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Umweltinformationen; Zugang; einstweilige Anordnung; Vorwegnahme der Hauptsache; Anordnungsgrund; schwere und unzumutbare Nachteile; anhängige Verfassungsbeschwerden; gleichberechtigte Teilnahme; Substantiierung des Vortrags im Verfassungsbeschwerdeverfahren


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 23.05.2014
Aktenzeichen OVG 12 S 26.14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 3 Abs 1 S 1 UIG, § 123 Abs 1 VwGO

Leitsatz

Die bloße Absicht, bestimmte Umweltinformationen (hier: im Zusammenhang mit der Novellierung des Atomgesetzes stehende Dokumente des Bundeskanzleramtes) aus Gründen der Sach- und Verfahrensdienlichkeit zum Gegenstand des Vorbringens in bereits anhängigen Verfassungsbeschwerde-verfahren zu machen, vermag einen Anordnungsgrund für eine im Wege der einstweiligen Anordnung begehrte Vorwegnahme der Hauptsache nicht zu begründen.

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5 000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin, ein Unternehmen der Energiebranche, begehrt Zugang zu Informationen des Bundeskanzleramtes, die im Zusammenhang mit der Erarbeitung, Beratung und Verabschiedung des 13. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes stehen.

Auf den von der Antragstellerin im November 2011 gestellten Antrag gewährte das Bundeskanzleramt mit Teilbescheid vom 23. März 2012 Zugang zu insgesamt 109 die Novellierung des Atomgesetzes betreffenden Dokumenten, lehnte den Zugang zu 52 Dokumenten unter Hinweis auf das Vorliegen gesetzlicher Ausschlussgründe ab und stellte die Entscheidung hinsichtlich weiterer 15 Dokumente vorläufig zurück; mit als „Schlussentscheidung“ bezeichnetem Bescheid vom 16. Mai 2012 wurde der Antragstellerin auch Zugang zu den letztgenannten Unterlagen gewährt. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erhielt die Antragstellerin Zugang zu weiteren, u.a. versehentlich im ersten Bescheid nicht berücksichtigten Dokumenten. Im Übrigen wies die Antragsgegnerin den Widerspruch hinsichtlich der unter Abschnitt III. im Einzelnen aufgeführten Einzeldokumente unter Vertiefung der bereits im Teilbescheid angeführten Ablehnungsgründe mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2012 zurück.

Mit der gegen die vorgenannten Bescheide gerichteten Verpflichtungsklage verfolgt die Antragstellerin ihr Informationsbegehren im Hauptsacheverfahren weiter. Das Verwaltungsgericht hat der Klage, nachdem sie teilweise zurückgenommen bzw. in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, mit Urteil vom 18. Dezember 2013, den Beteiligten zugestellt am 10./13. Januar 2014, stattgegeben (VG 2 K 249.12). Hinsichtlich der noch streitbefangenen, im Widerspruchsbescheid unter III. genannten 31 Dokumente stehe der Antragstellerin nach § 3 Abs. 1 Satz 1 UIG ein Anspruch auf Informationszugang zu. Auf die geltend gemachten Ablehnungsgründe des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 UIG könne sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg berufen. Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Antragsgegnerin Berufung eingelegt, die beim Senat zum Aktenzeichen OVG 12 B 6.14 anhängig ist.

Im vorliegenden Eilverfahren begehrt die Antragstellerin unter Hinweis auf die von ihr bzw. ihren Tochtergesellschaften erhobenen Verfassungsbeschwerden gegen die 13. Atomgesetz-Novelle Zugang zu fünf der im Hauptsacheverfahren insgesamt streitbefangenen Dokumente.

II.

Der Eilantrag der Antragstellerin,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, ihr Zugang zu den im Widerspruchsbescheid des Bundeskanzleramtes vom 10. September 2012 unter Abschnitt III. laufende Nummern 17, 20, 39, 40 und 45 genannten Dokumenten zu gewähren, soweit diese im Zusammenhang mit der Erarbeitung, Beratung und Verabschiedung des 13. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes stehen (jeweils ohne eventuell vorhandene personenbezogene Daten),

hat keinen Erfolg. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt nötig erscheint. Die Antragstellerin erstrebt mit der begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Informationszugang keine vorläufige Maßnahme, sondern eine Vorwegnahme der Hauptsache. Hinsichtlich der vom Eilantrag umfassten Dokumente wäre ihr im Klageverfahren geltend gemachter Anspruch auf Informationszugang endgültig erfüllt und die Hauptsache erledigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2011 - 7 VR 6.11 - juris Rn. 6; Beschluss des Senats vom 12. November 2012 - OVG 12 S 54.12 - juris Rn. 2). Eine derartige Vorwegnahme der Hauptsache widerspricht grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes und ist daher nur ausnahmsweise zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. März 2014 - 2 BvR 2598/13 - juris Rn. 9 m.w.N.). Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung liegt nur dann vor, wenn andernfalls schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die nachträglich durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 - 6 VR 3.13 - juris Rn. 5 m.w.N.).

Diese prozessualen Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes gelten auch im Bereich des Umweltinformationsrechts. Weder das Umweltinformationsgesetz noch die ihm zu Grunde liegende Umweltinformationsrichtlinie (Richtlinie 2003/4/EG vom 28. Januar 2003) sehen spezielle Erleichterungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor. Ob ein Anordnungsgrund für die Durchsetzung des Informationsbegehrens im Wege der einstweiligen Anordnung besteht, bedarf auch insoweit der Prüfung im jeweiligen konkreten Einzelfall (Beschluss des Senats vom 12. November 2012, a.a.O., Rn. 3).

Gemessen an den vorstehenden Maßstäben hat die Antragstellerin weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihr ohne den begehrten vorzeitigen Informationszugang schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile drohen.

Sie macht geltend, dass der Zugang zu den beanspruchten Informationen notwendige Voraussetzung für ihre vollumfängliche und gleichberechtigte Teilnahme in den derzeit beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren sei, über die voraussichtlich noch in diesem Jahr mündlich verhandelt und entschieden werde. In den Verfahren gehe es um das handwerkliche „Wie“ des Atomausstiegs, insbesondere die Frage, ob der Gesetzgeber von einem ausreichend ermittelten und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei. Vor diesem Hintergrund halte sie es für zweck- und verfahrensdienlich, zur weiteren Substantiierung ihres Vortrags im Rahmen der Verfassungsbeschwerden Informationen aus dem Gesetzgebungsverfahren zu verwenden. Die mit dem Eilantrag zur Entscheidung gestellten fünf Dokumente beträfen ausweislich der Beschreibung der Antragsgegnerin die verfassungsrechtliche Bewertung der Atomgesetz-Novelle aus Sicht der Bundesregierung sowie die Festlegung von Details der gesetzlichen Regelung in Abstimmung mit den Bundesländern. Aus den Dokumenten könnten sich Rückschlüsse über die vom Gesetzgeber herangezogene Sachverhalts- und Abwägungsgrundlage ergeben. Sie beabsichtige, diese Informationen - ebenso wie andere im Rahmen von Informationsfreiheitsgesuchen bereits erlangte Informationen - in den anhängigen Verfassungsbeschwerden zu verwenden; sie dienten letztlich dazu, dem Bundesverfassungsgericht seine Aufgabe der Auslegung und Anwendung des Verfassungsrechts im Zusammenhang mit der Novellierung des Atomgesetzes zu erleichtern.

Dieses Vorbringen vermag einen Anordnungsgrund nicht zu tragen. Substantiierte Anhaltspunkte, dass die Antragstellerin ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht in der Lage wäre, ihre Rechte in den anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren - im Sinne der von ihr reklamierten vollumfänglichen und gleichberechtigten Teilnahme - zu wahren, lassen sich der Antragsbegründung nicht entnehmen. Für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gilt der Untersuchungsgrundsatz; das Bundesverfassungsgericht ist sowohl berechtigt als auch verpflichtet, den für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt ohne Bindung an das tatsächliche Vorbringen der Prozessbeteiligten selbständig zu ermitteln (Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 299). Dies gilt uneingeschränkt auch in den hier in Rede stehenden Verfassungsbeschwerdeverfahren, die sich unmittelbar gegen gesetzliche Regelungen richten. Soweit sich die verfassungsrechtliche Kontrolle, wie von der Antragstellerin unter Bezugnahme auf das Mitbestimmungsurteil (BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, BVerfGE 50, 290) geltend gemacht, auch auf die Prüfung gesetzgeberischer Prognosen zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen erstreckt, ist das Bundesverfassungsgericht gleichfalls nicht an das Vorbringen der Beteiligten gebunden. Vielmehr kann und muss es gegebenenfalls im Rahmen seiner eigenständigen Kompetenz zur Sachverhaltsaufklärung die dem Gesetz zu Grunde liegenden Tatsachen und Bewertungen des Gesetzgebers, die für seine Überzeugungsbildung maßgeblich sind, von Amts wegen aufklären.

Für die Annahme, der im Eilverfahren begehrte vorzeitige Informationszugang sei notwendige Voraussetzung für eine vollumfängliche und gleichberechtigte Teilnahme der Antragstellerin in den anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren, ist danach kein Raum. Die bloße Absicht, die vom Eilantrag umfassten Dokumente in den verfassungsgerichtlichen Verfahren zu verwenden, rechtfertigt keine Vorwegnahme der Hauptsache. Nichts anderes gilt, soweit die Antragstellerin darauf verweist, die begehrten Informationen dienten dazu, dem Bundesverfassungsgericht die Auslegung und Anwendung des Verfassungsrechts im Zusammenhang mit der Novellierung des Atomgesetzes zu erleichtern; dass es einer solchen „Erleichterung“ bedarf, ist weder dargetan noch ersichtlich. Dass die Antragstellerin zur Vermeidung schwerer und unzumutbarer Nachteile auf die streitgegenständlichen Dokumente angewiesen ist, um ihre prozessualen und materiellen Rechte sachgerecht geltend machen zu können, ergibt sich auch nicht aus dem von der Antragsgegnerin eingereichten Schriftverkehr in den Verfassungsbeschwerdeverfahren. Der verfahrenseinleitende Schriftsatz der im Alleineigentum der Antragstellerin stehenden R… vom 8. Februar 2012 verhält sich - ebenso wie die Replik vom 5. Dezember 2013 - ausführlich zu den aus Sicht der Beschwerdeführerin nicht gewahrten Anforderungen an die gesetzgeberische Ermittlung und Bewertung der Tatsachengrundlagen bei der Umgestaltung des Atomrechts. Welche konkreten und unzumutbaren Nachteile die Antragstellerin zu gewärtigen hätte, wenn sie zur weiteren Substantiierung ihres Vortrags - über die von ihr bereits eingereichten Unterlagen hinaus - nicht auf die im hiesigen Eilverfahren streitigen fünf Dokumente zurückgreifen kann, ist unter diesen Umständen nicht erkennbar. Allein der Hinweis, dass die Antragstellerin und ihre Tochtergesellschaften eine Verwendung auch dieser Dokumente für zweck- und verfahrensdienlich halten, gibt dafür nichts her. Soweit sie meint, dass den ihr bisher nicht zugänglichen Dokumenten maßgebliche Bedeutung für die verfassungsgerichtliche Kontrolle zukommt, bleibt es ihr im Übrigen ebenso wie ihren Tochtergesellschaften unbenommen, in den anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren auf eine entsprechende weitere Sachverhaltsaufklärung hinzuwirken.

Entgegen dem Antragsvorbringen ist der vorliegende Sachverhalt danach nicht vergleichbar mit der Fallgestaltung, die der Entscheidung des Senats vom 14. Mai 2012 (OVG 12 S 12.12; NVwZ 2012, 979) zu Grunde lag. Abgesehen davon, dass in dem damaligen Fall die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unmittelbar bevorstand, war die dortige Antragstellerin nach ihrem schlüssigen Vorbringen als „Wiedereinsetzungsklägerin“ zur Begründung und Substantiierung des Vorwurfs einer bewusst falschen Abwägungsgrundlage auf die ihr nicht zugänglich gemachten Informationen angewiesen. An einer solchen schlüssigen Darlegung und Glaubhaftmachung, ohne die begehrten Informationen nicht zu einem sachgerechten und hinreichend substantiierten Vortrag in den Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Lage zu sein, fehlt es vorliegend. Eine allgemeine Aussage, dass bereits die mögliche Verwendung von Umweltinformationen in einem anhängigen „Parallelverfahren“, in dem nur eine Instanz zur Verfügung steht, einen die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Anordnungsgrund begründet, lässt sich der vorgenannten Entscheidung des Senats nicht entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).