Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 16. Senat | Entscheidungsdatum | 09.09.2014 | |
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Aktenzeichen | L 16 R 23/14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 118 SGB 6 |
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.187,89 € festgesetzt.
I.
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob das beklagte Geldinstitut (rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts) verpflichtet ist, dem klagenden Rentenversicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen (Rentenzahlungen iHv 1.187,89 €) zurück zu überweisen.
Die 1926 geborene und 2012 verstorbene I D (im Folgenden: Rentenbezieherin) bezog von der Klägerin eine Witwenrente (nach ihrem 1929 geborenen und 1965 verstorbenen Ehegatten; Versicherungsnummer; Zahlbetrag zuletzt: 797,01 € monatlich) und eine Versichertenrente (Versicherungsnummer; Zahlbetrag zuletzt: 442,21 € monatlich). Beide Renten wurden auf ein bei der Beklagten errichtetes Girokonto der Rentenbezieherin überwiesen (IBAN:), zuletzt für Oktober 2012 mit Gutschriften vom 28. September 2012. Die Beklagte hatte seit dem 27. September 2012 Kenntnis vom Tod der Rentenbezieherin (vgl Schriftsatz vom 21. März 2013). Am 5. Oktober 2012 hoben die Erben der Rentenbezieherin das auf deren Konto befindliche Guthaben iHv 2.269,88 € ab und lösten das Konto auf; auf den Kontoauszug vom 9. Oktober 2012 und die Kontenbewegungen seit 28. September 2012 wird Bezug genommen.
Am 4. Oktober 2012 erhielt die Klägerin für beide Rentenzahlungen vom Rentenservice die Mitteilung, dass die Zahlung der Renten aufgrund des Todes der Rentenbezieherin eingestellt und die Rentenbeträge für Oktober 2012 iHv 764,- € bzw 423,89 € zu Unrecht gezahlt worden seien. Das Rückzahlungsverlangen des Rentenservice für beide Renten ging der Beklagten am 8. Oktober 2012 zu. Mit Schreiben vom 15. November 2012 (Zugang am 20. November 2012) forderte die Klägerin die Beklagte auf, die überzahlten Rentenbeträge für Oktober 2012 iHv 1.187,89 € zurück zu überweisen. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2012 antwortete die Beklagte, dass die Erben über das vorhandene Guthaben verfügt hätten, woran die Beklagte gebunden sei. Eine Erstattung komme daher mangels Guthabens nicht in Betracht.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie (die Klägerin) 1.187,89 € zu zahlen. Das Sozialgericht (SG) B hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 2. Dezember 2013). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei zulässig und begründet. Die Beklagte könne sich auf den Auszahlungseinwand des § 118 Abs. 3 Satz 3 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) nicht berufen, weil sie bereits vor der Kontenauflösung Kenntnis vom Tod der Rentenbezieherin gehabt habe (Bezugnahme auf Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 22. April 2008 – B 5a/4 R 79/06 R – juris). Dieser Rechtsprechung stünden auch nicht die nach Maßgabe des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdienste-Richtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29. Juli 2009 mWv 31. Oktober 2009 in Kraft getretenen Neuregelungen der §§ 675c Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entgegen, weil die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Bankkunde und Geldinstitut durch den öffentlich-rechtlichen Vorbehalt in § 118 Abs. 3 SGB VI überlagert würden (Bezugnahme auf BSG aaO).
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Ein Geldinstitut könne bereits aus Rechtsgründen jedenfalls nicht für Verfügungen haftbar gemacht werden, die zwischen der Kenntnis des Geldinstituts vom Tod des Rentenempfängers und dem Erstattungsverlangen des Rentenversicherungsträgers getätigt würden. Dies verstoße gegen Gemeinschaftsrecht. Ein Vorbehalt könne sich nach Maßgabe von § 118 Abs. 3 SGB VI allenfalls für die Zukunft nach Zugang des Aufforderungsschreibens ergeben, dürfe aber nicht in bereits abgeschlossene Zahlungsvorgänge eingreifen. Öffentliches bundesdeutsches Sonderrecht – wie in § 118 Abs. 3 SGB VI – könne das Zahlungsdienste-Recht nicht außer Kraft setzen, das eine Überweisung mit einseitigem Vorbehalt nicht kenne. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten zur Sache wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Gerichtsakten (2 Bände) und die Rentenakten der Klägerin haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung der Beklagten durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).
Die Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin 1.187,89 € (Witwenrente iHv 764,- € zuzüglich Versichertenrente iHv 423,89 €) zu zahlen.
Rechtsgrundlage des von der Klägerin erhobenen Zahlungsanspruchs ist § 118 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VI. Dessen Voraussetzungen sind gegeben. Die Klägerin hat die Geldleistungen, die sie für Oktober 2012 auf das bei der Beklagten errichtete Girokonto der Rentenbezieherin überwiesen hat, „zu Unrecht“ geleistet. Gemäß § 102 Abs. 5 SGB VI waren die der Rentenbezieherin bewilligte Witwenrente und die eigene Versichertenrente nur bis zum 30. September 2012 zu leisten. Die diese Renten bewilligenden Bescheide hatten sich mit dem Tod der Rentenbezieherin „auf andere Weise“ iSv § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) erledigt (vgl BSG, Urteil vom 13. November 2008, B 13 R 48/07 R - juris). Mit Schreiben vom 15. November 2012 hat die Klägerin von der Beklagten 1.187,89 € „als zu Unrecht erbracht“ zurückgefordert (§ 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI).
Auf § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI kann sich die Beklagte ab dem 27. September 2012 nicht berufen. Die – erst am 28. September 2012 erfolgten - Rentengutschriften waren von diesem Zeitpunkt an mit dem gesetzlichen Vorbehalt des § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI belegt, so dass die Beklagte dem Rückforderungsverlangen die nach den Rentengutschriften erfolgten anderweitigen Verfügungen - und damit auch die Überweisung an L und K D am 5. Oktober 2012 iHv 2.269,88 € - nicht entgegen halten durfte, soweit das Guthaben damit unter den Schutzbetrag („entsprechenden Betrag“ iSv § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI) fiel.
Nach Auffassung des 5. Senats des BSG, dessen Rechtsprechung der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, kann sich ein Geldinstitut unter bestimmten Voraussetzungen auf den Auszahlungseinwand des § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI nicht berufen, nämlich ab dem Zeitpunkt, in dem es „vom Ableben des Rentenempfängers“ weiß oder „zu einer entsprechenden Prüfung“ Anlass hat (vgl die Urteile des 5. Senats des BSG vom 3. Juni 2009 - B 5 R 65/07 R - und - B 5 R 120/07 R -, die zurückgreifen auf das Urteil des 5a. Senat des BSG vom 22. April 2008 - B 5a/4 R 79/06 R – jeweils juris; dieser Auffassung angeschlossen haben sich: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Juni 2010, - 2 C 14/09 -; Hessisches Landessozialgericht – LSG -, Urteil vom 13. Februar 2013 - L 2 R 262/ 12 - juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Juli 2013 - L 13 R 2202/12 - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. September 2013 – L 4 R 496/98 – juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Januar 2014 – L 14 R 1000/12 – juris; Körner, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Lsbl., § 118 SGB VI Rn. 22). Die Beklagte hatte nach ihrem eigenen Vorbringen (vgl Schriftsatz vom 21. März 2013) seit dem 27. September 2012 (laut ihrer Antwort auf das Rückforderungsverlangen der Klägerin vom 9. Oktober 2012 seit 1. Oktober 2012) Kenntnis vom Tod der Rentenbezieherin und damit auch vom Vorbehalt des § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI. Über die am 28. September 2012 gutgeschriebenen Rentenbeträge hätte sie daher - auch wenn auf den 1. Oktober 2012 abzustellen wäre - am 5. Oktober 2012 nicht mehr verfügen dürfen.
Der Hinweis der Beklagten auf die in Bundesrecht umgesetzte Zahlungsdienste-Richtlinie, namentlich auf die §§ 675o Abs. 2, 675t Abs. 1 Satz 1, 675y Abs. 1 BGB, greift nicht durch. Denn bei § 118 Abs. 3 und 4 SGB VI handelt es sich um ein „privatrechtsverdrängendes“ öffentliches „Sonderrecht des Staates“, das den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung besondere Ansprüche auf „Rücküberweisung“ (§ 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI) und „Erstattung“ (§ 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI) gegen bestimmte Privatrechtssubjekte zugesteht, die dem Zivilrecht „vorgelagert“ sind (vgl schon BSG, Urteil vom 4. August 1998 – B 4 RA 72/97 R – juris; BSG, Urteil vom 13. November 2008 - B 13 R 48/07 R - juris). Weshalb sich hier durch die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht betreffend die zivilrechtliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses zwischen Bankkunde und Geldinstitut eine andere Beurteilung ergeben sollte, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen verkennt die Beklagte, dass es nicht darauf ankommt, ob sie – worauf sie zutreffend hinweist - einen ausgeführten Zahlungsauftrag nicht mehr „anhalten“ kann bzw darf und die Gutschrift definitiv auf dem Konto des Zahlungsempfängers erfolgt. Denn hier hätte sie entsprechende Zahlungsaufträge nach Kenntnisnahme vom Tod der Rentenbezieherin gar nicht mehr ausführen dürfen, soweit dadurch das Kontoguthaben unterhalb des Schutzbetrages gesenkt wurde. Tut sie dies dennoch, geht dies zu ihren Lasten. Die von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen bei einem Gemeinschaftskonto im Falle des Versterbens eines Kontoinhabers kommen vorliegend ebenfalls nicht zum Tragen. Schließlich kann die Beklagte der Klägerin auch nicht die Auflösung des Girokontos der Rentenbezieherin am 5. Oktober 2010 entgegen halten; denn auch diese stellte eine anderweitige Verfügung iSv 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Eine grundsätzliche Bedeutung ist im Hinblick auf die höchstrichterlich bereits entschiedenen Rechtsfragen nicht erkennbar. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung auch nicht von einer Entscheidung des BSG ab. Eine Divergenz im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG setzt voraus, dass von einem die Entscheidung des BSG tragenden Rechtsatz abgewichen wird (vgl Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 160 Rn. 13), was hier nicht der Fall ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).