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(Gesetzliche Unfallversicherung - Übergangsrecht - Versicherungsfall vor dem 1.1.1992 - Beitrittsgebiet - Berufskrankheit - obstruktive Atemwegserkrankung - arbeitstechnische Voraussetzungen - Vollbeweis - Chlor - MAK-Überschreitung - Arbeiter und Brigadier - Abteilung Chlor III im VEB C B der ehemaligen DDR)


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 21.01.2010
Aktenzeichen L 2 U 294/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 215 Abs 1 S 1 SGB 7, § 1150 Abs 2 S 1 RVO, § 1150 Abs 2 S 2 Nr 1 RVO, § 221 AGB DDR, § 2 Abs 1 BKVMBV, Anl 1 Nr 81 BKVMBVDBest 1, § 212 SGB 7, § 551 Abs 1 S 1 RVO, Anl 1 Nr 4302 BKVO, Anl 1 Nr 4302 BKV

Leitsatz

1. Chlor ist ein chemisch-irritativ oder toxisch wirkender Stoff im Sinne der Berufskrankheit (BK) Nr. 4302, auch wenn er im Merkblatt zur BK Nr. 4302 des BMA in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Juli 1979 nicht genannt ist. Die Exposition gegenüber Chlor wird auch von der BK Nr. 81 der BK-Liste der ehemaligen DDR erfasst.

2. Die Exposition kann auch dann mit der notwendigen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bejaht werden, wenn die vorliegenden Messprotokolle zwar keine Grenzwertüberschreitung erkennen lassen, Berichte des Ministeriums für Staatssicherheit aber erhebliche Gefährdungen für das Leben und die Gesundheit der Werktätigen belegen. Dasselbe gilt, wenn entsprechende Informationen durch die für den Arbeitsschutz zuständigen Stellen der ehemaligen DDR vorliegen.

3. Der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand reicht trotz der nur in begrenztem Umfang vorhandenen Daten aus, um das irritative Schädigungsvermögen von Chlor für den Atemtrakt als gesichert ansehen zu können.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Dezember 2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Rentenbeginn der 01. Oktober 1997 ist.

Die Beklagte trägt die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob dem 2000 verstorbenen Versicherten R M (im Folgenden: M.) ein Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenteilrente wegen einer Berufskrankheit (BK) Nr. 81 der Berufskrankheiten-Liste der ehemaligen DDR (Arbeitsbedingte irritative und allergische Atemwegs- und Lungenerkrankungen) und nach der Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) in der bis zum 30. November 1997 geltenden Fassung (Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) zustand. Das Verfahren des M. haben nach dessen Tod zunächst dessen Ehefrau H M als Sonderrechtsnachfolgerin und seine Töchter fortgeführt, wobei letztere zwischenzeitlich ihre Klagen zurückgenommen hatten. Seit dem Ableben der Ehefrau 2007 führen erneut die Töchter als Klägerinnen zu 1) und 2) das Verfahren fort.

Der 1932 geborene M. war in der ehemaligen DDR im VEB C B tätig, und zwar vom 15. Juli 1950 bis 1952 als Arbeiter und Brigadier in der Abteilung Chlorbarium, von 1952 bis 1955 in der Abteilung Chlor I als Arbeiter und - nach einer Unterbrechung von 1955 bis 1957, wo er für die Bereitschaftspolizei in H arbeitete - in der Abteilung Chlor III, zunächst als Arbeiter, ab 1958 als Kaderinstrukteur und seit 1962 als Meister. Nach einem Schreiben des Rates des Bezirkes H, Abteilung Gesundheit und Sozialwesen vom 25. August 1972 wurde bei M. eine Berufskrankheit nach Nr. 4 der Berufskrankheitenliste der ehemaligen DDR (Quecksilber und anorganische Quecksilberverbindungen) ohne Körperschaden anerkannt, weiter ist ausgeführt, dass ein Arbeitsplatzwechsel erforderlich sei, weshalb M. seit 1973 in einem Bereich ohne direkten Kontakt mit Quecksilber eingesetzt wurde. Zum 01. November 1981 wurde M. eine Invalidenrente zuerkannt. Im zugrunde liegenden Gutachten vom 30. September 1981 sind als Diagnosen zusammengefasst: Chronisch-ischämische Herzerkrankung, Angina pectoris-Syndrom, Hyperlipidämie, Adipositas; M. sei zur Zeit nicht in der Lage, eine berufliche Tätigkeit auszuüben.

Im Oktober 1997 zeigte der behandelnde Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde G das mögliche Vorliegen einer „chemisch-irritativen obstruktiven Atemwegserkrankung, Emphysem“ an, welches vom Versicherten auf mehrfache Chlorgasvergiftungen sowie die frühere Belastung mit Quecksilber (Hg) zurückgeführt werde. Mit Schreiben vom 25. November 1997 teilte auch die BVV-B GmbH als Nachfolgerin des früheren Arbeitgebers des M. den Verdacht auf eine Berufskrankheit mit. Beigefügt waren eine Arbeitsplatz- und Tätigkeitsbeschreibung für M. und diverse Analysenbescheinigungen sowie Messprotokolle die Chlorbetriebe I und III betreffend. Die Beklagte befragte hierzu den M. und zog dessen Sozialversicherungsausweis sowie Unterlagen der Krankenkasse des Klägers, der KKH B bei; die DISOS, DV-I, O und S GmbH, Landesdepot Sachsen-Anhalt, übersandte die M. betreffende betriebsärztliche Gesundheitsakte seines früheren Arbeitgebers mit Behandlungsunterlagen und Ergebnissen regelmäßiger Reihenuntersuchungen. Einem Entlassungsbericht des Deutschen Zentralinstituts für Arbeitsmedizin vom 15. März 1972 über einen stationären Aufenthalt des M. vom 10. bis 22. Januar 1972 zum Zwecke der Reihenuntersuchung bei Hg- und Cl-Exposition ist zu entnehmen, dass eine chronische Bronchitis bestanden habe, wegen eines beginnenden Lungenemphysems sei ein Rauchverbot ausgesprochen worden. Die Beklagte holte ferner Befundberichte des Arztes G vom 16. Dezember 1997 und der behandelnden praktischen Ärztin/Fachärztin für Chirurgie Dipl.-Med. N, eingegangen am 18. März 1998, ein, die umfangreiche Behandlungsunterlagen übersandte.

Die Beklagte befragte sodann den Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin Dr. D, der mit Beratungsarzt-Bericht vom 15. April 1998 ausführte, dass eine berufliche Verursachung der Erkrankung des M. nicht anzunehmen sei. Eine berufsbedingte chronische Bronchitis bestehe nicht, da bei Expositionsende 1981 keine wesentliche Bronchitis im Lungenauskultationsbefund bzw. bei der Lungenfunktionsdiagnostik vorgelegen habe. Vielmehr hätten damals bereits deutliche Hinweise für ein Lungenemphysem bestanden. Die Invalidisierung sei primär wegen des Herzens erfolgt. Die Beklagte holte sodann eine Stellungnahme des Gewerbearztes Dr. S, Landesamt für Arbeitsschutz Sachsen-Anhalt, ein, der am 29. April 1998 mitteilte, die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Ziffer 4302 nicht zu empfehlen, da keine langfristige grenzwertüberschreitende Exposition gegenüber Chlor als atemtraktirritativem Stoff nachzuweisen sei und da die medizinischen Befunde nicht die Entstehung einer chronischen Atemwegsobstruktion bis zum Expositionsende 1981 bewiesen.

Mit Bescheid vom 13. August 1998 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Atembeschwerden als BK nach der Nr. 81 der Liste der Berufskrankheiten der DDR, welche nach § 1150 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) als BK im Sinne dieser Verordnung gelte, ab. Im Widerspruchsverfahren bestätigte auf Nachfrage Herr G als ehemaliger Abteilungsleiter mit Schreiben vom 28. Oktober 1998 die Tätigkeit des M. von 1959 bis 1981 als Betriebsmeister direkt im Produktionsbetrieb sowie mehrere akute Chlorintoxikationen. Die Beklagte befragte daraufhin erneut Dr. D, der mit Schreiben vom 15. Februar 1999 mitteilte, dass sich in den Unterlagen keinerlei Hinweise auf akute Chlorintoxikationen, die im Bereich der regionalen Krankenhäuser bzw. der Betriebspoliklinik behandelt werden mussten, fänden. Für 1961 bis 1974 liege insoweit eine lückenlose Dokumentation vor, in deren Vordergrund allerdings der Verdacht auf eine chronische Quecksilberintoxikation gestanden habe. In den Jahren 1964, 1969, 1970 und 1977 sei die Diagnosenummer für eine chronische Bronchitis vermerkt, ohne dass allerdings hierfür typische Lungenauskultationsbefunde aufgeführt seien. Es sei davon auszugehen, dass initial, wohl bereits in jungen Jahren, ein Lungenemphysem bestanden habe, wobei es sich um eine Überblähung der Lungenbläschen handele, die häufig auf eine individuelle Veranlagung zurückzuführen sei. Es sei in der klinischen Literatur bekannt, dass sich im Zusammenhang mit einem Lungenemphysem häufig eine chronische einfache Bronchitis, die durchaus auch obstruktiven Charakter annehmen könne, entwickle. Diese sei aber nie in Zusammenhang mit einer beruflichen Exposition zu bringen. Akute Chlorgasintoxikationen führten hingegen zu einem so genannten toxischen Lungenödem, in deren Folge Narbenbildungen in der Lunge entstehen würden, dies entspräche aber nicht der Diagnose eines Lungenemphysems. Bei Expositionsende seien keine wesentlichen Hinweise für eine chronisch-obstruktive Bronchitis zu finden gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers daraufhin zurück.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) überreichte M. seine Versicherungsausweise und schriftliche Aussagen von früheren Mitarbeitern, wonach es im Betriebsablauf zu Störungen und Chloraustritten gekommen sei, bei denen die sonst üblichen Raumluftwerte um ein Vielfaches überschritten worden seien. Nachdem M. verstorben war, hat das Sozialgericht die Unterlagen des Deutschen Roten Kreuz (DRK)-Krankenhauses B über die dort vom 13. Februar 2000 bis zum Ableben erfolgte Behandlung beigezogen und die Entnahme von Lungengewebe und die Obduktion des M. veranlasst. Im Sektionsgutachten der Fachärzte für Rechtsmedizin Dr. V/Dr. B vom 13. Juli 2000 ist ausgeführt, dass Todesursache eine Schocklunge in Folge des finalen Organversagens von Herz und Lunge bei hochgradiger Lungenfibrose, bullösem Lungenemphysem und Cor pulmonale sowie Myokardfibrose und Herzmuskelhypertrophie gewesen sei. Zum Tode führende Grunderkrankungen seien das Lungenemphysem und die ausgedehnte Lungenfibrose bei Lungenemphysem mit hochgradiger Vernarbung des Lungengewebes und daraus resultierender chronischer Rechtsherzbelastung - Cor pulmonale -, die mit Gewissheit direkte Folge der chronischen Lungenerkrankung sei, sowie die feinstreifige Verschwielung der Herzmuskulatur (Myokardfibrose) bei hochgradiger Verkalkung der Herzkranzschlagadern und Herzmuskelvergrößerung gewesen. Sowohl die schwerwiegenden Lungenveränderungen als auch die Herzerkrankung seien geeignet, den Todeseintritt zu erklären, wobei es zu einer gegenseitigen Verstärkung der krankhaften Veränderungen gekommen sei. Die mehrfache Einwirkung von Chlorgas als auch von Chlorwasserstoffgas sei geeignet, zu einer chronischen Bronchitis und einem Lungenemphysem und im weiteren Verlauf zur Lungenfibrose mit Rechtsherzüberlastung zu führen.

Der zum Hauptgutachter bestellte Dr. K kam unter Auswertung der vorhandenen Unterlagen und des Sektionsgutachtens sodann mit Gutachten vom 30. August 2000 zu dem Ergebnis, dass unter Abwägung der Besonderheiten der Tätigkeit und Expositionsbedingungen sowie des Krankheitsbildes und -verlaufes den wiederholten Reizgasvergiftungen durch Chlor die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache am Zustandekommen der vorliegenden Erkrankung im Sinne einer Spätwirkung beizumessen sei. Eine arbeitsmedizinisch relevante Gefährdung habe aus arbeitstechnischer Sicht sicher vorgelegen. Der nicht mehr existierende Betriebsteil Chlorelektrolyse sei eine völlig veraltete, störanfällige und mit hohem Verschleiß arbeitende Anlage gewesen, die wegen ihrer schlechten arbeitshygienischen Bedingungen aufgrund einer immer wieder verlängerten Ausnahmegenehmigung des Ministeriums für Gesundheitswesen hätte arbeiten müssen. Diese Aussage sei ihm, Dr. K, aufgrund seiner damaligen Beratungen der damaligen Obergutachtenkommission Arbeitshygiene beim Zentralinstitut für Arbeitsmedizin Berlin bekannt. Die MAK (Maximale Arbeitsplatzkonzentration)-Werte für Chlor und Quecksilber seien während des Produktionsablaufes gemäß den vorliegenden Messprotokollen wiederholt für Chlor um 1,5- bis 1,8fache überschritten worden, bei häufigen Havariesituationen hätten die Werte um das Zehnfache über dem Grenzwert gelegen. Der vom Gerichtsmediziner festgestellte Befund eines ausgedehnten großblasigen Lungenemphysems sowie einer hochgradigen Lungenfibrose mit chronischem Cor pulmonale als Folge seien in ihrer Intensität und Ausdehnung ganz auffällig und passten zu den - zugegebenermaßen wenigen - Fallbeschreibungen über Spätfolgen bei Chlorgasvergiftungen. Der erhebliche Zigarettenabusus (20 Zigaretten täglich über 24 Jahre) sei allein nicht geeignet, um Form und Ausmaß des Lungenemphysems und - in noch stärkerem Maße - der Lungenfibrose zu erklären. Zumindest hinsichtlich der starken Lungenfibrose entspräche das gefundene Bild nicht den Krankheitsbildern, die man üblicherweise bei starken Rauchern auf dem Sektionstisch finde. Die Entwicklung und der Verlauf dieser Reizgasvergiftung sei auch nicht notwendigerweise ausschließlich über den Weg der vorangehenden chronisch-obstruktiven Bronchitis erklärbar, sondern folge offenbar eigenen Gesetzen, die bisher wissenschaftlich noch nicht vollständig verstanden würden; dies erkläre auch die lange Latenz ohne klinisch fassbare Brückensymptome. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) habe ab März 1996 70 v. H. betragen. Dr. D könne insoweit nicht gefolgt werden, als dieser die sehr spezielle Klinik und Pathologie von Reizgasvergiftungen unzureichend berücksichtigt habe.

Hierzu hat die Beklagte eine Stellungnahme des Dr. B, Berufsgenossenschaftliche Kliniken B, vom 31. Januar 2001 eingereicht, der ausführte, dass in der Zusammenschau aller Aspekte unter Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufes die Lungenerkrankung weder ursächlich im Sinne der Entstehung noch im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung auf die Einwirkung toxischer Stoffe am Arbeitsplatz zurückzuführen sei. Die Datenlage zu einem auf Dauer bleibenden Lungenschaden nach kurzzeitiger (akuter) Chlorgasexposition sei äußert widersprüchlich. Aus den vorhandenen Daten zu Belastungen nach chronischer, in der Regel niedrigdosiger Exposition lasse sich ebenfalls nicht überzeugend darstellen, dass eine chronische Exposition gegenüber Chlorgas zu schwerwiegenden Lungenschäden führe, wenn dabei auch die berufsunabhängigen Einflussfaktoren auf die Lungenfunktion (z. B. inhalatives Zigarettenrauchen) berücksichtigt würden. Ob M. bei den von Dr. K unterstellten Havariesituationen überhaupt persönlich gefährdet worden sei, bleibe unklar. Die Krankheitsgeschichte des M. weise insgesamt keine Besonderheiten auf, dieser teile die dokumentierten Befunde mit Hunderttausenden von inhalativen Zigarettenrauchern. Die Krankheitserscheinungen würden durch außerberufliche Einflussfaktoren, insbesondere den Nikotinabusus ausreichend erklärt. Die besonders interessierenden Krankheitssymptome des Atemtraktes und des Herzkreislaufsystems ließen sich etwa bis in das Jahr 1964 zurückverfolgen, wo im Rahmen einer Reihenuntersuchung zum ersten Mal als klinisches Symptom Luftmangel aufgeführt worden sei, 1965 seien dann bronchitische Geräusche dokumentiert. 1969 sei aufgrund einer Röntgenaufnahme der Verdacht auf ein Lungenemphysem geäußert worden, aufgrund des erkennbaren Lungenemphysems sei dann 1972 ein Rauchverbot ausgesprochen worden. Schwere Luftnotanfälle, insbesondere in Beziehung zu Einflüssen aus der Arbeitswelt, seien nicht erkennbar. Die Frage einer möglichen Berufsbedingtheit der Lungenerkrankung sei auch erst 16 Jahre nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit aufgeworfen worden. Die andere Beurteilung des Dr. K sei äußerst spekulativ. Im Sektionsgutachten sei nicht mehr als die prinzipielle Möglichkeit einer schädigenden Einwirkung des Chlorgases festgehalten worden, während ungewöhnliche Veränderungen, die nicht mit Verlauf und Befunden einer schicksalhaften Lungenerkrankung einhergingen, nicht aufgezeigt worden seien.

In einem Termin vom 26. September 2001 hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) daraufhin erneut Dr. K als Sachverständigen gehört, insoweit wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Dr. K übergab dem Gericht ein „Protokoll über die OGA-Beratung im Gästehaus des Chemiekombinates B“ vom 21. September 1982, in dem u. a. zu MAK-Wert-Überschreitungen durch Chlor Stellung genommen wurde. Der Gutachter führte ferner u. a. aus, dass die klare Diagnose bei M. letztendlich „chronisch obstruktive Atemwegserkrankung oder Bronchitis“ geheißen habe. Daneben hätten, auf die Lunge bezogen, ein Emphysem, also eine Lungenüberblähung, und eine Lungenfibrose, also eine Lungengerüstvermehrung und Verhärtung vorgelegen. Da es sich um ein Aktengutachten gehandelt habe, habe er eine Atemwegsobstruktion selbst in keiner Weise mehr feststellen können. Er habe jedoch im Gutachten ausführliche Ausführungen zur Chronizität gemacht und u. a. ausgeführt, dass die chronische Bronchitis mit Atemwegsobstruktion 8/94 in der Poliklinik der C festgestellt worden sei.

Die Beklagte brachte hierzu eine weitere Stellungnahme des Dr. B vom 20. Februar 2002 bei, der weiter darauf hinwies, dass eine Schädigung durch die Chlorgasexposition nicht nachgewiesen sei. Auch sei nicht zu erkennen, das M. seinen Beruf wegen des chronischen Lungenleidens aufgegeben habe. Nachdem sich Dr. K in einer weiteren Rückäußerung vom 03. April 2002 der Anregung des Dr. B zur Einholung eines weiteren Gutachtens angeschlossen hatte, hat das Sozialgericht zunächst Herrn W H befragt, der nach Angaben des Klägers von 1969 bis 1990 als Sicherheitsinspektor für den Bereich Chlor III tätig gewesen war und der mit Schreiben vom 24. September 2002 gelegentliche Überschreitungen des MAK-Wertes von Chlor bestätigte und Hinweise auf weitere Messprotokolle gab.

Das Sozialgericht hat sodann zunächst weitere Gutachten eingeholt. Prof. Dr. M/Dr. S, Berufsgenossenschaftliche Kliniken B, Institut für Pathologie, kamen mit Gutachten vom 11. März 2003 nach eigener Untersuchung der postmortal gewonnenen Lungenproben zu dem Ergebnis, dass die Befunde nicht in Zusammenhang mit Einwirkungen von Chlor gebracht werden könnten. Alle nachgewiesenen Veränderungen seien bei vergleichbaren Altersgruppen beruflich nicht-inhalationsbelasteter Population recht häufig und durch außerberufliche Einwirkungen zwanglos erklärbar. Das gefundene mikroskopische Bild sei als Kondensat-Pneumopathie bei starken Inhalationsrauchern bekannt. Nach einem Zeitabstand von etwa 19 Jahren nach Beendigung der angeschuldigten Chlorgasexpositionen seien Folgen einer möglichen gelegentlich toxisch bedingten Reizung der Atemwege im mikroskopischen Bild wegen der spontanen, raschen, vollkommenen Epithelregeneration nicht mehr zu erwarten. Bei gelegentlichen wiederholten Chlorgaseinwirkungen könne sich durch Epithelschäden eine Reizung der Atemwege entwickeln, die auch von Appetitstörungen mit Abmagerung begleitet werden könne. Ein Epithelschaden werde jedoch nach dem Stand des heutigen Wissens durch eine Epithelregeneration spontan behoben. Erst bei tief greifenden Veränderungen, das heiße bei Nekrosen der Bronchialwand, entstünden bronchiale Wandnarben als Dauerschaden bzw. auch Lungenparenchymnarben. Eine nennenswerte dauerhafte Reizung der Atemwege sei bei M. jedoch nicht anzunehmen. Die Tatsache, dass dieser auch während der angeschuldigten Zeitabschnitte zwischen 1951 und 1981 ein starker Zigarettenraucher gewesen sei, mache nach allgemeiner Erfahrung einen nennenswerten Reizzustand bzw. eine dadurch hervor gerufene Überempfindlichkeit der Atemwege ganz unwahrscheinlich. Dies gelte auch für den Appetitverlust mit Abmagerung, M. sei nach aktenkundigen Angaben sogar wegen Übergewichts bzw. Adipositas behandelt worden.

Der zum Hauptgutachter bestellte Facharzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin Prof. Dr. Dr. R, F-Universität E-, kam hingegen mit Gutachten vom 08. Dezember 2003 zu dem Ergebnis, dass die bei M. gefundene chronisch-obstruktive fibrosierende Bronchitis mit bullös-alveolärem Lungenemphysem und emphysematöser Gerüstsklerose sowie das konsekutiv aufgetretene chronische Cor pulmonale mit hinreichender Wahrscheinlichkeit teilursächlich wesentlich auf die langjährige berufsbedingte Exposition gegenüber Chlor zurückzuführen sei. Es müsse als gesichert gelten, dass Chlor in charakteristischer Weise ein irritatives Schädigungsvermögen für den Atemtrakt besitze. Die von Herrn Dr. B diesbezüglich zitierten „neueren Studien von höherer Relevanz“ seien nur mit äußerstem Vorbehalt zu bewerten. Epidemiologisch lägen keine hinreichend aussagekräftigen Studien und Daten zum Vorliegen von Langzeitschäden im Bereich der Atemwege, geschweige denn „typische Krankheitsbilder“ nach chronischer subakuter Exposition gegenüber Chlor und Gas in der Arbeitswelt vor. Von MAK-Wertüberschreitungen müsse ausgegangen werden. Sowohl die Intensität als auch die Dauer der beruflichen Chlorexposition sei arbeitsmedizinisch-toxikologisch relevant. Nach synoptischer Wertung der in den Akten dokumentierten Expositionsdaten unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen sei davon auszugehen, dass von Juli 1950 bis zur Arbeitsunfähigkeit des M. im Dezember 1980, also über einen Zeitraum von ca. 24 Jahren, zweifellos eine arbeitsmedizinisch-toxikologisch relevante, das heiße häufig grenzwert-überschreitende Chlorgasexposition vorgelegen habe, die geeignet gewesen sei, die Entstehung einer irritativ chronischen Erkrankung der Atemwege und der Lunge durch chemische Stoffe zu verursachen .

Es gebe kein typisches, also pathognomonisch kausal eindeutig zuzuordnendes Krankheitsbild, so dass auch die diesbezüglichen Einwände des Dr. B nicht relevant seien. Die im fachpathologischen Zusatzgutachten vertretene Auffassung, dass alle nachgewiesenen Veränderungen bei vergleichbaren Altersgruppen durch außerberufliche Einwirkungen zwanglos erklärbar seien, schließe eine kausal als wesentlich anzusehende, berufsbedingte Ätiologie gerade im vorliegenden Fall nicht aus. Die bei der Obduktion erhobenen Befunde aus den Lungengewebsproben stellten letztendlich den weitgehend unspezifischen Endpunkt einer langjährigen chronisch-entzündlichen obstruktiven Atemwegserkrankung mit komplizierendem Emphysem und fibrotischem Umbau des Lungenparenchyms dar. Es hieße den Pathologen hinsichtlich seiner ätiopathogenetischen Kompetenzen zu überfordern, wenn man von ihm fast 20 Jahre nach Expositionsende eine kausal eindeutige Zuordnung bei einer chemisch-irritativ chronischen Atemwegserkrankung verlangen wolle. Als außerberuflicher Faktor seien die langjährig praktizierten inhalativen Rauchgewohnheiten des M. zu bewerten, diese seien jedoch unter Berücksichtigung der arbeitsanamnestischen Daten nicht in der Weise zu werten, dass diese eine überragende Bedeutung erlangten und somit allein ursächlich im Rechtssinne wären.

Zum Krankheitsverlauf führte er aus, dass von einer Chronifizierung im Sinne eines chronisch bronchitischen Geschehens spätestens seit Sommer 1964 ausgegangen werden müsse. Das chronisch-bronchitische Geschehen mit obstruktiver Komponente und Lungenemphysem habe sich spätestens in den 70er Jahren manifestiert. Eine obstruktive Ventilationsstörung sei spätestens seit April 1978 - also bereits vor Aufgabe der beruflichen Tätigkeit - dokumentiert, wie sich aus dem Ergebnis der am 05. April 1978 durchgeführten Lungenfunktionsprüfung des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin der DDR ergebe. Zweifellos sei davon auszugehen, dass die Atemwegserkrankung auch nach der Invalidisierung des M. progredient verlaufen sei, dies spreche jedoch nicht gegen eine teilursächlich als wesentlich einzustufende berufsbedingte Verursachung. Nach den aktenkundigen klinischen Befunden hätte M. wegen des eindeutig objektivierbaren chronisch-bronchitischen Geschehens spätestens Ende der Sechziger/Anfang der Siebziger Jahre als untauglich für die ausgeübte Tätigkeit als Meister in der Chlorelektrolyse des VEB-Chemiekombinats Beingestuft werden müssen. Dies bedeute, dass die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit 1981 auch wegen der manifesten Atemwegserkrankung hätte erfolgen müssen bzw. objektiv zu begründen gewesen wäre. Die Höhe der MdE schätze er für die Zeit ab 01. Januar 1992 auf 60 v. H.

Die Beklagte hat hierzu eine erneute beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. D vom 27. Januar 2004 beigebracht, der darauf hinwies, dass für klinisch relevante Chlorgasintoxikationen weiterhin keine ärztlichen Dokumentationen vorlägen. Auch eine inaktive Lungentuberkulose sei nicht berücksichtigt worden. Die vom Gutachter in Bezug genommene Diagnose des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin Berlin weise keine obstruktive Ventilationsstörung, wohl aber eine deutliche restriktive Ventilationsstörung im Sinne eines Lungenemphysems auf. Schließlich sei Zigarettenrauchen als wichtigster exogener Faktor für die Ausbildung eines Lungenemphysems bekannt.

Das Sozialgericht hat hierzu wiederum eine Rückäußerung des Dr. K vom 06. September 2004 eingeholt, der ausführte, dass auch nach zwischenzeitlicher Bestätigung des Sicherheitsinspektors H häufig Havarien aufgetreten seien. Knackpunkt und ständiges Ärgernis für die verantwortlichen Aufsichtsbehörden sei seinerzeit die ständige, teilweise erhebliche Überschreitung des Grenzwertes von 1 mg /m³ (DDR 1989) für Chlor und das ökonomische Unvermögen, diesen permanenten Zustand abzustellen gewesen.

Das Sozialgericht hat sodann weiter im Hinblick auf die arbeitstechnischen Voraussetzungen ermittelt und diesbezüglich eine Anfrage zur Chlorproduktion in Bitterfeld an den Chemiker Dr. K der von 1992 bis zur Abschaltung im Jahre 2000 Betriebsleiter der Elektrolyse Chlor III war, gerichtet, die dieser mit Schreiben vom 09. Juni 2005umfassend beantwortet hat. Ferner hat das Gericht den TAD zur Recherche bezüglich weiterer Messprotokolle veranlasst, welche dieser in der Folgezeit übersandte. Weiter übersandte die MDVV – M Gesellschaft mbH - weitere Messprotokolle aus Zeiten vor 1989. Das Bundesarchiv übermittelte dort vorhandene Unterlagen, etwa eine „Einschätzung der gesundheitlichen Situation der Werktätigen des VEB C B“ vom 22. Dezember 1976. Letztlich übersandten die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR aufgefundene Unterlagen zu den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten des C B und die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben die Personalakte des M.

Das Gericht hat die Unterlagen daraufhin erneut Dr. K zur Auswertung übersandt und gebeten, nochmals zur Höhe der MdE Stellung zu nehmen. Dieser teilte mit Stellungnahme vom 16. November 2007 mit, dass die vorliegenden Unterlagen fraglos ausreichten, um trotz weniger verfügbarer Messergebnisse die eklatante Gefährdung erneut zu bestätigen. Die MdE sei aufgrund einer im März 1996 eingetretenen schweren Verschlechterung mit einer Dekompensation des chronischen Cor pulmonale und folgender Notwendigkeit einer Sauerstoff-Langzeittherapie ab 12/1997 ab März 1996 mit 70 v. H. zu bewerten, was bis zum Eintritt des Todes als zutreffend gelten sollte.

Mit Urteil vom 19. Dezember 2007 hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) daraufhin die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide verurteilt, an die Klägerinnen wegen der Folgen einer BK 81 für die Zeit vom 01. Januar 1997 bis 08. März 2000 eine Verletztenrente nach einer MdE von 70 v. H. zu zahlen. M. habe sowohl die Voraussetzungen der Nr. 81 der Liste der Berufskrankheiten der DDR vom 21. April 1981 als auch die der BK 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung erfüllt. Nach den Empfehlungen der Obergutachtenkommission Berufskrankheiten der DDR zur Meldung und arbeitsmedizinischen Begutachtung irritativer chronischer Krankheiten der Atemwege und Lungen durch chemische Stoffe sei als anerkennungsfähige Erkrankung im Sinne der BK-Nr. 81 u. a. eine obstruktive chronische Bronchitis zu fordern. Eine derartige Erkrankung habe nach den Feststellungen des Gutachters Prof. Dr. Dr. R vorgelegen, der u. a. eine chronisch-obstruktive fibrosierende Bronchitis festgestellt habe. Weiter seien nach den genannten Empfehlungen der Obergutachtenkommission folgende Kriterien zu prüfen:

1. Das chemisch-irritative Schädigungsvermögen des angeschuldigten Stoffes oder Stoffgemisches darf als gesichert gelten. Die Voraussetzung ist u. a. für die in der Tabelle (chemische Atemtraktirritantien) aufgeführten Stoffe als erfüllt anzusehen.
2. Die MAK-Wertüberschreitung für mindestens einen angeschuldigten Stoff muss durch Messungen belegt oder, falls Messungen nicht durchführbar oder für den zur Diskussion stehenden Expositionszeitraum nicht repräsentativ sind, in einer verbalen Stellungnahme der AHI des Bezirkes als wahrscheinlich eingeschätzt worden sein.
3. Intensität und Dauer der beruflichen Exposition müssen den arbeitsmedizinischen Erfahrungen entsprechen.
4. Krankheitsbild und Verlauf dürfen nicht gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Dazu gehört, dass sich die Erkrankung noch vor Beendigung der angeschuldigten beruflichen Exposition manifestierte.

Sämtliche Voraussetzungen seien nach den Feststellungen der Dr. Kund Prof. Dr. Dr. R erfüllt. Die Ermittlung der Chlorexposition habe sich zwar als schwierig erwiesen. Nach Auswertung der umfangreichen beigezogenen Unterlagen sei eine jahrelange relevante Exposition des Versicherten gegenüber Chlor jedoch als bewiesen anzusehen. So sei in dem beigezogenen Protokoll über die OGA-Beratung vom 21. September 1982 von einer durchschnittlichen Chlorkonzentration im Elektrolysezellensaal der Abteilung Chlor von 10 mg/m³ gesprochen worden. Auch ergebe sich aus einer Vielzahl der insbesondere von der M und dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR übersandten Unterlagen, dass immer wieder Maßnahmepläne zum zielgerichteten Abbau von Gefährdungen in den Chloralkalielektrolysen erstellt worden seien und das Stör- und Havariegeschehen immer wieder Gegenstand verschiedenster Berichte gewesen sei.

Die Krankheit habe sich bei M. auch vor Beendigung der angeschuldigten Exposition manifestiert. Spätestens bei der Lungenfunktionsprüfung am 05. April 1978 sei eine obstruktive Ventilationsstörung diagnostiziert worden. Die Rauchgewohnheiten des Versicherten stünden der Anerkennung als BK nicht entgegen, da nach Punkt 2.2 der Empfehlungen der Obergutachtenkommission auch bei einem Raucher die berufliche Erkrankungsätiologie als wahrscheinlich gelten sollte, wenn die aufgeführten Bestätigungskriterien für eine BK 81 erfüllt waren. Ferner hätten sowohl Dr. K als auch Prof. Dr. Dr. R die Auffassung vertreten, dass selbst bei Zugrundelegung von ca. 40 „packyears“ dennoch die Einwirkung von Chlor als wesentliche Teilursache für die Lungenerkrankung anzusehen sei. Für die Ursächlichkeit spreche weiter das gefundene Schädigungsbild, welches nach Dr. K in seiner Intensität und Ausdehnung ganz auffällig sei und zu den (wenigen) Fallbeschreibungen über Spätfolgen bei Chlorgasvergifteten passte. Auch entspräche die gefundene starke Lungenfibrose nicht den Krankheitsbildern, die man üblicherweise bei starken Rauchern auf dem Sektionstisch finde.

Die Voraussetzungen der BK 4302 der Anlage zur BKV seien ebenfalls erfüllt. Bei Chlor handele es sich um einen chemisch-irritativ wirkenden Stoff. Eine obstruktive Atemwegserkrankung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen habe, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, sei gutachterlich festgestellt worden. Zur Höhe der Verletztenrente werde Dr. K gefolgt.

Gegen dieses ihr am 30. April 2008 zugegangene Urteil richtet sich die am 21. Mai 2008 eingegangene Berufung der Beklagten. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass es aus Rechtsgründen allein auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der BK 4302 ankomme und nicht auf die Einschätzung der Obergutachtenkommission der DDR. Für die Feststellung des Vorliegens von Art und Ausmaß der schädigenden Einwirkung sei der volle Nachweis erforderlich, dieser sei nicht geführt worden. Die Erkrankung des M. sei auch nicht ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen. So habe Dr. K selbst ausgeführt, dass es sich um ein seltenes Krankheitsbild handele und keine Erkenntnisse zu den Auswirkungen, insbesondere den Folgeschäden existierten. Der Gutachter habe auf eine Nachuntersuchung von 323 Personen verwiesen, bei denen letztlich nach Ablauf von drei Monaten keine Spätwirkungen festgestellt worden seien. Die Heranziehung von Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg könne heute nicht mehr zur alleinigen Grundlage einer Erkenntnisfindung gemacht werden. Chlorgas sei im Übrigen für die BK 4302 nicht als chemisch-irritativ oder toxisch wirkender Stoff im Merkblatt aufgeführt.

Eine obstruktive Atemwegserkrankung habe im Zeitpunkt der Invalidisierung nicht vorgelegen. Eine chronische Bronchitis sei lediglich für Januar 1972 dokumentiert. Die Beklagte verweist insoweit auf die Ausführungen des Dr. S vom 15. Mai 1981, der seinerzeit lediglich ein Angina pectoris-Syndrom bei chronisch-ischämischer Herzkrankheit verbunden mit einer Hyperlipoproteinämie des Typs IV festgestellt habe. Auch im dokumentierten Behandlungszeitraum vom 20. Mai bis 23. Juni 1981, also in dem Zeitraum, in dem der Versicherte seine berufliche Beschäftigung aufgegeben habe, hätten allein eine Angina pectoris, ein Angina pectoris-Syndrom, eine chronisch-ischämische Herzkrankheit, eine Hyperlipoproteinämie Typ IV nach Fredrickson und ein Lungenemphysem I. Grades bestanden. Auch aus dieser Aufstellung ergebe sich kein Hinweis, dass etwa eine Obstruktion oder eine chronische Bronchitis wesentlich gewesen sein könnten. Auch zum Zeitpunkt der Obduktion habe sich kein Hinweis gefunden, dass eine wesentliche obstruktive Atemwegserkrankung vorgelegen habe. Das in der Kreispoliklinik B festgestellte Lungenemphysem stelle als entzündlicher Prozess ein gänzlich anderes Krankheitsgeschehen dar und sei nicht unter der BK 4302 entschädigungsfähig. Auch sei die hierdurch ausgelöste gesundheitliche Beeinträchtigung im Verhältnis zu den Hauptdiagnosen eher gering. Mangels obstruktiver Atemwegserkrankung könne auch kein Zwang zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung bestanden haben. Die Beweisanordnung des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. März 2000 sei insoweit fehlerhaft, als Dr. K lediglich mit der Begutachtung der Frage beauftragt worden sei, ob eine BK Nr. 81 der Berufskrankheitenliste der DDR vorliege, nicht jedoch nach den Voraussetzungen für die BK 4302 gefragt worden sei; das Gutachten sei daher unverwertbar. Die fehlerhaften Beweisfragen seien dann auch Prof. Dr. Dr. R gestellt worden, der sich konsequenter Weise ebenfalls lediglich mit den Anerkennungsvoraussetzungen der BK Nr. 81 auseinandergesetzt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Dezember 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise ein weiteres Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob unter Beachtung der Vorkrankheiten eine chlorbedingte obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne der BK Nr. 4302 vorgelegen und zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass Rentenbeginn der 01. Oktober 1997 ist.

Die Klägerinnen sind weiter der Auffassung, dass sowohl die Voraussetzungen für die BK Nr. 81 der Liste der Berufskrankheiten der DDR als auch die Voraussetzungen für die BK 4302 der Anlage zur BKV gegeben seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, den der Verwaltungsakte der Beklagten (2 Bände) sowie auf die sonstigen beigezogenen Unterlagen, also auf die Personalakte des VEB E Kombinat B den Versicherten betreffend, die Krankendatei und Behandlungsunterlagen, übersandt über die I D GmbH, die Behandlungsunterlagen des DRK Klinikums M, einen Ordner „Buch der Bereichsleitung P 1 über Chlorintoxikationen“, übersandt von der Mitteldeutschen Vermögensverwaltung, die Restunterlagen des ehemaligen Chemiekombinates B, übersandt durch die M.gesellschaft mbH (3 Ordner), einen Ordner Messprotokolle, übersandt durch den TAD, eine Sammlung von Unterlagen, übersandt durch das Bundesarchiv, und auf die von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR übersandten Dokumente, u. a. mit einer als „Streng geheim“ eingestuften Information Nr. 191/87 zu „erheblichen Gefährdungen für das Leben und die Gesundheit der Werktätigen und Anwohner“ beim Chemiekombinat B.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das erstinstanzliche Urteil ist im Ergebnis rechtmäßig. Der entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 13. August 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. April 1999 war hingegen rechtswidrig und daher aufzuheben.

Für die Anerkennung der Erkrankung des M. als BK müssen im vorliegenden Fall die entsprechenden Voraussetzungen sowohl nach dem Recht des Beitrittsgebietes als auch nach dem Recht des Bundesgebietes erfüllt sein. Nach § 215 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist bei im Beitrittsgebiet eingetretenen Versicherungsfällen für die Übernahme von Krankheiten als Berufskrankheit § 1150 Abs. 2 RVO in der vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII am 01. Januar 1997 geltenden Fassung weiter anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt jedoch u. a. nicht für Krankheiten, die - wie die Lungenerkrankung des M. - einem ab 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach den Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO). In diesem Fall muss die betreffende Krankheit die Voraussetzungen für die Anerkennung als BK sowohl nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht als auch nach dem Recht des Bundesgebietes erfüllen (BSG, Urteil vom 04. Dezember 2001, Az.: B 2 U 35/00 R, SozR 3- 8440 Nr. 50 Nr. 1, zitiert nach juris.de).

Die vorliegend als Berufskrankheit geltend gemachte Atemwegserkrankung ist vor dem 01. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten. Dies haben übereinstimmend die vom Sozialgericht gehörten Gutachter Dr. K und Prof. Dr. Dr. R festgestellt. Insbesondere Prof. Dr. Dr. R hat in seinem Gutachten vom 08. Dezember 2003 nach sorgfältiger Auswertung der umfangreichen medizinischen Unterlagen ausgeführt, dass bronchitische Infekte seit 1964 zweimal pro Jahr auffällig gewesen seien, seit 1966 sei eine Luftnot hinzugekommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht feststellbar sei, ist nach den Feststellungen des Prof. Dr. Dr. R, denen sich das Gericht anschließt, auch eine obstruktive Ventilationsstörung spätestens seit April 1978 ausreichend dokumentiert, worauf später nochmals eingegangen wird. Damit ist von einem Erkrankungsbeginn jedenfalls vor dem 01. Januar 1992 auszugehen. Die Krankheit ist der Beklagten als zuständigem Träger der Unfallversicherung auch erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden, dies geschah im Oktober 1997 durch die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit durch Herrn G. Damit müssen also die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Versicherungsfalls sowohl nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht als auch nach dem Recht des Bundesgebietes erfüllt sein.

Nach § 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. DDR I, 185) und § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26. Februar 1981 (BKV-DDR, GBl. DDR I, 137) ist eine BK eine Erkrankung, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wird und die in der vom Minister für Gesundheitswesen in Übereinstimmung mit dem Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) herausgegebenen Liste der BKen (Anlage zur Ersten Durchführungsbestimmung der BKVO-DDR vom 21. April 1981, GBl. DDR I 139) genannt ist. Diese Liste der Berufskrankheiten beinhaltet unter Nr. 81 „arbeitsbedingte irritative und allergische Atemwegs- und Lungenerkrankungen“.

Bei der Auslegung dieses übergangsweise fort geltenden Rechts der DDR ist auch die dortige Verwaltungspraxis zu berücksichtigen, sofern diese nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen oder den Regelungen des Einigungsvertrages widerspricht, während im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nicht auf Rechtsprechung von Gerichten der ehemaligen DDR zurückgegriffen werden kann, weil zumindest bis zum Inkrafttreten des Staatsvertrages eine gerichtliche Überprüfung sozialversicherungsrechtlicher Entscheidungen der DDR nicht vorgesehen war (BSG, Urteil vom 04. Dezember 2001, a. a.O.). Die Rechtsgrundlagen und Grundsätze zur Begutachtung sind zusammengefasst bei Konetzke u. a., Berufskrankheiten, Gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Entschädigung, 3. Auflage 1988. Die hierin enthaltenen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 81 (Konetzke u. a., a.a.O., S. 129, 132 ff.) sind im erstinstanzlichen Urteil umfassend dargelegt und oben bereits wiedergegeben worden. Das Gericht verweist insoweit auf die ausgesprochen umfangreichen Darstellungen im erstinstanzlichen Urteil, denen es sich nach eigener Prüfung anschließt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen: Das Vorliegen einer ausreichenden und gefährdenden Exposition gegenüber Chlor ist aufgrund der beigezogenen Unterlagen zu den Expositionsbedingungen auch von den vom Gericht gehörten Gutachtern zweifelsfrei bestätigt worden. Dr. K hat hierzu nicht nur in seinem Gutachten vom 30. August 2000, sondern auch in den späteren Rückäußerungen ausführlich Stellung genommen. Auch Prof. Dr. Dr. R hat ausgeführt, dass die vorliegenden Messwerte eindeutige Grenzwertüberschreitungen belegten und dass für den Beschäftigungszeitraum von Juli 1950 bis Oktober 1981 (abgesehen von Unterbrechungen in den Jahren von 1955 bis 1961) „zweifellos“ von einer aus arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht relevanten, das heißt häufig den Grenzwert überschreitenden Chlorgasexposition ausgegangen werden müsse, die geeignet sei, die Entstehung einer irritativ chronischen Erkrankung der Atemwege und der Lungen zu verursachen. Dieser Einschätzung schließt sich das Gericht an, eine für die Annahme einer Gefährdung ausreichende Exposition ist daher nachgewiesen.

Etwas anderes folgt nicht aus denjenigen beigezogenen Messprotokollen, die keine Grenzwertüberschreitungen erkennen lassen. Ausreichend war, dass andauernde grenzwertüberschreitende Expositionsbedingungen aufgrund der von Dr. K in seiner auswertenden Stellungnahme vom 16. November 2007 in Bezug genommenen 9 Messprotokolle für den Betriebsteil „Chlor III“ für 1972 bis 1981 sowie 16 Messprotokolle für den Betriebsteil „Chlor I“ für 1972 bis 1990 und weiter aufgrund des vom Sozialgericht im Termin vom 26. September 2001 durch Aufnahme in die Niederschrift zur Akte genommenen „Protokolls über die OGA-Beratung im Gästehaus des Chemiekombinates B vom 21. September 1982“ feststellbar waren; hier war eine stetige Zunahme der Chlorkonzentration von 1978 an berichtet worden, die zum Zeitpunkt der Protokollierung im Jahre 1982 „im Durchschnitt 10 mg/m³“, also das Zehnfache des MAK-Wertes betragen hatte. Auch den von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR mit Schreiben vom 20. September 2006 übersandten Unterlagen ist die seinerzeitige ständige erhebliche Gefährdung durch Chlor im Chemiekombinat B anschaulich zu entnehmen. So wird beispielsweise in einer vertraulichen Dienstsache „Information über die unzureichende Gewährleistung der Arbeits- und Produktionssicherheit in den Chlorerzeugungsanlagen der Kombinate des Ministeriums für Chemische Industrie“ vom 21. Mai 1984 berichtet, dass sich in den überwiegend vorhandenen älteren Chlorelektrolyse – und –verflüssigungsanlagen schwerwiegende Mängel konzentrierten; u. a. die Chlorelektrolyse wird als „völlig verschlissene Anlage“ beschrieben, die ohne ausreichende, im einzelnen bezeichnete Sicherheitsmaßnahmen betrieben würde. Eine „streng geheime“ Information des Ministeriums für Staatssicherheit Nr. 191/87 berichtete nach eigenen Untersuchungen des technischen Zustandes der Produktions- und Energieerzeugungsanlagen sowie der Gebäude im VEB Chemiekombinat B über „erhebliche Gefährdungen für das Leben und die Gesundheit der Werktätigen und Anwohner“. Die technischen Ausrüstungen wiesen einen hohen Verschleißgrad auf, es bestehe eine erhebliche Gefährdung der Gebäudesubstanz. Trotz umfangreicher Rekonstruktionen an Rohrtrassen und Rohrleitungen werde der technische Zustand u. a. des Rohrleitungsnetzes, welches an allen Betriebsteilen und an Wohngebieten vorbeiführe und „stark giftige Chlorverbindungen, die in hohen Konzentrationen auftretend sofortige tödliche Wirkungen“ nach sich zögen, beinhalte, „als erheblich verschlissen eingestuft“. Ein Bericht des Oberstleutnants R über den Stand der Gewährleistung der Arbeits- und Produktionssicherheit in den Chlorelektrolyseanlagen des Chemiekombinates B vom 2. August 1984 beschreibt, dass infolge der mangelhaften Wartung die ohnehin unzureichenden Instandsetzungskapazitäten der Chlorerzeugungsanlagen weit überfordert seien. Der zulässige Feuchtigkeitsgehalt des Chlors werde fortlaufend um ein Vielfaches überschritten, was zu intensiver Korrosion und zur Schädigung der Rohrleitungen führe. In einer „Lageeinschätzung über die Chlorerzeugung, -verflüssigung, -transport in Rohrleitung und auf Schiene des CKB als Grundlage für die durchzuführende Komplexkontrolle“ vom 6. April 1987 ist für die Elektrolyse I beschrieben, dass die Luftverhältnisse schlecht seien. Dazu trage bei, dass keine Be- und Entlüftung vorhanden sei; eine weitere Verschlechterung beruhe auf der Verringerung der Lüftungsöffnungen im Zusammenhang mit dem Strafgefangeneneinsatz. Die Verhältnisse in der Elektrolyse III seien ähnlich, zusätzlich genannt wird hier die Chlorbelastung der Raumluft. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die von ihm zuletzt zitierten Dokumente aus der Zeit nach der Berentung des M. stammen. Sie belegen aber einen derartig desaströsen Zustand der Produktionsanlagen, dass es wirklichkeitsfern wäre, für die Zeit vor 1981 von wesentlich anderen Produktionsbedingungen auszugehen, zumal in den Berichten von zwischenzeitlich eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung des Zustandes der Anlagen berichtet wird. Angesichts des aus diesen glaubhaften Quellen folgenden Gesamtbildes war daher allein die Auswertung der verschiedenen Messwerte zur Belastung durch Dr. K nachvollziehbar, der die erhebliche Gefährdung des M. durch dessen Exposition gegenüber Chlor klar für gegeben erachtete.

Es wäre vollkommen unrealistisch, davon auszugehen, dass den festgestellten Grenzwertüberschreitungen und den von den Zeugen berichteten Havariesituationen ausgerechnet M. nicht ausgesetzt gewesen sein sollte. Hiergegen sprechen neben der Langjährigkeit seines Einsatzes im Produktionsbetrieb die von ihm inne gehabte Position als verantwortlicher Meister und die Umstände der Produktion, wie sie von ihm selbst sowie im Widerspruchsverfahren vom ehemaligen Abteilungsleiter der Elektrolyse G(Schreiben vom 28. Oktober 1998), der einen Einsatz direkt im Produktionsbetrieb bestätigte, und beispielsweise von dem ehemaligen Betriebsleiter der Elektrolyse Chlor III Dr. K in dessen Stellungnahme vom 09. Juni 2005 geschildert worden sind. Wie u. a. von Dr. K berichtet, sind wegen der Produktionsbedingungen in den Elektrolysen Chlor I und Chlor III Strafgefangene eingesetzt worden. Unterschwellige Chlorkonzentrationen in der Luft, besonders im Kellerbereich des Zellensaals und in der Chlorwäsche, seien charakteristisch gewesen. Besonders bei der Vorbereitung oder Durchführung von Reparaturarbeiten habe für das reparatur- und das aufsichtsführende Personal die Gefahr bestanden, Chlor einzuatmen, wobei die Reparaturhäufigkeit sehr hoch gewesen sei. Hinzuweisen ist noch darauf, dass auch der beratende Arzt der Beklagten Dr. D in seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2004 ausgeführt hat, hinsichtlich der Darstellung der Expositionssituation den Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. Dr. R zu folgen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind auch die weiteren Voraussetzungen der BK 81 erfüllt, insbesondere hat sich die Erkrankung noch vor Beendigung der angeschuldigten beruflichen Exposition manifestiert. Dies haben, wie bereits ausgeführt, sowohl Dr. K als auch überzeugend unter umfassender Auswertung der vorhandenen Unterlagen Prof. Dr. Dr. R dargelegt, der eine Chronifizierung des bronchitischen Geschehens seit 1964 und wiederholt einen sich über 40 bis 50 Jahre hinziehenden Krankheitsverlauf beschrieb. Die Annahme der Beklagten, es sei lediglich 1972 eine Bronchitis aufgetreten, kann angesichts der bereits genannten wiederholten Dokumentation einer chronischen Erkrankung nicht überzeugen.

Die Atemwegserkrankung des M. war auch nach dem Recht der Bundesrepublik eine BK. Der Anspruch richtet sich nach den Vorschriften der RVO, weil die geltend gemachte BK - wie ausgeführt - vor In-Kraft-Treten des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 01. Januar 1997 aufgetreten ist, so dass dessen Bestimmungen nicht anwendbar sind (§§ 212 SGB VII), und weil – wie ausgeführt -, § 215 Abs. 1 Satz 1 SGB VII auf die RVO verweist. Hieraus folgt zugleich, dass ein Rentenbeginn erst mit dem Ersten des Antragsmonats in Betracht kam (§ 1546 Abs. 1 Satz 1 RVO); etwas anderes kann auch dem vom Sozialgericht zitierten Urteil (BSG vom 19. August 2003, Az. B 2 U 9/03 R) nicht entnommen werden. Gleichermaßen sind noch die Bestimmungen der bis zum 30. November 1997 geltenden Berufskrankheiten-Verordnung vom 20. Juni 1968, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BKVO) maßgebend. Selbst wenn man mit dem Sozialgericht im erstinstanzlichen Urteil davon ausginge, dass – da die BK erst im Oktober 1997 gemeldet worden ist - auf die Rechtslage ab diesem Zeitpunkt und damit auf das SGB VII abzustellen ist, würde hieraus zu Gunsten der Berufungsklägerin nichts anderes folgen, da insbesondere der Wortlaut der BK 4302 durch die Berufskrankheiten-Verordnung vom 31. Oktober 1997 (BKV) nicht geändert worden ist; allenfalls wäre hier zugunsten des M. noch die Vermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII in Betracht zu ziehen.

Gemäß den §§ 537 Nr. 2, 551 Abs. 1 Satz 1 RVO entschädigt die gesetzliche Unfallversicherung u. a. die Versicherten, die aufgrund des Versicherungsfalls eines Arbeitsunfalls, als der nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK gilt, in ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind. Berufskrankheiten sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 - 545 RVO benannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKVO (gleich lautend mit der von der Beklagten und dem erstinstanzlichen Gericht zugrunde gelegten BK 4302 der Anlage zur nunmehr geltenden BKV) „durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können“.

Für die Anerkennung als BK muss grundsätzlich eine versicherte Tätigkeit zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o. ä. auf den Körper geführt haben, und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben. Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, bewiesen sein. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 02. April 2009, Az.: B 2 U 7/08 R, und Urteil vom 02. April 2009, Az.: B 2 U 30/087 R, zitiert nach juris.de).

M. erfüllte im hier allein streitigen Zeitraum vom 01. Oktober 1997 bis zu seinem Ableben diese Voraussetzungen der BK 4302. Die schädlichen Einwirkungen sind zur Überzeugung des Gerichts im Vollbeweis nachgewiesen, wie bereits ausgeführt wurde. Das Gericht stützt sich hierbei – wie bereits zur BK 81 nach dem Recht der DDR dargelegt - auf das Ergebnis der umfangreichen beigezogenen Unterlagen über die Expositionsbedingungen in dem Chemiekombinat Bund auf deren Auswertung durch die Sachverständigen Dr. K und Prof. Dr. Dr. R, der die arbeitsmedizinisch-toxikologisch relevante grenzwertüberschreitende Exposition „zweifellos“ für gegeben erachtet. Nicht entscheidungserheblich war, dass Chlor im Merkblatt zur BK 4302 (Bekanntmachung des BMA vom 10. Juli 1979 im Bundesarbeitsblatt 7/8/1979, zitiert nach Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 4302) nicht als schädigender Stoff genannt ist, da ausweislich des Wortlautes der hier enthaltenen Aufzählung zu den Gefahrenquellen diese nicht abschließend ist. Dem Wortlaut des BK-Tatbestandes ist irgendeine Einschränkung auf bestimmte Stoffe erst recht nicht zu entnehmen, solange diese chemisch-irritativ wirken, was vorliegend ebenfalls aufgrund der gutachterlichen Feststellungen, insbesondere des Prof. Dr. Dr. R, feststeht.

Diese Exposition ist nach den Ausführungen der Dr. K und Prof. Dr. Dr. R geeignet gewesen, die Entstehung einer irritativ chronischen Erkrankung der Atemwege und der Lunge zu verursachen, worunter auch die von der BK 4302 geforderte obstruktive Atemwegserkrankung erfasst ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Datenlage im Hinblick auf die Langzeitwirkungen einer Chlorexposition von den gehörten Sachverständigen unterschiedlich bewertet wird. Die Frage, welcher Einwirkungen es mindestens bedarf, um eine BK zu verursachen bzw. die Anerkennung einer BK unter Einbeziehung weiterer Kriterien zu rechtfertigen, ist unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten. Allgemein gilt, dass es nicht Aufgabe der Gerichte ist, durch die Auswahl von Sachverständigen oder die juristische Bewertung von Lehrmeinungen für die eine oder andere Position Partei zu ergreifen oder durch Gutachtenaufträge den Fortschritt der medizinischen Erkenntnis voran zu treiben; ausreichend ist, ob ein wissenschaftlicher (Teil-)Konsens festgestellt werden kann, der eine Entscheidung zu tragen geeignet ist, mögen auch einzelne anerkannte Wissenschaftler eine andere medizinische Lehrmeinung vertreten (BSG, Urteile vom 27. Juni 2006, Az. B 2 U 20/04 R, und vom 06. Oktober 1999, Az. B 1 KR 13/97 R, zitiert nach juris.de). Prof. Dr. Dr. R kam unter Auswertung auch der von Dr. B genannten Veröffentlichungen zu dem Schluss, dass das irritative Schädigungsvermögen von Chlor für den Atemtrakt trotz der nur in begrenzten Umfang vorhandenen Daten „als gesichert“ gelten muss. Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht an.

Es steht auch fest, dass bei M. eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne der BK 4302 vorlag. Die Beklagte hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die Gutachter Dr. Kund Prof. Dr. Dr. R ausdrücklich nur zu den Voraussetzungen der BK Nr. 81 nach dem Recht der ehemaligen DDR befragt worden sind. Dies schließt aber nicht aus, die in diesen umfangreichen und sorgfältigen Gutachten enthaltenen Äußerungen auch für die Feststellung der Voraussetzungen der BK 4302 zu verwenden, soweit sich in den Gutachten hierzu klare Aussagen finden lassen. Denn nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 411 a Zivilprozessordnung kann eine schriftliche Begutachtung sogar durch die Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Gutachtens ersetzt werden. Hierbei werden regelmäßig nicht die für den zu entscheidenden Fall relevanten Beweisfragen formuliert worden sein. Erst recht kann daher auch ein im selben Verfahren erstelltes Gutachten umfassend ausgewertet werden. Insgesamt schließt sich daher das Gericht auch für die Frage der Beurteilung der Voraussetzungen der BK 4302 den überzeugenden Ausführungen der Dr. K und Prof. Dr. Dr. R an.

Dr. K hat in seinem Gutachten das Bestehen einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung festgestellt. Dies hat er in seiner Vernehmung im Termin vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) am 26. September 2001 auf diesbezügliche Nachfrage der Beklagten nochmals ausdrücklich bestätigt. Auch Prof. Dr. Dr. R hat ausdrücklich eine chronisch-obstruktive fibrosierende Bronchitis festgestellt und hierzu insbesondere ausgeführt, dass diese bereits seit April 1978 als obstruktive Ventilationsstörung dokumentiert worden sei. Dies entspricht dem Wortlaut der Zusammenfassung der bei der Lungenfunktionsprüfung am 05. April 1978 festgestellten Daten. Nicht überzeugend war hingegen, wenn die Beklagte meint, dass die Störung angesichts einzelner festgestellter Daten keinen obstruktiven Charakter gehabt hätte, da der seinerzeit die Untersuchung tätigende Arzt Dr. S nach einer Gesamtbewertung der Untersuchung und der erhobenen Daten („insgesamt“) ausdrücklich den obstruktiven Charakter der Störung festgestellt und dies durch Unterstreichung u. a. des Wortes „obstruktiv“ sogar noch betont hat. Dieser Auswertung durch den untersuchenden Arzt war der Vorrang zu geben.

Die chronisch obstruktive Atemwegserkrankung war auch wesentlich teilursächlich auf die berufliche Exposition zurückzuführen. Die Verursachung im Sinne der bereits genannten einschlägigen Wesentlichkeitstheorie ist ausdrücklich durch Dr. K und Prof. Dr. Dr. R bejaht worden. Diese begründen die Annahme der Ursächlichkeit zu Recht mit dem beim Versicherten gefundenen Schadensbild bei Berücksichtigung der gefährdenden Exposition. Insbesondere Prof. Dr. Dr. R übersieht dabei keineswegs die Problematik, dass es an hinreichend aussagekräftigen Studien und Daten zum Vorliegen von Langzeitschäden ebenso fehlt wie an dem Vorliegen typischer Krankheitsbilder. Trotz dieser besonderen Problematik sind beide Gutachter unter Verwertung der von ihnen jeweils zitierten Literatur zur hier einschlägigen Problematik überzeugend zu dem Ergebnis gekommen, dass das beim Versicherten gefundene Krankheitsbild mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Chlorexpositionen zurückzuführen war. Beide waren auch der Auffassung, die vorhandenen, wenn auch nicht umfassenden medizinischen Erkenntnisse zu Gesundheitsschäden durch Chlor seien ausreichend für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes. Die Rauchgewohnheiten des M. haben beide Gutachter durchaus als außerberuflichen Risikofaktor gewertet, insoweit jedoch, auch unter Bezugnahme auf das bei der Obduktion gefundene Schadensbild, ausgeführt, dass diesen keine überragende Bedeutung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie zukomme. Auch in Bezug auf die Ausführungen zur Ursächlichkeit hatte der Senat keine Bedenken, sich insgesamt insbesondere Prof. Dr. Dr. R anzuschließen, da dieser, sich von der Beurteilung der Voraussetzungen der BK Nr. 81 lösend, in seinem Gutachten allgemeine Erwägungen zur wesentlichen Verursachung angestellt hat, die auch im Rahmen der nach dem Recht der Bundesrepublik zugrunde zu legenden Nr. 4302 der Anlage zur BKVO einschlägig sind (Bl. 29 des Gutachtens).

Aufgrund der Atemwegserkrankung bestand für M. auch ein so genannter Unterlassungszwang. Für die Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals reichen der objektive Zwang zum Unterlassen und die tatsächliche Aufgabe der bisher ausgeübten gefährdenden Tätigkeit aus (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007, Aktenzeichen B 2 U 12/06 R, SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4302 Nr. 2, zitiert nach juris.de). Der objektive Zwang zum Unterlassen der von M. ausgeübten Tätigkeiten hat im Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit, also bei der Invalidisierung zum 01. November 1981 bestanden. Auch hiermit hat sich Prof. Dr. Dr. R ausführlich auseinandergesetzt und ist nach Auswertung der seinerzeit dokumentierten Befunde zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im Jahre 1981 auch wegen der manifesten Atemwegserkrankung hätte erfolgen müssen bzw. objektiv zu begründen gewesen wäre (S. 26 des Gutachtens). Spätestens Ende der Sechziger/Anfang der Siebziger Jahre sei M. wegen eines eindeutig objektivierbaren chronisch bronchitischen Geschehens untauglich für die ausgeübte Tätigkeit als Meister in der Chlorelektrolyse des VEB Chemiekombinats B gewesen. Auch dieser Einschätzung folgt das Gericht.

Letztlich begegnete auch die Einschätzung der Höhe der MdE von 70 v. H. für den hier streitigen Zeitraum, für die sich das Sozialgericht auf die Ausführungen des Dr. K, insbesondere in dessen Rückäußerung vom 16. November 2007, gestützt hat, keinen Bedenken.

Dem Hilfsantrag der Beklagten, ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage einzuholen, ob eine obstruktive Atemwegserkrankung mit Unterlassungszwang vorgelegen hat, brauchte nicht stattgegeben zu werden, da dies durch die bereits erstinstanzlich eingeholten verwertbaren und nicht mängelbehafteten Gutachten ausreichend geklärt ist.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht, da in diesem Rechtszug die Klägerinnen als einfache Rechtsnachfolger des M. und seiner Ehefrau nicht mehr nach § 183 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kostenprivilegiert waren, auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.