Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 03.11.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 N 70.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 Abs 6 StrRehaG, § 3 StrRehaG, § 17a StrRehaG |
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. August 2010 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 3.000,- EUR festgesetzt.
Die Klägerin begehrt eine Opferrente nach § 17a StrRehaG. Ihre darauf gerichtete Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 30. August 2010 abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt: Die genannte Anspruchsnorm in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 13. Dezember 2007 setze tatbestandlich voraus, dass die Klägerin eine mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung von mindestens 6 Monaten erlitten habe. Das sei hier nicht der Fall, weil die durch Beschluss des Bezirksgerichts Potsdam vom 12. Mai 1992 festgestellte Dauer der Freiheitsentziehung der Klägerin lediglich 5 Monate und 29 Tage betragen habe.
Der gegen dieses Urteil gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin allein geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO liegen gemessen an ihrem vom Senat zu berücksichtigenden Rechtsmittelvorbringen nicht vor.
Zur Begründung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) führt die Klägerin aus, das angefochtene Urteil versage ihr nicht nur die Opferrente, sondern auch „die verfassungsrechtlich gewährte Rechtsweggarantie Art. 103 GG.“ Das Verwaltungsgericht stütze sich auf den Beschluss des Bezirksgerichts Potsdam vom 12. Mai 1992, ohne sich mit der unzulässigen Rückwirkung des § 1 Abs. 6 StrRehaG auseinanderzusetzen. Da das StrRehaG erst nachträglich erlassen worden sei, habe die Klägerin zum Zeitpunkt des Beschlusses des Bezirksgerichts Potsdam keine Kenntnis von der Bedeutung und der Tragweite der damaligen gerichtlichen Entscheidung gehabt. Wesentlicher Umstand des grundgesetzlich gewährten Rechtsweges sei jedoch auch, dass der Betroffene um die Folgen einer gerichtlichen Entscheidung wisse bzw. wissen könne und der Gesetzgeber nicht im Nachhinein Gesetze erlasse, die auf einer durchaus strittigen gerichtlichen Entscheidung fußen würden. Das Verwaltungsgericht sei mit Rücksicht auf den zu gewährenden Rechtsweg gehalten gewesen, den Vortrag der Klägerin zur Haftdauer erneut zu prüfen und insoweit den Zeitraum vom 17. Februar 1962 bis zum 12. November 1962 anzuerkennen.
Mit diesem Vorbringen werden weder tatsächliche noch rechtliche besondere Schwierigkeiten aufgezeigt, die eine Überprüfung des angefochtenen Urteils im Berufungsverfahren erfordern. Es ist schon unklar, welche Verfassungsnorm die Klägerin als verletzt ansieht. Art. 103 GG regelt den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht, das strafrechtliche Rückwirkungsverbot und das Verbot der Mehrfachbestrafung. Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm gem. Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg offen (Rechtsweggarantie). Für eine Verletzung dieser Verfassungsnormen, insbesondere der Rechtsweggarantie, hat die Klägerin allerdings nichts dargetan. Soweit sie sich darauf beruft, zum Zeitpunkt des Beschlusses des Bezirksgerichts Potsdam keine Kenntnis von der Bedeutung und der Tragweite der damaligen gerichtlichen Entscheidung gehabt zu haben, ist darauf hinzuweisen, dass sie gegenüber dem Bezirksgericht Potsdam im Beschwerdeverfahren ausdrücklich geltend gemacht hatte, auch der Zeitraum vom 14. August 1962 bis zum 26. Januar 1963, während dessen sie sich in der geschlossenen Abteilung der Nervenklinik der C_____ befunden habe, sei als Haftzeit anzuerkennen. Dies hat das Bezirksgericht Potsdam geprüft und mit der Begründung abgelehnt, § 7 Abs. 1 Rehabilitierungsgesetz setze für die Zuerkennung eines Anspruchs auf soziale Ausgleichsleistungen die Rehabilitierung wegen einer strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahme voraus. Um eine solche Maßnahme handele es sich bei der Unterbringung der Klägerin in der Nervenklinik der C_____ nicht, weil dem ärztlichen Gutachten vom 14. August 1962 zu entnehmen sei, dass die Unterbringung allein auf einer Erkrankung der Klägerin beruht habe, die ihre Ursache in einem früheren Sportunfall gehabt habe. Ihre Unterbringung in der Nervenklinik der C_____ habe somit auf anderen als strafrechtlichen Gründen beruht. Ein Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen hätten zwar auch solche Personen, die durch die rechtsstaatswidrige Einweisung in eine psychiatrische Anstalt Opfer im Sinne des Art. 17 des Einigungsvertrages geworden seien. Darunter fielen jedoch nur Personen, gegenüber denen eine "politisch-motivierte Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst eine rechtsstaats- und verfassungswidrige gerichtliche Entscheidung" ergangen sei. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin nicht gegeben; ihrem Aufenthalt in der Nervenklinik der Charité liege weder eine Strafverfolgungsmaßnahme noch eine gerichtliche Entscheidung zugrunde. Ob dieser Aufenthalt nach der Begründung des Beschwerdebeschlusses des Bezirksgerichts Potsdam vom 5. August 1992 unter Geltung der §§ 1 und 2 StrRehaG ebenfalls nicht anzuerkennen gewesen wäre, weil § 1 StrRehaG eine strafgerichtliche Entscheidung voraussetzt und § 2 Abs. 1 S. 2 StrRehaG als Regelbeispiel einer außerhalb eines Strafverfahrens ergangenen gerichtlichen oder behördlichen freiheitsentziehenden Entscheidung die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt benennt, die der „politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken“ gedient hat, mag dahinstehen. Denn auch wenn das Gegenteil der Fall wäre, ergäbe sich hieraus keine Rechtsschutzlücke, weil die Ausschlusswirkung nach § 1 Abs. 6 StrRehaG in Satz 2 der Vorschrift eine Ausnahme erfährt, soweit dargelegt wird, dass der frühere Antrag nach den Vorschriften dieses Gesetzes Erfolg gehabt hätte.
Ebenso wenig lässt sich den Darlegungen der Klägerin entnehmen, warum § 1 Abs. 6 StrRehaG eine unzulässige Rückwirkung entfalten sollte. Eine verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässige echte (retroaktive) Rückwirkung liegt deshalb nicht vor, weil das Gesetz nicht nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift, also keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen anordnet. Eine verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässige unechte (retrospektive) Rückwirkung liegt dann vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Die sich insoweit aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeitsprinzip ergebenden Grenzen der Zulässigkeit sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. zum vorstehenden insgesamt: BVerfG, 2. Senat, Beschluss vom 3. Dezember 1997 – 2 BvR 882/97 –, BVerfGE 97, 67, sowie Juris, Rz. 40 ff.; 1. Senat, Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 BvR 3076/08 –, BVerfGE 122, 374, sowie Juris, Rz. 63 ff.). Dass Letzteres hier der Fall ist, ergibt sich aus der Begründung des Zulassungsantrags ebenfalls nicht. Vielmehr hat die Klägerin nicht einmal dargelegt, inwieweit die vom StrRehaG angeordneten Rechtsfolgen eine ihr bereits zustehende Rechtsposition nachträglich entwertet haben sollten.
Der weiterhin geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist ebenfalls nicht begründet dargelegt. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Rechtsmittelverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer obergerichtlichen Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. zum Revisionsrecht: BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261/97 -, NJW 1997, 3328). Demgemäß fordert die Darlegung dieses Zulassungsgrundes prinzipiell die Formulierung einer solchen klärungsfähigen Rechts- oder Tatfrage von fallübergreifender Bedeutung (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 4. März 2005 - OVG 1 N 72.05 -). Schon daran fehlt es. Aber auch der Sache nach zeigt die Klägerin keine Tat- oder Rechtsfrage auf, von der die Entscheidung abhängt und die der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfte. Das gilt zum einen, soweit die Klägerin geltend macht, die tatbestandliche (Rück)anknüpfung an eine vor Inkrafttreten des StrRehaG ergangene gerichtliche Entscheidung führe zu einer Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes. Denn über den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung der Opferrente entscheidet allein die Verwaltung nach den Vorgaben des Gesetzgebers. Zum anderen erschließt sich nach dem Zulassungsvorbringen auch nicht, warum die mit Wirkung vom 9. Dezember 2010 in Kraft getretene Erstreckung der Härteregelung des § 19 StrRehaG auf besondere Zuwendungen im Sinne von § 17a StrRehaG zeige, dass das Gesetz zuvor eine Regelungslücke enthalten habe, die der "richterlichen Überprüfung und Korrektur" bedürfe. Denn grundsätzlich dürfte es im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegen, ob er die jeder „Stichtagsregelung“ immanenten Härten durch Ausnahmevorschriften abfedert. Gerade im Bereich des Wiedergutmachungs- und Schadensausgleichsrechts hat der Gesetzgeber einen besonders weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der Art der Wiedergutmachung als auch für deren Umfang. Verboten ist ihm lediglich eine willkürlich ungleiche Behandlung von in wesentlichen Punkten gleichen Sachverhalten (BVerfG, Urteil v. 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. -, zit. nach juris Rn 213 ff., 214, 217), für die hier nichts dargetan ist. Nach der Begründung der Neuregelung sollte eine Anwendung der Härtefallregelung in § 19 StrRehaG nunmehr zwar auch bei der Gewährung der besonderen Zuwendung nach § 17a StrRehaG ermöglicht werden (vgl. BT-Drs. 17/3233, S. 8). Dies belegt allerdings nur eine geänderte Einschätzung des Gesetzgebers, indiziert aber keine verfassungswidrige Unvollständigkeit der vorherigen Regelung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Dabei legt der Senat den einfachen Jahresbetrag der erstrebten Opferrente zugrunde.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).