Gericht | VG Potsdam 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 26.02.2013 | |
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Aktenzeichen | VG 6 L 50/13.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 27a AsylVfG, Art 4 EUGrdRCh, Art 16a Abs 2 S 1 GG, Art 16 Abs 1c EGRL 343/2003, Art 3 Abs 2 EGRL 343/2003 |
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... aus Berlin wird abgelehnt.
I.
Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz gegen eine ihm drohende Rücküberstellung nach Ungarn.
Der nach Aktenlage am 7. November 1991 geborene Antragsteller ist nach seinen Angaben iranischer Staatsangehöriger. Er sei auf dem Landweg über Serbien und Griechenland im Juli oder August 2012 nach Ungarn gelangt. Bei einer Autokontrolle in Györ sei er von der ungarischen Polizei festgehalten und einen Tag inhaftiert worden. Abschließend sei er für knapp einen Monat in Nyirbator inhaftiert gewesen.
Am 13. September 2012 stellte der Antragsteller in Ungarn einen Asylantrag.
Das Asylverfahren in Ungarn wurde am 1. Oktober 2012 eingestellt, nachdem der Antragsteller untergetaucht war. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt reiste der Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 18. Oktober 2012 einen Asylantrag. Nach seiner Anhörung am 19. November 2012 stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 21. Januar 2013 fest, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an.
Der Antragsteller hat am 1. Februar 2013 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.
Zur Begründung lässt der Antragsteller im Wesentlichen vorbringen, er sei in Ungarn gezwungen worden, den dortigen Asylantrag zu stellen. Er sei zuvor einen Monat lang in Nyirbator inhaftiert gewesen. Er habe nicht ausreichend Sozialleistungen erhalten, so dass sein Existenzminimum nicht gesichert gewesen sei. Es gebe im ungarischen Asylverfahren keinen Schutz vor einer Rück- oder Weiterschiebung nach Serbien. Bei einer Rücküberstellung nach Ungarn werde er trotz seines Asylantrags aller Voraussicht nach inhaftiert und sein Asylbegehren werde nicht mehr in der Sache geprüft. Trotz behandlungsbedürftiger Krankheiten sei er dort medizinisch nicht versorgt worden. Ein Asylbewerber dürfe nicht an einen Mitgliedstaat überstellt werden, in dem er Gefahr laufe, unmenschlich behandelt zu werden. Das Unionsrecht lasse keine unwiderlegbare Vermutung zu, dass Mitgliedstaaten die Grundrechte der Asylbewerber beachteten.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage VG 6 K 472/13.A gegen die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 21. Januar 2013 anzuordnen,
hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, gegenüber der zuständigen Behörde sicherzustellen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn vorläufig nicht durchgeführt wird;
ihm für das Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beiden vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
1. Die Anträge auf Gewährung von Eilrechtsschutz sind unzulässig. Das ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG, wonach einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 VwGO oder nach § 123 VwGO nicht statthaft ist, wenn der betroffene Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll.
Vorliegend geht es um die Überstellung des Antragstellers nach Ungarn, das Mitgliedsstaat der Europäischen Union und insofern sicherer Drittstaat ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG; § 26a Abs. 2 AsylVfG). Darüber hinaus ergibt sich auch die Zuständigkeit Ungarns nach § 27a AsylVfG i. V. m. den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO), denn Ungarn hat mit Schreiben vom 17. Januar 2013 seine Zuständigkeit nach Art. 16 Abs. 1 c) in Verbindung mit Art. 20 Dublin II-VO infolge der vormaligen Asylantragstellung anerkannt.
2. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 34a Abs. 2 AsylVfG zugunsten des Antragstellers dahingehend, dass ausnahmsweise einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden müsste, kommt nicht in Betracht. Die Voraussetzungen für einen derartigen Ausnahmefall, wie sie sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14. Mai 1996, - 2 BvR 1938/93 -, EuGRZ 1996, 237, 251 f.) ergeben, liegen nicht vor. Insofern müsste der Antragsteller nämlich bestimmte Tatsachen glaubhaft machen, nach denen es sich aufdrängt, dass er in einer Art und Weise von Umständen betroffen wäre, die ihrer Eigenart nach nicht schon im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung berücksichtigt werden konnten.
Dem genügt das Vorbringen des Antragstellers, er sei in Ungarn inhaftiert und existentiell gefährdet gewesen sowie beinahe vergewaltigt worden, in keiner Weise. Dass die Versorgung mit Unterkünften und Lebensmitteln in Ungarn für Asylbewerber nicht gewährleistet sei, wurde vom Antragsteller weder in seiner Anhörung vom 19. 11. 2012 vor dem Bundesamt vorgebracht, noch wird dies anderweitig behauptet. Der Antragsteller hat zwar einiges substantiiert dafür vorgebracht, dass vordem bestimmte Mindeststandards bei der Behandlung von Asylbewerbern in Ungarn nicht eingehalten werden würden. Allerdings besteht nach dem jetzigen Sachstand kein konkreter Anhalt mehr, der eine ausnahmsweise Durchbrechung des Konzepts der normativen Vergewisserung erlauben würde.
Zwar kam es nach verschiedenen Berichten in der Vergangenheit vor, dass Asylbewerber in Ungarn längere Zeit und ohne Begründung inhaftiert worden sind. Insbesondere Asylbewerber, deren Verfahren infolge Wegzugs oder Untertauchens eingestellt worden war, sind nach einer Rückführung gemäß § 20 Dublin-II VO ohne weitere Sachprüfung ihres Asylantrags (Examination on the merits of asylum claims) inhaftiert und unter anderem auch in den aus Sicht des ungarischen Asylrechts sicheren Drittstaat Serbien abgeschoben worden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg vom 27. 7. 2011 und 9. 11. 2011; Pro Asyl: Ungarn, Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit vom Februar 2012; UNHCR, Hungary as a country of Asylum vom 14. 4. 2012 sowie Auskunft an den Asylgerichtshof Wien vom 3. Februar 2012). Diese Verfahrensweisen sind zum einen als unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bewertet worden (vgl. VG Trier, Urteil vom 30. 5. 2012 - 5 K 967/11.TR; VG Stuttgart, Beschluss vom 2. 4. 2012 - A 11 K 1039/12 - AuAS 2012, S. 19; Urteil vom 20. 9. 2012 - A 11 K 2519/12 - zit. nach juris), zum anderen stellte die Inhaftierung und die Abschiebung von Asylbewerbern ohne Sachprüfung des Asylbegehrens einen Verstoß gegen Art. 18 als auch Art. 7 der der Richtlinie 2005/85/EG dar (VG Stuttgart, B. vom 14. 8. 2012 - A 7 K 2589/12 - zit. nach juris).
Allerdings sind aus Sicht des erkennenden Gerichts diese Mängel der ungarischen Ausländer- und Asylverfahrenspraxis mit Verabschiedung und Umsetzung von Gesetzesänderungen im ungarischen Parlament vom November 2012 erheblich entschärft worden. Nach der Fortschreibung der Berichterstattung des UNHCR zum Asylland Ungarn vom Dezember 2012 werden nunmehr die Asylgründe von Asylsuchenden auch inhaltlich geprüft, selbst wenn es sich um Asylsuchende handelt, die über Serbien oder die Ukraine oder im Wege der Rückführung nach Ungarn gelangen. Auch die vormals verbreitete Praxis, Asylsuchende in Haft zu nehmen, ist nach diesem Bericht des UNHCR stark rückläufig und wird im Rahmen einer stärkeren Kontrolle durch die Polizeihauptquartiere und Staatsanwaltschaften sowie ergänzend durch eine Arbeitsgruppe von Richtern flankiert (vgl. UN High Commissioner for Refugees, Note on Dublin transfers to Hungary of people who have transited through Serbia -- update, December 2012, http://www.unhcr.org/refworld/docid/50d1d13e2.html).
Unter diesen Voraussetzungen lassen sich keine nach dem Bundesverfassungsgericht maßgeblichen Ausnahmefallkonstellationen erkennen (BVerfG, a. a. O. unter C. I. 5 e).
3. Zugleich lässt sich auch nicht feststellen, dass der Antragsteller in europarechtskonformer Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO einen Anspruch auf Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland für sein Asylverfahren mit der Folge hätte, dass eine Abschiebung oder Rückführung nach Ungarn ausgeschlossen wäre. Zwar liegt die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts, wie sich aus dem Wort "kann" ergibt, grundsätzlich im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaats. Dieses Ermessen ist aber vorliegend nicht in der Weise auf Null reduziert, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wäre, das Selbsteintrittsrecht auszuüben, weil der Antragsteller in Ungarn - dem für sein Asylverfahren grundsätzlich zuständigen Mitgliedstaat - kein ordnungsgemäßes Verfahren zu erwarten hätte. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 (C-411/10 und C-493/10 -, zit. nach juris) ausgeführt, dass Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen sei, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliege, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein könne, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Allerdings hat das Gericht zugleich auch deutlich gemacht, dass nicht jeder Rechtsverstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügt, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln, sondern eben nur erhebliche und systemrelevante. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 solle nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet würden, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden könne, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig sei. Zu diesem Zweck sehe die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt werde(EuGH, a. a. O. Rn. 84). - Nach alledem kann das Ermessen nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO nur ausnahmsweise bei schwerwiegenden und sich aufdrängenden Mängeln des Asylverfahrens geboten sein, sofern der Asylsuchende überhaupt von diesen Mängeln absehbar betroffen ist.
Das Gericht vermag aus den oben unter 2. genannten Gründen zur ungarischen Asylverfahrenspraxis jedenfalls gegenwärtig derzeit keine Gefahr mehr für den Antragsteller zu erkennen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller zur Überzeugung des Gerichts nicht infolge eines Herzleidens und einer fehlenden Medikamentierung in Ungarn einer erheblichen Gefahr für seine Gesundheit ausgesetzt wäre. Das Gericht hält diesen Vortrag schon nicht für glaubhaft. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hat sich der Antragsteller trotz ausdrücklicher Befragung nur zu einer Hautkrankheit eingelassen und auch im gerichtlichen Verfahren trotz gegenteiliger Ankündigung kein ärztliches Attest oder entsprechende Stellungnahme vorgelegt, die eine Herzinsuffizienz dokumentieren würde. Gleiches gilt für die ihm in Debrecen angeblich angedrohte Vergewaltigung, die er in der Anhörung vor dem Bundesamt gleichfalls nicht erwähnt hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Der Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers war abzulehnen, da die Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen vorliegend keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet, § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).