Anlage beigefügten Teilleistungsvertrag und dem in der Anlage beigefügten Leistungsverzeichnis.

2. Verpflichtungen des AN

2.1 AN verpflichtet sich zur termingerechten Abwicklung dieses Auftrages.

2.2 AN legt die Aufenthaltsgenehmigung und die Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer vor.

2.3 AN ist verpflichtet, den zu der Leistung erforderlichen Personaleinsatz so zu sichern, dass die Arbeiten plangemäß durchgeführt werden können.

2.4 Die Arbeiten werden qualitativ einwandfrei und fachmännisch laut Dokumentation und Auflagen vom AG durchgeführt.

2.5 AN wird dafür sorgen, dass von seinem Personal die an dem jeweiligen Leistungsort geltenden Sicherheits- und Unfallverhütungsvorschriften ebenso wie die dort geltenden örtlichen Bestimmungen eingehalten werden.

2.6 Die vom AG zur Verfügung gestellten Materialien sind nach dem Grundsatz sparsamster Wirtschaftsführung zu verwenden; der Verbrauch ist auf Verlangen nachzuweisen.

2.7 Die vom AN zu vertretenden Qualitätsmängel werden kostenlos vom AN behoben. Qualitätsmängel und deren Behebung werden im Bautagebuch oder in einem gemeinsam aufzunehmenden Protokoll festgelegt.

2.8 Der AN ist verpflichtet, während der gesamten Bauzeit einen deutschsprachigen fachkompetenten Obermonteur bereitzustellen.

3. Verpflichtungen des AG

3.1 AG sichert ein entsprechendes Arbeitsgebiet zu Beginn der Arbeiten gemäß dem in dem Teilleistungsvertrag festgesetzten Zeitpunkt und informiert darüber AG acht Tage im Voraus.

3.2 AG verpflichtet sich dem Personal des AN auf dem Leistungsort solche Einrichtungen, wie z. B. verschließbarer Umkleideraum, Bürocontainer, Sanitätseinrichtungen und ähnliches sicherzustellen ……

3.3 AG verpflichtet sich, die für die Ausführung der Arbeiten der gegebenen Technologie gemäß erforderlichen Materialien sowie Energie (Strom, Wasser, usw.) kostenlos und rechtzeitig bereitzustellen und die notwendigen örtlichen Genehmigungen zu besorgen.

3.4 AG stellt kostenlos die zur Lagerung von Material und Geräten nötigen verschließbaren Räume zur Verfügung.

3.5 AG stellt sämtliche Konstruktions- und Montagezeichnungen, Stücklisten, Pläne und sonstige für die Durchführung des Vertragsgegenstandes erforderlichen Unterlagen kostenlos zur Verfügung. …..

4. Zusammenarbeit

4.1 Der Arbeitsleiter des AN ist verpflichtet, ein Bautagebuch bzw. Montagebuch zu führen mit täglichen Eintragungen über alle wesentlichen Vorkommnisse, insbesondere mit Auswirkung auf den Leistungsumfang, Unfälle, Arbeitsunterbrechung usw. Das Bautagebuch bzw. Montagebuch soll von dem Bauleiter des AG innerhalb drei Tagen gegengezeichnet werden. …..

4.2 Die Abnahme für Quantität und Qualität erfolgt seitens des AG und wird in dem vom AG und AN gemeinsam aufzunehmenden Protokoll festgelegt.

5. Abrechnung und Zahlung

5.1 Der Vertragswert wird in dem Teilleistungsvertrag festgelegt. Die dem Leistungsverzeichnis zugrunde liegenden Einheitspreise sind Nettopreise.

5.2 Die Preise beinhalten die Ein- und Rückreise, die Aufenthaltskosten des Personals in der BRD sowie Steuern und Löhne, die in Polen und in der BRD bezahlt werden müssen.

…..

5.4 AN reicht monatliche Abschlagsrechnungen ein, die sich auf die geleistete Arbeit beziehen.

……

5.5 Sollte der AG in Sonderfällen im Leistungsverzeichnis nicht angeführte Sonderarbeiten bestellen, werden diese Arbeiten mit einem Stundensatz von 15,00 EUR separat als Regiearbeit verrechnet und vergütet.

5.6 Sollte der AN infolge des Verschuldens des AG (Probleme von Materiallieferung, Sicherung des Arbeitsgebietes, usw.) nicht in der Lage sein zu arbeiten, wird die Stehzeit zu einem Stundensatz von 5,00 EUR verrechnet.

5.7 Nach Beendigung der Leistungen vom AN und ihrer Abnahme wird eine Schlussrechnung vom AN an den AG eingereicht. Die Abnahme soll binnen 14 Tagen nach Beendigung der Arbeiten erfolgen.

…….

6. Gewährleistung

6. 1 AN haftet dafür, dass der ihm erteilte Auftrag nach den anerkannten Regeln der Technik und termingerecht durchgeführt wird. …….

12. Schlußbestimmungen

12.1 Der Werkvertrag tritt erst dann in Kraft, sobald seitens des zuständigen Arbeitsamtes die notwendigen Erlaubnisse an den AN sowie alle sonstigen erforderlichen Genehmigungen erteilt wurden.

12.3 Der Vertrag ist bis zum 30.09.2002 gültig. Darüber hinaus kann der Vertrag durch Vereinbarung beider Parteien verlängert werden. Die Verlängerung soll zehn Wochen vor Ablauf des Vertrages vereinbart werden und ist nur mit der Genehmigung der zuständigen deutschen Behörden gültig. „

Ebenfalls am 23. Mai 2002 schlossen die Klägerin als Auftraggeberin (AG) und die Fa. B… als Auftragnehmerin (AN) einen schriftlichen „Teilleistungsvertrag“ ab. Darin heißt es u. a.:

„ Wir erteilen Ihnen hiermit den Auftrag zur Durchführung von Montagearbeiten der Bereiche Heizung, Sanitär und Wohnungslüftungen. Das Material wird vollständig vom AG gestellt.

Bauvorhaben: Neubau Wohnanlage M… in N…

Bauabschnitt: P…

Termine: Beginn ca, Juli 2002 – 30.09.2002

Als Vergütung wird eine Pauschalsumme von ca. 61 005,10 EUR zuzüglich der jeweils geltenden Mehrwertsteuer vereinbart. Die Abrechnung erfolgt nach tatsächlichem Aufwand zu einem netto-Stundenverrechnungssatz von 15,00 EUR.

Besondere Vereinbarungen:

- Grundlage dieser Beauftragung ist der Rahmenwerkvertrag vom 23.05.02.

- ….

-Alle vom AN beschäftigten Mitarbeiter verbleiben im Arbeitsverhältnis des AN und befolgen die Anweisungen des AG
-Der AN stellt während der Vertragslaufzeit täglich 6 Mitarbeiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 50 Stunden zur Verfügung

Dem Vertragsverhältnis liegt folgende Reihen- und Rangfolge zugrunde:

-Das Leistungsverzeichnis sowie die Regelungen des Vertrages zwischen dem AG, soweit der AN davon Kenntnis erlangt hat ……….“

Außerdem existiert unter dem Datum „23.05.2002“ eine 24 Seiten umfassende „Leistungsbeschreibung“ seitens der Klägerin hinsichtlich der am Objekt „P…, N…“ durchzuführenden Arbeiten betreffend das Gewerk „Heizung, Lüftung“ (Bl. 000015 ff. der Akte des FA F… zu § 48 b EStG).

Das Einzelunternehmen B… hatte in der O…-straße in N… eine Betriebsstätte gewerberechtlich angemeldet. Der Betriebsstätte wurde von der Agentur für Arbeit I… die Betriebsnummer … zugeteilt [Bl. 000031 der BP-Akte des Beklagten]. Am 24. März 2003 wurde die Betriebsstätte rückwirkend zum 1. Oktober 2002 wegen „Betriebsaufgabe“ bei der Gemeinde N… wieder abgemeldet [vgl. Heftung in der Gewerbesteuerakte des FA F…].

Die beiden Baustellen, auf denen polnische Arbeitnehmer der Fa. B… im Auftrag der Klägerin eingesetzt wurden, befanden sich zum einen in der Straße „P…“ in der unmittelbar an die Stadt I… angrenzenden Gemeinde N… und zum anderen in der Straße „Q…“ in der Stadt I….

Die Fa. B… meldete Lohnsteuern in folgender Höhe beim Finanzamt F… an und tilgte diese Beträge anschließend:

 Zeitraum

 Eingang der Erklärung

 Lohnsteuer

 SolZ 

 02/2003

 24.03.2003

 664,91 EUR

  3,38 EUR

 03/2003

 15.04.2003

 112,70 EUR

  0,63 EUR

 04/2003

 19.05.2003

 8,16 EUR

  0,00 EUR

 05/2003

 20.06.2003

  8,16 EUR

  0,00 EUR

 06/2003

 15.07.2003

 0,00 EUR

  0,00 EUR

Für folgende Monate erließ das Finanzamt F… gegenüber der Fa. B… Schätzungsbescheide oder geänderte Bescheide vom 10. April 2003 nach eingereichter Lohnsteueranmeldung vom 24. März 2003:

 08/2002

 Bescheid v. 06.03.2003

 300,00 EUR

  16,50 EUR

 09/2002

 „ „ 06.03.2003

 300,00 EUR

 16,50 EUR

 10/2002

  „ „ 10.04.2003

 328,45 EUR

 6,84 EUR

 11/2002

  „ „ 10.04.2003

 726,33 EUR

 23,04 EUR

 12/2002

  „ „ 10.04.2003

 538,35 EUR

 18,43 EUR

 01/2003

  „ „ 10.04.2003

 1 483,88 EUR

 80,85 EUR

 07/2003

  „ „ 10.11.2003

 460,00 EUR

 25,00 EUR

 08/2003

 „ „ 10.11.2003

 470,00 EUR

 25,00 EUR

Die Klägerin ist ein Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH mit Sitz in 85521 R…. Sie ist seit dem 30. Oktober 2001 im Handelsregister des Amtsgerichts I… eingetragen (HRB …). Ihr satzungsmäßiger Unternehmenszweck ist die „Erbringung und Vermittlung von Dienstleistungen auf dem Gebiet der Gebäudetechnik“. Die Klägerin gehörte in den Streitjahren 2002 und 2003 zum Konzern „S… GmbH & Co. KG“. Geschäftsführer der Klägerin waren damals Herr T… sowie Herr U….

Mittels Gesetzes zur Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Finanzen vom 8. Mai 2008 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I 2008 S. 810) erfolgte mit Wirkung ab 1. April 2008 eine Neuaufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Finanzamt F… und dem Beklagten hinsichtlich der Sonderzuständigkeit für die Besteuerung polnischer Baugewerbe-Unternehmen dahin gehend, dass seit diesem Zeitpunkt der Beklagte für die Besteuerung des Einzelunternehmens von Herrn C… zuständig ist (vgl. dazu allgemein Rätke, a.a.O., Rz. 12 m. w. N.).

Am 27. November 2008 teilte das Finanzamt V… (Betriebsprüfungsstelle) der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes W… mit, dass sich die Klägerin bei der Ausführung von Handwerkerarbeiten polnischer Leiharbeiter bediene, die Arbeitnehmer einer Fa. B… seien. Das Finanzamt V… führte daraufhin eine Außenprüfung bei der Klägerin durch und vertrat anschließend die Auffassung, dass die Klägerin illegal polnische Leiharbeiter beschäftigt habe.

Im „Schlussbericht“ des Hauptzollamtes I… vom 21. Februar 2008 in der Sache G… wegen unerlaubter gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung von Ausländern etc. ist u. a. Folgendes ausgeführt:

„1. Tatbestand …..

Der Beschuldigte zahlte als verantwortlich Handelnder der Firma B… das monatliche Arbeitsentgelt an die überlassenen B…-Arbeitnehmer. Mangels Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis waren die vom Geschäftsführer der B… bzw. die vom Beschuldigten mit der K… GmbH ….. geschlossenen Verträge nach § 9 Nr. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz unwirksam. …

Die Arbeitnehmer waren nicht im Besitz der erforderlichen Arbeitserlaubnis, da für Leiharbeiter eine solche nicht erteilt werden kann. ….

3. Ermittlungsergebnis

3.3 Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt im Zusammenhang mit der illegalen Arbeitnehmerüberlassung sowie Verleih von polnischen Arbeitnehmern ohne Arbeitsgenehmigung

In allen vom Beschuldigten mit den Firmen K… GmbH ….. eingegangenen Teilleistungsverträgen wurde bestimmt, dass

-die Baustelle und Materiallager wöchentlich nach Aufforderung der Bauleitung des Auftraggebers zu reinigen waren,
-die vom Auftraggeber beschäftigten Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis des Auftragnehmers verbleiben,
- die Arbeitsanweisungen des Auftraggebers zu befolgen haben und
-dass wöchentlich eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern mit einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit von der Firma B… den Auftraggebern zur Verfügung zu stellen ist ….

Aus den Aussagen der bislang vernommenen Personen ergibt sich, dass tatsächlich keine Gewerke bzw. Dienste erbracht, sondern nur die Arbeitnehmer den Auftraggebern zur Arbeitsleistung überlassen wurden [Zeuge X… ……, Zeuge Y… …. Zeuge Z… ….. Zeuge AA… …….].

Dass nur Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt werden sollten, kann auch dem handschriftlichen Vermerk des anderweitig beschuldigten U…, Mitarbeiter der Kaufmännischen Leitung und späterem Prokuristen des Firma K… GmbH …. auf dem für die Firma B… bestimmten Leistungsverzeichnis (Objekt P… N…) entnommen werden. Das Leistungsverzeichnis war lediglich eine notwendige Unterlage um das Arbeitsamt täuschen zu können, um so Arbeitsgenehmigungen zu erhalten.

So wusste der Beschuldigte, dass kein Leistungsverzeichnis erbracht, sondern die B…-Arbeiter zur Verfügung gestellt und nur die von ihnen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abgerechnet werden sollten. …….

Im Übrigen wird hierzu auf die in den Ermittlungs- bzw. Schlussberichten AB… ….., T… …. und AC… … gemachten Feststellungen verwiesen. …

Im Ermittlungszeitraum war weder einer Firma B…, einem Herrn C… noch einem Herrn G… eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung erteilt …. „

Die Rechnungen der Firma B… gegenüber der Klägerin weisen folgenden Inhalt auf:

„Rechnung Nr. 1/2002

Betreff: Heizungs- und Sanitärarbeiten

Bauvorhaben: N… P…

Für die geleistete Arbeit erlauben wir uns zu berechnen:

Abrechnungszeit: 12.08.- 17.08. 2002

Geleistete Std. : 190 x 13,50 EUR = 2 565,00 EUR

In der Anlage zur Rechnung befindet sich für jeden einzelnen Tag der „Tagesbericht“ mit namentlicher Aufzählung der Arbeitnehmer und deren geleistete Stunden.

Folgende Rechnungen wurden von den ermittelnden Behörden aufgefunden (siehe Kopien in BP-Akte des Beklagten):

[Die Rechnungen aus dem Jahr 2002 betreffen das Bauvorhaben in N…, P…, die Rechnungen aus dem Jahr 2003 betreffen das Bauvorhaben in I…, Q…]

 Re-Nr.

 Datum

 Betrag

 Re-Nr.

 Re-Datum

 Betrag

 1/2002

 19.08.02

 2 565,00 EUR

 1/2003

 21.01.03

 31 111,11 EUR

 2/2002

 26.08.02

 3 091,50 EUR

 2/2003

 24.02.03

 1 280,00 EUR

 3/2002

 01.09.02

 3 078,00 EUR

 3/2003

 08.04.03

 10 000,00 EUR

 4/2002

 09.09.02

 3 564,00 EUR

 4/2003

 03.06.03

 2 100,00 EUR

 5/2002

 16.09.02

 4 617,00 EUR

 5/2003

 21.07.03

 3 000,00 EUR

 6/2002

 23.09.02

 4 617,00 EUR

 6/2003

 28.07.03

  2 500,00 EUR

 7/2002

 30.09.02

 4 617,00 EUR

 7/2003

 04.08.03

 2 545,00 EUR

 8/2002

 07.10.02

 3 591,00 EUR

 8/2003

 11.08.03

 2 450,00 EUR

 9/2002

 14.10.02

 3 847,50 EUR

 9/2003

 13.08.13

 1 080,00 EUR

 10/2002

 21.10.02

 3 719,00 EUR

 10/2003

 25.08.03

 2 226,00 EUR

 11/2002

 28.10.02

 4 617,00 EUR

 4/2003

 16.07.03

 1 800,00 EUR

 12/2002

 04.11.02

 2 106,00 EUR

 11/2003

 25.08.03

 2 160,00 EUR

 13/2002

 11.11.02

 2 052,00 EUR

                        

 14/2002

 25.11.02

 15 555,55 EUR

                        
                

 61 637,55 EUR

                

 62 252,11 EUR

Herr Roman C… verstarb am 17. Februar 2005 (siehe Schreiben des Bundeszentralamtes für Steuern vom 10. Juli 2012 betr. Auskunft der poln. Steuerverwaltung [Bl. 21/22 der Gerichtsakte]).

Die Staatsanwaltschaft I… stellte die Ermittlungsverfahren gegen die damaligen Geschäftsführer der Klägerin, Herr T… sowie Herr U…, wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen Auflagen (Zahlung von jeweils 17 500,00 EUR an den BKK Bundesverband) gemäß § 153 a Abs. 1 der Strafprozessordnung ein. Die mit der Fa. B… im Zeitraum Januar 2002 bis August 2003 abgeschlossenen Werkverträge hätten – wie billigend in Kauf genommen worden sei – in Wirklichkeit die Überlassung von Arbeitnehmern durch die Fa. B… an die Klägerin zum Gegenstand gehabt. Die Fa. B… habe über keine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung verfügt. Kraft gesetzlicher Fiktion sei die Klägerin Arbeitgeberin der überlassenen polnischen Arbeitskräfte geworden. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, die Beiträge zur Sozialversicherung für die polnischen Arbeitnehmer abzuführen (siehe das Schreiben der Staatsanwaltschaft I… vom 30. Juni 2008 = Bl. 000017 ff. der BP-Akte).

Mit Bescheid vom 18. Juni 2008 forderte die Deutsche Rentenversicherung von der Klägerin Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 35 000,00 EUR nach. Die Nachforderung bezieht sich auf den Zeitraum Ende Februar 2002 bis Ende August 2003 und wird mit der illegalen Beschäftigung von Leiharbeitnehmern der Firma B… begründet (siehe den Bescheid = Bl. 000024 ff. der BP-Akte).

In den Monaten Mai und Juni 2010 führte das Finanzamt F… einer Steuerfahndungsprüfung bei der Klägerin durch (vgl. Bericht vom 4. Juni 2010). Dabei ermittelte die Steuerfahndungsstelle folgenden Haftungsbeträge im Sinne von § 42 d Abs. 6 Satz 7 EStG:

        

 2002 

 2003 

 Netto-Umsatz:

 61 637,55 EUR

  62 252,11 EUR

 Lohnsteuer (15 v.H.)

  9 245,63 EUR

 9 337,81 EUR

 SolZ zur Lohnsteuer

 508,50 EUR

  513,57 EUR

 Summe der Haftungsbeträge:

        

 19 605,51 EUR

Am 22. November 2010 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin unter Berufung auf § 42 d EStG einen Haftungsbescheid über insgesamt 19 605,51 EUR. Zur Begründung nahm er auf den beigefügten Steuerfahndungsbericht vom 4. Juni 2010 Bezug. Darin heißt es u. a. :

„Nach den Regelungen des § 38 Abs. 1 Nr. 2 EStG wird bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer), wenn der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber gezahlt wird, der einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung im Inland überläßt, ohne inländischer Arbeitgeber zu sein. Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 EStG). Der Arbeitgeber hat für alle im Inland tätigen Leiharbeitnehmer die Lohnsteuer vom ersten Tag der Tätigkeit im Inland an einzubehalten, die 183-Tage-Frist kommt nicht zur Anwendung.

Der Art. 14 DBA Polen weist das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland zu, wenn die Vergütungen von einer Person gezahlt werden, die im Inland ansässig it. Arbeitgeber im Sinne des DBA ist derjenige, der die Vergütung für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich trägt (vgl. hierzu u. a. BFH-Urteil vom 21.08.1985, BStBl II 1986, 4). Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer dem deutschen Arbeitgeber seine Arbeitsleistung schuldet, unter dessen Leitung tätig wird und dessen Weisungen unterworfen ist. Es ist nicht entscheidend, wer bürgerlich-rechtlich Vertragspartei ist und wer den Lohn auszahlt (vgl. BFH-Urteil vom 08.09.1972, BStBl II 1972, 71 ff.). Maßgebend ist vielmehr die wirtschaftliche Zuordnung, In diesem Sinne ist der inländische Entleiher wirtschaftlich als Arbeitgeber dieser verliehenen Arbeitnehmer anzusehen. Demnach hat das Besteuerungsrecht, unabhängig von der Aufenthaltsdauer der Arbeitnehmer, der Tätigkeitsstaat Deutschland. Arbeitgeber im steuerlichen Sinne (§§ 38 EStG i. V. m. § 1 LStDV) bleibt jedoch der Verleiher.

Die Lohnsteuer wäre somit durch die Fa. B… anzumelden gewesen, was nicht geschehen ist. Im vorliegenden Fall liegt somit objektiv als auch subjektiv eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vor, die nicht verfolgt werden kann, da der Inhaber des Einzelunternehmens B…, Herr C…, bereits am 17.02.2005 verstorben ist. Nichts desto trotz hat die hier vorliegende Steuerhinterziehung eine Verlängerung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 AO auf 10 Jahre, also mindestens bis zum 10.09.2012 zur Folge.

Entleiher, denen Arbeitnehmer gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überlassen werden, haften gemäß § 42 Abs. 6 Satz 1 EStG neben dem Arbeitgeber als Gesamtschuldner für die nicht abgeführten Steuerabzugsbeträge. Aufgrund des bereits eingetretenen Todes des Arbeitgebers kommt dessen Haftungsinanspruchnahme nicht in Betracht. Die Haftung beschränkt sich auf die Lohnsteuer für die Zeit, für die ihm Arbeitnehmer überlassen worden sind. Die Überlassung erfolgte nach den der Steuerfahndungsstelle des FA F… vorliegenden Unterlagen im Zeitraum August 2002 – August 2003.“

Die Klägerin legte gegen den Haftungsbescheid fristgerecht Einspruch ein. Die Haftungsinanspruchnahme werde zu Unrecht auf illegale Arbeitnehmerüberlassung sowie Steuerhinterziehung in der Person des Herrn C… gestützt. Es habe sich nicht um Leiharbeiter-, sondern um Werkverträge zwischen der Firma B… und ihr, der Klägerin, gehandelt. Die Firma B… habe sich zur Erbringung verschiedener Dienstleistungen verpflichtet. Für etwaige anfallende Lohnsteuern sei die Fa. B… verantwortlich gewesen. Die Frage, ob in der Person des Herrn C… der Tatbestand einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung erfüllt worden sei, könne von ihr, der Klägerin, mangels Vorhandenseins entsprechender Unterlagen nicht beantwortet werden. Zudem sei das dem Beklagten zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen von diesem nicht pflichtgemäß ausgeübt worden. Zunächst hätte man die Erben der Fa. B… in Haftung und ihnen gegenüber Steuerbescheide erlassen müssen. Außerdem werde Verjährung geltend gemacht. Ein Ermessensfehlgebrauch ergebe sich auch aus der Zeitverzögerung (Tatbestände aus den Jahren 2002 und 2003 erst im Jahr 2010 geltend gemacht). Der Erlass eines Haftungsbescheids könne ungerechtfertigt sein, wenn das Finanzamt selbst grob schuldhaft dazu beigetragen habe, dass eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners nicht mehr möglich sei (Hinweis auf BFH-Urteil in BStBl II 1992, 696) oder dass die Rechtslage für den Haftenden nur schwer überschaubar sei und er den Steuerschuldner nicht mehr in Regress nehmen könne.

Mit Einspruchsentscheidung vom 29. August 2012 setzte der Beklagte die Haftungssumme unter Berücksichtigung der bisher von der Fa. B… angemeldeten bzw. vom Beklagten im Schätzungswege ermittelten Abgabenverbindlichkeiten auf 13 988,400 EUR herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die reduzierte Haftungssumme setzt sich wie folgt zusammen:

        

  2002

 2003 

 Lohnsteuer

  7 052,50 EUR

 6 130,00 EUR

 SolZ 

  427,19 EUR

  378,71 EUR

 [bisher festgesetzte Abgabenverbindlichkeiten:

 Lohnsteuer

 2 193,13 EUR

 3 207,81 EUR

 SolZ 

 81,31 EUR

 134,86 EUR]

Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Das Versterben des Herrn C… am 17. Februar 2005 sei ihm, dem Beklagten, durch die polnische Steuerverwaltung bestätigt worden (Anfrage über das Bundeszentralamt für Steuern im Juli 2012). Die Inanspruchnahme des Entleihers als Gesamtschuldner anstelle der einzelnen Arbeitnehmer sei regelmäßig ermessensfehlerfrei, wenn der Steuerabzug bewusst oder leichtfertig versäumt worden sei (Hinweis auf BFH-Urteil vom 14. April 1967 VI R 23/66 sowie Drenseck, in: Schmidt, EStG, § 42 d Rz. 31).

Das Hauptzollamt I… habe erst aufgrund einer Baustellenkontrolle am 15. Oktober 2005 den streitgegenständlichen Sachverhalt aufgreifen können. Zu diesem Zeitpunkt sei Herr C… bereits verstorben gewesen. Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes F… hat erst am 19. März 2010 durch eine Mitteilung von dem streitgegenständlichen Sachverhalt Kenntnis erhalten. Sie habe zeitnah am 4. Juni 2010 ihren steuerlichen Bericht verfasst. Der Erlass des streitgegenständlichen Haftungsbescheids sei ebenfalls zeitnah durch ihn als örtlich und sachlich zuständige Behörde erfolgt.

Es sei somit nicht erkennbar, dass der Haftungsanspruch verwirkt sein könnte. Ein längerer Zeitablauf führe für sich allein noch nicht zur Verwirkung; hinzutreten müssten ein Vertrauenstatbestand und eine Vertrauensfolge, Umstände also, deren Vorliegen hier nicht ersichtlich sei (Hinweis auf BFH-Urteil vom 8. Oktober 1986 II R 167/84 und BFH-Beschluss vom 1. Februar 1994 VII B 242/93).

Zur Begründung ihrer hiergegen gerichteten Klage vertieft die Klägerin im Wesentlichen ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren.

Die Beschäftigung von Arbeitnehmern der Fa. B… durch sie im Rahmen von Werkverträgen sei legal gewesen, weil ausdrücklich vom Arbeitsamt Duisburg genehmigt.

Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung i. S. von § 370 AO sei vom Beklagten nicht nachgewiesen, weshalb die sog. Festsetzungsfrist nur vier Jahre betrage und der Haftungsbescheid daher verjährt sei. Ferner sei das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung vom Beklagten nicht nachgewiesen. Außerdem sei das Ermessen vom Beklagten nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden. Das Besteuerungsrecht nach dem DBA Deutschland/Polen stehe für die fraglichen Löhne Polen zu, da die Löhne von einem polnischen Arbeitgeber entrichtet worden seien.

Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin wird auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten im Klageverfahren Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 22. November 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung.

Mit Senatsbeschluss vom 28. Dezember 2016 wurde die Entscheidung über den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – auf den Einzelrichter übertragen.

Dem erkennenden Gericht haben bei seiner Entscheidung fünf Bände Steuerakten des Finanzamtes F… sowie zwei Bände Steuerakten des Beklagten betr. das frühere Einzelunternehmen B…, Inhaber C… (StNr.: …) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist unbegründet. Der Haftungsbescheid vom 22. November 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

1. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2016 X R 36/15, BFH/NV 2017, 593 m. w. N.). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob und wen es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Abs. 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar. Prüfungsmaßstab hierfür ist allein die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung).

2. Die Klägerin hat den Haftungstatbestand des § 42 d Abs. 6 EStG 2010 sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht erfüllt (vgl. hierzu allgemein: Nacke, Haftung für Steuerschulden, 4. Aufl., Rz. 2.242 sowie Wagner, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 42 d EStG Rz. 216 ff., jeweils m.w.N.).

a.) In der Person des Einzelunternehmers C… ist der Haftungstatbestand des § 42 d Abs. 1 EStG 2010 erfüllt.

Gemäß § 42 d Abs. 1 Nr. 1 EStG 2010 haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Die auf den beiden Baustellen in I… (Straße: Q…) und in N… (Straße: P…) im Zeitraum Februar 2002 bis August 2003 im Interesse der B-GmbH eingesetzten polnischen Handwerker waren unstreitig Arbeitnehmer des Einzelunternehmens C… im Sinne von § 19 Abs. 1 EStG 2010, § 1 Abs. 2 der Lohnsteuer – Durchführungsverordnung (LStDV).

Das Einzelunternehmen C… war im streitigen Zeitraum nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 EStG verpflichtet, Lohnsteuern und Solidaritätszuschläge hierzu für die von ihr in Deutschland beschäftigten polnischen Arbeitnehmer einzubehalten, beim Finanzamt F… anzumelden und an dieses Finanzamt abzuführen. Denn das o. g. Einzelunternehmen war „inländischer Arbeitgeber“ im Sinne von § 38 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002/2003, da es im Zeitraum Februar 2002 bis einschließlich August 2003 in Deutschland eine Betriebsstätte im Sinne von § 12 AO unterhielt. Dies ergibt sich aus drei Gründen:

- Das Einzelunternehmen C… agierte in Deutschland gegenüber mehreren Behörden durch einen offensichtlich vom Firmeninhaber mit umfassender rechtsgeschäftlicher Vollmacht versehenen „Geschäftsführer“ namens G…, dessen Wohnsitz sich in I… befunden hat (Adresse: „c/o J…, H…-straße 3, I…“). Dessen Wohnung ist – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die örtliche Nähe zu den beiden streitgegenständlichen Einsatzorten der polnischen Bauarbeiter in I… (Straße: Q…) und in N… (Straße: P…) - als inländische „Stätte der Geschäftsleitung“ anzusehen und stellt damit gemäß § 12 Satz 1 Nr. 1 AO eine Betriebsstätte dar.

- Das vorgenannte Einzelunternehmen unterhielt unstreitig zumindest zeitweilig unter der Adresse „O…-Straße, N… eine beim Gewerbeamt der Gemeinde N… selbst angemeldete „Betriebsstätte“ im Sinne von § 12 Satz 1 AO; dass diese Betriebsstätte bereits am 1. Oktober 2002 wegen „Betriebsaufgabe“ wieder aufgegeben worden sein soll – wie in der rückwirkenden Gewerbeabmeldung vom 24. März 2003 dargelegt – erscheint dem erkennenden Gericht angesichts der Fortführung der Bauarbeiten an den beiden o. g. Einsatzorten der polnischen Bauarbeiter bis zum August 2003 unglaubhaft (warum hat man die Betriebsstätte zeitnah nicht bereits im Oktober 2002 gewerberechtlich wieder abgemeldet ?).

- Polnische Arbeitnehmer des vorgenannten Einzelunternehmens führten „Montagen“ von Heizungs- und Sanitäranlagen im Zeitraum Februar 2003 bis August 2003 auf zwei räumlich vergleichsweise nah beieinanderliegenden Baustellen in I… bzw. in der unmittelbar an I… grenzenden Gemeinde N… im Interesse desselben Unternehmens (K… GmbH) durch, die gemäß § 12 Satz 2 Nr. 8 AO zusammengerechnet als Betriebsstätte im Sinne der AO anzusehen sind (vgl. dazu allgemein: BFH-Urteil vom 16. Dezember 1998 I R 74/98, BStBl II 1999, 365 m. w. N.).

Ob eine Verpflichtung zum Einbehalt und zur Abführung von Lohnsteuer nach § 38 EStG in den Jahren 2002 und 2003 bestanden hat, hängt von der Arbeitgebereigenschaft des o. g. Einzelunternehmens ab und bestimmt sich insoweit nicht nach den Regelungen des DBA Polen 1972, sondern nach den Regelungen des Einkommensteuergesetzes und der AO. Denn das DBA hat lediglich die Funktion, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, legt den in einem der beiden Vertragsstaaten ansässigen natürlichen oder juristischen Personen im Sinne von Art. 1 DBA Polen 1972 aber keine steuerlichen Pflichten auf (vgl. dazu allgemein: BFH-Urteil vom 24. März 1999 I R 64/98, BStBl II 2000,41 unter II.A.1. Buchst. a der Gründe).

Auch die weitere Voraussetzung des § 38 EStG 2002/2003 ist erfüllt. Denn das o. g. Einzelunternehmen zahlte im streitgegenständlichen Zeitraum Februar 2002 bis August 2003 Löhne aus, die der deutschen Besteuerung unterlagen. Nur wenn die ausgezahlten Löhne der deutschen Besteuerung unterliegen, ist der inländische Arbeitgeber nämlich verpflichtet, Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1989 I R 50/85, BStBl 1989, 755, unter II.4 der Gründe; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. April 2008 6 K 2660/04, juris).

Im vorliegenden Fall waren die in Polen ansässigen Arbeitnehmer mit ihren Löhnen nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG 2002/2003 beschränkt steuerpflichtig. Das sich hieraus ergebende Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland wird durch das mit der Republik Polen in den Streitjahren bestehende Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 18. Dezember 1972 (BGBl. II 1975,645) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 24. Oktober 1979 (BGBl. II 1981, 306) – DBA Polen 1972 - nicht beschränkt. Das derzeit gültige DBA mit der Republik Polen vom 14. Mai 2003 (BGBl. I 2004, 1304) ist erst auf Lebenssachverhalte anzuwenden, die sich ab dem 1. Januar 2005 ereignet haben (vgl. Art. 32 Abs. 2 DBA Polen 2003).

Denn nach Art. 14 Abs. 1 DBA Polen 1972 können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich nur im Ausübungsstaat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden; der Ausnahmetatbestand des Art. 14 Abs. 2 DBA Polen 1972 ist im Streitfall nicht erfüllt. Denn die erste Voraussetzung des Art. 14 Abs. 2 DBA Polen 1972 ist nicht gegeben, weil die streitgegenständlichen polnischen Arbeitnehmer sich jeweils mehr als 183 Tage pro Kalenderjahr in Deutschland aufgehalten haben, um die Montagearbeiten im Zeitraum Februar 2002 bis August 2003 auf zwei Baustellen in I… bzw. N… durchzuführen.

Auch die dritte Voraussetzung des Art 14 Abs. 2 DBA Polen 1972 ist vorliegend nicht erfüllt. Denn das Einzelunternehmen C… hat im streitgegenständlichen Zeitraum Februar 2002 bis August 2003 eine sog. Vertreter-Betriebsstätte im Sinne von Art. 5 Abs. 5 DBA Polen 1972 in I… (Ort: wechselnde Wohnanschriften des inländischen Bevollmächtigten des Einzelunternehmers = G…) unterhalten, die die Lohnaufwendungen für die streitgegenständlichen polnischen Arbeitnehmern getragen hat. Für die Frage, von wem die Lohnaufwendungen getragen worden sind, kommt es weder auf die ertragsteuerliche Belastung der Betriebsstätte noch auf die tatsächliche Zahlung der Löhne durch die Vertreter-Betriebsstätte an. Entscheidend ist vielmehr, dass die Vergütungen nach den Grundsätzen der Betriebsstättenbesteuerung der betreffenden Betriebsstätte gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2 DBA Polen 1972 zugerechnet werden können. Dies ist der Fall, wenn der Personaleinsatz durch die Aktivität der Betriebsstätte verursacht ist (vgl. BFH-Urteil vom 24. Februar 1988 I R 143/84, BStBl II 1988, 819; Wassermeyer/Schwenke in: Wassermeyer, DBA, Art. 15 Rz. 130 bis 132, jeweils m. w. N.).

Im vorliegenden Fall stehen die für die Montagearbeiten auf den beiden Baustellen in I… bzw. N… in den Jahren 2002 und 2003 gezahlten Arbeitslöhne für die verliehenen polnischen Arbeitnehmer in wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Vertreter-Betriebsstätte des Einzelunternehmens C… in I… und sind durch diese verursacht. Denn ohne die verliehenen Arbeitnehmer – und die an sie gezahlten Löhne – hätte die inländische Vertreter-Betriebsstätte keine Einkünfte aus den im Interesse der K… GmbH ausgeführten Montagearbeiten erzielen können.

Ist danach ein Besteuerungsrecht Polens hinsichtlich der Löhne für die auf den beiden Baustellen in I… eingesetzten polnischen Arbeitnehmer abzulehnen, war das Einzelunternehmen C… zum Einbehalt und zur Abführung der Lohnsteuer nach § 38 Abs. 1 EStG 2002/2003 verpflichtet. Da es dieser Verpflichtung unzureichend nachgekommen ist, sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer Haftungsinanspruchnahme nach § 42 d Abs. 1 EStG 2010 in der Person der unbekannten Erben nach C… objektiv erfüllt.

b.) Weitere Voraussetzung einer Haftungsinanspruchnahme nach § 42 d Abs. 6 EStG 2010 ist das Vorliegen einer gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern. Gewerbsmäßig ist eine solche Überlassung, wenn sie nicht nur gelegentlich erfolgt, sondern auf eine gewisse Dauer angelegt ist und eine auf die Erzielung wirtschaftlicher Vorteile ausgerichtete selbständige Tätigkeit darstellt (vgl. dazu Nacke, aaO, Rz. 2.246).

Wegen der Begründung hierzu wird zur Entlastung des Gerichts gemäß § 105 Abs. 5 FGO auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des Beklagten in dessen Einspruchsentscheidung vom 29. August 2012 verwiesen.

Die Haftung der Klägerin entfällt auch nicht nach § 42 d Abs. 6 Sätze 2 und 3 EStG 2010, denn es liegt weder eine „erlaubte Arbeitnehmerüberlassung“ vor noch irrte die Klägerin als Entleiherin ohne Verschulden über das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung.

Kumulativ setzt der Haftungsausschluss voraus, dass der Überlassung eine Erlaubnis nach § 1 AÜG zugrunde liegt und der Entleiher einen Nachweis über die Einhaltung der Meldepflichten nach §§ 28 a ff. SGB IV vorlegen kann. Unterlässt der Entleiher z. B. eine gebotene Erkundigung beim Finanzamt oder Arbeitsamt, so handelt er schuldhaft (vgl. dazu Nacke, aaO, Rz. 2.250).

Im vorliegenden Fall liegt keine „erlaubte Arbeitnehmerüberlassung“ vor. Wegen der Begründung hierzu wird gemäß § 105 Abs. 5 FGO auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in dessen Einspruchsentscheidung Bezug genommen. Auch handelte die Klägerin bei der Entleihung der polnischen Arbeitnehmer nicht „ohne Verschulden“, da sie selbst nicht behauptet, sich vorher beim zuständigen Finanzamt oder Arbeitsamt nach den gesetzlichen Bedingungen für einen Arbeitnehmerentleih erkundigt zu haben.

c.) Die Vorschrift des § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO steht der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin nicht entgegen (vgl. zu dieser Vorschrift allgemein: BFH-Urteil vom 17. März 2016 VI R 3/15, BFH/NV 2016, 994 m. w. N.). Denn das erkennende Gericht ist davon überzeugt, dass der Inhaber des Einzelunternehmens C… hinsichtlich der streitgegenständlichen Lohnsteuern sowie Solidaritätszuschläge hierzu sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand von mehrfachen Steuerhinterziehungen im Sinne von § 370 AO zumindest in der Form des sog. dolus eventualis im Sinne von § 15 des Strafgesetzbuches dadurch verwirklicht hat, dass er die Löhne nicht annähernd vollständig der Lohnsteuer unterworfen hat.

Bedingt vorsätzliche Hinterziehung von Lohnsteuern etc. liegt vor, wenn der Steuerpflichtige – wie hier der Einzelunternehmer C… – sich über die Steuerrechtslage im Unklaren ist und es ihm möglich erscheint, dass die von ihm zu verantwortenden Lohnsteueranmeldungen für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2003 bei zutreffender Anwendung der Steuergesetze unrichtig oder unvollständig sind, und er dies mögliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Lohnsteueranmeldungen billigend in Kauf nimmt (vgl. dazu allgemein: Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 16. Dezember 2009 1 StR 491/09, Höchstrichterliche Finanzrundschau – HFR – 2010, 866; Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO-FGO, 10. Aufl., § 370 AO Rz. 223 ff., 225, jeweils m. w. N.).

Im vorliegenden Fall hat Herr C… nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts billigend in Kauf genommen, dass seine Lohnsteueranmeldungen im streitgegenständlichen Zeitraum inhaltlich unzutreffend sind. Der bedingte Vorsatz ergibt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass er auch zahlreiche andere steuerliche Pflichten rund um die Arbeitseinsätze der polnischen Bauarbeiter in Deutschland wissentlich verletzt hat (z. B. rechtzeitige Einreichung von Lohnsteueranmeldungen für alle streitgegenständlichen Monate der Jahre 2002 und 2003, Anmeldung seines Unternehmens beim Finanzamt F… vor Beginn seiner einzelunternehmerischen Tätigkeit in Deutschland etc.).

Angesichts des unstreitigen Umstandes, dass die Fa. B… der Klägerin im Jahr 2002 über mehrere Monate hinweg kontinuierlich mindestens sechs polnische Arbeitnehmer für Arbeitseinsätze auf zwei Baustellen in I… bzw. N… zur Verfügung gestellt hat (vgl. dazu die „Besonderen Vereinbarungen“ im Teilleistungsvertrag vom 23. Mai 2002), war sich Herr C… nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts darüber im Klaren, dass die von seinem Einzelunternehmen beim Finanzamt F… für die streitgegenständlichen Zeiträume angemeldeten Lohnsteuerbeträge (z. B. für die Monate ab Juli 2003 gar keine Lohnsteuerbeträge) völlig unzureichend gewesen sind.

d.) Der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin steht nach ständiger BFH-Rechtsprechung der Umstand nicht entgegen, dass die rückständigen Lohnsteuern etc. nicht gegenüber den Erben des Herrn C… festgesetzt worden sind, denn dies ist kein zwingendes Erfordernis (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 15. Februar 2011 VII R 66/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2011, 1040, Rz. 22; Rüsken, in: Klein, AO, 13. Aufl., § 191 Rz. 13, jeweils mwN).

e.) Zutreffend hat der Beklagte unter Berufung auf § 42 d Abs. 6 Satz 7 EStG die Höhe der Haftungssumme nach dem zwischen der Fa. B… und der Klägerin vereinbarten Entgelt (ohne Umsatzsteuer) für die Erbringung der streitgegenständlichen Bauleistungen in I… bzw. N… bemessen. Substantiierte Einwendungen hiergegen hat die Klägerin nicht erhoben.

f.) Weitere Voraussetzung für den Erlass eines Haftungsbescheids gegenüber der Klägerin ist es, dass die Vollstreckung in das inländische Vermögen der Fa. B… fehlgeschlagen ist oder keinen Erfolg verspricht (§ 42 d Abs. 6 Satz 6 EStG). Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben, weil inländisches Vermögen der Fa. B… mit Sitz in D… (Polen) nicht vorhanden ist.

g.) Form- oder Ermessensfehler der angefochtenen Steuerverwaltungsakte sind nicht ersichtlich.

B. Wegen der weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 105 Abs. 5 FGO auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in dessen Einspruchsentscheidung verwiesen.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.