Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 27.02.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 S 39.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 146 VwGO, § 34 Abs 1 BauGB, § 6 Abs 10 BauO BB |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. August 2011 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3.750 EUR festgesetzt.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus. Insbesondere beanstandet sie, dass der Antragsgegner die Errichtung einer Garage genehmigt hat, die mit einer Länge von 9 m und einer Höhe von 2,80 m an der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin direkt neben ihrer Terrasse entstehen soll. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt, weil Überwiegendes dafür spreche, dass die erteilte Genehmigung keine drittschützenden Rechtsnormen verletze. Das Vorhaben halte die landesrechtlich verlangten Abstandsflächen ein. Dass gleichwohl ausnahmsweise das Gebot der Rücksichtnahme wegen unzumutbarer Beeinträchtigung der nachbarlichen Belange verletzt sei, sei nicht substantiiert dargelegt. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der vorliegenden Beschwerde.
Die nach § 146 Abs. 1, Abs. 4 Sätze 1 bis 3 VwGO zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Gegenstand der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts sind dabei allein die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, soweit sie sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen, so dass der pauschale Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen keine Berücksichtigung finden kann (vgl. Kopp, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 146 Rn. 41 m.w.N.). Soweit das Vorbringen der Antragstellerin in der fristgerechten Beschwerdebegründung vom 22. September 2011 den Darlegungsanforderungen genügt, rechtfertigt es keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.
Die Antragstellerin beanstandet nicht, dass das Verwaltungsgericht eine Verletzung abstandsflächenrechtlichen Vorschriften verneint hat (vgl. zur Zulässigkeit von grenzständigen Garagen § 6 Abs. 10 BbgBO). Soweit sie gleichwohl das Gebot der Rücksichtnahme durch das Bauvorhaben verletzt sieht und insbesondere eine erdrückende Wirkung auf ihre Terrasse geltend macht, vermag der Senat dem bei der hier nur gebotenen summarischen Prüfung nicht zu folgen.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist allein der Umstand, dass die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen von einem Vorhaben eingehalten werden, in der Regel ein zuverlässiger Indikator dafür, dass keine Nachbarrechte verletzende Beeinträchtigung der durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange der Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie der Begrenzung der Einsichtnahmemöglichkeiten vorliegt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 29. September 2010 - OVG 10 S 21.10 -, BRS 76 Nr. 182, juris Rn. 10; Beschluss vom 30. Oktober 2009 - OVG 10 S 26.09 -, BRS 74 Nr. 143, juris Rn. 16). Das Abstandsflächenrecht stellt in Bezug auf die genannten Belange eine Konkretisierung des Gebots nachbarlicher Rücksichtnahme dar und ist insoweit mit diesem verzahnt (vgl. Broy-Bülow in Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, Bauordnung für Berlin, 6. Aufl. 2008, § 6 Rn. 66 m.w.N.); zumindest aus tatsächlichen Gründen wird das Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt sein, wenn die Abstandsvorschriften eingehalten sind (BVerwG, Urteil vom 11. Januar 1999 - BVerwG 4 B 128.98 -, BRS 62 Nr. 102). Nur wenn Rechte des Nachbarn durch Einwirkungen beeinträchtigt werden, gegen die das Abstandsflächenrecht keinen Schutz gewährt oder die über den abstandsflächenrechtlichen Schutzbereich und die sich daraus ergebende gesetzgeberische Wertung hinausgehen, kann ein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme vorliegen, der zur Unzulässigkeit des Bauvorhabens führt, obwohl die abstandsflächenrechtlichen Vorschriften nicht verletzt sind. Wann insoweit die (bauplanungsrechtliche) Relevanzschwelle im Einzelnen erreicht ist, lässt sich nicht anhand von verallgemeinerungsfähigen Maßstäben feststellen, sondern hängt von den jeweiligen konkreten Gegebenheiten ab. Für die Annahme einer Verletzung des Rücksichtnahmegebotes genügt es jedenfalls nicht, wenn ein Vorhaben die Situation für den Nachbarn nachteilig verändert. Vielmehr beschränken sich diese Fallgestaltungen auf Extremfälle (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 15. Januar 2007 - 1 ME 80/07 -, BRS 71 Nr. 88, juris Rn. 13 ff. unter Anführung von Fallbeispielen; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 29. September 2010, a.a.O., Rn. 10 m.w.N.; OVG LSA, Beschluss vom 12. Dezember 2011 - 2 M 162/11 -, juris Rn. 8 ff.). Diese werden vielfach mit den baurechtlichen Schlagworten einer „Hinterhofsituation“ oder „Gefängnishofsituation“, des „Gefühls des Eingemauertseins“, der „Abriegelung“ und der fehlenden „Luft zum Atmen“ beschrieben (vgl. NdsOVG, a.a.O.; OVG NW, Beschluss vom 15. Mai 2002 - 7 B 558/02 -, juris Rn. 8 ff. m.w.N.; Broy-Bülow, a.a.O., Rn. 66 m.w.N.). Mit einer solchen Situation ist die hier zu erwartende nachteilige Veränderung für das Grundstück der Antragstellerin durch das streitgegenständliche Vorhaben nicht zu vergleichen.
Die von der Antragstellerin geltend gemachte erdrückende Wirkung des Bauvorhabens auf ihre Terrasse vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Garage hat mit einer Länge von 9 m entlang der Grundstücksgrenze und einer Höhe von 2,80 m keine Größe, die bei Betrachtung aus unmittelbarer Nähe einen „erschlagenden“ Eindruck erwecken könnte. Auch das dahinter angrenzende, 4 m von der Grundstücksgrenze entfernt liegende zweigeschossige Wohnhaus mag zwar im Vergleich zu dem Haus der Antragstellerin groß erscheinen, weist jedoch mit einer Grundfläche von 9 m x 10,50 m (auf der dem Grundstück der Antragstellerin zugewandten Seite) und einer Firsthöhe von 8,65 m keine überdimensioniert wirkende Maße auf, die in einem krassen Missverhältnis zur umgebenden Bebauung stehen würden (vgl. auch § 6 Abs. 6 BbgBO zur abstandsflächenrechtlichen Privilegierung kleinerer Wohngebäude, die der Gesetzgeber für Wohngebäude mit nicht mehr als zwei oberirdischen Geschossen und nicht mehr als 9 m Gebäudehöhe geregelt hat). Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass das streitige Bauvorhaben für die Antragstellerin bei Nutzung ihrer Terrasse eine beengende und ihr Blickfeld beeinträchtigte Wirkung haben dürfte, lässt sich ihre Situation nicht mit einem „Gefängnishof“ oder einem „Eingemauertsein“ vergleichen. Dass die Terrasse dann auf drei Seiten durch Mauern begrenzt wird, ist dem Umstand geschuldet, dass sie von vornherein von zwei Wänden des L-förmigen Wohnhauses der Antragstellerin umschlossen gewesen und hinsichtlich der dritten Seite direkt an der Grundstücksgrenze angelegt worden ist, ohne dass die Antragstellerin darauf hätte vertrauen können, dass die Freifläche auf dem weitgehend unbebauten Nachbargrundstück erhalten bleiben würde. Die Terrasse wird nach Durchführung des streitigen Bauvorhabens an der Grundstücksgrenze auch nicht vollständig von der Garagenwand eingerahmt sein, vielmehr verbleibt ein schmaler Durchgang bzw. Durchblick von ca. knapp 2 m zwischen der Ecke der Garage und dem Wohnhaus der Antragstellerin, das an dieser Stelle seinerseits grenzständig errichtet worden ist. Die Antragstellerin hat zudem weiterhin eine freie Sicht von der Terrasse zur vierten Seite hin in ihren Garten.
Die Überlegungen der Antragstellerin zu alternativen Standorten der Garage, die ihre nachbarlichen Rechte in stärkerem Maße schonen würden, sind vorliegend unerheblich. Die baurechtliche Prüfung ist an das aus dem Bauantrag ersichtliche Vorhaben gebunden. Wird festgestellt, dass dieses an dem vom Bauherrn gewählten Standort Nachbarrechte nicht verletzt, ist kein Raum für Erwägungen zu möglicherweise besser geeigneten Alternativstandorten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1997 - BVerwG 4 B 97.97 -, BRS 59 Nr. 176, juris Rn. 6). Der Bauherr ist nicht verpflichtet, die dem Nachbarn verträglichste und günstigste Lösung zu wählen. Er genügt seiner Pflicht zur Rücksichtnahme vielmehr schon dann, wenn seine Lösung für den Nachbarn - noch - zumutbar ist (NdsOVG, a.a.O., Rn. 28). Entsprechendes gilt für den Hinweis der Antragstellerin, dass die Garage auch deswegen weiter hinten errichtet werden könne, weil die Beigeladenen angeblich zusätzlich die Errichtung eines Doppelcarports beabsichtigen. Aus den vorliegenden Unterlagen zum Bauantrag der Beigeladenen ergibt sich zudem nur die Genehmigung eines weiteren Stellplatzes zusätzlich zur Garage, deren abstandsflächenrechtliche Privilegierung im Übrigen entfallen würde, wenn sie (auch) zu anderen Zwecken als dem Abstellen von Kraftfahrzeugen genutzt würde (vgl. Otto, Brandenburgische Bauordnung, 2007, § 6 Rn. 69).
Soweit die Antragstellerin vorträgt, die streitgegenständliche Bebauung weiche von der Umgebung dadurch ab, dass „erstmals direkt grenzständig im Wohnhausbereich ein privilegiertes Bauvorhaben verwirklicht“ werde, ist dies schon deshalb nicht zutreffend, weil die Garage nicht an das Wohnhaus, sondern nur an die Terrasse der Antragstellerin und damit (nur) an den Außenwohnbereich der Antragstellerin grenzt. Im Übrigen missversteht die Antragstellerin Inhalt und Tragweite des Merkmals des „Einfügens“, wenn sie darauf abstellt, ob sich konkret vergleichbare Gebäudekonstellationen in der Nachbarschaft finden. Das aus dem Begriff des Einfügens im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB ableitbare Rücksichtnahmegebot ist (nur) verletzt, wenn sich ein Vorhaben objektivrechtlich nach der Art der baulichen Nutzung, dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise oder der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (BVerwG, Urteil vom 11. Januar 1999, a.a.O.). Andere als diese vier Normelemente des § 34 Abs. 1 BauGB sind für die Bewertung der Frage, ob sich ein Bauvorhaben in die nähere Umgebung einfügt, ohne Belang (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 29. September 2010, a.a.O, Rn. 8 m.w.N.). Die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, inwieweit eine Bebauung an der Grundstücksgrenze zulässig ist, betrifft die Bauweise (offene oder geschlossene Bauweise, § 22 Abs. 1 BauNVO). Dass sich das streitige Bauvorhaben unter diesem Aspekt nicht in die nähere Umgebung einfügt, macht die Antragstellerin, deren Wohnhaus im Übrigen selbst teilweise direkt an der Grundstücksgrenze steht, nicht geltend. Eine Bauweise, die es immer nur einem Grundstücksnachbar erlauben würde, an die Grundstücksgrenze zu bauen, oder den Anbau von Nebengebäuden an Hauptgebäuden untersagen würde, ist bauplanungsrechtlich - abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall der halboffenen Bauweise - nicht vorgesehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladenen im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat sich, wie schon das Verwaltungsgericht, an der Empfehlung in Nr. II.9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand Juli 2004, NVwZ 2004, 1327) orientiert und den dort genannten Wert im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Eilverfahrens halbiert hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).