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Entscheidung 5 O 25/14


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 5. Zivilkammer Entscheidungsdatum 16.04.2014
Aktenzeichen 5 O 25/14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Verhandlung des Rechtsstreits wird gemäß § 148 ZPO analog ausgesetzt, bis der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) in der Rs. C-226/13 das von dem Landgericht Wiesbaden mit Beschluss vom 18. April 2013 (2 O 236/12, juris = F. ./. Hellenische Republik) veranlasste und am 29. April 2013 bei dem EuGH eingegangene Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV zu folgender Vorlagefrage beantwortet hat:

„Ist Art. 1 der VO (EG) Nr. 1393/2007 des Rates vom 13. 11. 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen [in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 1348/2000 des Rates] (ABl. L 324, S. 79) dahingehend auszulegen, dass eine Klage, mit der ein Erwerber von Schuldverschreibungen, die die Beklagte emittierte, die im Wertpapierdepot des Klägers bei der S-AG & Co. KG verwahrt wurden, und der das von der Beklagten Ende Februar 2012 unterbreitete Umtauschangebot nicht angenommen hatte, Schadensersatz in Höhe der Wertdifferenz im Hinblick auf einen im März 2012 gleichwohl vorgenommenen und ihm wirtschaftlich nachteiligen Umtausch seiner Schuldverschreibungen verlangt, als „Zivil- oder Handelssache" im Sinne der Verordnung anzusehen.“

Die Aussetzung endet desgleichen, wenn der EuGH zuvor eines der parallel von dem Landgericht Wiesbaden eingereichten Vorabentscheidungsersuchen in Rs. C-245/13 (P. ./. Hellenische Republik) oder Rs. C-247/13 (R. ./. Hellenische Republik) entscheidet.

Gründe

I.

Der Kläger, der seinem Vortrag zufolge am 1. Februar 2011 griechische Staatsanleihen zu einem Nominalwert von 11.000 € erwarb und sich mit einem diesbezüglich im Zusammenhang mit der Finanzkrise veranlassten „Schuldenschnitt“ nicht einverstanden erklärte, erhebt Zahlungsansprüche gegen die Beklagte. Insbesondere macht er die Zahlung aus den erworbenen Anleihen nach von ihm erklärter Kündigung wie auch Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB geltend Zug um Zug gegen Gestattung der Rückbuchung der neuen „Ersatzanleihen“ (vgl. Bl. 26, 76 ff. d.A.). Er meint, der zwangsweise Umtausch der Staatsanleihen der Beklagten verstoße gegen Völkerrecht, Europarecht, bilaterales Recht sowie nationales Verfassungsrecht und damit gegen den ordre public im Sinne des „§ 6 EGBGB“, so dass die deutschen Gerichte gehalten seien, von der Nichtigkeit der betreffenden Hoheitsakte der Beklagten auszugehen. Für den weiteren Sachverhalt wird auf die Klageschrift verwiesen (Bl. 6 ff. d.A.).

Aus dem im Tenor bezeichneten Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Wiesbaden (Beschluss vom 18. April 2013 - 2 O 236/12, juris Rn. 11) ist bekannt, dass in einem weiteren vor dem Landgericht Wiesbaden zu 5 O 258/12 geführten Verfahren das Bundesamt für Justiz Zweifel an der Einordnung einer gegen die Hellenische Republik wegen des „Schuldenschnitts“ auf zivilrechtliche Ansprüche gestützten Klage als Zivilsache geäußert und die weitere Vorgehensweise davon abhängig gemacht hat, dass das Gericht zunächst entscheiden müsse, ob eine Zivilrechtsstreitigkeit vorliege.

II.

1. Für die Rechtsfrage, ob die Zustellung der Klage hier nach den den internationalen Rechtsverkehr vereinfachenden Regelungen der VO (EG) Nr. 1393/2007 des Rates vom 13. November 2007 (im Folgenden: EuZVO) vorgenommen werden kann, ist maßgebend, ob es sich um eine „Zivil- oder Handelssache“ im Sinne der Verordnung handelt und damit nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit („acta iure imperii“), die Art. 1 Abs. 1 Satz 2 EuZVO ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausnimmt.

a) Ob dies der Fall ist, hängt von der Frage ab, ob im Rahmen der Auslegung der Verordnung entweder - wie der Kläger meint - die jeweilige Rechtsnatur der Anspruchsgrundlage für die Qualifikation der Streitigkeit als Zivilrechtstreitigkeit maßgeblich ist oder ob stattdessen auf das entscheidungserhebliche hoheitliche Handeln der Beklagten abzustellen ist, welches öffentlich-rechtlicher Natur ist.

aa) Die Anspruchsgrundlagen, auf die sich der Kläger stützt, sind zweifellos zivilrechtlicher Natur. Die Beklagte hat sich mit der Emission und Veräußerung von Schuldverschreibungen auch auf das Gebiet des Privatrechts begeben. Schwerpunkt des Streits ist aus Sicht der Kammer indessen, ob die Beklagte durch hoheitliche Maßnahmen berechtigt war, in die Rechte des Klägers an den Schuldverschreibungen einzugreifen. Der Kläger geht davon aus, dass dies ohne seine Mitwirkung rechtswidrig war. Kernfrage des vorliegenden Rechtsstreits wird daher sein, ob der Eingriff respektive „Schuldenschnitt“ durch Hoheitsakt auch ihm gegenüber zulässig und wirksam war oder ob ihm andernfalls zivilrechtliche Erstattungsansprüche zustehen.

bb) Der EuGH hat die Frage, ob die Auslegung des Begriffs „Zivil - oder Handelssache“ im Sinne von Art. 1 EuZVO ausschließlich von der Anspruchsgrundlage oder vom entscheidungserheblichen Kern des Rechtsstreits abhängt, noch nicht entschieden. Die richtige Auslegung des Art. 1 EuZVO ist in diesen Fällen auch nicht offenkundig. Für die ungeklärte Anwendbarkeit von Art. 1 EuZVO, insbesondere die sich nach dessen Wortlaut stellende Frage, ob im Streitfall verwaltungsrechtliche Angelegenheiten sowie die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte betroffen sind, wird ergänzend auf die im Tenor bezeichnete Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden Bezug genommen, ferner auf den Aufsatz von Thole, WM 2012, 1793, 1794.

b) Die Kammer neigt derzeit dazu, wegen der ausdrücklich in der Verordnung vorgesehenen Abgrenzung zu verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten sowie der Haftung des Staates für Handlungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte nicht von einer zivilrechtlichen Streitigkeit auszugehen, denn im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht fraglos ein Rechtsakt des beklagten Mitgliedstaates. Andererseits wurden zwar die aus ähnlichem Anlass in Deutschland gegen die Republik Argentinien geführten Verfahren als zivilrechtliche Streitigkeiten eingeordnet (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Mai 2013 - XI ZR 160/12, WM 2013, 1264 ff. mwN). Dabei ist allerdings zu beachten, dass dieser Aspekt dort zum einen nicht weiter problematisiert wurde und diese Fälle zum anderen naturgemäß die hier relevante europarechtliche Vorschrift nicht betrafen.

2. Die vorstehend formulierte Frage liegt dem EuGH bereits zur Beantwortung vor, so dass ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen in dieser Sache nicht erforderlich und die Aussetzung des hiesigen Rechtsstreits angezeigt ist.

a) Auf den Umstand, ob ein Anleger primär Schadensersatz in Höhe der Wertdifferenz oder - wie der Kläger - Rückzahlungsansprüche nach Kündigung verlangt, kommt es dabei entgegen der Auffassung des Klägers (vgl. Schriftsatz vom 24. März 2014, S. 2; Bl. 97 d.A.) nicht entscheidend an. Der Kläger macht zivilrechtliche Zahlungsansprüche geltend, für deren mögliche Begründetheit der „Schuldenschnitt“ als hoheitliches Handeln gleichermaßen entscheidungserheblich ist. Die Art der zivilrechtlichen Zahlungsansprüche ist für die Frage, ob deren Geltendmachung auch dann als zivil- oder handelsrechtlicher Streit anzusehen ist, wenn die Frage ihrer Begründetheit auf dem hoheitlichen Handeln eines Mitgliedstaates beruht, nicht ausschlaggebend. Da aus Sicht der Beklagten jedenfalls ihr hoheitliches Handeln die entscheidende Einwendung sein wird, kann es insbesondere auch auf die nach dem materiellen Recht eines Mitgliedstaates zu beurteilende zivilrechtliche Struktur der Anspruchsgrundlage nicht maßgeblich ankommen. Aus Sicht der Kammer stellt sich die von dem Landgericht Wiesbaden dem EuGH vorgelegte Rechtsfrage deshalb im Streitverfahren in gleicher Weise wie in dem Vorlageverfahren. Dies gilt umso mehr, als der Kläger ausdrücklich jedenfalls auch Schadensersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB geltend macht (vgl. Klageschrift, S. 26 und 76 ff.).

b) Für die nach deutschem Zivilprozessrecht gemäß § 148 ZPO analog zulässige Verfahrensaussetzung ohne eigenes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH wird verwiesen auf den Beschluss des Bundsgerichtshofs vom 11. April 2013 - I ZR 76/11, juris Rn. 5 mwN (vgl. dazu ferner LG Darmstadt, Beschluss vom 29. Oktober 2008 - 7 S 200/08, NJW-RR 2009, 858; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 148 Rn. 2; Musielak/Stadler, ZPO, 10. Aufl., § 148 Rn. 16).