Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 31. Senat | Entscheidungsdatum | 07.04.2011 | |
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Aktenzeichen | L 31 R 866/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 48 SGB 6 |
Soziale Probleme aufgrund einer Alkoholkrankheit stehen einer Aufnahme des Stiefkindes in den Haushalt des verstorbenen Versicherten nicht entgegen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. August 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 30. Mai 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08. Mai 2008 verurteilt, dem Kläger Halbwaisenrente dem Grunde nach ab 08. Dezember 2005 zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Halbwaisenrente aus der Versicherung seines verstorbenen Stiefvaters.
Der Kläger wurde 1991 als Kind der Eltern A S und S E S geboren. Am 28. Oktober 1997 heiratete die Mutter des Klägers den 1962 geborenen R R (im Folgenden: der Versicherte). Der Kläger, seine Mutter und der Versicherte lebten ausweislich von Auskünften des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 18. Mai 2007 und 04. März 2009 und der Mutter des Klägers im gerichtlichen Termin vom 17. August 2010 seit 1997 zunächst gemeinsam in der vom Versicherten bereits seit Mai 1987 inne gehabten Wohnung in der Zwei…Straße in B. Von hier zogen der Kläger und seine Mutter am 01. Oktober 2000 aus in die Wohnung Zstraße in 13583 B.
Der Versicherte war in der Wohnung in der Zwei…Straße bis 31. März 2001, in der Zeit vom 01. Juli 2002 bis 15. Dezember 2003 in der Sstraße in B und in der Zeit vom 02. Dezember 2004 bis 07. Dezember 2006 in der Zwie…Straße in B gemeldet. Nach längeren stationären Aufenthalten in der Zeit von Ende 2005 bis ca. Herbst 2006 zog der Versicherte nach Angaben der Mutter des Klägers ca. November 2006 in eine noch nicht möblierte Wohnung in der W Straße. Ausweislich der Sterbeurkunde verstarb er in der Zeit zwischen dem 30. November 2006, 0.00 Uhr, und dem 07. Dezember 2006, 10.15 Uhr. Nach einem Telefonvermerk der Landesversicherungsanstalt Berlin vom 14. Juni 2007 teilte die Mutter des Klägers (als „getrennt lebende Ehefrau“) dort unter Angabe eines polizeilichen Aktenzeichens mit, dass der alkoholkranke Versicherte nach dem Obduktionsergebnis aufgrund eines Zuckerschocks bei bestehender Diabetes verstorben sei.
Im Januar 2007 beantragte die Mutter des Klägers u. a. für den Kläger eine Halbwaisenrente. Die Frage, ob sich die Waise bis zum Tod des Versicherten in dessen Haushalt befand, wurde mit „nein“ beantwortet. Die Nachfrage der Beklagten vom 13. März 2007, ob sie vom Versicherten getrennt gelebt oder ob trotz Trennung ein gemeinsamer Haushalt bestanden habe, beantwortete die Mutter des Klägers mit handschriftlichem Schreiben vom 03. April 2007 wie folgt: „Antwort auf Ihre Fragen:
- Ja, ich habe von meinem verstorbenen Mann, R R, räumlich und wirtschaftlich getrennt gelebt und keinen gemeinsamen Haushalt geführt!
- Mein verstorbener Mann hat sich zeitweise bei mir aufgehalten, da wir uns freundschaftlich verbunden fühlten. Er hat sich um meinen Sohn gekümmert, da ich im 3-Schicht-System arbeite. Nur aufgrund seiner Erkrankung (Alkoholsucht) war es mir nicht möglich auf Dauer mit ihm zusammen zu leben!“
Nach Einholung der bereits genannten Auskunft des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten teilte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 2007 mit, dass zwar die allgemeine Wartezeit erfüllt sei, dass aber ein Anspruch auf die Gewährung einer Waisenrente für den Kläger nicht bestehe. Denn ein gemeinsamer Haushalt mit dem Verstorbenen habe zum Zeitpunkt des Todes nicht vorgelegen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit dem die Mutter des Klägers erneut ausführte, dass der Versicherte sich zeitweise bei ihnen aufgehalten habe, da er wegen seiner Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, gänzlich alleine zu leben, er habe sich auch um ihren Sohn gekümmert, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08. Mai 2008 zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, dass eine zeitweise Betreuung nicht ausreiche, um von einer Haushaltsaufnahme auszugehen.
Im Klageverfahren hat das Gericht die bereits genannte Auskunft des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 04. März 2009 eingeholt und am 17. August 2010 den Kläger persönlich gehört sowie die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen; hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom Termin Bezug genommen. Die Mutter des Klägers hatte hier angegeben, dass der Versicherte ungefähr zu der Zeit, als man sich kennen gelernt habe, angefangen habe, heftig zu trinken. Wegen dieser Alkoholkrankheit sei sie dann im Jahre 2000 zusammen mit dem Kläger aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, und zwar in die Zstraße. Wenn der Versicherte nicht getrunken habe, sei er dann aber zu ihr gekommen und habe dann auch bei ihr gewohnt. In der Zwie…Straße sei sie nie gewesen. Irgendwann Ende 2006 (gemeint wohl: 2005) sei ihr Mann dann von der Feuerwehr und der Polizei betrunken vor der gemeinsamen Wohnung aufgegriffen und in die Nervenklinik S zur Entgiftung gebracht worden. Anschließend sei er in eine Reha-Einrichtung in M gekommen, wo er eine Langezeittherapie absolviert habe. Als er von dort entlassen worden sei, sei er in eine eigene Wohnung in der W Straße gekommen, in dieser Wohnung sei allerdings nichts drin gewesen. Er habe sich dann noch Sachen von ihr abgeholt. Einen Monat später sei er tot gewesen. Warum sie zunächst angegeben habe, keinen gemeinsamen Haushalt geführt zu haben, wisse sie auch nicht.
Mit Urteil vom 17. August 2010 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Denn es sei nicht nachgewiesen worden, dass der Versicherte während des letzten Dauerzustandes vor seinem Tod noch mit dem Kläger in einer gemeinsamen Familienwohnung gewohnt habe. Dies ergebe sich aus den im Verwaltungsverfahren gemachten Angaben der Zeugin, die ausdrücklich ausgeführt habe, vom Versicherten räumlich und wirtschaftlich getrennt gelebt und keinen gemeinsamen Haushalt geführt zu haben. Eine Anfechtung dieser Erklärung wegen Irrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB scheide aus, da es sich hierbei nicht um eine Willenserklärung gehandelt und weil die Zeugin auch nicht dargelegt habe, inwieweit hier ein Irrtum vorgelegen habe. Das Schreiben sei auch nicht wegen fehlender vormundschaftlicher Genehmigung unwirksam, weil es keine vermögensrechtliche Verfügung beinhaltet habe. Insgesamt sei von einem dauerhaften Auszug des Versicherten aus der Familienwohnung auszugehen. Auch seien die Angaben der Zeugin angesichts des Umstandes, dass der Versicherte schwer alkoholkrank gewesen sei, uneingeschränkt nachvollziehbar.
Gegen dieses ihm am 27. August 2010 zugegangene Urteil richtet sich die am 23. September 2010 eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger trägt vor, dass der Versicherte mit der Zeugin S-R einen gemeinsamen Haushalt geführt habe, in welchen er, der Kläger, aufgenommen gewesen sei. Der gemeinsame Haushalt habe sich in der Familienwohnung in der Zstraße befunden. Seine Eltern hätten sich, wenn auch mit Schwierigkeiten, wechselseitig materiell unterstützt. Beide, auch der Versicherte, hätten für ihn gemeinsam Sorge getragen und ihm materielle und emotionale Zuwendungen gegeben. Eine andere Wohnung sei nur vom Versicherten angemietet worden, um sich krankheitsbedingt zurückziehen zu können. Die kurz vor dem Tod noch angemietete Wohnung sei, mit Ausnahme von einigen Kleidungsstücken, leer gewesen. Selbst die behandelnden Ärzte des Versicherten hätten sich in unmittelbarer Nähe zur Familienwohnung befunden. Weiter sei auch die von der Beklagten an den Versicherten gerichtete Post noch an die Zstraße gerichtet worden. Im Übrigen stehe es den Ehepartnern frei, wie sie ihr konkretes Zusammenleben gestalteten, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur „Haushaltsaufnahme“ stehe in Widerspruch zu den Artikeln 2, 3 und 6 Grundgesetz. Vom Bezug von Transferleistungen habe seine Mutter keine Kenntnis gehabt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. August 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 08. Dezember 2006 Halbwaisenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten R R zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte führt aus, die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend zu halten.
Das Gericht hat im Termin vom 07. April 2010 die in der Zstraße wohnhafte frühere Nachbarin des Klägers I M und die Mutter des Klägers als Zeugen vernommen; hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift zum Termin Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08. Mai 2008 und das erstinstanzliche Urteil sind rechtswidrig und waren daher abzuändern bzw. aufzuheben. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung einer Halbwaisenrente aus der Versicherung seines verstorbenen Stiefvaters R R.
Gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) haben Kinder nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn
1. sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2. der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.
Nach § 48 Abs. 3 Nr. 1 werden als Kinder auch Stiefkinder, also die nur zu dem Ehegatten des Versicherten in einem Kindschaftsverhältnis stehenden leiblichen oder angenommenen Kinder berücksichtigt, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren. Hieraus ergibt sich, dass der Kläger, da der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte, Anspruch auf eine Halbwaisenrente dann hat, wenn er in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen war.
Für den Begriff der Haushaltsaufnahme kommt es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf das Bestehen einer Familiengemeinschaft an, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) darstellt. Diese drei Arten von Kriterien stehen in enger Beziehung zueinander und können sich auch teilweise überschneiden, grundsätzlich darf davon jedoch keines gänzlich fehlen (BSG, Urteil vom 30. August 2001, Aktenzeichen (Az.) B 4 RA 109/00 R, und BSG, Urteil vom 30. Januar 2002, Az. B 5 RJ 34/01 R, jeweils m. w. N., jeweils zitiert nach juris.de). Diese richterrechtlich entwickelten Merkmale zu den örtlichen, materiellen und immateriellen Aspekten des Bestehens einer Familiengemeinschaft sind keine gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, sondern Hilfsmerkmale, die dazu dienen, das Vorliegen des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der Haushaltsaufnahme zu prüfen. Hierbei kann den Merkmalen ein unterschiedliches Gewicht zukommen, je nachdem, ob die Begründung oder Beendigung der Haushaltsaufnahme zu bewerten ist. Ein die Haushaltsaufnahme beendender Tatbestand liegt nur vor, wenn eines der drei Hilfskriterien dauerhaft entfallen und damit ein neuer Normalzustand eingetreten ist. Da die Haushaltsaufnahme ein auf Dauer angelegtes Familienband begründet, wird dieses nicht durch Ereignisse von kurzfristiger bzw. vorübergehender Dauer „zerrissen“; es kommt vielmehr auf den dauerhaften Normalzustand an. Deshalb muss sich auch der Beendigungstatbestand als Dauerzustand und damit als neuer Normalzustand erweisen.
Dieser dauerhafte Fortfall der Haushaltsaufnahme als neuer Normalzustand muss ferner als der letzte Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten bestanden haben, zu dem ein so genanntes zum Tode führendes Leiden als ein schon der Art nach „anormaler Zustand“ nicht gehört. Es ist hierbei grundsätzlich nicht schematisch auf das letzte Jahr vor dem Tode des Versicherten abzustellen; eine kürzere oder längere Zeitspanne kann maßgeblich sein, wenn innerhalb des letzten Jahres eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist (so insgesamt BSG, Urteil vom 30. August 2001, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben bestand im letzten Dauerzustand bis zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten, der in der Zeit zwischen dem 30. November und 07. Dezember 2006 eingetreten ist, weiterhin ein gemeinsamer Haushalt des Versicherten und des Klägers im Sinne einer fortbestehenden Familiengemeinschaft und damit eine Haushaltsaufnahme des Klägers beim verstorbenen Versicherten.
Letzter Dauerzustand im Hinblick auf die Haushaltsaufnahme ist jedenfalls die Zeit seit etwa Frühling/Sommer 2001, als der Versicherte seine Wohnung in der Zwei…Straße aufgegeben hatte und zur Mutter des Klägers in die Zstraße gezogen war, wobei dahingestellt bleiben kann, ob durch den Auszug des Klägers und seiner Mutter aus der früheren gemeinsamen Familienwohnung in der Zwei…Straße die vorher bestehende Familiengemeinschaft überhaupt aufgelöst worden war. Die Mutter des Klägers, deren Aussage nach Einschätzung des Gerichts durchweg glaubhaft war, hatte hierzu ausgesagt, dass der Versicherte alsbald in ihre neue Wohnung gekommen war und dort gelebt hatte. Der Umzug war lediglich von ihr als wichtig bzw. unausweichlich betrachtet worden, weil nunmehr sie Wohnungsbesitzerin war und den Versicherten, wenn es Probleme gab, der Wohnung verweisen konnte. Jedenfalls aber zog der Versicherte bei ihr ein. Der Kläger hat hierzu anschaulich beschrieben, dass der Versicherte seinen bescheidenen Hausstand in Form weniger Möbel mitbrachte, die zum größten Teil in den Keller gestellt wurden. Die Zeugin M konnte sich nachvollziehbar anhand eines wohl typischen Ereignisses gleich nach ihrem Einzug in das Haus im Jahre 2001 erinnern, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der Versicherte in dem Haus lebte und sich betrunken im Treppenhaus aufhielt.
In der Folgezeit verblieb es bis zum Tod des Versicherten bei diesem Dauerzustand, wie ihn übereinstimmend, glaubhaft und nachvollziehbar der Kläger, seine Mutter und die Zeugin M bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung am 07. April 2011 geschildert haben. Dieser Dauerzustand bestand darin, dass es die Familienwohnung in der Zstraße gab, deren Mieterin die Mutter des Klägers war, die aber vom Versicherten durchgehend gemeinsam mit dem Kläger und dessen Mutter bewohnt wurde. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass die Mutter des Klägers den Versicherten regelmäßig, wenn er zu viel getrunken hatte, aus der Wohnung verwies, wobei letzterer sich dann entweder im Treppenhaus unter dem Dach oder im Auto auf der Straße oder auf dem von der Mutter des Klägers für den Versicherten angeschafften Grundstück mit Bootshaus in K. aufhielt. Diese Abwesenheitszeiten des Versicherten aus der gemeinsamen Wohnung waren zur Überzeugung des Gerichts allein dem Umstand geschuldet, dass der Versicherte schwer alkoholkrank und in den Zeiten seiner Alkoholexzesse von seiner Familie nicht zu ertragen war. Das Familienleben des Klägers war dementsprechend, wie von ihm und den Zeuginnen in jeder Hinsicht glaubhaft geschildert worden ist, geprägt durch wiederkehrende Phasen der Abwesenheit des Versicherten und das ständige Ringen der Mutter des Klägers um ein noch erträgliches Miteinander für alle Beteiligten, zu dem auch ihre wiederholten Versuche gehörten, den Versicherten jedenfalls bei Alkoholexzessen aus der Familienwohnung hinaus zu bekommen, oder, wie sie es formulierte, Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen. Diese erheblichen, aber angesichts des Alkoholikerproblems wohl auch nicht untypischen Probleme änderten jedoch nichts daran, dass hier nach wie vor eine Familiengemeinschaft bestand.
Ein die Haushaltsaufnahme in der Zstraße beendender Umstand mit der Folge eines neuen, anderen Dauer-Normalzustandes konnte jedenfalls für keinen Zeitpunkt festgestellt werden. Denn der Versicherte kam immer wieder in die gemeinsame Familienwohnung zurück und wurde dort auch immer wieder aufgenommen. Die Mutter des Klägers hat hierzu glaubhaft bekundet, sich nicht vom Versicherten getrennt zu haben, weil nach wie vor füreinander Gefühle und auch die Hoffnung bestanden, dass der Versicherte sich ändern würde. Auch wenn die Begründung eines eigenen Haushaltes durch den Versicherten von der Mutter des Klägers durchaus gewünscht und – wie z. B. durch die Anschaffung einer Kücheneinrichtung für eine der Wohnungen - gefördert worden war, kam es jedoch nie dazu, dass der Versicherte diese Wohnungen für sich akzeptierte. Vielmehr hielt er sich weiterhin in der Zstraße auf. Unter den verschiedenen Meldeanschriften hatte der Versicherte keinen eigenen Hausstand begründet. Die Wohnung in der Sstraße war die Wohnung eines Bekannten, der dort jedoch mit eigener Familie lebte und den Versicherten nicht aufnehmen konnte. Trotz vorübergehender Anmietung in der Zwie… und letztlich in der W Straße änderte sich letztlich nichts am geschilderten Dauerzustand, dass der Versicherte seinen Lebensmittelpunkt in der Zstraße hatte. Die Mutter des Klägers hat hierzu ausgesagt, dass der Versicherte trotz der in N gemieteten Wohnung im Auto vor ihrer Tür geschlafen habe. Sehr anschaulich war auch die Schilderung des Klägers, dass man den Versicherten deshalb zur Rehabilitationsbehandlung nach M geschickt hatte, weil er während der laufenden Behandlung aus der Nervenklinik S immer wieder in die Zstraße ging. Auch nach Beendigung der Maßnahme in M kehrte der Versicherte hierher zurück.
Neben dem Fortbestehen einer gemeinsamen Familienwohnung war die Familiengemeinschaft des Klägers auch durch materielle und immaterielle Zuwendungen im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung seitens des Versicherten geprägt. Insoweit kommen Geld-, Sach- und Betreuungsleistungen in Betracht, wobei Barunterhalt und Naturalunterhalt grundsätzlich gleich zu bewerten sind (BSG, Urteil vom 08. Juli 1998, Az. B 13 RJ 97/97 R, zitiert nach juris.de). Diese Zuwendungen dürften zwar krankheitsbedingt und aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Versicherten nicht besonders ausgeprägt gewesen sein. Dies schadet jedoch nicht. Zunächst einmal hat die Zeugin M im Hinblick auf die finanziellen Verhältnisse zutreffend formuliert, dass die Umstände so waren, wie sie nun einmal sind, wenn nur einer arbeitet. Ferner ist es nach der bereits genannten Rechtsprechung ausreichend, dass die Merkmale der materiellen und immateriellen Zuwendung nicht gänzlich gefehlt haben. Der Kläger und seine Mutter haben geschildert, das der Versicherte im Rahmen des ihm Möglichen Zuwendungen immaterieller Art in Form von Fürsorge und Betreuung tatsächlich noch erbracht hat. Beispielhaft hat der Kläger berichtet, dass der Versicherte mit ihm Mathematik-Hausaufgaben gemacht und Zeit beim Bauen von Bootsmodellen verbracht hat. Da sich die Mutter des Klägers und der Versicherte über die Betreuung des Klägers während der Zeit in Zwei…Straße näher gekommen waren, war es auch durchaus glaubhaft, dass der Versicherte hier durchaus weiterhin Interesse am Kläger und dessen Betreuung hatte. Damit waren auch die Merkmale erbrachter Zuwendung als Kriterium für das Bestehen einer Familiengemeinschaft in ausreichendem Maße vorhanden.
Die Einwände der Beklagten überzeugten nicht. Zwar hatte die Mutter des Klägers zunächst wiederholt ausdrücklich formuliert, mit dem Versicherten nicht in einem gemeinsamen Haushalt gelebt zu haben. Zur Überzeugung des Senats waren die Umstände des Zusammenlebens aber genau der Art, wie sie sich in der ausführlichen Beweisaufnahme vor dem Senat dargestellt haben; allein hierauf war abzustellen. Es kommt auch nicht darauf an, dass mit dem Tod des Versicherten dem Kläger nicht der Ernährer weg gebrochen ist. Eine derartige Voraussetzung ist § 48 SGB VI nicht zu entnehmen; auch würde man im Falle des Versterbens einer nicht erwerbstätigen Stiefmutter derartiges auch nicht formulieren.
Nach alledem war der Berufung daher stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.