Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 16.01.2019 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 S 65.18 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2019:0116.11S65.18.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 6 GG, Art 103 GG, § 60a AufenthG, Art 8 MRK, § 123 VwGO, § 146 VwGO |
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. September 2018 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
I.
Der Antragsteller, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, der nach im Februar 2017 erfolgter (erneuter) Einreise ohne Visum am 17. August 2017 die Vaterschaft für das im Dezember 2017 geborene Kind einer mit einem weiteren, deutschen Kind im Bundesgebiet lebenden vietnamesischen Staatsangehörigen anerkannt hat, begehrt nach Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG durch den Bescheid des Antragsgegners vom 3. Juli 2018 vorläufigen Rechtsschutz.
Die sinngemäßen Anträge des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Duldung bis zur Entscheidung in diesem Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. September 2008 abgelehnt.
II.
Die dagegen fristgemäß eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) maßgeblichen Beschwerdevortrages in der Sache keinen Erfolg.
1. Dies gilt zunächst, soweit der Antragsteller rügt, dass die nur zwei Tage nach einer an den Antragsgegner gerichteten, ihm zur Kenntnis übersandten gegenteiligen gerichtlichen Einschätzung vom 11. September 2018 erfolgte Ablehnung seines Antrags eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren darstelle.
Die derart ohne vorherigen Hinweis auf seine geänderte Einschätzung erfolgte Entscheidung des Verwaltungsgerichts dürfte zwar eine verfahrensfehlerhafte „Überraschungsentscheidung“ darstellen. Denn wenn ein Gericht eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage zu erkennen gegeben hat, muss es deutlich machen, wenn es hiervon wieder abweichen will (vgl. BVerfG, Beschluss v. 15. August 1996 – 2 BvR 2600/95 -, juris Rn 22; BVerwG, Urteil v. 27. Januar 2011 – 7 C 3.10 -, juris Rn 11). Der Antragsteller hat mit der Beschwerde allerdings nicht einmal behauptet, dass er sich bei Erteilung des gebotenen Hinweises weiter zur Sache geäußert haben würde.
Unabhängig davon könnte ein etwa anzunehmender erstinstanzlicher Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs einer Beschwerde gem. § 146 Abs. 4 VwGO aber auch nicht zum Erfolg verhelfen, denn diese ermöglicht – anders als Berufung und Revision, denen ein besonderes Zulassungsverfahren vorgeschaltet ist – in den von § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO gezogenen Grenzen eine umfassende, nicht von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängige Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung. Ein erstinstanzlich unterlaufener Gehörsverstoß wird durch Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren geheilt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 17. November 2016 – OVG 11 S 56.16 -, juris Rn 8, und vom 9. August 2011 – OVG 2 S 8.11 – EA, S. 10 m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 22. August 2018 – 1 B 1024/18 -, juris Rn 9 ff.). Die in Kenntnis der geänderten Auffassung des Verwaltungsgerichts und in Auseinandersetzung mit dieser gefertigte Beschwerdebegründung des Antragstellers rechtfertigt, wie die Auseinandersetzung mit den Einwendungen im Einzelnen ergibt, insoweit jedoch in der Sache keine andere Entscheidung.
2. Die gegen die Begründung des Verwaltungsgerichts vorgebrachten Einwände vermögen der Beschwerde auch in der Sache nicht zum Erfolg zu verhelfen.
a. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass der auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gerichtete Antrag des Antragstellers bereits unzulässig sei, weil der entsprechende Antrag des Antragstellers keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 AufenthG ausgelöst habe, greift das Beschwerdevorbringen zu Recht nicht an.
b. Die mit der Beschwerdebegründung gerügte weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, dass auch keine rechtlichen oder tatsächlichen Abschiebungshindernisse (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) oder dringende humanitäre oder persönliche Gründe (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG) für eine vorübergehende weitere Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet erkennbar seien, ist nicht zu beanstanden.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass eine Rückkehr des Antragstellers nach Vietnam nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des durch Art. 8 EMRK, Art. 6 GG geschützten Familienlebens führe, weil es allen Mitgliedern der Familie möglich und zumutbar sei, die familiäre Lebensgemeinschaft in Vietnam fortzusetzen, und zur Begründung insbesondere ausgeführt, dass auch für das deutsche Geschwisterkind keine Gesichtspunkte für eine Unzumutbarkeit der Ausreise glaubhaft gemacht worden seien. So könne nicht festgestellt werden, dass ein schützenswertes Verhältnis des deutschen Kindes zu seinem Vater bestehe, weil dessen während der Vorsprache beim Antragsgegner am 25. Juni 2018 gemachte Angaben (neun weitere Kinder, er kenne die Namen und Geburtsdaten seiner Kinder nicht auswendig, Kontakt bestehe lediglich zu dreien) ein erhebliches Indiz dafür bildeten, dass der Vortrag über regelmäßige Besuche des deutschen Vaters bei seiner Tochter unrichtig sei. Auch die (gemeinsame) eidesstattliche Versicherung des deutschen Kindesvaters und der Kindesmutter vom 28. August 2018 vermöge diese Indizwirkung letztlich nicht zu erschüttern. Hierbei falle besonders ins Gewicht, dass der deutsche Kindesvater im Rahmen seiner Vorsprache angegeben habe, dass eine feste Besuchsregelung nicht bestehe und er sich auch nicht erinnern könne, wie oft er seine Tochter im Jahr 2018 gesehen habe, vielleicht seien es 4-6 Male gewesen. In der lediglich zwei Monate später abgegebenen eidesstattlichen Versicherung sei nunmehr von einem „nach wie vor intensiven Kontakt“ zwischen Vater und Tochter die Rede. Alles in allem ließen sich die - sich in Teilen widersprechenden - Angaben von deutschem Kindesvater und Kindesmutter „schlechterdings nicht in einen plausiblen Zusammenhang bringen“.
Demgegenüber rügt der Antragsteller, dass es für das Bestehen einer schützenswerten Bindung zwischen dem deutschen Geschwisterkind und dessen Vater nicht auf die vom Verwaltungsgericht als Indiz gegen eine schützenswerte Bindung angeführten weiteren Kinder und das Verhältnis des Kindesvaters zu diesen, sondern allein auf diejenige zu dem hier schutzwürdigen Kind ankommen könne, deren Schutzwürdigkeit durch die Angaben des Vaters und der Kindesmutter im Rahmen der Anhörung und einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht worden sei. Das Gericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die vom Kindesvater anlässlich der Anhörung „am 09.05.2018“ vor der Ausländerbehörde angegebene Anzahl von vier bis sechs Kontakten im Jahr 2018 einen mehr als einmal im Monat stattfindenden Kontakt bedeute und einer schützenswerten Vater-Kind-Beziehung bei einem getrennt lebenden Paar entspreche. Von widersprüchlichen Angaben könne insoweit nicht die Rede sein.
Entscheidungserhebliche Mängel der Tatsachenwürdigung des Verwaltungsgerichts werden damit nicht aufgezeigt. Auch das Verwaltungsgericht hat keineswegs verkannt, dass es für das hiesige Verfahren auf die Schutzwürdigkeit des Verhältnisses zwischen dem deutschen Geschwisterkind und seinem Vater ankommt. Dies schließt es indes nicht aus, das mit der eingeräumten Unkenntnis der vollständigen Namen und Geburtsdaten seiner insgesamt zehn Kinder (Antwort auf Frage 8 der Anhörung; ausweislich der Antwort auf Frage 1 konnte er auch den Nachnamen seiner hier in Rede stehenden Tochter F. nicht angeben: „den Nachnamen kann ich schwer aussprechen“) und dem Abbruch des Kontakts jedenfalls zu sieben von ihnen (Frage 8: „zu 3 Kindern habe ich Kontakt, zu den anderen nicht“) dokumentierte Fehlen ernsthaften Interesses des deutschen Kindesvaters jedenfalls an der überwiegenden Zahl seiner Kinder als gewichtiges Indiz gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags zur Schutzwürdigkeit gerade der hier in Rede stehenden Beziehung zu seiner Tochter F. zu werten, das durch die vom Verwaltungsgericht beanstandeten, „sich in Teilen widersprechenden – Angaben“ der Eltern des deutschen Geschwisterkindes nicht entkräftet wird. Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf den 9. Mai 2018 als Termin der Anhörung des Vaters des deutschen Geschwisterkindes einen tatsächlich mehr als einmal im Monat stattfindenden Kontakt geltend macht, übersieht er, dass am 9. Mai 2018 nur er selbst und die Kindesmutter angehört wurden. Die Anhörung des Vaters des deutschen Kindes fand erst am 25. Juni 2018 statt. Auch sonst ist das Bestehen einer schützenswerten Beziehung zwischen dem deutschen Geschwisterkind und seinem Vater weder durch die Angaben der Eltern bei ihrer Anhörung durch den Antragsgegner plausibel geschildert noch durch die eidesstattliche Versicherung der Mutter hinreichend glaubhaft gemacht worden. Die vom deutschen Kindesvater anlässlich seiner Anhörung gemachten Angaben zu Kontakten zwischen ihm und seiner Tochter weichen in verschiedenen Punkten (Frage 2: letztes gemeinsames Treffen „außer heute“ vor drei Wochen, Dauer 2 Stunden; Frage 4: telefonische Absprache der Treffen, Frage 7: Tochter „nicht so oft gesehen, weiß nicht genau, vielleicht 4-6 Mal“) in nicht nachvollziehbarer Weise von denjenigen der zeitgleich hierzu befragten Kindesmutter (Frage 2: letztes gemeinsames Treffen „außer heute“ am 22. oder 23. Juni 2018, Dauer 25 Minuten, Frage 4: bringt Tochter „so ca. alle 14 Tage gegen 18-19 Uhr“ zu ihrem Vater, kann Kindesvater telefonisch nicht erreichen, wenn er da sei, blieben sie dort; Frage 7: „seit drei Monaten trifft F. den Vater regelmäßig, alle 14 Tage“) ab. Für die Angaben der Kindesmutter in ihrer – vom Vater des deutschen Kindes ebenfalls unterschriebenen – eidesstattlichen Versicherung vom 28. August 2018 gilt Entsprechendes. Die dortige Behauptung der Kindesmutter, „seit Anfang des Jahres ist es wieder regelmäßiger, alle zwei Wochen“, steht in einem weder mit dem weiteren Inhalt der eidesstattlichen Versicherung noch mit dem Beschwerdevorbringen aufgelösten Widerspruch zur Angabe des Kindesvaters im Anhörungstermin, dass er seine Tochter im Jahr 2018 „nicht so oft“ gesehen und es vielleicht vier bis sechs Kontakte gegeben habe. Die Behauptung der Kindesmutter, dass die trotz angeblicher Verabredung zweiwöchentlicher Kontakte „manchmal doch nur einmal im Monat“ erfolgten Besuche „meistens“ bei ihr zu Hause stattgefunden hätten, ist nicht mit der vorherigen (übereinstimmenden) Angabe beider Elternteile am 26. Juni 2018 vereinbar, wonach die Kontakte beim Kindesvater zu Hause stattgefunden hätten. Hinzu kommt, dass die Kindesmutter durch die im Anhörungstermin am 25. Juni 2018 erfolgte Vorlage einer gefälschten, eine andere als die - ihr zugestandenermaßen bekannte - Unterschrift des Kindesvaters aufweisenden Unterhaltsvereinbarung beim Antragsgegner bereits einmal zu erkennen gegeben hat, dass sie sogar zum Gebrauchmachen von unechten Unterlagen bereit ist, um dem Antragsteller zu dem angestrebten Aufenthaltstitel zu verhelfen. Unter diesen Umständen vermag auch die Strafbewehrung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kindesmutter nicht auszuräumen.
Die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, dass auch keine anderen Gesichtspunkte für eine Unzumutbarkeit der Ausreise des deutschen Kindes glaubhaft gemacht worden seien, wird ebenfalls nicht erfolgreich angegriffen. Die Beschwerdebegründung beanstandet weder die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass sich das Kind mit 2,5 Jahren (inzwischen beinahe drei Jahren) noch in einem Alter befinde, in dem die Verwurzelung in den hiesigen Lebensverhältnissen noch nicht fest sei, noch trägt sie vor, dass das deutsche Kind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nach einer Ausreise nach Vietnam in Elendsverhältnissen aufwachsen würde. Entgegen der Auffassung des Antragstellers wäre eine Ausreise dem deutschen Kind auch nicht deshalb unzumutbar, weil ihm – wie er meint - im Fall einer Ausreise im Alter von 2,5 Jahren und dem Aufwachsen in einer Familie, welche nahezu ausschließlich die vietnamesische Sprache spreche, ein vollständiger Verlust der deutschen Sprache drohe, dem in diesem Alter nicht durch den Besuch einer deutschsprachigen Schule entgegengewirkt werden könne. Das Alter des derzeit noch nicht schulpflichtigen Kindes schließt die vom Verwaltungsgericht angeführten Möglichkeiten der Festigung bzw. des Ausbaus von deutschen Sprachkenntnissen im Rahmen einer (späteren) Schulausbildung, durch Sprachkurse oder die Wahrnehmung von Medienangeboten allerdings nicht aus und der Beschwerdebegründung ist auch nicht zu entnehmen, weshalb die Möglichkeit einer Reintegration des Kindes in die deutsche Gesellschaft im jugendlichen oder im Erwachsenenalter selbst bei Besuch eines Sprachkurses „völlig auszuschließen“ sein sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).