Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Schließungsanordnung gem....

Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Schließungsanordnung gem. § 164 Abs. 4 SGB V


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 23. Kammer Entscheidungsdatum 12.09.2012
Aktenzeichen 23 Sa 847/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 164 Abs 4 S 1 SGB 5

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.02.2012 - 59 Ca 8260/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision durch den Kläger wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der am …..1954 geborene, mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehinderte Kläger stand seit dem 1.2.1985 in einem Angestelltenverhältnis zur Beklagten und ihren Rechtsvorgängern. Als Servicemitarbeiter erhielt er zuletzt 3.500,00 Euro brutto pro Monat. Auf sein Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen (MTV) Anwendung. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 MTV ist das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer zehnjährigen Beschäftigungszeit nur aus einem in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden wichtigen Grund kündbar.

Die Beklagte, eine geöffnete Betriebskrankenkasse, ist im Jahr 2004 aus einem Zusammenschluss der BKK B. und der BKK H. entstanden. In die BKK B., Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist zum 1.1.1999 die frühere Betriebskrankenkasse des Landes Berlin überführt worden, mit der der Kläger ursprünglich sein Arbeitsverhältnis begründet hatte. Nach Anzeige ihrer Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vom 7.4.2011 verfügte das Bundesversicherungsamt (BVA) mit Bescheid vom 4.5.2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Schließung der Beklagten zum 30.6.2011. Der Kläger wurde davon mit Schreiben vom 9.5.2011 informiert. Ihm wurde mitgeteilt, dass sein Arbeitsvertrag aufgrund der Schließung gemäß §§ 153, 155 Abs. 4 Satz 9 und 164 Abs. 4 SGB V zum 30.6.2011 endet. Das ihm mit Schreiben des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen Baden-Württemberg vom 13.5.2011 unterbreitete Angebot der Bahn BKK, als Kundenbetreuer am Standort Münster zu einer Vergütung in Höhe von 2.666,00 Euro bis 3.050,00 Euro gemäß ETV Bahn BKK tätig zu werden, hat der Kläger nicht angenommen. Mit einem weiteren, am 27.5.2011 zugegangenen Schreiben vom 24.5.2011 kündigte ihm die Beklagte nach Widerspruch des Hauptpersonalrates vom 17.5.2011 und nach Zustimmung des Integrationsamtes vom 20.5.2011 vorsorglich wegen der Schließung zum 30.6.2011, hilfsweise zum 31.12.2011. Mit der am 21.5.2011 eingegangenen Klage wehrt sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aufgrund der Schließung. Gegenstand der am 14.6.2011 eingegangenen Klageerweiterung ist die Kündigung vom 24.5.2011. Gegenüber dem Land Berlin hat der Kläger in einem weiteren Verfahren ein Rückkehrrecht geltend gemacht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass sein Arbeitsverhältnis nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V in unmittelbarer Folge des Schließungsbescheides geendet hat. Aufgrund des Vorranges individualrechtlicher Abreden, könne es nicht durch sozialgesetzliche Regelungen überlagert und auf aufgrund der Schließung beendet werden, zumal die Schließung nicht zum Erlöschen der Körperschaft führe. Zudem sei er entgegen §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 3 SGB V nicht untergebracht worden. Das ihm vorgelegte Unterbringungsangebot sei nach Maßgabe des § 164 Abs. 5 SGB V unzumutbar. Tatsächlich sei sein Arbeitsplatz auch nicht weggefallen. Vielmehr bestehe die Beklagte zum Zweck der Abwicklung fort. Damit komme auch § 164 Abs. 4 SGB V nicht zur Anwendung. Nach dieser Bestimmung sollen nur die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer enden, die nicht mehr weiterbeschäftigt werden können, sei es bei dem bisherigen Arbeitgeber oder einer anderen Kasse. Ebenso bestehe kein Grund für eine Kündigung.

Der Kläger hat beantragt,

1.festzustellen, dass das Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der Beklagten nicht durch die Schließung der Kasse nach § 153 SGB V in Verbindung mit § 164 SGB V endet;
2.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers weder durch die außerordentliche Kündigung vom 24. Mai 2011, dem Kläger zugegangen am 27. Mai 2011, mit Auslauffrist zum 30. Juni 2011, noch durch die gleichzeitig erklärte höchstvorsorgliche Kündigung zum 31. Dezember 2011 oder einem anderen Zeitpunkt aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, dass das Arbeitsverhältnis unmittelbar aufgrund gesetzlicher Anordnung mit der Schließung zum 30.6.2011 geendet habe. Der Beendigungsautomatismus erfasse sowohl die ordentlich kündbaren als auch die ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer. Er sei nicht von dem Fehlen einer Beschäftigungsmöglichkeit im Rahmen der Abwicklungsarbeiten oder von Unterbringungsbemühungen und ihrem Erfolg abhängig. Das sei folgerichtig, weil sie mit der Schließung ihre Rechtspersönlichkeit verloren habe und damit den Arbeitnehmern der Arbeitgeber abhanden gekommen sei. Die Regelung der §§ 155, 164 SGB V sei nicht verfassungswidrig. Selbst wenn ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG vorliegen würde, wäre er zur Sicherung eines bezahlbaren Krankenversicherungsschutzes geeignet, erforderlich und angemessen. Art. 9 Abs. 3 GG sei nicht verletzt, weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter verkürzten Fristen und ohne Rücksicht auf den Ausschluss ordentlicher Unkündbarkeit möglich und hinzunehmen sei. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht vor. Andernfalls hätte er lediglich einen Anspruch des benachteiligten Arbeitnehmers auf Gleichstellung oder Schadensersatz, nicht aber die Unwirksamkeit der Beendigungsregelung zur Folge. Jedenfalls sei die wegen der vollständigen Betriebsstilllegung ausgesprochene Kündigung wirksam.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 9.2.2012 - 59 Ca 8260/11 - die Klage abgewiesen. Es hat die Beklagte als Abwicklungskörperschaft für parteifähig erachtet, weil es sich bei der vorliegenden Bestandstreitigkeit um ein Abwicklungsgeschäft im Sinne des § 155 Abs. 1 Abs. 1 Satz 1 SGB V handelt. In der Sache selbst hat es der Rechtsansicht der Beklagten folgend das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes gemäß §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V aufgrund Schließung der Kasse als beendet angesehen. Die Wirksamkeit der Kündigung hat es daher dahinstehen lassen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 14.4.2012 zugestellte Urteil am 7.5.2012 Berufung eingelegt und sie am 14.6.2012 begründet. Er bleibt dabei, dass sein Arbeitsverhältnis fortbesteht. An der Weiterbeschäftigung einer Vielzahl von Arbeitnehmern zum Zweck der Abwicklung werde deutlich, dass nicht schon die Schließung der Beklagten zur Beendigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse geführt habe. Zudem sei für die Feststellung, ob sein Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des § 164 SGB V ende, maßgebend, ob ihm ein zumutbares Unterbringungsangebot gemacht worden sei. Das sei nicht geschehen. Das ihm unterbreitete Angebot sei nach § 164 Abs. 5 SGB V nicht zumutbar gewesen, da er nunmehr als Kundenbetreuer an einem weit entfernten Standort ohne Anrechnung seiner bisherigen Beschäftigungszeiten mit regulärer gesetzlicher Kündigungsfrist und einem Bruttoeinkommen von lediglich 2.294,00 Euro beschäftigt werden sollte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9.2.2012 - 59 Ca 8260/11 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten

1.nicht durch die Schließung der Kasse nach § 153 SGB V i.V.m. § 164 SGB V endet;
2.weder durch die außerordentliche Kündigung vom 24.11.2011, dem Kläger zugestellt am 27.5.2011 mit Auslauffrist zum 30.6.2011 noch durch die gleichzeitig erklärte höchstvorsorgliche Kündigung zum 31.12.2011 oder einem anderen Zeitpunkt aufgelöst wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Einbeziehung weiterer Entscheidungen in Parallelfällen und ergänzenden Rechtsausführungen. Sie bleibt dabei, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in Abhängigkeit von einem den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Unterbringungsangebot steht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Begründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. In der Sache hatte die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gemäß §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V mit dem 30.6.2011 sein Ende gefunden. Diese Regelungen sehen vor, dass bei Auflösung oder Schließung einer Betriebskrankenkasse die Vertragsverhältnisse der Beschäftigten, die nicht nach § 164 Abs. 3 SGB V untergebracht werden, mit dem Tag der Auflösung oder Schließung enden. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen liegen vor.

1. Die Beklagte ist zum 30.6.2011 geschlossen worden. Sie besteht nur noch zum Zweck der Abwicklung fort. Der vorläufig vollstreckbare Schließungsbescheid der BVA ist nicht aufgehoben worden.

2. Zum Zeitpunkt der Schließung enden gem. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V die noch bestehenden Arbeitsverhältnisse. Nach § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V gilt für die Betriebskrankenkassen § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V entsprechend mit der Maßgabe, dass § 164 Abs. 3 Satz 3 nur für Beschäftigte gilt, deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann.

2.1 § 164 Abs. 2 SGB V regelt Versorgungsansprüche von Versorgungsempfängern und ihren Hinterbliebenen. Absatz 3 Satz 1 und 2 betrifft Dienstordnungsangestellte. Nach Absatz 3 Satz 3 ist den übrigen Beschäftigten bei dem Landesverband der Innungskrankenkassen oder einer anderen Innungskrankenkasse eine Stellung anzubieten, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist. Jede Innungskrankenkasse ist nach Absatz 3 Satz 4 verpflichtet, entsprechend ihrem Anteil an der Zahl der Versicherten aller Innungskrankenkassen Anstellungen nach Satz 3 anzubieten. § 164 Absatz 4 Satz 1 SGB V bestimmt, dass die Vertragsverhältnisse der Beschäftigten, die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden, mit dem Tag der Auflösung oder Schließung enden.

2.2 Die grundlegende Regelung ist § 164 Abs. 3 Satz 3 und 4 sowie Absatz 4 SGB V. Demnach enden mit dem Tag der Schließung die Arbeitsverhältnisse aller Beschäftigten. Die Arbeitsverhältnisse der Untergebrachten enden aufgrund der Unterbringung bei dem Landesverband oder einer anderen Kasse. Für die bis zur Schließung noch nicht untergebrachten oder auf sonstige Weise ausgeschiedenen Arbeitnehmer kommt Absatz 4 Satz 1 zur Anwendung. Nach dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang kommt es für die Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse nicht darauf an, ob ihnen überhaupt eine Stellung angeboten worden ist, ob sie zumutbar war und ob das Angebot mit Grund abgelehnt worden ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob bei der geschlossenen Kasse wegen anfallender Abwicklungsarbeiten über den Tag der Schließung hinaus noch ein Bedarf an der Beschäftigung einzelner Arbeitnehmer besteht. Die Beendigung der Vertragverhältnisse wird von derartigen Unständen nicht abhängig gemacht. Sie knüpft allein und bedingungslos daran an, dass der Beschäftigte zum Tag der Schließung nicht untergebracht worden ist. Die Bezugnahme auf Absatz 3 macht die Beendigung nach Absatz 4 nicht davon abhängig, dass nicht nur die Unterbringung unterblieben ist, sondern auch die in Absatz 3 für die Unterbringung enthaltenen Maßgaben eingehalten worden sind. Aus der Formulierung in Absatz 3 Satz 3 und 4, der gemäß eine angemessene Stellung anzubieten ist und jede Innungskrankenkasse verpflichtet ist, Anstellungen anzubieten, folgt, dass die betroffenen Beschäftigten einen Anspruch auf ein derartiges Angebot haben. Das Gesetz gibt keine Frist für die Erfüllung des Anspruchs und für die Annahme der Angebote vor. Demnach kann ein zumutbares Angebot noch nach dem Tag der Schließung abgegeben und ein vor dem Tag der Schließung abgegebenes Angebot noch nach dem Tag der Schließung angenommen werden. Gleichwohl ordnet Absatz 4 Satz 1 ohne Differenzierung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Tag der Schließung an. Es kommt daher nicht darauf an, ob das dem Kläger unterbreitete Angebot angemessen war oder nicht.

2.3 § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V bringt § 164 Abs. 2 bis 4 mit der Maßgabe auf die Betriebskrankenkassen zu Anwendung, dass Absatz 3 Satz 3 nur für ordentlich unkündbare Beschäftigte gilt. Damit wird die Verpflichtung des Landesverbandes und der Betriebskrankenkassen zum Angebot einer zumutbaren Stellung auf diesen Personenkreis beschränkt. Für die Anwendung des in Bezug genommenen Absatzes 4 sieht § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V keine Maßgabe vor. Damit bleibt es bei der Grundregel, dass alle noch bestehenden Vertragverhältnisse mit dem Tag der Schließung enden.

3. Die Beendigungsregelung gemäß §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 3 und 4 SGB V ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

3.1 Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Er schützt den Einzelnen mit der Garantie der freien Wahl des Arbeitsplatzes, zu der auch der Wille zu seiner Beibehaltung gehört, gegen staatliche Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken. Mit der Wahlfreiheit ist jedoch keine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden. Direkte staatliche Eingriffe in bestehende Arbeitsverhältnisse sind möglich. Auch die Arbeitsplatzwahl unterliegt gesetzlichen Beschränkungen, die an der Bedeutung der Wahlfreiheit gemessen nur zur Sicherung eines entsprechend wichtigen Gemeinschaftsguts und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig sind (vgl. BVerfG Urteil vom 24.4.1991 - 1 BvR 1341/90 - in AP Nr. 70 zu Art. 12 GG). Die Beendigungsregelung greift zwar in die Wahlfreiheit ein, genügt aber den dafür notwendigen Anforderungen.

3.1.1 Die Sicherung eines bezahlbaren Krankenversicherungsschutzes in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung ist gemäß dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 GG ein beachtliches Gemeinwohlinteresse, dass einen Eingriff in die Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen kann (vgl. BVerfG Urteil vom 10.6.2009 - 1 BvR706/08 - in BVerfGE 123, 86). Dem dient die Beendigungsregelung. Mit der Beendigung der Arbeitsverhältnisse sollen die Kosten der Abwicklung einer wegen dauerhafter Leistungsunfähigkeit geschlossenen Kasse begrenzt und möglichst gering gehalten werden. Dies geschieht in Beachtung des Interesses der Versicherten, die Beiträge zur Krankenversicherung erträglich zu halten, und des Interesses der in § 155 Abs. 4 SGB V vorgesehenen Haftungsgemeinschaft der übrigen Kassen, finanziell nicht überfordert zu werden.

3.1.2 Zur Erreichung des Ziels ist die Beendigungsregelung geeignet. Mit der Beendigung aller Arbeitsverhältnisse zum Tag der Schließung werden Kosten durch Verzögerungen bei Einleitung der ansonsten von dem Arbeitgeber zu veranlassenden Entlassungen oder bei ihrer Durchführung vermieden. Die Kasse wird in die Lage versetzt, sich frei von Unwägbarkeiten und finanzieller Risiken der Entlassungen auf die Abwicklung gemäß § 155 Abs. 1 und 2 SGB V auszurichten und personell auszustatten.

3.1.3 Die Beendigungsregelung ist zur Erreichung des Ziels auch erforderlich, weil mildere Mittel zur gleich wirksamen Förderung des angestrebten Ziels nicht zur Verfügung stehen. Kündigungen oder Aufhebungsverträge würden wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes sowie der damit einhergehenden zeitlichen Verzögerungen weitere Kosten verursachen und im Hinblick auf die damit einhergehenden Rechtsunsicherheiten eine zügige Abwicklung zur Lasten der Versicherten und der Haftungsgemeinschaft erschweren.

3.1.4 Die Regelung ist auch angemessen. Zwar führt die Regelung der §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 4 SGB V zu einer Belastung des Klägers, der ohne Einhaltung seiner tariflichen Kündigungsfrist das der Sicherung seiner Existenz dienende Arbeitsverhältnis verliert, ohne gesetzlichen Kündigungsschutz in Anspruch nehmen und ohne die Schließungsentscheidung überprüfen zu können. Allerdings ist auch bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes die Entscheidung des Arbeitgebers zu Schließung seines Betriebes nicht auf ihre Rechtfertigung und ihre Zweckmäßigkeit, sondern darauf zu überprüfen, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. BAG Urteil vom 23.4.2006 - 2 AZR 1110/06 - in AP Nr. 177 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Um die Schließung einer Betriebskrankenkasse nach § 153 Abs. 1 Nummer 3 SGB V anordnen zu können, hat das BVA keinen freien Entscheidungsspielraum. Vielmehr muss die dauerhafte Leistungsunfähigkeit festgestellt werden. Die Arbeitsverhältnisse enden demnach nicht ohne Prüfung und Feststellung der dafür erforderlichen Notwendigkeit. So hat sich das BVA nach der Begründung ihres Bescheides vom 4. Mai 2011 erst zur Schließung entschlossen, nachdem bisherige Sanierungsversuche trotz der Finanzhilfen aus dem BKK-System gescheitert waren, trotz weiterer Hilfen eine Sanierung nicht mehr möglich und bis Ende 2011 ein Anwachsen der Verschuldung auf rund 98, 2 Millionen zu erwarten war. Damit wird erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers auch unabhängig von der angeordneten Schließung keinen dauerhaften Bestand haben konnte, sondern vor seiner Beendigung stand. Auch bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes wäre es gegen seinen Willen einseitig zu beenden gewesen.

Die Beendigung traf den Kläger nicht ohne Ankündigung. Ihr Termin und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen waren ihm mit Zugang der Unterrichtung über den Schließungsbescheid bekannt. Bereits mit dem Schreiben vom 13.5.2011 ist ihm ein Beschäftigungsangebot unterbreitet worden. Zwar werden mit der sich daraus ergebenden Zeitspanne die gesetzlichen Kündigungsfristen unterschritten. Sie ist aber auch nicht so unbedeutend für das Bedürfnis, sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzustellen, dass deswegen ein unangemessener Eingriff in den sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Schutz bestehender Arbeitsverhältnisse vorliegen würde.

Der Eingriff ist nicht deswegen unangemessen, weil zum Beendigungstermin noch ein Bedarf an Arbeitskräften für die Abwicklungsarbeiten bestanden hat. Das Bundesarbeitsgericht hat unter Berücksichtigung des durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesses des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und im Hinblick auf die sich aus § 242 BGB ergebenden Rücksichtsnahmepflicht des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bzw. Wiedereinstellung zuerkannt, wenn sich zwischen dem Ausspruch einer wirksamen betriebsbedingten Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ergibt (vgl. BAG Urteil vom 28.6.2000 - 7 AZR 904/98 - in AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung). Zwar hat die Beklagte keine Kündigung ausgesprochen, sondern ein Dritter die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende Schließungsanordnung getroffen. Gleichwohl waren bereits vor dem Schließungszeitpunkt Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Rahmen der Abwicklung erkennbar. Die Interessenlage ist auch nicht anders als bei einer betriebsbedingten Kündigung. Gleichwohl führt das nicht zur Unangemessenheit der Beendigungsregelung. Eine Weiterbeschäftigung wäre nur befristet und der Abwicklung angepasst möglich. Ohne die Beendigungsregelung wäre die Beklagte hierzu auf einen nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers möglichen Änderungsvertrag, eine Änderungskündigung oder eine Beendigungskündigung verwiesen. Das würde wiederum dem mit der Beendigungsregelung verfolgten Ziel der Kostenersparnis und Planungssicherheit zuwiderlaufen.

Die Beendigungsregelung ist auch hinsichtlich der schwerbehinderten Arbeitnehmer und der ihnen Gleichgestellten angemessen. Selbst bei Anwendung der sie vor Kündigungen schützenden Normen wäre wegen der Schließung der Kasse eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch gegen ihren Willen möglich und nicht zu vermeiden.

3.2 Eine Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitnehmern von Gesellschaften des Privatrechts, deren Arbeitsverhältnisse bei Auflösung der Gesellschaft nicht von Gesetzes wegen enden, sondern gekündigt werden müssten, ist durch das im Gemeinwohl liegende Interesse an einem bezahlbaren Krankenversicherungsschutz und dem besondere Haftungssystem der Betriebskrankenkassen gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen Art 3 Abs. 1 GG liegt damit nicht vor. Ein Verstoß gegen Art 3 Abs. 1 G wegen einer Ungleichbehandlung gegenüber Beschäftigten, die gemäß §§ 164 Abs. 3, 171d Abs. 1 Satz 5 SGB V einen Anspruch auf Unterbringung haben, führt allenfalls zu einem Anspruch auf Gleichbehandlung, nicht aber zur Unwirksamkeit der Regelung. Mit den Dienstordnungsangestellten ist der Kläger aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse nicht vergleichbar.

3.3 Art. 9 Abs. 3 GG hindert den Gesetzgeber nicht, in den Bestand von Arbeitsverhältnissen unter Abkürzung von Fristen einzugreifen. Eine gesetzliche Regelung, die in dem Bereich, der auch Tarifverträgen offen steht, kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber sich dabei auf mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte stützen kann und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. BVerfG Beschluss vom 24.4.1996 - 1 BvR 712/86 - in BVerfGE 94, 268). Die Beendigungsregelung gemäß §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 4 SGB V dient der durch das Sozialstaatsgebot des Art 20 GG geforderten Sicherung eines bezahlbaren Krankenversicherungsschutzes. Für die Bestimmung des Schließungstermins und dem damit einhergehenden Zeitpunkt für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse sind die konkreten Umstände der betroffenen Kasse und die Situation der Versicherten sowie die des Haftungsverbundes von Bedeutung. Dem kann eine Entscheidung durch das BVA besser Rechnung tragen als eine Regelung der Tarifvertragsparteien.

4. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 4 SGB V mit dem 30.6.2011 beendet worden ist, konnte die Klage auch mit ihrem gegen die Kündigung vom 19.5.2011 gerichteten Antrag keinen Erfolg haben.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Auslegung der §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 3 und 4 SGB V und ihrer Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zugelassen worden.