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Entscheidung 11 Qs 62/11


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 1. Große Strafkammer Entscheidungsdatum 02.01.2012
Aktenzeichen 11 Qs 62/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

In der Strafsache … wird die sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 05.07.2011 als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer.

Der Beschwerdewert wird auf 371,76 € festgesetzt.

Gründe

Der ehemalige Verteidiger hat im vorliegenden Verfahren nach dem Freispruch des Beschwerdeführers mit Antrag vom 09.05.2011 beantragt, die aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers auf insgesamt 1.119,14 € festzusetzen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht jedoch nur 747,38 € gegen die Landeskasse festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Wortlaut des Kostenfestsetzungsantrages, des Kostenfestsetzungsbeschlusses und der Beschwerdeschrift Bezug genommen.

Das Rechtsmittel ist unbegründet.

Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Anwaltsgebühren grundsätzlich selbst. Dabei hat er insbesondere die in der Vorschrift genannten Zumessungskriterien gegeneinander abzuwägen, um eine für sich lohnende Vergütung festzusetzen, die den Umständen des Falles gerecht wird und den Mandanten nicht unangemessen belastet. Maßgeblich sind danach die Bedeutung der Sache für den Mandanten, der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten. Letzteres gilt auch, wenn die Landeskasse dem Mandanten die notwendigen Auslagen zu erstatten hat, denn Maßstab bleiben auch in diesem Fall allein die Verhältnisse des Mandanten, dessen Auslagen zu erstatten sind. Die Landeskasse ist nicht der Rechnungs-empfänger.

Hinsichtlich aller Zumessungskriterien ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer bei der Bestimmung jeder einzelnen Anwaltsgebühr das von der Gebühr abgedeckte Spektrum zu berücksichtigen. Insbesondere muss der Rechtsanwalt bei der Bestimmung der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und der Vorverfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG bedenken, dass diese die Strafverfahren aller Art abdecken, und zwar vom Bagatelldelikt bis zum schwersten Verbrechen, welches mit lebenslanger Freiheitsstrafe verfolgt wird, oder auch bis zu schwierigsten und höchst umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren. Der Rechtsanwalt wird in Fällen von leichten Vergehen mit einfachem Tatsachen- und Rechtshintergrund insoweit nicht die Rahmenmittelgebühr festlegen können und zur Begründung ausführen dürfen, dass das Verfahren für den Mandanten von höchster Bedeutung gewesen sei.

Gleiches gilt bei den Gebühren für das amtsgerichtliche Verfahren, die nicht nur Strafsachen vor dem Einzelrichter abdecken, sondern auch solche, die vor dem Schöffengericht oder gar – wegen ihres Umfangs – vor dem erweiterten Schöffengericht verhandelt werden und in denen nicht nur Geldstrafen, sondern auch Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren drohen. Auch bei diesen Gebühren muss der Rechtsanwalt sich bei der Bestimmung im gesamten Gebührenrahmen bewegen und insbesondere berücksichtigen, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass es auch Anwaltstätigkeiten in Verfahren gibt, die mit Gebühren unterhalb der Mittelgebühr angemessen abgegolten werden. Der häufig zu findende Satz, dass stets die Mittelgebühr festzusetzen sei, wenn keine Kriterien zu finden seien, welche die Erhöhung oder Verminderung der Mittelgebühr rechtfertigen würden, entlastet den Rechtsanwalt nicht etwa dahin, dass er sich gar nicht erst auf die Suche nach solchen Kriterien begeben muss. Die Festsetzung der Mittelgebühr ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Fall sich hinsichtlich sämtlicher Zumessungsumstände vor dem Hintergrund des von der Gebühr abgedeckten Spektrums als durchschnittlich darstellt oder gebührenmindernde Umstände durch gebührenerhöhende Umstände kompensiert werden. So kann beispielsweise eine erhöhte Schwierigkeit des Falles dann nicht zum Tragen kommen, wenn der Mandant in unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen lebt.

Dem in Bagatellfällen häufig vorgetragenen Argument, dass ein Wahlverteidiger grundsätzlich nicht geringer vergütet werden könne, als wenn er im selben Fall als Pflichtverteidiger tätig geworden wäre, ist Folgendes entgegen zu halten: Bei Fällen, in denen die Wahlverteidigervergütung niedriger anzusetzen ist als die feststehende Pflichtverteidigervergütung handelt es sich in der Regel nicht um Fälle, in denen ein Verteidiger beigeordnet worden sein wäre (§ 140 StPO). Im Übrigen sind durchaus Fälle denkbar, in denen für den Wahlverteidiger tatsächlich nur eine Vergütung angemessen ist, die unter den feststehenden Sätzen eines beigeordneten Rechtsanwaltes liegt. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber die Pflichtverteidigersätze nämlich schon als Untergrenzen der Gebührenrahmen festgelegt.

Anerkannt ist, dass dem Rechtsanwalt bei der Bestimmung der Gebühren eine Toleranz von 20 % zuzubilligen ist, da eine genaue Gebührenbestimmung mangels feststehender Sätze ohnehin nicht möglich ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Rechtsanwalt einen „eigentlich“ angemessenen Betrag annehmen und diesen dann um 20 % erhöhen darf. Vielmehr handelt es sich nur um eine Fehlerquote, die von den überprüfenden Spruchkörpern zu respektieren ist. Empfindet der Rechtspfleger eine anwaltliche Gebührenbestimmung selbst unter Berücksichtigung dieser Toleranz als zu hoch und die Gebühr damit als unbillig im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 4 RVG, so kann er nach eigenem Ermessen festsetzen, dass die Gebühr nur in Höhe eines angemessenen Teilbetrages erstattungsfähig ist. Das hiergegen häufig anzutreffende Argument der Beschwerdeführer, dass grundsätzlich eine Kürzung der vom Anwalt festgesetzten Gebühr um bis zu 20 % nicht statthaft sei, greift nicht durch. Der Rechtspfleger könnte die Anwaltsgebühr sogar um weit weniger als um 20 % kürzen, nur um auf diese Weise zu einem Betrag zu kommen, den er unter Berücksichtigung einer 20 %igen Toleranz als gerade noch angemessen empfindet.

Bei der Bestimmung der Terminsgebühren spielt außer den bisher genannten Zumessungsumständen auch der Zeitaufwand eine maßgebliche Rolle. Dabei kommt es nicht allein auf die Dauer der Hauptverhandlung an, sondern auch auf die notwendige Vorbereitungszeit. So ist es durchaus denkbar, dass aufwändig geplante Hauptverhandlungen kurzerhand ausgesetzt werden, weil ein vorrangiges Beweismittel nicht anwesend ist oder nicht zur Verfügung steht. In solchen Fällen muss der gebührenmindernden Kürze der Hauptverhandlungsdauer die aufwändige Vorbereitungszeit des Rechtsanwalts gegenüber gestellt werden.

Soweit das Amtsgericht im vorliegenden Fall unter Berufung auf eine missverstandene und im Übrigen auch rechtsirrige ältere Entscheidung der Kammer davon ausgegangen ist, dass eine fünfstündige Hauptverhandlung als durchschnittlich im Rahmen der amtsgerichtlichen Hauptverhandlungen anzusehen sei, kann dem allerdings nicht beigetreten werden. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Terminsgebühren für das amtsgerichtliche Verfahren auch die Verhandlungen vor den Schöffengerichten abgelten, sollten allerdings Hauptverhandlungen von etwa zwei Stunden Dauer als durchschnittlich angesehen werden. Deshalb hat sich dieser Rechtsfehler vorliegend nicht zugunsten des Beschwerdeführers ausgewirkt, da die Hauptverhandlungen im vorliegenden Fall von erheblich kürzerer Dauer waren und auch nicht eine dazu unverhältnismäßige Vorbereitungszeit erforderten.

Hinsichtlich der Reise- und Abwesenheitskosten steht die Kammer nach wie vor auf folgendem Rechtsstandpunkt: Nach §§ 464 a Abs. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes nur, soweit sie nach § 91 Abs. 2 der Zivilprozessordnung erstattungsfähig sind. Nach dieser Vorschrift sind die Reisekosten eines Rechtsanwaltes, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, nur insoweit erstattungsfähig, als seine Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn ein Verteidiger mit Spezialkenntnissen erforderlich ist, der im Bezirk des prozessführenden Gerichts nicht zu finden ist. Allein der Umstand, dass der Rechtsanwalt sich als langjähriger Vertrauensanwalt des Beschwerdeführers bezeichnet, reicht nicht aus, die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten zu Lasten eines Dritten zu beschließen, zumal dies die Tür dafür öffnen würde, dass selbst die Reise- und Abwesenheitskosten von Rechtsanwälten aus besonders fernen Orten zu erstatten wären. Dies mag entsprechend der BGH-Rechtsprechung für zivilrechtliche Verfahren hinnehmbar sein, da diese Auseinandersetzungen meist aus geschäftlichen Beziehungen resultieren, bei denen die Entfernungen von den jeweiligen Parteien in Kauf genommen worden sind. Für Strafverfahren können diese Maßstäbe aber nicht zum Tragen kommen.

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist die angefochtene Entscheidung in keiner Hinsicht rechtlich zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464 b S. 3 StPO, 97 Abs. 1 ZPO.