Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 29.02.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 9 S 53.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 VwGO, § 19 VwVG BB, § 37 VwVG BB, § 39 VwVG BB, § 11 KostO BB |
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2010 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragsstellers gegen den Kostenersatzbescheid des Antragsgegners vom 24. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2009 wird hinsichtlich eines Teilbetrages in Höhe von 1.969,58 Euro angeordnet. Im Übrigen wird der Eilantrag des Antragstellers abgelehnt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 6/11, der Antragsgegner zu 5/11.
Unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 1095,48 Euro festgesetzt.
I.
Mit Bescheid vom 4. September 1998 gab der Antragsgegner dem Antragsteller auf, sein Grundstück an die leitungsgebundene Abwasserentsorgung anzuschließen. Der Bescheid wurde insoweit bestandskräftig (Widerspruchsbescheid vom 4. März 1999, klageabweisendes Urteil des VG Frankfurt [Oder] vom 16. April 2003 - 1 K 772/99 -, Ablehnung des Berufungszulassungsantrages durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Frankfurt [Oder] vom 17. Juni 2005 - 2 A 681/03.Z -). Mit Bescheid vom 27. März 2008 drohte der Antragsgegner die Ersatzvornahme an unter Angabe voraussichtlicher Kosten von 5.000 Euro an. Mit Bescheid vom 15. April 2008 setzte der Antragsgegner das Zwangsmittel der Ersatzvornahme fest. Der Antragsteller suchte erfolglos um vorläufigen Rechtsschutz nach (Beschluss des VG Frankfurt [Oder] vom 18. April 2008 - 1 L 138/08 -, Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 20. April 2008 - 9 S 30.08). Am 21. April 2008 schloss der Antragsgegner das Grundstück des Antragstellers im Wege der Ersatzvornahme an die leitungsgebundene Abwasserentsorgung an.
Mit Kostenersatzbescheid vom 24. November 2008 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zum Ersatz folgender Kosten auf:
Herstellung des Schmutzwasser-Hausanschlusses durch ein Bauunternehmen | 1.533,23 Euro |
Absicherung der Ersatzvornahme durch einen Helfer des DRK | 21,58 Euro |
Vor-Ort-Bereitschaft eines Schlüsseldienstes | 87,05 Euro |
Rechtliche Betreuung der Zwangsmaßnahme durch eine Rechtsanwältin | 1.756,68 Euro |
Einsatz zweier Mitarbeiter des Wasser- und Abwasserzweckverbandes bei der Durchführung der Ersatzvornahme | 296, 50 Euro |
Summe | 3.695,04 Euro |
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2009 zurück und änderte den Ausgangsbescheid dahin ab, dass der Antragsteller Ersatzvornahmekosten sogar in Höhe von 4.381,94 Euro erstatten sollte; die Erhöhung ergab sich daraus, dass für den Einsatz von Mitarbeitern des Wasser- und Abwasserzweckverbandes statt 296,50 Euro 963,85 Euro angesetzt und zusätzlich noch Portokosten in Höhe von 19,55 Euro gefordert wurden. Der Widerspruchsbescheid ging dem Antragsteller am 29. Mai 2009 zu.
Weder im Kostenersatzbescheid noch im Widerspruchsbescheid ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung an.
Der Antragsteller erhob gegen den Kostenersatzbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides am 29. Juni 2009 Anfechtungsklage, über die noch nicht entschieden ist (VG Frankfurt [Oder] - 1 K 667/09).
Der Antragsteller hat darüber hinaus am gleichen Tage um Eilrechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 20. Juli 2010 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag als Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage 1 K 667/09 ausgelegt und ihm mit der Begründung stattgegeben, der Kostenersatzbescheid sei weder nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO noch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 39 Satz 1 VwVG Bbg kraft Gesetzes sofort vollziehbar; insbesondere sei die nachträgliche Anforderung der Ersatzvornahmekosten durch Leistungsbescheid keine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung. Der Beschluss ist dem Antragsgegner am 22. Juli 2010 zugegangen. Er hat am 28. Juli 2010 Beschwerde erhoben und diese erstmals am Montag, den 23. August 2010 begründet.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sind innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO). Die Begründung muss unter anderem die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
Diese geben nur teilweise Anlass zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Mit Blick auf die für den erkennenden Senat bindende Entscheidung des Großen Senats vom 5. Dezember 2011 - OVG 20 GrS 1.11 -, juris, ist mit der Beschwerde davon auszugehen, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Kostenersatzbescheid, mit dem die Kosten der Ersatzvornahme nachträglich angefordert werden, nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 39 Satz 1 VwVGBbg keine aufschiebende Wirkung haben.
Das allein führt indessen nicht zum Erfolg der Beschwerde. Ist ein Kostenersatzbescheid in Bezug auf eine Ersatzvornahme wegen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 39 Satz 1 VwVGBbg kraft Gesetzes sofort vollziehbar, so kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5, Abs. 4 Satz 3 VwGO anordnen, soweit an der Rechtmäßigkeit des Kostenersatzbescheides ernstliche Zweifel bestehen oder die sofortige Vollziehung für den Ersatzpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Kostenersatzbescheides bestehen dabei nur dann, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene überschlägige Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass der Bescheid mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist; insoweit gilt vor dem Hintergrund der hier anzunehmenden sofortigen Vollziehbarkeit kraft Gesetzes nichts anderes als bei sonstigen kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Heranziehungsbescheiden.
Danach ist der Beschwerde des Antragsgegners hier nur teilweise stattzugeben. Die Rechtmäßigkeit seines Kostenersatzbescheides unterliegt in gewissem Umfang ernstlichen Zweifeln.
Rechtsgrundlage für den Kostenersatzbescheid ist § 19 Abs. 1 in Verbindung mit § 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 VwVGBbg und § 11 Abs. 2 Bbg KostO. Danach hat der Pflichtige der Vollstreckungsbehörde die Kosten einer durchgeführten rechtmäßigen Ersatzvornahme in Gestalt der angefallenen Auslagen zu erstatten.
An der Rechtmäßigkeit der hier durchgeführten Ersatzvornahme selbst hegt der Senat keine ernstlichen Zweifel. Die allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung einer bestandskräftigen Grundverfügung (§ 15 Abs. 1 VwVGBbg) hat vorgelegen. Insoweit kommt es nicht auf die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung an, sondern nur auf deren Wirksamkeit und Bestandskraft. Beides hat hier vorgelegen. Dem Antragsteller ist bereits mit Bescheid vom 4. September 1998 aufgegeben worden, sein Grundstück an die leitungsgebundene Abwasserentsorgung anzuschließen. Bedenken an der Wirksamkeit dieser Anschlussverfügung bestehen trotz der nach wie vor geltend gemachten Einwände des Antragstellers gegen den Anschlusszwang nicht; diese Einwände führen jedenfalls nicht zur Nichtigkeit der Anschlussverfügung. Die Bestandskraft der Anschlussverfügung ist eingetreten, als das Oberverwaltungsgericht den Berufungszulassungsantrag gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts abgelehnt hat. Die Ersatzvornahme nach § 19 Abs. 1 VwVGBbg ist das richtige Zwangsmittel zur Durchsetzung der Anschlussverfügung gewesen; beim Anschluss des Grundstücks an die leitungsgebundene Abwasserentsorgung hat es sich um eine vertretbare Handlung gehandelt. Die Ersatzvornahme ist unter Angabe der voraussichtlichen Ersatzvornahmekosten angedroht und vor ihrer Durchführung auch festgesetzt worden. Soweit der Antragsteller geltend macht, die Durchführung der Ersatzvornahme sei unverhältnismäßig gewesen, weil im Zuge der Ersatzvornahme unnötigerweise eine zu lange Leitung gelegt worden sei, und soweit der Antragsteller auch sonst eine unsachgemäße Herstellung des Anschlusses rügt, handelt es sich um Einwände, die nach der im Eilverfahren nur gebotenen überschlägigen Prüfung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Rechtswidrigkeit des Kostenersatzbescheides führen; alles Weitere wird insoweit im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
Indessen bestehen ernstliche Zweifel an der Erstattungspflicht bezüglich einzelner im Kostenersatzbescheid geltend gemachter Kostenpositionen.
Die im Falle der Ersatzvornahme zu erstattenden Kosten sind auf der Grundlage des § 37 Abs. 4 VwVGBbg in § 11 Abs. 2 Bbg KostO konkretisiert. Danach geht es um eine Auslagenerstattung, die weit zu verstehen ist. Dies ergibt sich aus dem Wort „insbesondere“ in § 11 Abs. 2 Satz 2 Bbg KostO sowie daraus, dass zu den im Falle der Ersatzvornahme zu erstattenden Auslagen nicht nur das gehört, was die Vollzugsbehörde an Beauftragte und Hilfspersonen zu zahlen hat, sondern auch die Kosten gehören, die der Vollzugsbehörde „durch die Ersatzvornahme“ entstanden sind (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 Bbg KostO). Die Weite des Auslagenbegriffs in § 11 Abs. 2 Bbg KostO bedeutet jedoch bei überschlägiger Prüfung nicht, dass der Pflichtige alle Kosten zu erstatten hätte, die auch nur in einem irgendwie gearteten Zusammenhang mit der Ersatzvornahme stehen. Vielmehr dürfte im Blick zu behalten sein, dass die Behörde bei der Ersatzvornahme eine vertretbare Handlung durchführt oder durchführen lässt, die an sich der Pflichtige vorzunehmen hat; gerade (nur) in Bezug auf die Vornahme dieser Handlung dürfte sie Kostenerstattung verlangen können (vgl. die Worte „auf Kosten“ in § 19 Abs. 1 VwVGBbg).
Angesichts dessen dürfte es rechtswidrig sein, wenn der Antragsgegner in die zu erstattenden Kosten folgende (rechnerische) Personalkosten einbezogen hat, die schon durch die Androhung und Festsetzung der Ersatzvornahme (einschließlich Widerspruchsverfahren) entstandenen sind:
- Androhung der Ersatzvornahme:
- 0,5 Arbeitsstunden à 17,43 Euro/h = 8,72 Euro;
- Festsetzung der Ersatzvornahme:
- 0,5 Arbeitsstunden à 34,34 Euro/h = 17,17 Euro;
- Schreiben an den Rechtsanwalt des Pflichtigen:
- 0,5 Arbeitsstunden à 21,53 Euro/h = 10,77 Euro;
- 0,5 Arbeitsstunden à 34,34 Euro/h = 17,17 Euro;
- Widerspruchsbescheid zur Festsetzung der Ersatzvornahme:
- 0,75 Arbeitsstunden à 17,43 Euro = 13,07 Euro;
Summe: 66,90 Euro.
Weiter ist nicht ersichtlich, was (rechnerische) Personalkosten in Bezug auf die Beantragung einer Durchsuchungsanordnung gemäß § 287 AO mit der Ersatzvornahme zu tun haben (0,5 Arbeitsstunden à 14,60 Euro = 7,30 Euro).
Nicht zu den erstattungspflichtigen Auslagen dürften auch die Kosten gehören, die dem Antragsgegner dadurch angefallen sind, dass er die Ersatzvornahme vorsichtshalber über ihre gesamte Zeitdauer vor Ort von einer Rechtsanwältin „begleiten“ ließ, um auf etwaige Einwände des Pflichtigen gegen die Ersatzvornahme als solche reagieren zu können (insgesamt 1.756,68 Euro). Diese Begleitung hatte nichts damit zu tun, dass der Antragsgegner eine vertretbare Handlung anstelle des Pflichtigen vorgenommen hat. Außerdem ist sie spätestens in dem (frühen) Moment überflüssig gewesen, in dem klar geworden ist, dass der Antragsteller die Ersatzvornahme hinnehmen würde.
Nicht zu beanstanden dürfte es sein, dass der Antragsgegner neben den Auslagen für das beauftragte Unternehmen auch gewisse Personalkosten für die fachliche Anleitung und Beaufsichtigung des Unternehmens geltend gemacht hat. Unverhältnismäßig dürfte es indessen gewesen sein, dass insoweit neben dem Netzmeister auch noch eine zweite Person zugegen gewesen ist. Zwar mag es zutreffen, dass „bei Schacht- und Leitungsverlegungsarbeiten im Abwasserbereich zwei Mann zugegen sein müssen“; dem dürfte hier jedoch bereits dadurch genügt gewesen sein, dass ohnehin Mitarbeiter des beauftragten Unternehmens zugegen waren (9,5 Arbeitsstunden à 14,60 Euro/h = 138,70 Euro).
Die Rechtmäßigkeit der übrigen Kostenpositionen erscheint bei überschlägiger Prüfung gegeben (Entgelt für das beauftragte Unternehmen) oder zumindest offen (anfängliche Vor-Ort-Bereitschaft eines Schlüsseldienstes, Anwesenheit eines DRK-Helfers, sonstige Personalkosten des Antragsgegners).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; sie berücksichtigt das Verhältnis der bei überschlägiger Prüfung rechtlich nicht zweifelhaften und rechtlich zweifelhaften Kostenpositionen (2.412,36 Euro zu 1.969,58 Euro ó ca. 6/11 zu 5/11).
Die Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 GKG, die Streitwertfestsetzung für das zweitinstanzliche Verfahren auf § 47 Abs. 1 GKG, beide Vorschriften jeweils in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Für beide Instanzen ist jeweils ein Viertel der geforderten Summe, d. h. ein Viertel von 4.381,94 Euro anzusetzen (vgl. Widerspruchsbescheid).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).