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Entscheidung L 27 R 1837/06


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat Entscheidungsdatum 25.11.2010
Aktenzeichen L 27 R 1837/06 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 AAÜG

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie im Zeitraum vom 15. September 1975 bis zum 30. Juni 1990 der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVI) zugehörte; ferner begehrt sie Feststellung der in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte.

Die im Oktober 1952 geborene Klägerin erlangte im September 1975 die Berechtigung, die Berufsbezeichnung Diplomingenieur zu führen. Sie war in der Zeit vom 15. September 1975 bis zum 21. Mai 1978 als Entwicklungsingenieur im Betrieb Nachrichtenelektronik in G beschäftigt. Vom 22. Mai 1978 bis zum 30. Juni 1990 stand die Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis zum volkseigenen Betrieb Funk- und Fernmeldeanlagenbau Berlin (VEB FFAB). Hier war sie zuletzt als Ingenieur für wissenschaftlich-technische Grundsatzarbeit eingesetzt. Seit dem 01. Dezember 1983 entrichtete die Klägerin Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung. Während des Bestehens der DDR erfolgte keine ausdrückliche Einbeziehung der Klägerin in ein Versorgungssystem.

Mit Bescheid vom 04. Mai 2004 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Überführung einer Zusatzversorgungsanwartschaft mit der Begründung ab, die Klägerin habe am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung ausgeübt, die dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen gewesen sei. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2004 mit der Begründung zurück, der VEB FFAB sei weder ein volkseigener Produktionsbetrieb noch ein gleichgestellter Betrieb gewesen.

In dem anschließend vor dem Sozialgericht Berlin geführten Rechtsstreit gelangte ein Auszug aus dem Handelsregister Abteilung C des Magistrats von Groß-Berlin zu den Akten, in welchem sich Eintragungen über den VEB FFAB befanden. Mit Urteil vom 05. Dezember 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe keine Versorgungsanwartschaft erlangt, weil die betrieblichen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Der VEB FFAB sei weder ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch ein diesen Betrieben gleichgestellter Betriebstyp gewesen. Er habe nicht in planwirtschaftlicher Weise nach industriellen Maßstäben Sachgüter hergestellt, sondern sei vor allem mit Montageaufgaben betraut gewesen.

Gegen dieses ihr am 14. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Dezember 2006 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Sie macht geltend, das Sozialgericht habe den VEB FFAB zu Unrecht nicht als industriellen Produktionsbetrieb eingestuft. Es habe sich um Kleinserienfertigung von Sachgütern gehandelt, die nach den Maßstäben der DDR als Industriefertigung einzustufen gewesen seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 15. September 1975 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit der Klägerin zu dem Versorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 des AAÜG sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, der VEB FFAB sei in der Zeit der DDR der Wirtschaftsgruppe 16629 (Reparatur- und Montagebetriebe der elektronischen Industrie) zugeordnet gewesen und dementsprechend nicht als industrieller Produktionsbetrieb einzustufen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschriften vom 25. Februar und vom 25. November 2010, die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Vormerkung ihrer Beschäftigungszeiten für die Zusatzaltersversorgung.

Sie erfüllt nicht die beiden in § 1 Abs. 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) genannten Voraussetzungen, denn sie war weder bei Inkrafttreten der Norm am 1. August 1991 Inhaberin einer Versorgungsberechtigung noch war sie in ein Versorgungssystem einbezogen und vor dem 1. Juli 1990 daraus ausgeschieden. Dies steht zwischen den Parteien auch nicht im Streit.

Ein Anspruch der Klägerin auf Vormerkung der Beschäftigungszeiten für die Zusatzversorgung ergibt sich auch nicht aus § 1 Abs. 1 AAÜG in der durch das Bundessozialgericht - BSG - vorgenommenen verfassungskonform erweiternden Auslegung. Danach ist anspruchsberechtigt, wer am 1. August 1991 aufgrund der bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Umstände einen fiktiven bundesrechtlichen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage erlangt hatte (BSG, Urteil vom 7. September 2006, B 4 RA 41/05 R, Juris, m.w.N.).

Der umschriebene fiktive bundesrechtliche Anspruch hängt im Bereich der AVItech gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (AVTI-VO) vom 17. August 1950 (GBl. S. 844) und § 1 Abs. 1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) zur AVTI-VO vom 24. Mai 1951 (GBl. S. 487), soweit diese am 3. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden sind, von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab, von denen hier allein die betriebliche im Streit steht. Nach dem staatlichen Sprachgebrauch der DDR am 2. Oktober 1990, an den das Bundesrecht anknüpft, muss die Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden sein (vgl. BSG, Urteil vom 10. April 2002, B 4 RA 10/02 R, Juris, Randnr. 18).

Der Betrieb, in dem die Klägerin am 30. Juni 1990 beschäftigt war, erfüllte die vorgenannten betrieblichen Voraussetzungen nicht. Maßgeblich ist insofern, welche Aufgabe dem Betrieb das Gepräge gegeben hat, wobei ein wichtiges Indiz die Zuordnung zu einem Ministerium ist (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003, B 4 RA 18/03 R, juris Rdnr. 22), also die Zuordnung zum Verantwortungsbereich eines Ministeriums, das nach der Organisation der Regierung der DDR die Funktion eines Industrieministeriums wahrgenommen hat (BSG, Urteil vom 9. April 2002, B 4 RA 41/01 R, juris Rdnr. 47). Auch wenn danach der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin einem Industrieministerium, nämlich dem für die elektronische Industrie zuständigen Ministerium der DDR unterstellt war, handelte es sich dabei tatsächlich nicht um einen industriellen Produktionsbetrieb im erforderlichen Sinne. Ein wichtiges Indiz ergibt sich hierfür bereits daraus, dass der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin der Wirtschaftsgruppe 16629 (Reparatur- und Montagebetriebe der elektronischen Industrie) zugeordnet war. Dies wird auch durch die weiteren Ermittlungen des Senats bestätigt. So hat der Senat insbesondere einen Auszug aus der Beständeübersicht des Landesarchivs Berlin (CRep.406) beigezogen, der insbesondere die folgende Textpassage enthält:

Der VEB RFT Funk- und Fernmeldeanlagenbau Berlin war ein in der DDR führender Betrieb zur Errichtung von Funk- und fernmeldetechnischen Anlagen. So übernahm er Aufträge für die Deutsche Post, darunter die Ausrüstung des Berliner Fernsehturms, für den Staatlichen Rundfunk der DDR, für Industrie- und Handelseinrichtungen sowie für den Staat und seine Sicherheitsorgane. Darüber hinaus war er zuständig für die Ausführung der gesamten Auslandsmontage dieser Branche. Als reiner Installationsbetrieb ohne eigene Produktion bediente er sich dabei verschiedener Zulieferbetriebe, etwa des VEB Funkwerk Köpenick.

Diese Charakterisierung des Beschäftigungsbetriebes der Klägerin als reinen Installationsbetrieb ohne eigene Produktion schließt die Zuordnung zu einem Betrieb der industriellen Produktion aus.

Der Senat hat auch keine Zweifel, dass diese Charakterisierung des Beschäftigungsbetriebes der Klägerin auch am 30. Juni 1990 noch voll umfänglich zutraf. Dies ergibt sich insbesondere aus dem beigezogenen Geschäftsbericht des Unternehmens vom 7. Mai 1990, in welchem zur Ziffer 2.3. u. a. folgende Textpassage enthalten ist:

Die Zielstellung des Betriebes Funk- und Fernmelde-Anlagenbau Berlin GmbH innerhalb des Gemeinschaftsunternehmens RFT SEL Nachrichtenelektronik GmbH wird mit folgenden Hauptaufgaben charakterisiert: Beratung, Planung, Projektierung, Montage, Inbetriebnahme, Service, Wartung und Kundendienst auf allen nachrichtentechnischen Gebieten mit den Schwerpunkten der Vermittlungstechnik, Übertragungstechnik, Büro- und Datenkommunikation, Funksende- und Empfangstechnik, Satellitenempfangstechnik usw. sowie Kabel- und Leitungsnetze.

Auch diese Geschäftsfelder beschreiben gerade keine industrielle Produktion. Dabei spielt es insoweit auch keine Rolle, dass in der vorgenannten Textpassage die Aufgabenfelder bereits im Hinblick auf die damals in Gründung befindliche GmbH charakterisiert wurden, denn insoweit wurde lediglich die bis dahin bestehende Tätigkeit des VEB fortgeschrieben. Insgesamt lassen sich für den Senat keine Hinweise darauf finden, dass tatsächlich eine industrielle Produktion im letzten Beschäftigungsbetrieb der Klägerin zum Zeitpunkt des 30. Juni 1990 hat feststellen lassen.

Auch für die Tätigkeit der Klägerin in der Zeit vom 15. September 1975 bis zum 21. Mai 1978 in dem VEB Nachrichtenelektronik Greifswald lassen sich Zeiten der Zugehörigkeit zur AVI mit entsprechenden Entgelten nicht feststellen. Zwar war der VEB Nachrichtenelektronik Greifswald im Unterschied zum letzten Betrieb der Klägerin ein produzierender Betrieb im Sinne der ersten DB. Er war der Wirtschaftsgruppe 16621 zugeordnet und hatte folgende Aufgaben zu erfüllen:

Herstellung von Vermittlungseinrichtungen für Telefonie und Telegrafie, Fernsprech- beziehungsweise Telegraphie-Endapparaten, Übertragungseinrichtungen für Telefonie und Telegrafie, für Rundfunk- und Fernsehsendungen, für Daten auf Nachrichtenkanälen, Wechselsprech- und Gegensprechgeräten, Baueinheiten und Baugruppen für Erzeugnisse der Drahtnachrichtentechnik, Zubehör, Einzel- und Ersatzteilen für Erzeugnisse der Drahtnachrichtentechnik, Richtfunkeinrichtungen, Sendern und Empfängern für kommerzielle Dienste sowie Sendern für Rundfunk und Fernsehen, Rundfunk- und Fernsehstudio-Einrichtungen, Antennen und Antennenverstärkern, Funkortungsgeräten, hydroakustischen Geräten, Zusatzeinrichtungen, Zusatzgeräten, Zubehör sowie Baugruppen, Baueinheiten und Einzelteilen und Ersatzteilen für Erzeugnisse der Funktechnik.

Indessen kann auch die Zeit der Betriebszugehörigkeit zu diesem Betrieb nicht als Zeit der Zusatzversorgung vorgemerkt werden, weil maßgeblich für die fiktive Einbeziehung die Voraussetzungen am Stichtag des 30. Juni 1990 sind und die Klägerin zu diesem Zeitpunkt die Einbeziehungsvoraussetzungen aus dem o. g. Gründen nicht erfüllte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.