Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 7. Berufungskammer | Entscheidungsdatum | 25.08.2020 | |
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Aktenzeichen | 7 Sa 503/20 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2020:0825.7SA503.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 75 BetrVG, § 3 AGG, § 7 AGG, § 10 AGG |
Die Regelung in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung, nach der rentenberechtigte Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine Prämie haben sollen, mit der Arbeitnehmer bei einer beabsichtigten Schließung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gehalten werden sollen verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung und ist daher unwirksam.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Januar 2020 – 3 Ca 6018/19 – geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 60.000,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 02. Januar 2020 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung geregelten Schließungsprämie.
Der am …. 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages zuletzt vom 31.05.2000 (Bl. 141 – 144 d.A.) unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten innerhalb des Konzerns seit dem 16. Juni 1977 in Berlin tätig. Zuletzt war er im Bereich Marketing und Vertrieb beschäftigt.
Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der D. Deutsche Girozentrale AöR mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie beschloss im Jahr 2017 ihren Standort in Berlin unter teilweiser Verlagerung und teilweisem Abbau der Arbeitsplätze zum 31. Dezember 2019 zu schließen. In diesem Zusammenhang vereinbarte sie unter dem Datum vom 30. November 2017 mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich, einen Sozialplan und eine Betriebsvereinbarung über freiwillige Leistungen aus Anlass der Schließung des Standorts Berlin (im Folgenden: BV Schließung), auf deren Regelungen im Einzelnen Bezug genommen wird (Interessenausgleich Bl. 13 – 22 d.A.; Sozialplan Bl. 23 – 33 d.A.; BV Schließung Bl. 34 – 37 d.A.).
Der Interessenausgleich sah die Schließung des Standorts Berlin für das Jahr 2019 vor. Spätestens zum 31. Dezember 2019 sollten alle Arbeitsplätze in Berlin wegfallen. Der in diesem Zusammenhang notwendige Personalabbau sollte durch Nichtverlängerung von befristeten Arbeitsverträgen, den Abschluss von freiwilligen Aufhebungsverträgen, Vorruhestandsverträgen und/oder den Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen erfolgen (§ 5 Abs. 1 Interessenausgleich).
Im Sozialplan, der zeitlich für alle Kündigungen, Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge gelten sollte, die nach dem 30. Juni 2017 ausgesprochen oder abgeschlossen wurden oder werden (§ 1 Abs. 3 des Sozialplans), unterschieden die Betriebsparteien für den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile in § 2 Abs. 2 zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen. Es heißt dort wie folgt:
a. Arbeitnehmer mit einem betriebsbedingten Arbeitsplatzverlust durch Kündigung durch den Arbeitgeber oder Eigenkündigung oder Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit Ausnahme der Arbeitnehmer, für die Buchst. b und c gilt.
Für diese Arbeitnehmer gelten die §§ 3, 4 und 8.
b. Arbeitnehmer mit einem betriebsbedingten Arbeitsplatzverlust, die innerhalb von
aa) 6 Jahren
bb) nach Ablauf von 6 Jahren spätestens nach 8 Jahren
nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf den Bezug von vorgezogener gesetzlicher Altersrente (ggfs. unter Hinnahme von Abschlägen) haben, mit Ausnahme der Arbeitnehmer, für die Buchst. c gilt.
Für diese Arbeitnehmer gelten die §§ 5 und 8, soweit einschlägig, und im Fall des § 5 Abs. 12 des Sozialplans gelten die §§ 3 und 8.
c. Arbeitnehmer mit einem betriebsbedingten Arbeitsplatzverlust durch Kündigung oder Abschluss eines Aufhebungsvertrags, die unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf den Bezug einer vorgezogenen gesetzlichen Altersrente (ggfs. unter Hinnahme von Abschlägen) haben.
Für diese Arbeitnehmer gilt § 8.
Für die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses rentenberechtigten Mitarbeiter („Rentenberechtigt“, § 2 Abs. 2 c) sah der Sozialplan keine Abfindung vor. Mitarbeiter, die innerhalb von sechs bis acht Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf den Bezug vorgezogener gesetzlicher Altersrente hatten (§ 2 Abs. 2 b), konnten zwischen zwei Varianten wählen: Dem Abschluss eines Vorruhestandsvertrages ohne Abfindungszahlung (dann: Vorruheständler) und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Vorruhestandsvereinbarung unter Zahlung einer Abfindung (vorruhestandsberechtigte Arbeitnehmer). Die sonstigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhielten eine Abfindung, die nach § 3 des Sozialplans berechnet wurde.
Außerdem sahen die Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung Schließung eine Schnellentscheiderprämie in Höhe von 20.000,00 Euro sowie unter § 3 eine Schließungsprämie in Höhe von 60.000,00 Euro für Arbeitnehmer vor, die nicht vor dem 30.06.2019 aus ihrem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Zu dieser Schließungsprämie heißt es unter § 3:
§ 3 Schließungsprämie
1) Für Arbeitnehmer, die nicht vor dem 30.06.2019 aus ihrem Arbeitsverhältnis mit der L.-INVEST ausscheiden, erhöht sich die Abfindung nach dem Sozialplan um EUR 60.000 brutto.
Anspruchsberechtigt gemäß Satz 1 sind alle Arbeitnehmer, die von § 2 Abs. 2 Buchst. a des Sozialplans erfasst sind. Zur Klarstellung wird festgehalten, dass Arbeitnehmer, die unter § 2 Abs. 2 Buchst. c, d und e des Sozialplans fallen, nicht anspruchsberechtigt sind. Ebenfalls nicht anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer, die von § 2 Abs. 2 Buchst. b des Sozialplans erfasst sind (vorruhestandsberechtigte Arbeitnehmer) und die einen Vorruhestandsvertrag abschließen.
2) Für Arbeitnehmer, die von § 2 Abs. 2 Buchst. b des Sozialplans erfasst sind (vorruhestandsberechtigte Arbeitnehmer) und die gem. § 5 Abs. 12 des Sozialplans einen Aufhebungsvertrag mit Abfindung abschließen und die nicht vor dem 30.06.2019 aus ihrem Arbeitsverhältnis mit der L.-INVEST ausscheiden, erhöht sich die Abfindung nach dem Sozialplan um EUR 20.000 brutto.
3) Für jedes unterhaltspflichtige Kind erhöht sich die Abfindung um einen weiteren Kinderzuschlag in Höhe von EUR 2.500 brutto.
4) Bei Schwerbehinderten und ihnen Gleichgestellten erhöht sich die Abfindung um einen weiteren Schwerbehindertenzuschlag in Höhe von EUR 5.000 brutto.
5) Im Einzelfall kann die Schließungsprämie auch dann gewährt werden, wenn der Arbeitnehmer und die L.-INVEST das Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages einvernehmlich vor dem 30.06.2019 auflösen. Die Entscheidung, ob eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der operativen Stabilität vereinbar ist, trifft die L.-INVEST. Diese muss einer vorzeitigen Beendigung zustimmen, soweit der ursprüngliche Arbeitsplatz in Berlin entfallen ist.
6) Der Anspruch auf Zahlung einer Schließungsprämie nach dieser Vereinbarung entsteht zum 30.06.2019 oder dem sich aus Abs. 5 ergebenden früheren Zeitpunkt und ist ab diesem Zeitpunkt vererblich.
Für die Regelungen der Betriebsvereinbarung Schließung im Einzelnen wird auf Bl. 34 – 37 d.A. Bezug genommen.
Von den vor Beginn der Umsetzung der im Interessenausgleich beschriebenen Maßnahmen im Dezember 2017 beschäftigten 114 Mitarbeitern waren zum Jahresende 2018 am Standort Berlin noch 84 Arbeitnehmer beschäftigt, davon 59 Arbeitnehmer, die nach der freiwilligen Betriebsvereinbarung für die Schließungsprämie anspruchsberechtigt waren, sowie 21 Vorruheständler, Vorruhestandsberechtigte und Rentenberechtigte.
Mit Datum vom 3. Juli 2018/12. Juli 2018 schlossen die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2019 aus Anlass der Schließung des Standortes Berlin. Diese Vereinbarung sieht eine unwiderrufliche Freistellung des Klägers ab dem 1. Oktober 2018 vor, eine Sozialplanabfindung in Höhe von 11.000,00 Euro sowie eine Schnellentscheiderprämie in Höhe von 20.000,00 Euro. Außerdem enthält die Vereinbarung unter Punkt 7 eine allgemeine Ausgleichsklausel, wonach mit der Aufhebungsvereinbarung alle gegenseitigen, gegenwärtigen und zukünftige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung, gleich welchen Rechtsgrund sie sein mögen, bekannt oder unbekannt, abgegolten sein sollten. Für die Einzelheiten des Aufhebungsvertrages wird auf bl. 38 – 39 d.A. Bezug genommen.
Den Betriebsrat informierte die Beklagte über den Aufhebungsvertrag mit E-Mail vom 24. April 2018 (Bl. 146 d.A.) und bat ihn um ein schriftliches Einverständnis dazu. In dieser E-Mail heißt es: „Wir hatten ja schon über den Härtefall Herrn C. gesprochen. Könnten Sie mir bitte jeweils Ihr schriftliches Einverständnis für einen Aufhebungsvertrag für Herrn C. mit Zahlung einer Abfindungssumme in Höhe von 11.000,00 Euro geben (Berechnung siehe unten). Vielen Dank vorab.“ Der Betriebsrat beantwortete dies mit Mail vom 12. Juni 2018 (Bl. 147 d.A.) und teilte mit: „Herr C. ist mit den genannten Konditionen (Aufhebung zum 30. November 2019, unwiderrufliche Freistellung, etc.) einverstanden. Der Betriebsrat gibt auch seine Freigabe.“
Nachdem der Kläger mit seinem Schreiben vom 24. April 2019 (Bl. 40 und 41 d.A.) einen Anspruch auf Zahlung der Schließungsprämie aus der freiwilligen Betriebsvereinbarung unter Hinweis auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vergeblich geltend gemacht hat, verfolgt er diesen Anspruch mit der beim Arbeitsgericht am 16. Mai 2015 eingegangenen und der Beklagten am 23. Mai 2019 zugestellten Klage gerichtlich weiter, mit der Begründung, die Herausnahme der rentenberechtigten bzw. vorruhestandsberechtigten Arbeitnehmer aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten verstoße gegen das Verbot der Altersdiskriminierung bzw. gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Demgegenüber geht die Beklagte davon aus, dass die Differenzierung innerhalb des anspruchsberechtigten Personenkreis durch Zweck und Ziel der Regelung gerechtfertigt sei und beruft sich zudem auf die im Aufhebungsvertrag geregelte Ausgleichsklausel.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 29. Januar 2020, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen wird, unter Zitierung der Entscheidungsgründe eines Urteils der Kammer 1 des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. September 2019 - 1 Ca 16885/18 - die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch ergebe sich weder aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz noch aus dem Verbot der Altersdiskriminierung nach dem AGG. In dem Ausschluss des Klägers aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 S. 3 der Betriebsvereinbarung Schließung liege weder eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers nach § 3 Abs. 1 AGG noch eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG wegen des Alters; jedenfalls sei eine etwaige Benachteiligung gerechtfertigt. Eine unmittelbare Benachteiligung scheide aus, da es an einer vergleichbaren Situation im Hinblick auf die Vergleichsgruppe fehle. Der Kläger erfahre zwar wegen seines Alters eine weniger günstige Behandlung als andere Arbeitnehmer, die nicht „Rentner“ und in der Folge nicht vorruhestandsberechtigt seien. Ausgehend vom Ziel und Zweck der Schließungsprämie und den Voraussetzungen ihrer Gewährung habe sich die Gruppe des Klägers und die Gruppe der nach der Betriebsvereinbarung anspruchsberechtigten Arbeitnehmern nicht in einer vergleichbaren Situation befunden. So folge aus den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen, dass die Betriebsparteien für die Arbeitnehmergruppen der Rentenberechtigten und Vorruheständler keine Notwendigkeit gesehen hätten, zum Erhalt der operativen Stabilität des Standortes einen finanziellen Anreiz dafür zu bieten, nicht vor dem 30. Juni 2019 auszuscheiden. Diese Differenzierung halte sich in dem den Betriebsparteien zukommenden Beurteilungsspielraum. Die Gruppenbildung sei im Hinblick auf den Zweck der Schließungsprämie auch nachvollziehbar. Jedenfalls aber sei eine Differenzierung gerechtfertigt. Die Schließungsprämie diene der Aufrechterhaltung der operativen Stabilität durch Schaffung eines finanziellen Anreizes ausschließlich für potentiell abwanderungswillige Arbeitnehmer zum längeren Verbleib im Betrieb und stelle ein „legitimes“ Ziel iSv. § 10 S. 1 AGG dar, da die Förderung zukünftiger Betriebstreue der Arbeitnehmer als rechtmäßiges Ziel anerkannt sei und zugleich der Eintritt der Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt im Sinne einer Verteilung auf der Zeitschiene eine auf den Arbeitsmarkt wirkende Maßnahme darstelle. Durch die Betriebsvereinbarung könne die Gefahr gemindert werden, dass sich die Arbeitnehmer der Beklagten – wie es zu befürchten gewesen wäre, wenn große Teile bereits unmittelbar mit Bekanntwerden der Schließungsprämie auf dem Arbeitsmarkt aktiv geworden wären – gegenseitig in ihren Bewerbungschancen „blockieren“, weil sie zeitgleich um dieselben freien Stellen bei anderen Arbeitgebern konkurrierten. Die Bewerbungs- und Austrittphase könne so über einen längeren Zeitraum „gestreckt“ werden. Eine mittelbare Diskriminierung scheide aus, weil die Regelung ein rechtmäßiges Ziel nach § 3 Abs. 2 AGG verfolge. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Gegen dieses dem Kläger am 26. Februar 2020 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die er mit einem beim Landesarbeitsgericht am 19. März 2020 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am 1. April 2020 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Der Kläger und Berufungskläger macht auch in der Berufungsinstanz geltend, er werde durch die Regelungen in der Betriebsvereinbarung Schließung unmittelbar wegen seines Alters benachteiligt. Alle Arbeitnehmer hätten sich in einer vergleichbaren Situation befunden, nämlich Ende 2017 von einer Betriebsänderung betroffen zu sein und entscheiden zu müssen, ob sie sich in den folgenden zwei Jahren bis zur endgültigen Schließung des Betriebs am 31. Dezember 2019 um ein Anschlussarbeitsverhältnis bemühen sollten oder – im Hinblick auf eine in Aussicht gestellte Prämie – Bewerbungen noch zurückstellen sollten. Auf das „Fluktuationsrisiko“ könne nicht abgestellt werden, da dies nur eine innere Motivationslage der Arbeitnehmer wiederspiegele und nicht die objektive Lage. Die Betriebsparteien hätten in der Präambel der BV-Schließung den Zweck der Prämie abschließend definiert. Danach sei Zweck der Schließungsprämie ausschließlich die Gewährleistung der Funktionstüchtigkeit des Standorts, für die die Motivation der Arbeitnehmer zum Verbleib unmaßgeblich sei. Hinsichtlich dieses Zwecks hätten sich alle Arbeitnehmergruppen in einer vergleichbaren Lage befunden. Dieser Zweck aber rechtfertige keine an das Alter anknüpfende Differenzierung der Arbeitnehmergruppen. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts stelle die Schließungsprämie auch keine arbeitsmarktlich wirkende Maßnahme dar. Vielmehr würde durch die Schließungsprämie ja gerade der Zeitraum, in dem die Arbeitnehmer sich um andere Arbeitsverhältnisse bemühen würden, reduziert. Auch die sonstigen Rechtfertigungsgründe des Arbeitsgerichts würden nicht greifen. Es liege eine altersbedingte Benachteiligung vor, die nicht iSd. § 10 AGG unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Europäischen Richtlinie und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gerechtfertigt sei. Die Abgeltungsklausel in der Aufhebungsvereinbarung stehe dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Es fehle dazu insbesondere an einem Einverständnis des Betriebsrats. Die von der Beklagten eingereichte E-Mail erstrecke sich gerade nicht auf einen Ausschluss der Schließungsprämie. Im Übrigen sei der Anspruch vom Wortlaut der Abgeltungsklausel in der Aufhebungsvereinbarung nicht erfasst.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Januar 2020 – 3 Ca 6018/19 -, dem Kläger zugestellt am 26. Februar 2020, wird abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 60.000,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 2. Januar 2020 zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil mit Rechtsausführungen zur Zulässigkeit eines Ausschlusses der rentennahen Jahrgänge von der Schließungsprämie. Hauptzweck der Prämienregelung sei das Erreichen einer operativen Stabilität. Dieser Zweck habe dadurch erreicht werden können, dass eine Prämie an diejenigen Arbeitnehmer gezahlt werden, bei denen ein erhöhtes Fluktuationsrisiko bestehe. Dies sei nach einer zulässigen Einschätzung der Betriebsparteien bei typisierender prognostischer Betrachtung bei den rentenberechtigten Arbeitnehmern nicht der Fall gewesen. Im Ergebnis der Prognose seien sie zulässigerweise zu dem Ergebnis gekommen, das Rentner und erst Recht rentenberechtigte Arbeitnehmer keines finanziellen Anreizes bedurft hätten, um sie zum Bleiben zu bewegen. Eine Vergleichbarkeit der rentenberechtigten oder der sonstigen Arbeitnehmer liege bereits nicht vor. Jedenfalls aber sei eine etwaige Ungleichbehandlung durch ein legitimes Ziel iSd. § 10 Abs. 1 AGG gerechtfertigt, das mit angemessenen und erforderlichen Mitteln erreicht werde. Die Differenzierung sei geeignet, erforderlich und angemessen zur Zielerreichung. Zudem seien Ansprüche des Klägers aufgrund der vertraglichen Ausschlussklausel verfallen. § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG finde keine Anwendung, da es sich insoweit um einen individualrechtlichen Anspruch handele. Jedenfalls aber habe der Betriebsrat mit seiner Mail einem entsprechenden Verzicht des Klägers zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen in den mündlichen Verhandlungsterminen Bezug genommen.
1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht gemäß §§ 64 Abs. 6 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden. Die Berufung des Klägers ist daher zulässig.
2. Die Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der Schließungsprämie in Höhe von 60.000,00 Euro gemäß § 3 BV-Schließung zu. Er ist nicht vor dem 30. Juni 2019 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Soweit § 3 Abs. 1 der Betriebsvereinbarung den Kläger aus dem anspruchsberechtigten Personenkreis ausschließt, erweist sich diese Regelung wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot aufgrund des Alters in § 75 Abs. 1 BetrVG iVm. § 7 Abs. 1, 2 AGG unwirksam. Ansprüche des Klägers sind auch nicht aufgrund der im Aufhebungsvertrag vorgesehenen Ausgleichsklausel verfallen.
2.1 Nach § 3 Abs. 1 BV-Schließung erhöht sich für Arbeitnehmer, die nicht vor dem 30. Juni 2019 aus ihrem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausscheiden, die Abfindung nach dem Sozialplan um 60.000,00 Euro brutto. Der Kläger fällt unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung Schließung. Nach § 1 gilt die Vereinbarung persönlich für die vom Geltungsbereich des Interessenausgleichs und des Sozialplans erfassten Arbeitnehmer. Dazu zählt auch der Kläger, da er Arbeitnehmer des Standortes Berlin war (§ 1 und 2 BV Interessenausgleich, § 1 Ziff. 2 BV Sozialplan). Weiterhin erfüllt er die unter § 3 Abs. 1 BV Schließung geregelten Anspruchsvoraussetzungen. Unstreitig ist er nicht vor dem 30. Juni 2019 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Nach dem Aufhebungsvertrag endet das Arbeitsverhältnis erst zum 30. November 2019.
Der Kläger ist auch nicht deshalb vor dem 30. Juni 2019 ausgeschieden, weil er einvernehmlich – wie in der Aufhebungsvereinbarung geregelt - bereits ab dem 1. Oktober 2018 bis zum rechtlichen Ende des Anstellungsverhältnisses unter Anrechnung sämtlicher bis dahin noch bestehender Urlaubs-, Freizeitausgleichs- und Mehrarbeitsansprüche unwiderruflich von seiner Arbeitsleistung freigestellt wurde und damit nicht mehr zum operativen Geschäft beitragen konnte.
Die Betriebsparteien haben in der Betriebsvereinbarung den Begriff des „Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis“ verwendet. Das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis setzt aber – anders als das Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis – die rechtliche Beendigung des Arbeitsvertrages voraus. Erst dann scheidet ein Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis aus. Dass die Betriebsparteien mit dem „Ausscheiden des Arbeitsverhältnisses“ die rechtliche Beendigung des Arbeitsvertrages gemeint haben, wird zudem nachhaltig verdeutlicht durch die Regelung zur Zahlung des Betrages von 60.000,00 Euro. Dieser sollte den Abfindungsbetrag aus dem Sozialplan erhöhen. Der Abfindungsanspruch nach § 3 des Sozialplans setzte aber einen betriebsbedingten Arbeitsplatzverlust durch Kündigung des Arbeitgebers, Eigenkündigung oder Abschluss eines Aufhebungsvertrages voraus, mithin die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Darauf stellt auch die ausdrückliche Regelung zur Fälligkeit in Ziffer 10 Abs. 2 zu § 3 ab.
Rechtlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist der Kläger erst zum 30.11.2019. Die unwiderrufliche Freistellung diente der Gewährung etwa noch offener Urlaubsansprüche etc., die gerade den Bestand des Arbeitsvertrages voraussetzt.
2.2 Dem Anspruch des Klägers aus der Betriebsvereinbarung steht nicht entgegen, dass der Kläger nach § 3 Abs. 1 Satz 2 BV Schließung aus dem anspruchsberechtigten Personenkreis ausgeschlossen ist. Diese Regelung verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung und ist damit nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.
2.2.1 Nach § 3 Abs. 1 BV-Schließung sind anspruchsberechtigt nur diejenigen Arbeitnehmer, die von § 2 Abs. 2 Buchst. a des Sozialplans erfasst sind. Gemäß § 2 Abs. 2 a Sozialplan iVm. § 2 Abs. 2 b und c fallen darunter u.a. nicht die rentenberechtigten Arbeitnehmer, also solche die – wie auch der Kläger - unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf den Bezug einer vorgezogenen gesetzlichen Altersrente (ggf. unter Hinnahme von Abschlägen) haben (§ 2 Abs. 2 c). Der Kläger hat seit dem 1. Februar 2018 einen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Mithin würde der Kläger nach den Regelungen der Betriebsvereinbarung nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis zählen.
2.2.2 Der Ausschluss der rentenberechtigten Arbeitnehmer von der Schließungsprämie verstößt jedoch gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG und ist damit unwirksam.
2.2.2.1 Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 75 Abs. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in der Vorschrift genannten Gründen unterbleibt. Die Vorschrift enthält nicht nur ein Überwachungsgebot, sondern verbietet zugleich Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Der Gesetzgeber hat die in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote in § 75 Abs. 1 BetrVG übernommen. Die unterschiedliche Behandlung der Betriebsangehörigen aus einem in § 1 AGG genannten Grund ist daher nur unter den im AGG normierten Voraussetzungen zulässig (vgl. BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – NZA 2019, 1295 Rn 30; BAG 13. Oktober 2015 – 1 AZR 853/13 – Rn 17 mwN., BAGE 153, 46).
Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. also wegen des Alters, benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen dieses Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der Begriff der Benachteiligung bestimmt sich nach § 3 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 S. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, also auch des Alters, eine weniger günstige Benachteiligung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung kann allerdings nach § 10 AGG unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig sein. § 10 S. 1 und S. 2 AGG gestatten die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters, wenn diese objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und wenn die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn 31; BAG 9. Dezember 2014 – 1 AZR 102/13 Rn 20, BAGE 150, 136).
2.2.2.2 Der in § 3 Abs. 1 BV-Schließung iVm. § 2 Abs. 2 b und c geregelte Ausschluss des Klägers aus dem anspruchsberechtigten Personenkreis wegen des möglichen Bezugs einer Altersrente nach dem Ausscheiden bewirkt eine unmittelbare Benachteiligung gerade wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG. Denn der Bezug einer Altersrente ist untrennbar mit dem Erreichen eines bestimmten Alters verbunden (vgl. EuGH 12. Oktober 2010 – C-499/08 - [Andersen] Rn 23; BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn 32). Der Nachteil für den Kläger ist eindeutig. Nach § 3 Abs. 1 BV Schließung stünde dem Kläger eine Schließungsprämie in Höhe von 60.000 Euro zu, die ihm aufgrund der Einschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises nicht gewährt wird.
2.2.2.3 Der Kläger befindet sich in einer vergleichbaren Situation mit den jüngeren Arbeitnehmern, die nicht vor dem 30. Juni 2019 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind und damit hinsichtlich der Schließungsprämie anspruchsberechtigt sind.
2.2.2.3.1 Das Benachteiligungsverbot des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt eine „vergleichbare Situation“ voraus. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG, die ebenfalls eine vergleichbare Situation voraussetzt, unverändert umgesetzt. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht davon aus, dass eine unmittelbare Benachteiligung nur dann vorliegt, wenn sich die betroffenen Personen in einer vergleichbaren Lage mit den Nichtdiskriminierten befinden. Die Situationen müssen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt sein, sondern muss spezifisch und konkret für die betreffende Leistung erfolgen (EuGH 10. Mai 2011 - C-147/08 - [Römer] Rn. 41 f.). Der Vergleich der jeweiligen Situationen ist daher fallbezogen anhand des Zwecks und der Voraussetzungen für die Gewährung der fraglichen Leistungen festzustellen (BAG Urteil vom 21. November 2017 – 9 AZR 141/17 – AP Nr 9 zu § 7 AGG; 12. Mai 2016 - 6 AZR 365/15 - Rn. 29, BAGE 155, 88; 17. November 2015 - 1 AZR 938/13 - Rn. 24 mwN, BAGE 153, 234).
2.2.2.3.2 Zunächst fällt der Kläger unter den persönlichen Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung Schließung. Den Zweck der Schließungsprämie nach § 3 Betriebsvereinbarung Schließung haben die Betriebsparteien in der Präambel unter 4. definiert. Danach hatte die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt ein Interesse daran, die operative Stabilität des Standorts Berlin bis zum Zeitpunkt seiner endgültigen Schließung zum 31.12.2019 zu erhalten. Diesem Interesse sollte die Auslobung der Schließungsprämie dienen, indem sie den Arbeitnehmern einen finanziellen Anreiz dafür bot, nicht vor dem 30.06.2019 aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Damit hatte, auch wenn die Schließungsprämie als Abfindungserhöhung zu zahlen war, diese Schließungsprämie keine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Sie belohnte das Verbleiben der jeweiligen Arbeitnehmer im Betrieb bis zum 30. Juni 2019; dies geschah aus unternehmerischen Gründen, nämlich zur Sicherung der ordnungsgemäßen operativen Tätigkeit.
Bezogen auf den Zweck, der mit der Schließungsprämie erreicht werden sollte, nämlich der Sicherung der operativen Stabilität durch gewünschten Verbleib bis zum 30. Juni 2019, befanden sich aber sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation, unabhängig davon, ob sie rentenberechtigt, rentennah oder nicht rentenberechtigt waren. Sie waren von einem betriebsbedingten Wegfall ihres Arbeitsplatzes betroffen und wurden – jedenfalls nach der Prognose bei Abschluss der Betriebsvereinbarung - für die operative Stabilität benötigt. Die Betriebsvereinbarung differenziert nicht etwa nach einzelnen Arbeitnehmergruppen, die aufgrund ihrer Funktionen in besonderer Weise für die operative Stabilität erforderlich gewesen wären und an denen ein besonderes Interesse für die Wahrung der operativen Stabilität bestanden hätte. Bei Abschluss der Betriebsvereinbarungen war es das Ziel, sämtliche Mitarbeiter bis zum 30. Juni 2019 zu halten. Insofern aber befanden sich alle Mitarbeiter in einer vergleichbaren Lage. Der Umstand, dass die Betriebsparteien eine unterschiedliche Einschätzung zur Motivation der Mitarbeiter hinsichtlich des Verbleibs hatten, ändert an der objektiv vergleichbaren Lage nichts. Ob die Annahme der Betriebsparteien, bei den rentennahen Mitarbeitern bedürfe es eines finanziellen Anreizes nicht, eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters rechtfertigen kann, ist aber allein anhand des Rechtfertigungsmaßstabes von § 10 AGG zu prüfen.
An der vergleichbaren Situation fehlt es nicht deshalb, weil sich die Parteien in der individuellen Aufhebungsvereinbarung auf eine unwiderrufliche Freistellung des Klägers ab dem 1. Oktober 2018 geeinigt hatten und der Kläger dementsprechend ab diesem Zeitpunkt keine Arbeitsleistung für die Beklagte mehr erbracht hat. Dass der Kläger bei Abschluss der Betriebsvereinbarung bereits als einer derjenigen definiert worden wäre, der für die operative Stabilität nicht erforderlich sein würde, oder dass dies per se für die rentenberechtigten Jahrgänge gelten sollte, findet in der Betriebsvereinbarung keinen Niederschlag. . Zwischen dem Abschluss der Betriebsvereinbarung und dem Aufhebungsvertrag mit dem Kläger liegt mehr als ein halbes Jahr. Insofern kann dahinstehen, ob – wie die Beklagte behauptet – dem Kläger, der Beklagten und dem Betriebsrat stets klar gewesen sei, dass der Kläger nicht dazu beitragen würde, die Aufrechterhaltung der operativen Abläufe vor Ort zu gewährleisten.
2.2.2.4 Die unterschiedliche Behandlung des Klägers wegen seines Alters ist indes nicht nach § 10 AGG zulässig.
2.2.2.4.1 Nach § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 S. 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 S. 3 AGG enthält eine Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen insbesondere gerechtfertigt sein können.
Mit diesen Regelungen hat der Gesetzgeber die Vorgaben aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) in nationales Recht umgesetzt. Die Prüfung der Zulässigkeit einer auf dem Alter beruhenden unterschiedlichen Behandlung hat daher unter Beachtung der RL 2000/78/EG und der zu ihrer Auslegung ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Gerichtshof) zu erfolgen (vgl. z.B.BAG Urteil vom 25. Oktober 2017 – 7 AZR 632/15 –, AP Nr 163 zu § 14 TzBfG). Legitime Ziele iSv. § 10 Satz 1 AGG sind wegen der in Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG genannten Beispielsfälle „Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung“ sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung (BAG, Urteil vom 16. Juli 2019 – 1 AZR 842/16 –, AP Nr 242 zu § 112 BetrVG 1972 vgl. etwa EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 81 mwN; vgl. auch BVerfG 24. Oktober 2011 - 1 BvR 1103/11 - Rn. 15). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union stellt die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer, die der Notwendigkeit der für einen Sozialplan nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel Rechnung trägt, ein legitimes Ziel iSd. unionsrechtlichen Vorgaben dar (vgl. EuGH 6. Dezember 2012 - C-152/11 - [Odar] Rn. 40 ff., 68; 19. September 2018 - C-312/17 - [Bedi] Rn. 61). Dem entspricht die Regelung in § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG, wonach die Betriebsparteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorsehen können, in der sie die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigen (Alt. 1), oder auch Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausschließen, weil diese, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld I, rentenberechtigt sind (Alt. 2).
2.2.2.4.2 Unter Beachtung der obigen Grundsätze fehlt es bei der hier differenzierenden Regelung bereits an einem legitimen Ziel im Sinne von § 10 AGG, das eine Ungleichbehandlung wegen des Alters rechtfertigen könnte. Ausweislich der Präambel zu dieser Betriebsvereinbarung ist Ziel der Schließungsprämie, die Funktionsfähigkeit des operativen Geschäftes zu erhalten. Dabei handelt es sich um ein –unternehmerisch – nachvollziehbares Ziel, nicht jedoch um ein sozialpolitisches Ziel aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung. Soweit die Beklagte darauf abstellt, die Schließungsprämie ziele darauf ab, dass die Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum verteilt auf dem Arbeitsmarkt kommen und nicht in Konkurrenz um Arbeitsplätze treten, vermochte die Kammer ein solches Ziel in der Schließungsprämie nicht zu erkennen. Abgesehen davon, dass die Präambel von anderen Zielen spricht, wäre die Schließungsprämie zur Erreichung dieses Ziels auch nicht geeignet. Denn durch den erheblichen finanziellen Anreiz, bei der Beklagten bis zum 30. Juni 2019 in einem Arbeitsverhältnis zu bleiben, reduziert sich der Zeitraum für die Arbeitnehmer, um anderweitige Arbeitsplätze zu suchen. Die Vorbereitung eines Arbeitsplatzwechsels im Hinblick auf den bevorstehenden Arbeitsplatzverlust mit Blick auf den Zeitpunkt der Schließungsprämie war in gleicher Weise möglich, wie sie ohne diese Schließungsprämie gewesen wäre. Im Übrigen genügt die bloße Behauptung, bestimmte Maßnahmen dienten der Beschäftigungspolitik nicht (EuGH 05.03.2009 – NZA 2009, 305).
Die Betriebsvereinbarung Schließung fällt auch nicht unter die Regelung in § 10 S. 3 Nr. 6 AGG. Es handelt sich bei der Betriebsvereinbarung nicht um einen Sozialplan. Auch dient die dort enthaltene Leistung – auch wenn die Schließungsprämie als Erhöhung der Abfindung ausgestaltet ist - nicht dem Ausgleich oder der Abmilderung voraussichtlich entstehender wirtschaftlicher Folgen eines durch Betriebsänderung verursachten Arbeitsplatzverlustes. Dies zeigt sich zum einen an den Bestimmungen in der Präambel, zum anderen daran, dass sie in gleicher Höhe – unabhängig von voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Folgen eines durch Betriebsänderung verursachten Arbeitsplatzverlustes - an alle nicht rentenberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgezahlt wird, die nicht vor dem 30. Juni 2019 ausscheiden. Auch wenn die Beklagte dies als zusätzliches finanzielles Polster für Arbeitssuchende bezeichnet, ist sie gerade nicht ein Ausgleich für die Zukunft entsprechend der Bedürfnisse der betroffenen Arbeitnehmer, sondern der Preis, den die Betriebsparteien als ausreichend bemessen haben, um die Arbeitnehmer bis zum 30.06.2019 zu halten. Die Regelung in § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG hat den Hintergrund, dass mit dem Alter eine wirtschaftliche Absicherung verbunden ist, die es erlaubt, Leistungen, die die mit einem Arbeitsplatzverlust verbundenen wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen sollen, zu minimieren oder ganz zu streichen. Darum geht es hier aber nicht. Hintergrund der Differenzierung ist nicht, dass die rentennahen Jahrgänge wirtschaftlich abgesichert sind, sondern dass die Betriebsparteien davon ausgegangen sind, sie würden auch ohne die Schließungsprämie bis über den 30.06.2019 hinaus bleiben. Insofern geht es hier um die finanziellen Interessen des Unternehmens, nämlich letztlich um die Vorstellung, hinsichtlich dieser (21) Arbeitnehmer, Aufwendungen einzusparen. Der Wunsch und die Erwartung, Aufwendungen zu ersparen, ist aber kein zulässiges Ziel iSv § 10 AGG.
2.2.2.4.3 Aber auch wenn die Betriebsvereinbarung Schließung ein legitimes von § 10 Satz 1 AGG getragenes Ziel verfolgen würde, erweist sich die unterschiedliche Behandlung nicht als zulässig, weil sie nicht angemessen und erforderlich zur Erreichung des Ziels ist.
Zwar ist es richtig, dass die Schließungsprämie per se als Mittel geeignet ist, um das mit ihr verfolgte Ziel, Verbleiben der Arbeitnehmer bis zum 30. Juni 2019 zu erreichen. Dazu ist jedoch die Differenzierung zwischen denjenigen Arbeitnehmern, die bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis noch keinen Anspruch auf (vorgezogene) Rente haben und denjenigen Arbeitnehmern, die einen solchen Anspruch haben, weder nötig noch angemessen, um dieses Ziel zu erreichen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Beklagte auch die älteren Arbeitnehmer grundsätzlich für die Erhaltung der Produktivität ihres Standortes bis zum 30. Juni 2019 benötigte.
Für die Angemessenheit des Ausschlusses des Klägers aus dem anspruchsberechtigten Personenkreis kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, der Kläger habe aufgrund der Betriebsvereinbarung mehr erhalten, als er ohne Betriebsänderung hätte erhalten können. Die Sachverhalte sind nicht vergleichbar. Die dem Kläger nach Abschluss der Aufhebungsvereinbarung zustehende Schnellentscheiderprämie hat einen gänzlich anderen Zweck, nämlich die Herstellung von Rechtssicherheit für die Beklagte. Die ihm gewährte Abfindung diente dem Ausgleich zukünftiger Nachteile bis zum Renteneintritt.
2.2.3 Verstößt die Regelung zum anspruchsberechtigten Personenkreis aber gegen § 3 AGG, erweist sich der Ausschluss des Klägers aus dem Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung nach § 7 Abs. 2 AGG als unwirksam, mit der Folge, dass der Kläger einen Anspruch auf Zahlung der Schließungsprämie gemäß § 3 BV Schließung hat.
2.3 Ansprüche des Klägers sind nicht aufgrund der Ausgleichsklausel im Aufhebungsvertrag ausgeschlossen. Zwar umfasst die Ausgleichsklausel auch die hier im Streit stehenden Ansprüche des Klägers auf Zahlung einer Schließungsprämie. Für einen wirksamen Ausgleich wäre es indes erforderlich, dass der Betriebsrat dem in einer solchen Ausgleichsklausel innewohnenden Verzicht auf Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung zugestimmt hätte. Nach § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG ist ein Verzicht auf den Arbeitnehmern durch in einer Betriebsvereinbarung eingeräumte Rechte nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Dazu zählen auch Ansprüche, die sich aus einer diskriminierungsfreien Anwendung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung ergeben (BAG Urteil vom 16. Juli 2019 – 1 AZR 842/16 –). Die Zustimmung des Betriebsrates setzt neben dem ordnungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats gemäß § 33 BetrVG voraus, dass sie für den einzelnen konkreten Verzicht des Arbeitnehmers erteilt wird (BAG 27. Januar 2004 – 1 AZR 148/03 – BAGE 109, 244 – 253).
Eine solche Zustimmung hat der Betriebsrat hier nicht erteilt. Zwar ist es richtig, dass der Betriebsrat mit E-Mail vom 12. Juni 2018 mitgeteilt hat, der Kläger sei mit den genannten Konditionen einverstanden. Die E-Mail beschränkt sich allerdings auf die dort aufgeführten Konditionen „Aufhebung zum 30. November 2019“ und „unwiderrufliche Freistellung“. Nicht enthalten war der Hinweis, die Ausgleichsklausel solle ebenfalls etwaige Ansprüche des Klägers auf eine diskriminierungsfreie Anwendung der Betriebsvereinbarung umfassen. Dementsprechend bezog sich die vom Betriebsrat erteilte Zustimmung auch nicht auf einen Verzicht des Klägers auf eine diskriminierungsfreie Anwendung der Betriebsvereinbarung.
3. Aus diesen Gründen bestand ein Anspruch des Klägers auf Zahlung der Schließungsprämie. Das Urteil des Arbeitsgerichts war auf die Berufung des Klägers hin abzuändern und die Beklagte zur Zahlung der 60.000,00 Euro zu verurteilen.
Als unterlegende Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (j§ 91 ZPO). Die Zulassung der Revision kam vorliegend nicht in Betracht, da es sich um eine an einem Einzelfall orientierte Entscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung handelt.